OGH 7Ob636/91

OGH7Ob636/9116.1.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichthofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth W*****, vertreten durch Dr. Erich Heliczer, Rechtsanwalt in Bad Vöslau, wider die beklagte Partei Ing. Martin R*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Grohmann und Dr. Helmut Paul, Rechtsanwälte in Krems, wegen S 218.685,19 sA und Feststellung (Streitwert S 20.000), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 16. September 1991, GZ 14 R 127/91-18, womit das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 12.April 1991, GZ 1 Cg 290/90-13, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache dahin zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 38.709,40 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 10.000 Barauslagen und S 4.784,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung

Die Klägerin hatte den Beklagten für die Errichtung eines Neubaues auf ihrer Liegenschaft mit der Planverfassung einschließlich der Polierplanung, mit der Einreichung bei der Baubehörde, der Ausschreibung und Vergabe sowie der Bauleitung betraut. Mit den Bauarbeiten war Leopold W*****, ein Maurer der Fa. B*****, von der die Klägerin das Baumaterial bezog, selbständig beauftragt worden. Um die (richtige) Lage des Kanalanschlusses, über die von der Gemeinde eine falsche Auskunft erteilt worden war, festzustellen, öffnete Leopold W***** am 8. September 1989 in Gegenwart der Klägerin, ihres Sohnes und des Beklagten, den Kanalschacht, in dem er den ca. 90 kg schweren Deckel mittels eines Krampens aufhob und ihn an zwei Punkten auf den Rand der Öffnung aufgestützt, etwa senkrecht zum Bodenniveau, hielt. Nachdem sich der Beklagte bereits einige Meter von der Kanalöffnung entfernt hatte, rutschte dem Leopold W***** der Kanaldeckel vom Krampen und fiel der nahe am Kanalschacht stehenden Klägerin auf den linken Fuß.

Das Erstgericht wies das auf Ersatz des durch den Unfall erlittenen Schadens gerichtete Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen hatte der Beklagte die Baumeisterarbeiten mit S 280.000 geschätzt. Die eingelangten Offerte lagen jedoch zwischen S 400.000 und S 900.000. Dies war der Klägerin zu viel. Der Beklagte hatte bereits an einer anderen Baustelle so gearbeitet, daß die Firma B***** ihren Maurer Leopold W***** zur Verfügung gestellt und dieser die Bauarbeiten auf eigene Rechnung durchgeführt hatte. Der Beklagte machte auch der Klägerin einen solchen Vorschlag, wobei er mit Leopold W***** einen Preis von S 145.000 ausgehandelt hatte. Damit war die Klägerin einverstanden. Der Beklagte stellte dem Leopold W*****, der weitere Arbeitskräfte aufnahm, die nötigen Pläne, insbesondere die Polierpläne, zur Verfügung und erteilte ihm im Zuge der Bauleitung auch Weisungen. Die Lage des straßenseitigen Kanalanschlusses war auf den Plänen nicht ersichtlich. Leopold W***** fragte die Klägerin und den Beklagten. Diese erkundigten sich bei der Gemeinde, erhielten jedoch eine falsche Auskunft. Die Leitungsrohre wurden daher von Leopold W***** zunächst unrichtig verlegt. Bereits am Vormittag des 8.September 1989 hatten der Beklagte und Leopold W***** den Kanaldeckel vor dem Haus geöffnet, um den tatsächlichen Verlauf der Abzweigung festzustellen. Am Nachmittag erschien die Klägerin mit ihrem Sohn, um sich wegen des Anschlusses zu erkundigen. Nachdem ihr Leopold W***** erklärt hatte, daß die Auskunft der Gemeinde unrichtig gewesen sei, wollte die Klägerin wissen, "wie das nun richtig durchgeführt werden könne." Der Beklagte erklärte, daß man in den Kanalschacht schauen müsse. Daraufhin begaben sich die Klägerin, ihr Sohn, Leopold W***** und der Beklagte zum Kanalschacht. Leopold W***** hob den Kanaldeckel mit einem Krampen. Er setzte diesen in die Öffnung des Kanaldeckels und hob den Deckel so, daß dieser etwa senkrecht zur Straßenfläche und teilweise auf dem Kanalrand der Öffnung aufgestützt war. Die Klägerin stand rechts von Leopold W*****, etwa in einem Halbkreis standen der Erstbeklagte und der Sohn der Klägerin. Alle sahen in den Kanalschacht und der Beklagte erklärte der Klägerin den richtigen Verlauf der Abzweigung. Der Sohn der Klägerin und der Beklagte entfernten sich vom Kanalschacht. Als sie erst einige Meter entfernt waren, rutschte dem Leopold W***** der Deckel vom Krampen und traf die nahe am Kanalschacht stehende Klägerin auf den Vorfuß.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes treffe den Beklagten kein Verschulden. Das Öffnen eines Kanaldeckels auch mit Hilfe eines Krampen sei ein allgemein üblicher Vorgang und schaffe keine besondere Gefahrensituation. Eine Warnpflicht habe für den Beklagten nicht bestanden, weil die Klägerin in der Lage gewesen sei, eine allfällige Gefahr selbst einzuschätzen und eine Position in entsprechender Entfernung einzunehmen. Für das Verschulden des Leopold W***** habe der Beklagte nicht einzustehen. Leopold W***** sei nicht Erfüllungsgehilfe des Beklagten gewesen. Die gesamten Bauarbeiten, wozu auch die Herstellung des Kanalanschlusses gehöre, seien dem Leopold W***** vertraglich übertragen worden. Schuldner der Leistung sei daher nicht der Beklagte, sondern Leopold W***** gewesen.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist.

Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes treffe den Beklagten eine Haftung für den Schaden der Klägerin sowohl auf Grund eigenen Verschuldens als auch auf Grund des § 1313a ABGB für das Verschulden des Leopold W***** als seines Erfüllungsgehilfen. Der Beklagte sei unter anderem mit der Bauleitung beauftragt gewesen. Ihm sei somit die Stellung des zur Übereinstimmung und Beaufsichtigung der Arbeiten bestellten, gesetzlich befugten Bauleiters im Sinne des § 104 Abs.2 der NÖ.Bauordnung zugekommen. Als solcher hätte er nicht nur für die ordnungsgemäße Ausführung der von ihm im Rahmen seines Auftrages übernommenen Leistungen sondern gemäß § 105 Abs.2 der NÖ.Bauordnung auch für die Verhinderung von Gefahren und für die Sicherheit von Personen und Sachen zu sorgen gehabt. In Anbetracht der leicht erkennbaren Gefahr eines Abrutschens der Spitzhacke hätte der Beklagte dafür sorgen müssen, daß niemand in den Bereich gelange, innerhalb dessen ein allenfalls umkippender Deckel aufschlagen könne. Diese Verpflichtung habe den Beklagten unabhängig davon getroffen, ob er es gewesen sei, der der Klägerin erklärt habe, man müsse in den Kanalschacht schauen, oder ob die Klägerin selbst den Leopold W***** aufgefordert habe, den Deckel aufzuheben. Der Beklagte sei jedenfalls zugegen gewesen und hätte die Klägerin warnen müssen. Darüber hinaus habe der Beklagte auch für das Verschulden des Leopold W***** als seines Erfüllungsgehilfen einzustehen. Es sei nicht nötig, daß der Gehilfe in einem festen, dauernden Verhältnis zum Schuldner stehe. Es genüge, daß für die einzelnen Erfüllungshandlungen ein Auftrag oder auch nur eine Ermächtigung vorliege. Es reiche aus, wenn der Gehilfe mit Willen des Schuldners im Rahmen der dem Schuldner obliegenden Verbindlichkeit als dessen Hilfsperson unter Aufrechterhaltung des Einflusses des Schuldners auf seine Verwendung bei der Erfüllung seiner Verbindlichkeit tätig werde. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt, da die Herstellung des Kanalanschlusses in den Bereich der dem Beklagten obliegenden Planung des Bauvorhabens gehört habe und Leopold W***** auch hiebei im Sinne der §§ 104 Abs.2, 105 Abs.2 der NÖ.Bauordnung den Weisungen des Beklagten unterstanden sei. Der Beklagte sei bei der Öffnung des Kanaldeckels anwesens gewesen. Er habe gegen diese Maßnahme und die von Leopold W***** hiebei gewählte Vorgangsweise sowie auch gegen das Herantreten der Klägerin an die Öffnung des Kanalschachtes keinen Einwand erhoben und somit jedenfalls schlüssig sein Einverständnis erklärt. Da die mit der Aufhebung des Kanaldeckels verbundene Gefahr für jedermann leicht einsichtig sei, falle der Klägerin, die sich in den Gefahrenbereich begeben habe, ein Mitverschulden zur Last, das mit 50 % zu bewerten sei.

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Rekurs des Beklagten ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs erschöpfen sich die rechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien des Vertrages nicht in der Erbringung der Hauptleistung. Zu den Hauptleistungspflichten treten vielfach Nebenleistungspflichten, zu denen auch die Schutzpflichten gehören. Die Vertragspartner haben ihre Erfüllungshandlungen so zu setzen, daß der andere Teil nicht an seiner Person geschädigt wird. Ein entsprechendes Maß an Sorgfalt wird nicht nur bei der Erbringung der Hauptleistung, sondern bei jedem weiteren Verhalten verlangt, das mit der Durchführung des Vertragsverhältnisses in engem Zusammenhang steht (SZ 51/26 mwN). Zur vertraglichen Hauptleistung des Beklagten gehörte nicht nur die Planverfassung sondern auch die Bauüberwachung. Damit in engem Zusammenhang stand jedenfalls die Demonstration des Kanalanschlußverlaufes, nachdem darüber eine unrichtige Auskunft von der Gemeinde erteilt worden war. Zur Feststellung des Kanalanschlußverlaufes genügte eine Besichtigung nach Anhebung des Kanladeckels mittels eines Krampens. Dadurch wurde zwar eine Gefahrenlage geschaffen. Die vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten dürfen jedoch nicht überspannt werden und sind auf ein zumutbares Maß zu beschränken (2 Ob 593/88; vgl. auch MietSlg.35.254). Der Vorgang der Besichtigung währte, wie sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes ergibt, nur kurze Zeit. Die von der Hochhebung des Kanaldeckels ausgehende Gefahr war auch für jedermann sofort erkennbar, und es konnte ihr auch leicht durch Einhaltung eines entsprechenden Sicherheitsabstandes begegnet werden. Hier besondere Vorkehrungen der Abhebung oder Sicherung des Kanaldeckels zu verlangen, ist schon wegen der damit verbundenen Kosten unzumutbar. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten auch nicht die Unterlassung besonderer Sicherheitsvorkehrungen angelastet, sondern die Unterlassung der Warnung der Klägerin. Selbst wenn man aber dem Beklagten eine Verletzung seiner Warnpflicht anlastet, ist eine Haftung für den Schaden der Klägerin abzulehnen. Schon das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, daß der Klägerin Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten zur Last fällt. Das Vorliegen beiderseitigen Verschuldens wird in der Regel zwar zu einer Schadensteilung führen, es kann aber unter den besonderen Umständen auch nur die Schadenstragung durch einen in Betracht kommen. Insbesondere bei weitaus überwiegendem Verschulden eines Teiles hat dieser den Schaden allein zu tragen (vgl. Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 5 zu § 1304 mwN). Hier war, wie schon oben ausgeführt wurde, die Gefahr ganz offenkundig, und es konnte ihr mühelos durch Einhaltung eines entsprechenden Sicherheitsabstandes begegnet werden. Ein solches Verhalten konnte auch von jedermann erwartet werden. Auf seiten der Klägerin fällt darüberhinaus ins Gewicht, daß sich der Unfall erst ereignete, als die Besichtigung bereits beendet war und ihr Sohn und der Beklagte sich bereits entfernt hatten. Wenn die Klägerin nicht nur keinen entsprechenden Sicherheitsabstand einhielt, sondern darüber hinaus länger als notwendig im Gefahrenbereich verblieb, wiegt ihre eigene Sorglosigkeit so schwer, daß eine Mithaftung des Beklagten nicht in Betracht kommt. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn Leopold W***** als Erfüllungsgehilfe des Beklagten anzusehen wäre, sodaß eine Erörterung dieser Frage unterbleiben kann.

Demgemäß ist dem Rekurs Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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