OGH 10ObS330/91

OGH10ObS330/9126.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dkfm.Dr.Franz Schulz (AG) und Dr.Gerhard Dengscherz (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karla R*****, vertreten durch Dr.Ernst Schmerschneider, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension bei Arbeitslosigkeit infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlndesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7.August 1991, GZ 32 Rs 133/91-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24.Jänner 1991, GZ 9 Cgs 535/90-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Revisionskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 13.6.1990 erledigte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 8.5.1990 dahin, daß sie ihren Anspruch auf vorzeitige Alterspension vom 1.6.1990 an anerkannte und die Pensionshöhe mit 3.149,30 S brutto monatlich festsetzte. Dabei ging sie von 355 Versicherungsmonaten und einer Bemessungsgrundlage von 5.452 S aus und berücksichtigte den Kinderzuschuß für drei lebend geborene Kinder und einen besonderen Steigerungsbetrag für Beiträge zur Höherversicherung.

Die dagegen rechtzeitig erhobene, als Einspruch bezeichnete Klage richtet sich auf eine höhere (vorzeitige) Alterspension im Ausmaß von mindestens 12.000 S monatlich. Die Klägerin begründete ihr Begehren im wesentlichen damit, daß ihr mehr Versicherungsmonate und eine höhere Bemessungsgrundlage zustünden. Für jedes ihrer drei Kinder wären drei (Versicherungs)Jahre anzurechnen. Weil sie wegen ihres legasthenischen Kindes Karl Heinz von Jänner bis Juni 1969 habe zu Hause bleiben müssen und wegen Nachschulung von Juni bis November 1973, wären ihr auch diese Zeiten anzurechnen. Ebenso zwei Jahre Handelsschule und die Zeit bis März 1953, in der sie vom Arbeitsamt im 16. Bezirk einen Kurs für Lohnverrechnung gemacht habe. Es gäbe nämlich einen Paragraphen, nach dem man keine Beitragszeiten einzahlen brauche und doch Zeiten angerechnet erhalte, wenn man wegen Krankheit oder wegen der Kinder zu Hause bleiben müsse. Sie habe zwar die Notstandshilfe bekommen, die Monate seien aber erst von Jänner 1971 an angerechnet worden, obwohl die Kinder in den Jahren 1954, 1958 und 1960 geboren worden seien. Dies stelle eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes dar. Die fünf Jahre, die sie "zwangsweise" in Pension habe gehen müssen (gemeint sind offenbar die fünf Jahre vor Erreichen des Anfallsalters der normalen Alterspension), müßten auch eingerechnet werden. Schließlich wäre auch die Bemessungsgrundlage unter Bedachtnahme auf den letzten Gehaltsbezug im März 1984 von 10.000 S und die Inflationsabgeltungen zu berechnen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und legte dar, warum der Klägerin nur die bescheidmäßig zuerkannte Leistung gebühre.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Es stellte fest, daß die am 25.1.1935 geborene Klägerin in Österreich 355 Versicherungsmonate erworben hat, die der Pensionsberechnung zugrunde gelegt wurden. Für die in den Jahren 1954, 1958 und 1960 geborenen Kinder "wurde keine Ersatzzeit berechnet", für die Zeiten des Wochengeldbezuges in den Jahren 1958 und 1960 wurden jedoch zwei bzw vier Ersatzmonate anerkannt. Eine Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung bzw von Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes - nach Angabe der Klägerin war ihr Kind Karl Heinz Legastheniker und bedurfte besonderer Pflege und Obsorge - erfolgte nicht.

In der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht im wesentlichen aus, warum die Anrechnung von Ersatzzeiten im Zusammenhang mit den drei schon vor dem 1.1.1971 geborenen Kindern nicht möglich sei und daß die Pensionshöhe richtig berechnet sei.

Dagegen erhob die Klägerin Berufung, in der sie als Berufungsgründe Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtige Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung nannte und beantragte, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Alterspension unter Zugrundelegung von 474 Versicherungsmonaten gesetzmäßig neu berechnet werde, oder es allenfalls aufzuheben. Die Berufungswerberin führte aus, daß bei der Feststellung ihres Pensionsanspruches nachstehende Versicherungszeiten unberücksichtigt geblieben seien:

Besuch der Handelsschule von September 1950 bis 5.Juli 1952

22 Monate

im Juli 1952 wurde ich das Opfer eines Verbrechens und konnte

daher bis Februar 1953 nicht zur Arbeit vermittelt werden

8

Krankenstand Mai 1953 1

Krankenstand bzw Schwangerschaft und Kindesbetreuung von Jänner

1954 bis März 1956 27

Krankenstand April 1958 1

Jänner/Februar 1959 Krankenstand 2

Krankenstand Oktober 1959 1

März 1960 Krankenstand 1

Jänner bis Oktober 1961 Karenzurlaub 10

Jänner 1962 bis Februar 1963 an Berufstätigkeit gehindert wegen

Pflege des Kindes 14

April 1963 bis Jänner 1965 arbeitslos 23

Jänner 1969 bis Juni 1969 Krankenstand 6

Juni 1973 bis November 1973 wegen Pflege des behinderten, damals

schulpflichtigen Kindes Karl Heinz R***** an Erwerbstätigkeit

gehindert 6

122 Monate.

Insoweit sich das angefochtene Urteil nur auf die Einsichtnahme in den Pensionsakt stütze, sei das Verfahren mangelhaft, weil im Zweifelsfall die von der Klägerin geltend gemachten Zeiten auf ihre Richtigkeit zu überprüfen gewesen wären, bzw hätte ihr das Erstgericht Gelegenheit geben müssen, entsprechende Beweisanträge zu stellen. Daraus folge aber weiters der Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung.

Die beklagte Partei führte in der Berufungsbeantwortung ua aus, daß die Tatsache des (in der Berufung detailliert behaupteten) Schulbesuches, der Arbeitslosigkeit, der Pflege eines Kindes usw als solche von ihr nicht bestritten werde, so daß seitens des Erstgerichtes kein Anlaß bestanden habe, die Klägerin hinsichtlich dieser unstrittigen Sachverhaltes zu Beweisanboten anzuleiten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Es verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit und lehnte eine sachliche Behandlung der Berufungsgründe der unrichtigen Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit der Begründung ab, daß beide nicht ordnungsgemäß ausgeführt wären. Die Rechtsrüge gehe nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern, es allenfalls zwecks Zurückverweisung an die zweite Instanz, allenfalls nach Aufhebung auch des erstgerichtlichen Urteils aufzuheben oder das Verfahren nach § 74 ASGG zu unterbrechen.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt.

Die Berufungsausführungen, daß die in der Berufung nach Art, zeitlicher Lagerung und Anzahl genau bezeichneten, von der Berufungswerberin als Versicherungszeiten qualifizierten Zeiten bei der Feststellung und Berechnung ihres Pensionsanspruches unberücksichtigt geblieben seien, stellen schon deshalb eine gesetzgemäß ausgeführte Rechtsrüge dar, weil damit auch behauptet wurde, daß nach Inhalt der Prozeßakten für die rechtliche Beurteilung erheblich scheinende Tatsachen nicht festgestellt wurden. Derartige Feststellungsmängel sind jedoch nicht das Ergebnis unrichtiger Anwendung von Verfahrensvorschriften und damit keine Verfahrensmängel im engeren Sinn, sondern Feststellungsmängel auf Grund unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und daher der Rechtsrüge zuzuordnen, wobei es nach § 84 Abs 2 ZPO nicht schadet, wenn der sachlich richtig ausgeführte Berufungsgrund lediglich unrichtig benannt ist (Fasching, ZPR2 Rz 1774, 1820; SSV-NF 1/28, 3/29, 106, 4/128 ua).

Das Berufungsgericht wäre daher verpflichtet gewesen, die rechtliche Beurteilung der Sache nach jeder Richtung hin zu prüfen (Fasching aaO Rz 1774). Weil das Berufungsgericht die Rechtsrüge nicht sachlich erledigte, leidet das Berufungsverfahren an einem Mangel, der, ohne die Nichtigkeit zu bewirken, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern geeignet war (§ 503 Z 2 ZPO).

Daher mußte der Revision Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sozialrechtssache zur Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§§ 496 Abs 1, 499, 510 Abs 1 und 513 ZPO).

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Revisionskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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