OGH 9ObS2/92

OGH9ObS2/9218.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka und Margarete Heidinger als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A***** H*****, Arbeiter, *****, vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Versicherungsdienste, ***** vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 92.234 S netto an Insolvenzausfallgeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. September 1991, GZ 32 Rs 139/91-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24. Jänner 1991, GZ 10 Cgs 1009/90-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBS00002.920.0318.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Entscheidungsgründe:

Am 17. April 1989 wurde über das Vermögen des J***** W*****, Alleininhaber der protokollierten Firma B*****-G***** und W***** J***** Z*****, das Ausgleichsverfahren eröffnet. Der Kläger war in diesem Unternehmen Mitglied des Betriebsrates. Am 19. Mai 1989 brachte der Ausgleichsschuldner beim Arbeits- und Sozialgericht Wien die Klage auf Erteilung der Zustimmung zur Kündigung des Klägers ein. Die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung wurde für den 13. Juni 1989 anberaumt. Um ohne langwieriges Verfahren die Zustimmung zur Kündigung des Klägers zu erlangen, verpflichtete sich der Ausgleichsschuldner in dieser Tagsatzung zur Zahlung einer freiwilligen Abfertigung von vier Monatsgehältern. Daraufhin stellte der Kläger (dort Beklagter) außer Streit, dass die Betriebsabteilung "Produktion" im Unternehmen des Ausgleichsschuldners eingestellt wird, dass er in dieser Abteilung beschäftigt ist und eine Weiterbeschäftigung in einem anderen Betriebsteil oder einem anderen Betrieb des Ausgleichsschuldners nicht möglich ist. Mit in dieser Tagsatzung verkündetem Urteil wurde sodann die Zustimmung zur Kündigung des Klägers (und zweier anderer Betriebsratsmitglieder) erteilt und von den Parteien ein Rechtsmittelverzicht erklärt. Am nächsten Tag kündigte der Ausgleichsschuldner das Arbeitsverhältnis des Klägers auf. Der Ausgleichsverwalter genehmigte die Abrechnung der offenen Ansprüche des Klägers mit einem Betrag von S 236.428 S netto, in dem auch die vereinbarte freiwillige Abfertigung von 92.234 S enthalten war.

Mit Bescheid vom 4. Oktober 1990 lehnte die beklagte Partei die Zahlung dieses Betrages von 92.234 S netto an Insolvenzausfallgeld ab.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage die Zuerkennung dieses Betrages. Die freiwillige Abfertigung sei vereinbart worden, weil der Kläger als Betriebsratsmitglied Kündigungsschutz genossen habe und ohne vorherige Zustimmung des Gerichtes eine Kündigung nicht rechtswirksam habe erfolgen können. Da ein solches Verfahren längere Zeit dauere und sein Ausgang ungewiss sei, habe sich der Ausgleichsschuldner bereit erklärt, zur Abgeltung dieses wirtschaftlichen Risikos einen Betrag von 92.234 S zu zahlen, falls der Kläger unter Verzicht auf den Bestandschutz der Kündigung zustimme. Dies sei für den Ausgleichsschuldner von Vorteil gewesen, weil das während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens über die Zustimmung zur Kündigung des Klägers zu zahlende Entgelt höher gewesen wäre.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, daß der Anspruch aus einer den Kläger begünstigenden Einzelvereinbarung im Sinne des § 1 Abs 3 Z 2 IESG abgeleitet werde und damit ausgeschlossen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und vertrat die Rechtsauffassung, dass dem Kläger der begehrte Betrag aus dem Titel des pauschalierten Entgeltes für die unabsehbare weitere Dauer des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zustehe.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung der beklagten Partei das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass der besondere Kündigungsschutz des Betriebsratsmitgliedes seinem Schutz vor persönlichen Vergeltungsmaßnahmen des Arbeitgebers und damit der Sicherung seiner Funktion diene, aber nicht den Zweck habe, dem Betriebsratsmitglied die Aufgabe seines Mandates während der Funktionsperiode gegen Entgelt zu ermöglichen. Auch wenn der Betrag aus Gesichtspunkten der Steuerschonung oder Beitragsschonung als "freiwillige Abfertigung" bezeichnet werde, handle es sich nach dem wahren wirtschaftlichen Gehalt um ein Entgelt für die Aufgabe des im Interesse der Mandatsausübung gewährten erhöhten Bestandschutzes, der auf diese Weise für die Verfolgung persönlicher Interessen nutzbar gemacht werde. Die Zuwendung eines Entgeltes für die Aufgabe des besonderen Kündigungsschutzes durch das Betriebsmitglied sei daher als Einzelvereinbarung im Sinne des § 1 Abs 3 Z 2 IESG zu qualifizieren. Dem Einwand, ohne entgeltliche Preisgabe des besonderen Kündigungsschutzes müsse der Insolvenzausfallgeldfonds höhere Zahlungen gewährtigen, sei entgegenzuhalten, dass durch die Bestimmungen der §§ 39 Abs 1 und 61 Abs 1 Z 5 ASGG solche höheren Kosten möglichst hintangehalten werden sollten. Die schwierige Personallage bei Gericht und die drohende Länge des Verfahrens solle die Mitglieder des Betriebsrates nicht dazu verleiten, für die Preisgabe ihres besonderen Kündigungsschutzes ein erhöhtes Entgelt zu Lasten des Insolvenzausfallgeldfonds zu verlangen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Selbst wenn man die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Vereinbarung eines Entgeltes für die Aufgabe des Betriebsratsmandates verstoße gegen den Zweck des dem Betriebsratsmitglied gewährten besonderen Kündigungsschutzes, nicht teilte, wäre für den Standpunkt des Revisionswerbers nichts gewonnen, da die Ansprüche des Klägers auf einer nach dem Antrag auf Eröffnung des Ausgleichsverfahrens getroffenen Einzelvereinbarung beruhen. Hiebei ist es für die Qualifikation der Vereinbarung als Einzelvereinbarung im Sinne des § 1 Abs 3 Z 2 IESG ohne Bedeutung, ob nur mit dem Kläger oder auch mit den beiden anderen auf Zustimmung zur Kündigung geklagten Betriebsratsmitgliedern eine derartige Vereinbarung getroffen wurde. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers kann die Gewährung von freiwilligen Abfertigungen lediglich an Betriebsratsmitglieder, die in einem Verfahren nach § 121 ArbVG keine Einwände erheben, nicht als "betriebsüblich" im Sinne des § 1 Abs 3 Z 2 letzter Halbsatz IESG angesehen werden. Dieser Begriff wurde mit der Novelle BGBl 395/1986 in das Gesetz aufgenommen; in den Erläuternden Bemerkungen zur RV 993 BlgNR 16.GP, 7 wurde dazu ausgeführt: "Hinsichtlich des Umfanges der ausgeschlossenen Ansprüche wurde insoweit eine Einschränkung vorgenommen, als für jene Ansprüche, die zwar über den Kollektivvertrag entlohnt werden, sich aber im betriebsüblichen Rahmen halten, Insolvenzausfallgeld gebührt". Demnach sind auch die die kollektivvertraglichen Mindestentgelte übersteigenden Ansprüche aus innerhalb der in § 1 Abs 3 Z 2 IESG genannten Fristen zustandegekommenen Einzelvereinbarungen gesichert, soweit sie sich im Rahmen der betriebsüblichen Überzahlungen halten.

Geht man vom Zweck der Ausschlussbestimmungen des IESG aus, dann sollten in diesen Fällen zwar auch höhere als die kollektivvertraglichen Mindestentgelte gesichert werden, aber durch den Hinweis auf die betriebliche Übung (siehe Schwarz-Löschnigg Arbeitsrecht4 285) vermieden werden, dass in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Insolvenz und damit in der Regel im Hinblick auf die Sicherung durch den Insolvenzausfallgeldfonds einzelnen Arbeitnehmern über das betriebliche Lohnniveau hinausgehende Ansprüche oder der Gesamtheit der Arbeitnehmer bisher nicht gewährte Leistungen zugesichert werden. Die betriebliche Übung als Grundlage für überkollektivvertragliche Entlohnung setzt nämlich die regelmäßige vorbehaltslose Gewährung dieser Leistungen an die Gesamtheit der Arbeitnehmer oder an bestimmte Kategorien von Arbeitnehmern - voraus (siehe Schwarz-Löschnigg aaO 268; Spielbüchler in Spielbüchler-Floretta-Strasser Arbeitsrecht I3 189 f und 241).

Da weder behauptet noch bewiesen wurde, dass an alle Arbeitnehmer der beklagten Partei anlässlich ihres Ausscheidens durch Kündigung seitens des Arbeitgebers auch schon vor Beginn der in § 1 Abs 3 Z 2 IESG genannten Fristen zusätzliche "freiwillige Abfertigungen" in der dem Kläger zugesicherten Höhe gewährt wurden, scheidet die betriebliche Übung als Grundlage für diese einzelvertragliche Entgeltzusage aus. Wäre hingegen eine derartige Leistung nur an Betriebsratsmitglieder gewährt worden, die sich der Kündigung durch den Arbeitgeber trotz ihres besonderen Kündigungsschutzes nicht widersetzen, wäre dies mit der für die betriebliche Übung maßgeblichen Gleichbehandlungspflicht des Arbeitgebers nicht vereinbar. Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer Betriebsratsmitglied ist, soll weder zu einer Begünstigung (siehe §§ 37 Abs 1 und 115 Abs 3 ArbVG) noch zu einer Bevorzugung (siehe Floretta in Floretta-Strasser Kommentar ArbVG § 115 Rz 4; Strasser in Floretta Spielbüchler-Strasser Arbeitsrecht II3 407) führen. Die Mitgliedschaft zum Betriebsrat kann daher eine unterschiedliche Gestaltung des Entgeltes nicht sachlich rechtfertigen (zur Frage des erlaubten bzw verbotenen Differenzierungsanlasses siehe insbesondere Strasser, Betriebspension und Gleichbehandlung 30 ff).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASVG; Umstände, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß lit b dieser Bestimmung rechtfertigen würden, wurden weder behauptet noch bescheinigt.

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