OGH 9ObA250/91

OGH9ObA250/914.12.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith und Dr.Jelinek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Erhard Unterberger und Jürgen Mühlhauser in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** P*****, vertreten durch *****, Rechtsschutzsekretär *****, dieser vertreten durch *****, Rechtsanwälte ***** wider die beklagte Partei T***** W*****, vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wegen S 40.654,36 netto sA (Revisionsinteresse S 32.654,36 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vomm 14. Juni 1991, 34 Ra 126/90-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 14.Mai 1990, GZ 10 Cga 50/89-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teiles lautet:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 40.654,36 netto samt 4 % Zinsen seit 27.4.1989 sowie die mit S 1.920 bestimmten Barauslagen binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen."

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.123,04 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (S 603,84 Umsatzsteuer und S 4.500 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 26.3.1979 bis zum 27.4.1989 im Betrieb der beklagten Partei als Tiefkühlarbeiterin beschäftigt. Sie arbeitete bis Mai 1987 40 Wochenstunden gegen ein monatliches Einkommen von S 5.600 netto. Anschließend arbeitete sie nur mehr 30 Wochenstunden; hiebei verdiente sie bis zum 31.12.1988 S 5.033 netto monatlich, ab 1.1.1989 S 5.234 netto. Außer Streit gestellt wurde, daß ihr - auch im Fall einer gerechtfertigten Entlassung - eine Urlaubsabfindung in Höhe von S 8.000 netto zusteht.

Die Klägerin wurde vom Beklagten mehrmals darauf aufmerksam gemacht, daß sie vom Firmentelefon nicht privat telefonieren, insbesondere nicht ihre in Deutschland lebende Tochter anrufen dürfe; es war ihr nur gestattet, sich selbst anrufen zu lassen.

Als der Beklagte die Klägerin, nachdem er sie in dieser Woche bereits einmal beim Telefonieren nach Deutschland beobachtet und sie nochmals auf das Verbot hingewiesen hatte, am Morgen des 27.4.1989 wiederum beim Wählen einer Telefonnummer beobachtete und sie zwar zugab, mit ihrer Tochter telefoniert zu haben, aber leugnete, dies auf Kosten des Beklagten getan zu haben, kündigte er sie aus diesem Grund. Im Laufe des Tages sprach er mit seinem Steuerberater, der ihm erklärte, daß ihn das Verhalten der Klägerin auch zur Entlassung berechtige. Der Beklagte sprach nach seiner Rückkehr in die Firma gegen 16.00 Uhr die Entlassung aus.

Die Klägerin begehrt Abfertigung, Urlaubsentschädigung, Sonderzahlungen und Kündigungsentschädigung in der Gesamthöhe von S 40.654,36 netto gestützt auf die Behauptung, sie sei ungerechtfertigt entlassen worden.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, daß er die Klägerin wegen des ihr bekannten Verstoßes gegen das Verbot privater Auslandstelefongespräche zu Recht entlassen habe.

Das Erstgericht sprach der Klägerin S 8.000 an Urlaubsabfindung rechtskräftig zu. Das Mehrbegehren von S 32.654,36 netto betreffend entlassungsabhängige Ansprüche wies es ab, weil die Klägerin den Entlassungstatbestand der beharrlichen Pflichtenvernachlässigung (§ 82 lit a GewO) verwirklicht habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die Revision unzulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und führte zu den Berufungsausführungen der Klägerin aus, diese habe sich auf einen allfälligen Verzicht des Beklagten auf die Entlassung durch den Ausspruch der Kündigung oder auf eine allfällige Verspätung der Entlassung nicht berufen, weil sie derartiges in erster Instanz nicht eingewendet habe; die diesbezüglichen überschießenden Feststellungen des Erstgerichtes hielten sich nicht im Rahmen des von der Klägerin geltend gemachten Rechtsgrundes (unberechtigte Entlassung) und könnten daher nicht berücksichtigt werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern.

Der Oberste Gerichtshof stellte dem Beklagten die Erstattung einer Revisionsbeantwortung frei; dieser ließ jedoch die Gelegenheit hiezu ungenützt.

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zu Recht bringt die Klägerin zur Zulässigkeit der Revision vor, die Entscheidung des Berufungsgerichtes weiche von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung in der Frage des Verzichts auf eine Entlassung durch vorher ausgesprochene Kündigung ab; es genüge, daß sie ihre Ansprüche auf eine ungerechtfertigte Entlassung gestützt habe; daß sie in erster Instanz nicht behauptet habe, das Entlassungsrecht sei durch die zuvor ausgesprochene Kündigung konsumiert worden, schade ihr nicht.

Nach ständiger Rechtsprechung liegt in der arbeitgeberseitigen Kündigung in Kenntnis des Entlassungsgrundes ein konkludenter Verzicht auf die Entlassung, wodurch das Recht auf Entlassung untergeht (JBl 1977, 654; Arb 9492; 4 Ob 62/77 ua; Kuderna, Das Entlassungsrecht, 25 ff, insbes 27). Überschießende Feststellungen dürfen bei der rechtlichen Beurteilung nicht unberücksichtigt bleiben (ÖBl 1976, 27 ua), sofern sie - so wie hier - in den Rahmen eines geltend gemachten Klagsgrundes fallen (JBl 1990, 786 ua). Die überschießende Feststellung, der Beklagte habe die Klägerin vor der Entlassung bereits gekündigt, liegt im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes, die Ansprüche stünden ihr wegen ungerechtfertigter Entlassung zu. Eine Entlassung, auf die der Arbeitgeber durch den in Kenntnis des Entlassungsgrundes bereits vorher erfolgten Ausspruch der Kündigung verzichtet hat, ist aber infolge Unterganges des Entlassungsrechtes ungerechtfertigt. Hieraus folgt, daß die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern ist. Es trifft zwar zu, daß dem juristisch nicht gebildeten Beklagten eine Frist zur Einholung einer Rechtsauskunft zuzubilligen war und daß er diese auch umgehend eingeholt hat. Dies kann aber zu keinem für ihn günstigeren Ergebnis führen, weil er die Klägerin bereits vor Einholung dieser Rechtsauskunft gekündigt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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