Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Sozialrechtssache wird zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten der Berufung und der Revisionsbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 16. Juni 1989 lehnte die beklagte Partei den Antrag des am 18. Dezember 1939 geborenen Klägers vom 17. Februar 1989 auf Invaliditätspension mangels Invalidität ab.
Die offensichtlich auf die abgelehnte Leistung gerichtete Klage stützt sich auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes (öfters Schwindelanfälle und große Gedächtnislücken).
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil der während der letzten 15 Jahre vor dem Antrag als Hilfsarbeiter in verschiedenen Branchen beschäftigte Kläger noch alle einfachen mittelschweren Arbeiten an nicht exponierten Stellen verrichten und daher noch als Verpacker, Präger, Stanzer und Kontrollarbeiter wenigstens die Lohnhälfte erwerben könne.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Der Kläger könne mit dem seit dem Pensionsantrag bestehenden, näher festgestellten körperlichen und geistigen Zustand während der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen leichte Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen, jedoch nicht auf Leitern und Gerüsten leisten und den Arbeitsplatz erreichen. Seine Fingerfertigkeit sei für gewohnte, sonst nur für gröbere Manipulationen erhalten. Eine Unterweisung für Hilfsarbeiten sei in jeder Richtung möglich. In den letzten 15 Jahren vor dem Pensionsantrag habe der Kläger nicht mehr als Tischler, sondern teils als Bauhilfsarbeiter, teils als Hilfsarbeiter bei der Firma M-M gearbeitet. Seit September 1985 sei er nicht mehr erwerbstätig. Seine Arbeitsfähigkeit reiche zB für die näher beschriebenen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend gefragten Tätigkeiten eines Portiers, Betriebs- und Bauplatzwächters oder Lagerplatzaufsehers aus. Wegen dieser Verweisungsmöglichkeiten sei der Kläger nicht invalid iS des § 255 (Abs 3) ASVG.
Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, mangelhafter und unrichtiger Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es die beklagte Partei schuldig erkannte, dem Kläger vom 1. März 1989 an eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und bis zur rechtskräftigen Beendigung dieses Rechtsstreites eine vorläufige Zahlung von S 5.000,-- zu erbringen.
Nach Beweisergänzung durch Erörterung zweier Gutachten traf es folgende Feststellungen: Der Kläger kann wegen des geistigen Abbauprozesses nur 60 % seiner ursprünglichen Leistung erbringen. Wegen seiner mangelnden Flexibilität kann er weder als Portier noch als Wächter oder Aufsichtsperson arbeiten, wegen der schwachen Merkfähigkeit auch nicht als Bürobote oder Aktenträger. Weil auch alle Tätigkeiten in einem "gefährdenden Milieu", dh Arbeiten an Maschinen, ausscheiden, könne er auch nicht die Tätigkeiten eines Prägers, Pressers und Stanzers verrichten. Er kann auch kein Kraftfahrzeug lenken. Es sind ihm lediglich Tätigkeiten als Werkstättenreiniger zumutbar, sofern sie nicht in einem "gefährdenden Milieu" ausgeübt werden müssen, sowie einfache Abfüll- und Verpackungsarbeiten bei nicht "gefährdendem einfachen Gut". Er kann auch alle eingewöhnten und gewohnten Arbeitsverläufe aller Art ausüben. Für die Tätigkeit eines Abservierers in einem Selbstbedienungsrestaurant fehlt ihm der erforderliche Überblick. Er hält zwar Zeitdruck aus, (er)bringt aber nicht die durchschnittliche Leistung. Er kann zwar Dinge im Gedächtnis behalten, seine Merkfähigkeit ist aber stark herabgesetzt. Er neigt zum Konfabulieren, dh, er versteht eine bestimmte Anweisung zunächst im richtigen und im Zuge der Arbeiten im gegenteiligen Sinn. Für eine Arbeitskraft mit den Leistungseinschränkungen des Klägers gibt es auf dem Arbeitsmarkt nur Hilfsarbeitertätigkeiten, die ein erhebliches soziales Verständnis des Arbeitgebers voraussetzen.
Deshalb könne er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr als Werkstättenreiniger oder für einfache Abfüll- und Verpackungsarbeiter oder für eingewöhnte und gewohnte Arbeitsabläufe eingesetzt werden und sei daher invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG.
Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.
Der Revisionsgegner beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt.
Weil die Revision nur aus einem der im § 503 Z 1 bis 4 ZPO vollständig aufgezählten Gründe begehrt werden kann, sind unrichtige Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung kein zulässiger Revisionsgrund. Deshalb war auf die diesbezüglichen Revisionsausführungen nicht weiter einzugehen.
Dem Urteil des Berufungsgerichtes erscheint in keinem wesentlichen Punkt eine tatsächliche Voraussetzung zugrunde gelegt, die mit den Prozeßakten erster oder zweiter Instanz im Widerspruch steht, so daß die geltend gemachte Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO) nicht vorliegt (§ 510 Abs 3 leg cit).
Ein diesem Revisionsgrund zuzuordnender Widerspruch zwischen dem Akteninhalt und der darauf beruhenden wesentlichen Tatsachenfeststellung im Urteil liegt zwar auch dann vor, wenn das Urteil unter Berufung auf die Prozeßakten Tatsachenfeststellungen trifft, die dort gar keine Grundlage haben (Fasching, ZPR2 Rz 1771; MGA ZPO14 § 503 E 87), nicht aber bei der Gewinnung tatsächlicher Feststellungen durch Schlußfolgerungen, mögen diese auch unrichtig sein. Beruhen sie auf einem mangelhaften Verfahren oder auf einer unlogischen Gedankentätigkeit, so kann dies allerdings einen Verfahrensmangel oder eine unrichtige rechtliche Beurteilung begründen (Fasching aaO; MGA ZPO14 § 503 E 85, 86; SSV-NF 3/86).
Bei der Feststellung des Berufungsgerichtes, daß es "für eine Arbeitskraft mit den Leistungseinschränkungen des Klägers auf dem Arbeitsmarkt nur Hilfsarbeitertätigkeiten gibt, welche ein erhebliches soziales Verständnis des Arbeitgebers voraussetzen," handelt es sich daher um keine Aktenwidrigkeit, sondern um eine Schlußfolgerung des Berufungsgerichtes aus seinen Feststellungen über den körperlichen und geistigen Zustand und die eingeschränkte Arbeitsfähigkeit des Klägers.
Ob der nicht überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen iS des § 255 Abs 1 und 2 ASVG tätig gewesene Kläger nach Abs 3 leg cit als invalid gilt, weil er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt, kann nach den bisherigen Tatsachenfeststellungen noch nicht verläßlich beurteilt werden.
Das Berufungsgericht stellte zwar einerseits fest, daß dem Kläger Tätigkeiten als Werkstättenreiniger, wenn diese nicht in einem "gefährdenden Milieu" ausgeübt werden müssen, sowie einfache Abfüll- und Verpackungsarbeiten bei nicht "gefährdenden einfachen Gut" zumutbar seien, und daß er auch "alle eingewöhnten und gewohnten Arbeitsverläufe aller Art" ausüben könne, Zeitdruck aushalte und Dinge im Gedächtnis behalten könne, andererseits aber auch, daß er "keine durchschnittliche Leistung bringe", daß seine Merkfähigkeit stark herabgesetzt sei und daß er zum Konfabulieren neige, also eine bestimmte Anweisung zunächst im richtigen und dann im Zuge der Arbeiten im gegenteiligen Sinn verstehe. Vermutlich aus diesen Einschränkungen leitete die zweite Instanz ab, daß es für eine solche Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt nur Hilfsarbeitertätigkeiten gebe, die ein erhebliches soziales Verständnis des Arbeitgebers voraussetzten.
Dieser Schluß ist jedoch durch die bisherigen Verfahrensergebnisse noch nicht ausreichend begründet, außerdem würde er in dieser Allgemeinheit noch nicht zur Bejahung der Invalidität des Klägers führen.
Zunächst ist nämlich zu klären, ob die Tätigkeiten, die der Kläger trotz seines eingeschränkten körperlichen und geistigen Zustandes noch verrichten kann, insbesondere Werkstättenreinigungsarbeiten "in einem nicht gefährdenden Milieu" und einfache Abfüll- und Verpackungsarbeiten "bei nicht gefährdenden einfachen Gut", allenfalls noch andere einfachste Arbeiten auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet werden. Dabei ist auch genau festzustellen, welche Einschränkungen mit den zwischen Anführungszeichen gesetzten Ausdrücken gemeint sind und zu prüfen, ob der Kläger auch bei diesen Tätigkeiten wegen seines geminderten Gesundheitszustandes nur mehr so unterdurchschnittliche Leistungen erbringen kann, daß diese auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr bewertet werden (und wie sich seine Neigung zum Konfubalieren auf solche Arbeiten auswirken würde). Sollte der Kläger trotz seines eingeschränkten Gesundheitszustandes imstande sein, die erwähnten einfachsten Hilfsarbeitertätigkeiten im wesentlichen anstandslos zu verrichten, also derartige Arbeitsplätze auszufüllen, dann bestünden keine Bedenken dagegen, daß er dadurch wenigstens die Hälfte des Entgeltes erwerben könnte, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit (einfachste Hilfsarbeit) zu erzielen pflegt. Dann könnte keine Rede davon sein, daß der Kläger auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und deshalb vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre. Daß ein älterer Versicherter, dessen Arbeitsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen zwar eingeschränkt, aber an sich noch vorhanden ist, auf dem Arbeitsmarkt in der Regel nicht mehr so gefragt ist wie jüngere oder gesündere Mitbewerber, führt allenfalls zu einer Arbeitslosigkeit, bewirkt aber noch keine Invalidität.
Wegen der aufgezeigten Feststellungsmängel war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sozialrechtssache zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO). Ob ein berufskundliches Gutachten erforderlich ist, wird das Berufungsgericht nach § 488 ZPO zu entscheiden haben.
Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Berufung und der Revisionsbeantwortung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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