OGH 9ObA47/92

OGH9ObA47/9226.2.1992

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes HonProf.Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Dr. Heinz Nagelreiter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei I***** M*****, Angestellter, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei F*****, GesmbH, ***** vertreten durch ***** ua Rechtanwälte *****, wegen S 22.818,37 sA, Revisionsstreitwert S 16.407,99 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. November 1991, 7 Ra 77/91-30, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Mai 1991, 34 Cga 43/91-25, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.264,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 544,-- Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten vom 10. September 1981 bis 30. September 1990 als Filialleiter angestellt. Seit 28. April 1990 war er vom Dienst freigestellt. Er begehrte (zuletzt) als Entlohnung für 163 Überstunden, die er in der Zeit von April 1986 bis April 1990 geleistet habe,

S 22.818,37 brutto sA. Zwischen den Streitteilen sei grundsätzlich die Abgeltung der Überstunden durch Zeitausgleich vereinbart worden. Diesen Zeitausgleich habe der Kläger jedoch nicht mehr in Anspruch nehmen können.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sämtliche vom Kläger geleisteten Überstunden seien durch Zeitausgleich abgegolten worden. Die Ansprüche des Klägers seien verfallen oder verjährt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang statt. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Zwischen den Streitteilen war die Abgeltung geleisteter Überstunden durch Zeitausgleich vereinbart. Der Kläger mußte infolge urlaubsbedingter Abwesenheit von Angestellten oder wegen Personalmangels immer wieder Überstunden leisten. Bis etwa Ende 1988 wurden die Dienstleistungen der einzelnen Angestellten der vom Kläger geleiteten Filiale in von der Beklagten bereitgestellte Vordrucke eingetragen. Vermerkt wurde hiebei nur die Anwesenheit oder Abwesenheit infolge Urlaubs, Erkrankung oder Zeitausgleichs. Diese Vordrucke wurden am Monatsende in die Zentrale der Beklagten geschickt. Alle zwei bis vier Monate errechnete eine Angestellte, die mit dem Ausfüllen der Vordrucke befaßt war, die Arbeitszeitguthaben oder Arbeitszeitschulden der einzelnen Angestellten unter Fortführung der vorangegangenen Berechnungen; sie vermerkte das Ergebnis auf dem Vordruck beim Namen des jeweiligen Bediensteten. Ob diese Listen nach Ende 1988 noch in die Zentrale der Beklagten geschickt wurden, ist nicht feststellbar. Etwa ab Jänner 1989 legte die Beklagte parallel zu den bisherigen Vordrucken andere auf, die von einer damit beauftragten Angestellten der Filiale ausgefüllt und monatlich nach Wien geschickt wurden. In diesen Formblättern wurde die genaue Arbeitszeit (Beginn, Ende, Mittagspause) und die Abwesenheit (Urlaub, Zeitausgleich, Krankheit) jedes Angestellten (so auch des Klägers) eingetragen. In den (früher verwendeten) Vordrucken vermerkte die hiemit befaßte Angestellte per April 1990 163 Guthabensstunden des Klägers.

Nach den vorliegenden Unterlagen hatte der Kläger jeweils folgendes Überstundenplus:

per Juli 1987 227,3

reduziert bis Juni 1988 auf 167,2;

von Juli bis Dezember 1988

leistete der Kläger 113

Überstunden, wovon 76 durch

Zeitausgleich abgegolten wurden.

Überstundenplus daher 204,2

Im Jahr 1989 ergab die

Gegenüberstellung der

Überstunden, Mehrarbeitsstunden

und Zeitausgleichsstunden

59 Minusstunden; Überstundenplus

daher 145,2

Von Jänner bis März 1990

erreichte der Kläger 5 Plusstunden;

dies ergibt insgesamt ein

Überstundenplus von 150,2

Unter Berücksichtigung möglicher Fehler stellte das Erstgericht ein Überstundenplus von 163 Stunden mit Ende des Dienstverhältnisses fest.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß der Kläger Anspruch auf Abgeltung dieser 163 offenen Überstunden habe, da eine Abgeltung durch Zeitausgleich nicht mehr möglich gewesen sei. Verfall oder Verjährung des Anspruches sei nicht eingetreten, weil die Beklagte die vorgeschriebenen laufenden Überstundenaufzeichnungen nicht geführt habe, so daß für den Anspruch des Klägers die zweijährige Verfallsfrist gelte. Der Kläger habe die Mehrzahl der Überstunden bis Dezember 1988 erworben. Daraus ergebe sich, daß die begehrten Überstunden nicht verfallen seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Es sprach dem Kläger nur S 16.407,99 brutto sA zu und wies das Mehrbegehren von S 6.410,38 brutto sA - insoweit unbekämpft - ab; ferner sprach es aus, daß die Revision zulässig sei.

Es stellte nach teilweiser Beweiswiederholung die Zahl der dem Kläger nicht abgegoltenen Überstunden mit 117,2 fest und beurteilte den Sachverhalt rechtlich wie folgt:

Zwischen den Streitteilen sei für geleistete Überstunden Zeitausgleich vereinbart worden. Eine solche Vereinbarung sei mangels gegenteiliger Regelung im Arbeitszeitgesetz und im Kollektivvertrag der Handelsangestellten grundsätzlich zulässig. Liege eine solche Vereinbarung vor, so sei der Anspruch des Arbeitnehmers auf den Zeitausgleich ein Anspruch auf das Überstundenentgelt, welches in der Form der Freizeitgewährung zu erfüllen sei. Der Anspruchsgrund ändere sich dadurch nicht. Der Anspruch bleibe ein Entgeltanspruch, was sich darin zeige, daß er wieder zum Geldleistungsanspruch werde, wenn das Dienstverhältnis vor der Durchführung des Zeitausgleichs ende.

Trotz dieser Gleichstellung könne der Anspruch auf Zeitausgleich mit dem Anspruch auf Barabgeltung für Überstunden in bezug auf den Verfall oder die Verjährung nicht gleichgestellt werden. Das Arbeitszeitgesetz und der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten enthielten keine Regelung darüber, zu welcher Zeit die geleistete Überstunde durch Zeitausgleich abzugelten sei. Zur Regelung dieser Frage bedürfe es außer der Grundsatzvereinbarung noch einer Zusatzvereinbarung über den Zeitpunkt oder Zeitraum, in dem die geleisteten Überstunden durch Zeitausgleich abzugelten seien. Bestehe eine solche Vereinbarung nicht, so fehle es an einem Fälligkeitszeitpunkt, in dem eine Verjährungs- oder Verfallsfrist zu laufen beginne. Mit dem Abschluß der Grundsatzvereinbarung über den Zeitausgleich beginne die Verjährungsfrist noch nicht zu laufen. Der Arbeitgeber könnte sonst durch Verzögerung der Gewährung des Zeitausgleichs auf die Länge der dem Arbeitnehmer noch zur Verfügung stehenden Verjährungs- oder Verfallsfrist Einfluß nehmen. Der von Dietrich (DRdA 1961, 18) vertretenen Ansicht, daß der Anspruch auf Zeitausgleich derselben Verjährungs- und Verfallsfrist wie der Entgeltanspruch unterliege, sei nicht zu folgen. Da der Zeitpunkt, ab dem der Kläger den Zeitausgleich in Anspruch nehmen konnte oder mußte, nicht festgelegt werden könne, habe eine Verjährungs- oder Verfallsfrist nicht zu laufen begonnen.

Dem Kläger gebühre daher für 117,2 Überstunden ein Bruttoentgelt von S 16.407,99.

Die Beklagte bekämpft den stattgebenden Teil des Urteils des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagte ist der Ansicht, daß die Verfallsbestimmungen in Punkt VII des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten (im folgenden: KV) auch auf den Anspruch auf Freizeitausgleich anzuwenden seien. Der Freizeitausgleich müsse mangels einer besonderen Vereinbarung innerhalb einer "angemessenen Zeitspanne" in Anspruch genommen werden; hiefür biete sich als taugliche Regel der in Punkt V Z 7 KV für das Abweichen von der wöchentlichen Normalarbeitszeit festgesetzte Durchrechnungszeitraum von 26 Wochen an. Gehe man davon aus, so seien die Überstunden zur Gänze verjährt oder durch Zeitausgleich abgegolten. Schon bei Anwendung der zweijährigen Verfallsfrist des Punktes VII 3 d KV habe der Kläger keine unverjährten Ansprüche mehr. Es sei aber die dreimonatige Verfallsfrist nach Punkt VII 3 c KV anzuwenden, weil der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer stammende Überstundenmeldung für die von ihm verfaßten Überstundenaufzeichnungen herangezogen habe. Es habe kein Bedarf danach bestanden, daß der Arbeitgeber dem Kläger als Filialleiter diese Aufzeichnungen noch einmal zur Bestätigung vorlege, zumal der Kläger als "verlängerter Arm" des Arbeitgebers selbst für die Führung dieser Aufzeichnungen zu sorgen hatte. Der Kläger hätte den Zeitausgleich während seiner Dienstfreistellung zwischen 28. April und 30. September 1990 konsumieren können.

Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen.

Anstelle der gesetzlich vorgesehenen Überstundenvergütung in Geld (Normallohn und Zuschlag) kann ein Zeitausgleich gewährt werden (Grillberger, Arbeitszeitgesetz 84; Cerny, Arbeitszeitrecht2 97; Arb 8012, 9144, 9406; DRdA 1985/8; Arb 10.356, 10.758). Allerdings darf ein Zeitausgleich bei Fehlen einer gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Grundlage nicht einseitig angeordnet werden, sondern kann immer nur durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer festgelegt und in Anspruch genommen werden. Der Anspruch aus einer solchen Vereinbarung hat keinen Entgeltcharakter, sondern beruht nur auf einer anderen Verteilung der Arbeitszeit (Arb 10.356 = DRdA 1986/17 (Grillberger); Arb. 10.725 mwN, 10.758).

Im vorliegenden Fall haben sich die Arbeitsvertragspartner darauf

geeinigt, Überstunden durch Zeitausgleich abzugelten, also dem

Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt eine bezahlte

Arbeitsfreistellung zu gewähren (Grillberger aaO). Die Frage des

Verhältnisses, in dem diese Abgeltung zu erfolgen hat (vgl etwa

Arb 10.725, 10.758 mwN) ist nach dem Inhalte des Klagebegehrens

ohne Bedeutung. Eine solche Vereinbarung kann sich auch auf

künftige Überstunden beziehen und insbesondere auf einen

(periodischen) Ausgleich von Überstunden (die z.B. während der

Hochsaison geleistet werden müssen) in anschließenden Zeiten

geringen Geschäftsganges gerichtet sein

(Arb 10.356 = DRdA 1986/17 (Grillberger)).

Im vorliegenden Fall fehlt zwischen den Streitteilen eine

Zusatzvereinbarung, aus der hervorginge, innerhalb welcher Zeit

oder ab welcher Höhe des Überstundenguthabens der Arbeitnehmer

jeweils ein "Überstundenplus" durch Zeitausgleich abzubauen bzw.

(beschleunigt) aufzubrauchen hatte. Auch im Rahmen einer

grundsätzlichen Vereinbarung über den Zeitausgleich kann der

Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Zeitausgleichs nicht vom

Arbeitgeber einseitig bestimmt werden. Da der Zeitausgleich

ähnliche Zwecke wie der Erholungsurlaub verfolgt, können die

Grundsätze des Urlaubsrechts, das eine Vereinbarung über den

Zeitpunkt des Urlaubsantrittes vorsieht, angewendet werden

(Grillberger aaO 85; RdW 1976, 314). § 4 UrlG kann aber nur zur

Lösung der Streitfrage beitragen, ob der Arbeitnehmer den Freizeitausgleich zu einem von ihm gewünschten Zeitpunkt in Anspruch nehmen darf oder ob er diese Freizeit unter Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des Betriebes zu einem anderen Zeitpunkt verbrauchen muß. Drängt hingegen keiner der Vertragspartner auf die Vornahme des Ausgleiches, so hat der soziale Schutzgedanke, daß Überstundenarbeit und Freizeitausgleich in einem engen Zusammenhang stehen sollen, da sonst ein Ausgleich der Mehrbelastung nicht gewährleistet ist (Grillberger aaO 95; auf diesem Gedanken beruht auch der vom Revisionswerber zitierte Punkt V Z 7 KV), für die Frage der Fälligkeit des Überstundenguthabens ebensowenig Bedeutung wie etwa die arbeitszeitrechtliche Unzulässigkeit einer Überstundenleistung für den Entgeltanspruch (Grillberger aaO 79; SZ 9/80; DRdA 1982/16). Mit der grundsätzlichen Vereinbarung, Überstunden durch späteren Freizeitausgleich abzugelten, wird der Anspruch des Arbeitnehmers mangels konkreter Absprachen über den Zeitpunkt der "Verrechnung" jedenfalls dann auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben, wenn weder der Arbeitnehmer auf eine baldige Erfüllung des Anspruchs noch der Arbeitgeber auf einen Verbrauch der "angesparten Freizeit" im Rahmen einer darüber abzuschließenden Vereinbarung drängen, sondern die Arbeitsvertragspartner es dabei bewenden lassen, daß der Arbeitnehmer ein - womöglich steigendes - Guthaben künftigen Freizeitausgleichs ansammelt. Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Verrechnung offener Überstunden und zusätzlich zu gewährender Freizeit ohne nähere Absprache gewissermaßen "in laufender Rechnung", so tritt, ähnlich wie bei einer Kontokorrentabrede, eine Fälligkeit des jeweiligen Überstundenguthabens nicht ein. Eine solche Vereinbarung hat die Wirkung einer Stundung. Die Verjährung beginnt erst dann zu laufen, wenn der Arbeitnehmer ein Freizeitausgleichsguthaben vereinbarungsgemäß verbrauchen müßte oder wenn feststeht, daß die von den Parteien bisher erwartete künftige Verrechnung nicht mehr möglich ist.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte regelmäßig Meldungen über die (fortgeschriebene Berechnung der) Mehr- und Minderarbeitsstunden des Klägers erhalten, es aber dabei belassen, daß durch Jahre ein mehr oder weniger hohes "Freizeitausgleichsguthaben" des Klägers offen blieb. Solange auch der Kläger damit einverstanden war, hat er seine Forderung die zunächst keine Entgeltforderung, sondern eine Forderung auf Zeitausgleich aus einer Vereinbarung über die Verlagerung der Arbeitszeit war, - jedenfalls so lange als kein Teil auf Freizeitgewährung bzw Freizeitverbrauch drängt - gestundet. Verjährung ist daher schon aus diesem Grund nicht eingetreten. Auf die Frage, ob auf den Anspruch des Klägers die Verjährungsbestimmungen nach Punkt VII KV anzuwenden wären, braucht daher nicht eingegangen zu werden.

Darauf, daß dem Kläger die Inanspruchnahme des Freizeitausgleiches ab seiner Dienstfreistellung am 28. April 1990 zumutbar gewesen wäre, hat sich die qualifiziert vertretene Beklagte in erster Instanz nicht berufen.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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