OGH 10ObS62/92

OGH10ObS62/9224.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinz Paul (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Siegfried Pratscher (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ingeborg K*****, Witwenpensionistin, ***** vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Witwenpension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.Dezember 1991, GZ 13 Rs 111/91-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22. Juli 1991, GZ 12 Cgs 124/91-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.396,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 377,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 19.3.1991 wurde der Anspruch der Klägerin auf Witwenpension nach dem am 30.12.1990 verstorbenen Versicherten Anton K***** ab 30.12.1990 anerkannt und ausgesprochen, daß der Anspruch mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem sich die Klägerin wieder verehelicht, erlischt, spätestens jedoch mit dem Ablauf von 30 Kalendermonaten, beginnend mit dem Monatsersten nach dem Todestag des Versicherten, das ist mit 30.6.1993.

Die Klägerin begehrte mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage die Zahlung einer unbefristeten Witwenpension. Im Haushalt des verstorbenen Gatten der Klägerin habe seit der Heirat am 14.5.1983 ihr am 1.10.1975 geborener Sohn aus erster Ehe gelebt. Ihr gebühre gemäß § 258 Abs 3 Z 1 ASVG die Witwenpension unbefristet, weil im Zeitpunkt des Todes des Versicherten dem Haushalt der Witwe ein Kind des Verstorbenen angehörte. Auch Stiefkinder fielen unter den Begriff "Kind" des § 258 Abs 3 Z 1 ASVG.

Die beklagte Partei stellte außer Streit, daß die Klägerin sich am 14.5.1983 mit dem Versicherten Anton K***** verehelichte und in dieser Ehe ihren Sohn aus erster Ehe mitbrachte. Unbestritten ist auch die ständige Hausgemeinschaft mit dem Versicherten. Ihren Antrag auf Abweisung des Klagebegehrens gründete die beklagte Partei darauf, daß unter dem Begriff "Kind" nicht auch ein Stiefkind des Verstorbenen zu verstehen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es folgte in seiner rechtlichen Beurteilung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs SSV-NF 4/53, wonach unter dem Begriff "Kind des Verstorbenen" im § 258 Abs 3 Z 1 letzter Halbsatz ASVG auch ein Stiefkind des Verstorbenen zu verstehen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und schloß sich der Auffassung des Obersten Gerichtshofes in der genannten Entscheidung vollinhaltlich an.

Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsausführungen sind nicht geeignet, den Obersten Gerichtshof zu einem Abgehen von der Entscheidung SSV-NF 4/53, die auch im Schrifttum Zustimmung fand (Weißensteiner in DRdA 1990, 380), zu veranlassen. Die beklagte Partei wiederholt Argumente einer gesetzessystematischen und einer historischen Auslegung, die bereits dort widerlegt wurden. Dies gilt insbesondere für die Ansicht, der Gesetzgeber habe durch die Nichtbeifügung des Klammerzitates ("252 ASVG") zum Ausdruck bringen wollen, daß unter dem Begriff "Kind des Verstorbenen" nicht auch die Stiefkinder zu verstehen seien. Warum der Begriff "Kind des Verstorbenen, das Anspruch auf Waisenpension hat" nur im Sinne des ABGB und nicht viel eher im Sinne des § 260 ASVG verstanden werden könne, ist nicht einsichtig, hält sich doch das ABGB selbst nicht immer an seine Begriffsbestimmungen, weshalb im Zweifelsfall nach dem Zweck der Vorschrift geprüft werden muß, welcher Personenkreis gemeint ist (Koziol-Welser, Grundriß des bürg.Rechts9 II 177 f; vgl auch Pichler in Rummel2 Rz 1 und 2 zu §§ 40 ff ABGB; Ehrenzweig-Schwind, FamR 2). Der Hinweis der Revision auf "einschlägige" Bestimmungen des ABGB ist daher nicht zielführend. Daß Stiefkinder im Sozialrecht sehr wohl als Kinder gelten können, gesteht auch die beklagte Partei zu. Anspruch auf Waisenpension haben freilich nur jene Stiefkinder, die mit dem Versicherten ständig in Hausgemeinschaft lebten, ohne daß es aber auf (wechselseitige) Unterhaltspflichten ankommt: die beklagte Partei übersieht bei ihrem Hinweis auf derartige Unterhaltspflichten, daß nach § 252 Abs 1 letzter Halbsatz ASVG zwar die Enkel überdies nur dann als Kinder gelten, wenn sie gegenüber dem Verstorbenen unterhaltsberechtigt sind (vgl dazu Schrammel in Tomandl, SV-System 5.ErgLfg 127 f), eine solche Einschränkung bei den Stiefkindern aber fehlt.

Daß sich aus den Materialien zur 25.ASVG-Novelle nichts für den Standpunkt der beklagten Partei ableiten läßt, wurde bereits in SSV-NF 4/53 ausgeführt.

Schließlich ist die Bestimmung des § 258 Abs 3 ASVG teleologisch zu verstehen, was die beklagte Partei offenbar gänzlich außer acht läßt. Den Ausnahmetatbeständen des § 258 Abs 3 Z 1 - 3 ASVG (Ausnahmen von der Ausnahme des Abs 2) ist zu entnehmen, daß dem hinterbliebenen Ehegatten eine (unbefristete) Witwenpension nur dann verwehrt werden soll, wenn die Erlangung eines Pensionsanspruches der alleinige Zweck der Eheschließung mit dem Versicherten war (so Teschner, ASVG MGA 52.ErgLfg 1331 Anm 3). Bereits die Gesetzesmaterialien zur 3.Nov zum SV-ÜG wiesen im Zusammenhang mit der Neuerung auf dem Gebiet des Witwenrentenrechtes (§ 66 SV-ÜG) darauf hin, daß die Inanspruchnahme von Witwenrentenleistungen durch sogenannte Versorgungsehen verhindert werden solle (895 BlgNR 5.GP, 2). An diesem Grundsatz hielt das ASVG trotz gewisser Milderungen fest (vgl 599 BlgNR 7.GP, 86 f; 157 BlgNR 12.GP, 17). Die Geburt eines Kindes in der Ehe, die Legitimierung eines Kindes durch die Ehe und die Schwangerschaft der Witwe im Zeitpunkt des Todes des Ehegatten sind zweifellos Umstände, die dagegen sprechen, daß die Ehe nur zum Zweck der Erlangung eines Pensionsanspruches eingegangen wurde. Bei dem weiteren, hier gegenständlichen Ausnahmefall des § 258 Abs 3 Z 1 ASVG ist der Gesetzeszweck nicht so deutlich erkennbar. Die Erweiterung der Ausnahmen um das dem Haushalt der Witwe angehörende Kind des Verstorbenen erfolgte erst durch die 25.ASVG-Novelle, mit der die Vorschriften über die "Versorgungsehe" reformiert wurde (siehe Schäfer in SoSi 1971, 43 (49)); die Materialien schweigen allerdings über die Motive gerade für diese Erweiterung (157 BlgNR 12.GP, 17), deren mutmaßlicher Zweck aber offenbar darin gesehen werden muß, auch solche Witwen zu schützen, die in ihrem Haushalt ein Kind des verstorbenen Ehemannes betreuen. Warum unter diesem Blickwinkel leibliche Kinder anders zu sehen seien als Stiefkinder des Verstorbenen, ist nicht einsichtig und wird auch in der Revision nicht dargelegt. Das Gesetz sieht doch die beiden Personengruppen (leiblichen Kindern wie Stiefkindern) gemeinsame Einschränkung vor, daß sie Anspruch auf Waisenpension haben müssen. Ein Stiefkind des Verstorbenen muß nicht zwangsläufig ein leibliches Kind der Witwe sein, weil Fälle denkbar sind, in denen der Versicherte bereits in die Ehe ein Stiefkind mitbringt. Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar um das leibliche Kind der Klägerin aus ihrer ersten Ehe, das sie in die Ehe mit dem Versicherten mitbrachte; die neue Eheschließung mit dem Versicherten war aber offenbar grundsätzlich ebenso wie zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Klägerin auch dazu geeignet, ihrem Kind (wieder) ein geordnetes Familienleben zu ermöglichen, könnte also nicht als Eingehung einer bloßen "Versorgungsehe" gesehen werden. Auch die teleologische Auslegung führt daher zur Richtigkeit der in der Entscheidung SSV-NV 4/53 ausgesprochenen Rechtsansicht.

Der Revisionswerberin ist allerdings beizupflichten, daß der hier auszulegende Gesetzeswortlaut klarer wäre, würde er etwa lauten:

".... dem Haushalt der Witwe (des Witwers) eine Person (besser vielleicht ein Kind) angehörte, die (das) Anspruch auf Waisenpension nach dem (hier) Versicherten hat". Daß der Gesetzgeber die nötige Klarheit vermissen ließ, ist aber kein taugliches Argument dagegen, daß die Bestimmung im oben erörterten Sinn zu verstehen ist.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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