OGH 11Os153/91

OGH11Os153/9111.2.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Februar 1992 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Friedrich, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kohout als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef K***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. Oktober 1991, GZ 20 l Vr 10.454/90-59, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben; der Wahrspruch der Geschwornen, der im übrigen als unangefochten unberührt bleibt, zur Eventualfrage 1 sowie das darauf beruhende Urteil werden aufgehoben und die Sache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef K***** aufgrund des (im Stimmenverhältnis 5 : 3 ergangenen) Wahrspruchs der Geschwornen zur Eventualfrage 1 des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 4.Oktober 1990 in Wien Alfred S***** dadurch, daß er ihm ein Messer mit einer Klingenlänge von ca. 7 cm einmal in den linken Brustbereich und zweimal in den Bauchbereich stieß, absichtlich eine schwere Körperverletzung, verbunden mit einer Gesundheitsstörung von mehr als 24 Tagen, nämlich eine Öffnung der Bauchhöhle und Verletzung der Dünndarmschlingen, zugefügt habe.

Den Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 5 und 10 a des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welcher schon aus folgenden Gründen Berechtigung zukommt:

Rechtliche Beurteilung

Eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte erblickt der Angeklagte zu Recht ua in der Ablehnung seines Antrages (S 290 und S 321) auf zeugenschaftliche Vernehmung des (gehbehinderten) Zeugen Josef G*****.

Daß dieser Zeuge, der sich nach dem Wortlaut des Beweisantrages "zum Zeitpunkt des Vorfalles" im - vom Tatopfer Alfred S***** (S 276 ff) - als Tatort bezeichneten Aufenthaltsraum des Männerheimes (in Wien 20., Meldemannstraße 25-27) befunden haben und die einen Messerangriff leugnende Darstellung des Angeklagten im wesentlichen bestätigen können soll, einem Bericht des Polizeikommissariates Hietzing vom 3.September 1991 (S 305) zufolge von der Tat, die sich nach von ihm behaupteten Erzählungen "auf der Straße abgespielt habe", nur gehört haben will, berechtigte den Schwurgerichtshof nicht, von der beantragten zeugenschaftlichen Einvernahme Abstand zu nehmen:

Abgesehen davon, daß der Gerichtshof unter dem Eindruck der vor allem hinsichtlich des Tatortes (in oder vor dem Männerheim) divergierenden Ergebnisse der Hauptverhandlung vom 18.Juni 1991 (S 255 ff) zunächst noch selbst ersichtlich von der Notwendigkeit der beantragten Beweisaufnahme ausging (S 294), ist das nur in Berichtsform vorliegende Ergebnis der von einem Polizeibeamten aufgrund kursorischer Information (vgl. das gerichtliche Ausforschungsersuchen ON 52) vorgenommenen Befragung dieses möglichen (unmittel- oder mittelbaren) Tatzeugen nicht ausreichend, um die Frage der Erheblichkeit der begehrten Beweisaufnahme vorweg zu verneinen; nach der Aktenlage kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die beantragte gerichtliche Einvernahme des Zeugen, insbesonders im Hinblick auf die dann mögliche Ausübung des Fragerechtes, nicht doch Umstände im Sinn des Beweisantrages zutage gefördert hätte, die für die Überzeugung der Geschwornen in der Schuldfrage von Bedeutung gewesen wären.

Der Schwurgerichtshof muß sich bei seiner Entscheidung über gestellte Beweisanträge stets vor Augen halten, daß die Lösung der Beweisfrage nicht ihm, sondern den Geschwornen zukommt, deren Entscheidung aber durch die Ablehnung von Beweisanträgen, die nicht schon aus eindeutigen, objektiv anhand der Akten überprüfbaren Gründen, als unerheblich erkennbar sind, vorgegriffen werden könnte.

Da sich sohin zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht eintreten kann, war gemäß den §§ 344, 285 e StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Sitzung wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen, ohne daß es noch des Eingehens auf die weiteren Beschwerdeausführungen bedurfte.

Bei der Neudurchführung des Verfahrens wird der unangefochten gebliebene Teil des Wahrspruchs der Geschwornen, mit welchem die Hauptfrage wegen Verbrechens des versuchten Mordes nach den §§ 15, 75 StGB verneint wurde, der neuen Entscheidung (mit-)zugrundezulegen sein (§ 349 Abs. 2 StPO).

Mit seiner durch die Urteilsaufhebung gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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