OGH 10ObS360/91

OGH10ObS360/9114.1.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (Arbeitgeber) und Walter Bacher (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermine K*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr. Georg Schober, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram und Dr. Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. August 1991, GZ 33 Rs 111/91-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 16.Mai 1991, GZ 3 Cgs 249/90-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 2.11.1989 wurde der Unfall, den die Klägerin am 3.11.1988 im Betrieb ihres Dienstgebers als kaufmännische Angestellte erlitt, gemäß § 175 Abs 2 Z 1 ASVG als Arbeitsunfall anerkannt. Gemäß § 209 Abs 1 ASVG wurde ihr eine vorläufige Versehrtenrente von 20 vH der Vollrente vom 30.1.1989 bis 12.6.1989 und vom 19.7.1989 bis auf weiteres (und für die Zeit vom 13.6. bis 18.7.1989 als Vollrente) zuerkannt. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Mit Bescheid vom 19.9.1990 wurde die bisher gewährte vorläufige Versehrtenrente gemäß § 99 ASVG ab 1.11.1990 entzogen, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit nur mehr 10 % betrage.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage teilweise statt und erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin für die Zeit vom 1.11. bis 15.11.1990 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente zu leisten; das Mehrbegehren auf Zahlung der Rente ab 16.11.1990 wurde abgewiesen.

Es stellte fest, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin wegen der Folgen eines unfallbedingten operativen Eingriffes am 4.9.1990 und anschließenden Tragens eines Unterschenkelgipses bis 15.11.1990 20 %, danach aber nur 10 % betrage. Aus diesem Grund sei ihr die Versehrtenrente bis 15.11.1990 zu gewähren, wobei die Befristung deshalb möglich sei, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit lediglich durch einen ärztlichen Eingriff über den "Dauerrententermin" hinaus ein berentbares Ausmaß erreicht habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen den abweislichen Teil des Ersturteiles nicht Folge. Werde innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles die Dauerrente nicht festgestellt, so werde die bisher gewährte vorläufige Rente zur Dauerrente, die nur unter den Voraussetzungen des § 183 Abs 1 ASVG neu festgestellt werden könne. Im konkreten Fall habe die beklagte Partei die vorläufige Versehrtenrente entzogen und die Dauerrente fristgerecht mit "Null" festgestellt. Diese Feststellung durch den Versicherungsträger, sei der Bescheid auch durch die nachfolgende Klage außer Kraft getreten, habe verhindert, daß die vorläufige Rente in eine Dauerrente übergegangen sei. Daß das Gericht über die Dauerrente erst später entschieden habe, sei ohne Belang, weil das Verfahren zur Feststellung der Dauerrente als Einheit aufzufassen sei und die gerichtliche Entscheidung zur Folge habe, daß die Dauerrente erst ab diesem Zeitpunkt immer nur im Zeitraum von mindestens einem Jahr nach der letzten Feststellung neu festgestellt werden könne. Eine Bindung an die Jahresfrist des § 183 Abs 2 Satz 1 ASVG habe nicht bestanden, weil die Jahresfrist zum 1.11.1990 mangels eines wirksamen Bescheides oder Urteiles nicht zu laufen begonnen hätte.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin führt zusammengefaßt aus, der Bescheid vom 19.9.1990 sei durch die vorliegende Klage außer Kraft getreten und habe daher keine Rechtswirksamkeit. Daraus folge aber, daß innerhalb der im § 183 Abs 2 ASVG genannten zwei Jahre die Dauerrente nicht festgestellt worden sei; die Rente könne daher nach dieser Gesetzesstelle immer nur in Zeiträumen von mindestens einem Jahr nach der letzten Feststellung neu festgestellt werden.

Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. Hat der Versicherungsträger die zwingende gesetzliche Vorschrift des § 209 Abs 1 Satz 2 ASVG, daß die Dauerrente spätestens mit Ablauf von zwei Jahren nach dem Eintritt des Versicherungsfalles festzustellen ist, nicht eingehalten, so tritt die vorläufige Rente in die Funktion der Dauerrente mit der Rechtsfolge des § 183 Abs 2 ASVG hinsichtlich der Neufeststellung (ASVG MGA 49.ErgLfg 997 Anm 4 zu § 183, 45.ErgLfg 1038 Anm 3 b zu § 209; SZ 60/194; ebenso Tomandl, SV-System 5.ErgLfg 346).

Gerade ein solcher Fall liegt hier nicht vor, weil die beklagte Partei die Frist sehr wohl eingehalten und bereits mit Bescheid vom 19.9.1990 (also vor dem Ende der Frist am 3.11.1990) über die Feststellung der Dauerrente entschieden hat. Daß ein durch Klage eingeleitetes Sozialrechtsverfahren angesichts der sachbedingt oft längeren Verfahrensdauer nicht ebenfalls innerhalb der Frist des § 209 Abs 1 ASVG abgeschlossen werden kann, bedarf keiner näheren Begründung, ist aber gar nicht entscheidend. Wesentlich ist vielmehr, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, daß die beklagte Partei durch ihren Bescheid verhinderte, daß die vorläufige Rente in die Funktion der Dauerrente trat. Wenn es um die Beurteilung der fristgerechten Erlassung eines Bescheides geht, kann naturgemäß keine Rolle spielen, wie lange das gerichtliche Verfahren über die den Bescheid außer Kraft setzende Klage dauert.

Daraus folgt, daß die Vorinstanzen erstmals über einen Dauerrentenanspruch absprechen konnten, ohne an die Beschränkung des § 183 Abs 2 Satz 1 ASVG gebunden zu sein.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Klägerin durch einen im Rahmen der Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt vertreten ist, wird sie mit Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht belastet, sodaß schon deshalb kein Anlaß besteht, ihr aus Billigkeit Kostenersatz zu gewähren (SSV-NF 1/19, 2/26, 2/27 uva).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte