Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei die mit S 4.077,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 679,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende und widerbeklagte (in der Folge: klagende) Gemeinde ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 469 KG H***** u.a. mit dem Grundstück 997/3. Östlich davon schließt die dem Beklagten und Widerkläger (in der Folge: Beklagten) gehörige Liegenschaft EZ 182 KG H***** mit dem Grundstück 987 an. Die Familie des Beklagten führt auf dieser Liegenschaft jedenfalls seit den (19)40iger Jahren einen Sägewerksbetrieb. Das Grundstück 997/3 diente als Lagerstätte für Rund- und Schnittholz. Seit den 40iger-Jahren wurde mit Fuhrwerken der Kunden des Sägewerkes oder des Sägewerkers selbst über das im Gemeindeeigentum stehende Grundstück 997/3 unregelmäßig zum Sägewerk zugefahren, im Sommer erfolgte dies ab und zu, im Winter öfters. Dem - im Jahr 1984 verstorbenen - Vater des Beklagten war dabei bewußt, daß über Gemeindegrund gefahren wurde, er nahm diesen Grund bei der Zufahrt aber in Anspruch, weil dies nicht verboten wurde. Seinerzeit befand sich auf dem Gemeindegrundstück das Schulgebäude und im wesentlichen südlich davon ein grasbewachsenes und mit Bäumen bestandenes Gelände, das als (Schul-)Spielplatz Verwendung fand. Als die klagende Gemeinde im Jahr 1958 an der Liegenschaftsgrenze zum Sägewerk einen Eisenzaun errichtete, stellte der Vater des Beklagten fest, daß die eingegossenen Betonsockel für die Eisensteher zum Teil auf seinem Grund standen. Daher kam er mit dem Bürgermeister und drei Gemeindevertretern der beklagten Gemeinde und einem Amtssachverständigen der Bezirkshauptmannschaft bzw. des Landes Vorarlberg überein, daß der Zaun bleiben könne, für das Sägewerk, solange es bestehe, aber von der Straße her entlang des Zaunes ein Fahrrecht eingeräumt werde. In diesem Sinn wurde auch eine zusammenfassende Vereinbarung (Beilage ./A) ausgefertigt, die sowohl vom Vater des Beklagten als auch vom seinerzeitigen Bürgermeister der klagenden Gemeinde unterfertigt wurde. Seit dieser Zeit wurde der Bereich des Gemeindegrundes neben dem Zaun durch das Sägewerk regelmäßig in Anspruch genommen. Im Jahr 1976 asphaltierte die klagende Gemeinde diesen Bereich der Zufahrt auf eine Länge von rund 60 m von der Straße her, der gleichzeitig auch als Zufahrt zum dahinterliegenden Bauhof der Gemeinde diente. Das Fahrrecht zugunsten des Sägewerks wurde bis zum Jahr 1988 nie in Frage gestellt. Erst als der Beklagte den Zufahrtsbereich zum Abstellen von Fahrzeugen (seiner Bediensteten) und zur Ablagerung von Holz verwendete, beanstandete dies der derzeitige Bürgermeister der klagenden Partei und kam sodann in Überprüfung des Fahrrechts des Beklagten aufgrund der aufgefundenen Vereinbarung vom 27. Mai 1958 zunächst zum Ergebnis, daß dieses Recht mit dem Tod des Vaters des Beklagten erloschen sei. Er wies in einem Schreiben vom 13. Mai 1988 darauf hin, daß die Benützung des Gemeindegrundstückes als Zufahrt zum Sägewerk, sowie als Parkplatz und Holzablagerplatz rechtswidrig und zu unterlassen sei. Die Vereinbarung vom 27. Mai 1958 war nie Gegenstand der Beratung und Beschlußfassung der Gemeindevertretung der klagenden Gemeinde.
Die klagende Gemeinde begehrte die Verpflichtung des Beklagten, das Befahren (sowie das Parken von Fahrzeugen und das Ablagern von Holz, worüber bereits ein Teilanerkenntnisurteil erging) des Grundstückes 997/3 entlang seiner Ostgrenze zu unterlassen, in eventu all dies zu anderen Zwecken, als zur Zu- und Abfahrt vom seinerzeitigen Holzlagerplatz in der Nordwestecke der Grundparzelle 997/3 (wohl gemeint: 987) zu unterlassen. Dieses Begehren stützte sie im wesentlichen darauf, daß die "Vereinbarung" vom 27. Mai 1958 mangels Einhaltung der in der seinerzeit gültigen Vorarlberger Gemeindeordnung 1935, LGBl. 1935/25, für die Belastung von Liegenschaften vorgesehenen Zustimmung des Gemeindetages sowie der Genehmigung des Landes nicht gültig und auch in der Folge nicht nachträglich genehmigt worden sei. Die überdies vom Beklagten eingewendete und mit Widerklage geltend gemachte Ersitzung des Fahrrechtes sei schon mangels Redlichkeit des Rechtsbesitzes des Vaters des Beklagten in der Zeit vor dem Abschluß der Vereinbarung vom 27. Mai 1958 nicht wirksam geworden.
Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und erhob Widerklage mit dem Hauptbegehren, festzustellen, daß ihm und seinen Rechtsnachfolgern im Eigentum der Liegenschaft EZ 182 KG H***** mit dem Grundstück 987 ein Fahrrecht auf dem Grundstück 997/3 EZ 469 KG H***** entlang deren Nord- (gemeint wohl: Ost-)grenze zustehe, und mit dem Eventualbegehren, die widerbeklagte Gemeinde sei schuldig, ihm und seinen Rechtsnachfolgern ........ ein derartiges Fahrrecht einzuräumen. Er leitete seine Ansprüche sowohl aus der nach seiner Meinung mittlerweile genehmigten Vereinbarung vom 27. Mai 1958, als auch aus der behaupteten Ersitzung sowie aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes auf Naturalersatz durch Einräumung des begehrten Fahrrechtes wegen schuldhafter Unterlassung der entsprechenden Genehmigungsschritte der Organe der widerbeklagten Gemeinde ab.
Diese beantragte die Zurückweisung der Widerklage wegen Streitanhängigkeit, aber auch die Abweisung des unbegründeten Widerklagebegehrens.
Das Erstgericht gab dem (restlichen) Hauptbegehren der klagenden Gemeinde statt, verwarf die gegen die Widerklage erhobene Einrede der Streitanhängigkeit und wies das Haupt- und Eventualbegehren der Widerklage ab. Für die Annahme der vom Beklagten behaupteten Ersitzung des Fahrrechtes fehle der durch 40 Jahre währende, dauernde, regelmäßige Gebrauch der Liegenschaft der Gemeinde im Bewußtsein eines entsprechenden Rechtes. Der Vertrag vom 27. Mai 1958 sei weder ordnungsgemäß zustandegekommen, noch nachträglich ordnungsgemäß genehmigt oder saniert worden. Im Wege des Naturalschadenersatzes könne nicht das erreicht werden, was der Beklagte mit dem Vertrag nicht erlangen hätte können.
Das Gericht zweiter Instanz änderte infolge Berufung des Beklagten die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es das Klagebegehren der Gemeinde abwies und dem Hauptbegehren der Widerklage stattgab. Das Berufungsgericht sprach weiters aus, daß der Streitgegenstand der beiden Klagen jeweils S 50.000 übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Ausgehend von den übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen kam es zum Ergebnis, daß der Beklagte unter Einrechnung der Ersitzungszeit seines Vaters und Rechtsvorgängers im Zeitpunkt der erstmaligen Bestreitung seines Fahrrechtes über die angrenzende Gemeindeliegenschaft bereits das Fahrrecht über diese ersessen habe. Der Vater des Beklagten habe seit den 40iger-Jahren die Liegenschaft der Gemeinde H***** für Fahrten zu seinem Sägewerk und damit ein Dienstbarkeitsrecht in Anspruch genommen, weil, wenn auch nicht regelmäßig, so doch im Winter öfters darüber gefahren worden sei. Durch die Benützung des fremden Grundes habe er die Duldung einer Schuldigkeit im Sinne des § 313 ABGB gefordert und damit seinen (Rechts-)Besitzwillen zum Ausdruck gebracht. Daß die Gemeinde H***** bzw. deren Organe von der Benützung ihrer Liegenschaft, auf der immerhin die Volksschule errichtet war, vor 1958 durch den Vater des Beklagten keine Kenntnis erlangt hätte, sei weder behauptet worden, noch durch Anhaltspunkte im Verfahren gedeckt. Es könne aber auch nicht Unredlichkeit des Rechtsbesitzes angenommen werden, weil dem Vater des Beklagten zwar bewußt gewesen sei, daß über fremden (Gemeinde-)Grund zum Sägewerk zugefahren werde, ihm aber seitens der Gemeinde niemals die Benützung dieses Grundes für diesen Zweck verboten worden sei, sodaß für ihn ein wahrscheinlicher Grund im Sinne des § 326 ABGB vorgelegen sei, zu diesen Fahrten auch berechtigt zu sein. Da bloß die Tatsache, aber nicht der Umfang des Fahrrechtes Verfahrensgegenstand sei und auch keine Umstände hervorgekommen seien, die eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit im Sinne des § 484 ABGB darstellen könnten, zumal die Betriebsform des Sägewerkes und Holzlagerplatzes nicht verändert worden seien, sei aus dem Titel der Ersitzung die Ausübung des Fahrrechtes durch den Beklagten berechtigt. Daher sei das Unterlassungsbegehren der klagenden Gemeinde abzuweisen und andererseits dem Feststellungsbegehren der Widerklage stattzugeben. Im übrigen nahm das Berufungsgericht auch an, daß die nicht gemeindeordnungsgemäß zustande gekommene Dienstbarkeitsvereinbarung vom 27. Mai 1958 durch das schlüssige Verhalten der Organe der klagenden Gemeinde nachträglich genehmigt worden sei und die seinerzeitige Vereinbarung nicht bloß persönlich für den Vater des Beklagten, sondern auch für diesen selbst als seinen Rechtsnachfolger im Betrieb des Sägewerkes Geltung habe.
Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision der klagenden Gemeinde ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt, wie die Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof ergab, nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO), zumal das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Sachverhaltsgrundlagen in seiner Entscheidung nicht verändert hat.
Zur Ersitzung ist erforderlich, daß jemand das zu ersitzende Recht wirklich besitze, daß sein Besitz rechtmäßig, redlich und echt sei und durch die ganze vom Gesetz geforderte Zeit fortgesetzt werde (§ 1460 ABGB). Die während der gesamten Ersitzungszeit geforderte Redlichkeit kann nicht mehr angenommen werden, wenn der Besitzer Kenntnis erlangt, daß sein Besitz nicht rechtmäßig sei oder vom Eigentümer des dienenden Gutes für sich in Anspruch genommen wird. Solange dies aber nicht der Fall ist und niemand die Benützung der fremden Liegenschaft hindert oder untersagt oder dafür Entgelt fordert, liegt für den Ersitzungsbesitzer ein wahrscheinlicher Grund im Sinne des § 326 ABGB für seine Berechtigung zur Benützung vor (Schubert in Rummel ABGB Rz 1 zu § 1463 und Rz 2 zu § 1477 je mwH, insbesondere SZ 50/53 = JBl 1978, 144 uva).
Die Feststellungen der Tatsacheninstanzen, daß der Vater des Beklagten ab den 40iger-Jahren sowohl bis zum Datum der "Vereinbarung" vom 27. Mai 1958, aber auch danach aufgrund der nunmehr umstrittenen Vereinbarung die über den Gemeindegrund führende Zufahrt zum Holzlagerplatz seines Sägewerkes unbeanstandet benützte, kann im Sinne der zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichtes nur dahin verstanden werden, daß er dieses Fahrrecht für das Sägewerk ohne weitere Beanstandung durch die Gemeinde in Anspruch nahm, sodaß er sich für die Ausübung des Fahrrechtes auch berechtigt erachten konnte. Die in der Revision dagegen vorgetragenen Argumente, er hätte wissen müssen, daß er über fremden Grund nicht fahren dürfe, er hätte dies heimlich ohne Kenntnismöglichkeit durch die (Organe der) Gemeinde, also in unechter Besitzausübung, getan usw., gehen am festgestellten Sachverhalt vorbei. Auch aus den im Zusammenhang mit dem Zustandekommen und Abschluß der "Vereinbarung" vom 27. Mai 1958 festgestellten Umständen kann eine Unterbrechung der Ersitzungszeit hinsichtlich des Fahrrechtes über den Gemeindegrund nicht abgeleitet werden, weil die Gemeinde weder vor noch nach dieser Vereinbarung das Fahrrecht des Vaters des Beklagten bestritten hat und in der Festschreibung dieses Fahrrechtes über Wunsch des seinerzeitigen Sägewerksbesitzers das erst in Ersitzung begriffene Recht festgelegt werden sollte. Jedenfalls steht fest, daß im Verlaufe der Ersitzungsfrist des § 1472 ABGB von 40 Jahren gegenüber der klagenden Gemeinde das Fahrrecht zugunsten des Sägewerkes ausgeübt und von der Gemeinde nicht widersprochen oder in Frage gestellt wurde. Damit hat aber der Beklagte die Ersitzung des Fahrrechtes zugunsten der Liegenschaft, auf der das Sägewerk nach wie vor betrieben wird, dargetan, sodaß die Klage der Gemeinde erfolglos bleibt, die Feststellungsklage des Beklagten hingegen erfolgreich ist. Zutreffend hat auch das Berufungsgericht darauf verwiesen, daß eine Ausweitung des Fahrrechtes im Sinne des § 484 ABGB gemessen an den Klagebegehren der Streitteile nicht Verfahrensgegenstand ist.
Die Revision der klagenden Gemeinde bleibt daher schon aus dem Grunde der Ersitzung des Fahrrechtes durch den Beklagten erfolglos. Auf die weiteren in der Revision abgehandelten Rechtsgründe, insbesondere betreffend die Gültigkeit der zwischen dem Vater des Beklagten und der klagenden Gemeinde geschlossenen Vereinbarung vom 27. Mai 1958 bzw. deren nachträgliche schlüssige Genehmigung ist dann nicht weiter einzugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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