OGH 13Os102/91

OGH13Os102/9120.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.November 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Hörburger, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Aigner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Peter G***** wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 17.April 1991, GZ 20 d Vr 10.096/89-165, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, des Angeklagten Peter G***** und des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Weber zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden angefochtenen Urteil wurde der am 7.Juni 1957 geborene (beschäftigungslose) Peter G***** (zu A./) des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB und (zu B./) des Vergehens nach dem § 36 Abs. 1 Z 1, zweiter Fall, WaffenG schuldig erkannt. Es liegt ihm zur Last, am 13.Oktober 1989 in Wien

A./ Walter W***** durch Abgabe von sechs Schüssen aus einer Pistole Kaliber 7,65, Marke CZ, vorsätzlich getötet zu haben, und

B./ dadurch, daß er diese Pistole im geladenen Zustand bei sich hatte und zu der unter A./ geschilderten Tat verwendete, unbefugt eine Faustfeuerwaffe geführt zu haben.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil - außer mit Berufung - mit einer auf die Nichtigkeitsgründe nach den Z 5 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Der Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof wurde auf die Behandlung dieser Beschwerde beschränkt.

Unter dem erstgenannten Grund rügt der Beschwerdeführer die Ablehnung des Beweisantrages auf Vernehmung des Zeugen Wilfried N***** (im Akt auch: N*****) zum Nachweis der Gefährlichkeit des getöteten Walter W*****.

Einer derartigen Beweisführung bedurfte es aber nicht, weil der bezeichnete Umstand ohnehin in der Anklageschrift als objektiv feststehende Tatsache behandelt worden war und auch durch die Ergebnisse der Hauptverhandlung keineswegs in Frage gestellt werden konnte. Schon die Anklagebegründung (ON 90/Band II) ging nämlich davon aus, daß der in der "Zuhälterszene" tätige Walter W***** ein vorbestrafter Krimineller war, dessen Verhalten wegen seines Suchtgiftmißbrauches nicht mehr berechnet werden konnte und der am Vortag der Tat unter Abgabe von Schüssen einen Anschlag auf den Geschäftsführer eines Bordells verübt hatte. Demnach wurde das Beweisthema der Gefährlichkeit des Walter W***** von vornherein im Sinne des Antragstellers als geklärt angesehen und gar nicht in Zweifel gezogen. Dies kommt auch in der (erst in der Urteilsausfertigung wiedergegebenen) Begründung der Antragsablehnung durch den Schwurgerichtshof damit zum Ausdruck, daß die Gefährlichkeit des Walter W***** als tatsächlicher Umstand vorausgesetzt und nur auf das Wissen des Angeklagten um diese Gegebenheit eingegangen wird

(S 211/Band III).

Durch das Unterbleiben einer Beweisaufnahme über die dem Angeklagten ohnehin vorbehaltlos eingeräumte und im Verfahren gar nicht in Zweifel gezogene Gefährlichkeit des Walter W***** konnten somit Verteidigungsansprüche nicht beeinträchtigt werden.

Die Vorwürfe des Beschwerdeführers gegen die den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung (§ 345 Abs. 1 Z 8 StPO) erweisen sich gleichfalls als unbegründet.

Wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt, muß die vom Vorsitzenden nach dem § 321 Abs. 2 StPO niederschriftlich abzufassende Rechtsbelehrung, welche dann als Grundlage für die den Geschworenen im Beratungszimmer mündlich zu erteilende Rechtsbelehrung dient (§ 323 Abs. 1 StPO), für jede Frage gesondert eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf welche die Haupt- oder Eventualfrage gerichtet ist, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes enthalten und das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage klarlegen. Die Rechtsbelehrung hat eindeutig zu sein und den Geschworenen eine richtige Vorstellung von der auf Grund der Fragestellung in Betracht kommenden Rechtslage zu vermitteln. Sie darf keine Aussage enthalten, welche bei Berücksichtigung ihrer den Laienrichtern zugänglichen sprachlichen Bedeutung und unter der Voraussetzung ihrer denkgesetzmäßigen Handhabung eine falsche Rechtsansicht nahezulegen vermag. Es ist auch grundsätzlich unzulässig, die Geschworenen mit Ausführungen über strittige oder unterschiedliche Lehrmeinungen oder eine im Laufe der Zeit schwankend gewesene Rechtsprechung zu bestimmten Problemen zu belasten, weil dies die Geschworenen allenfalls verwirren und unter Umständen geeignet sein kann, nicht den mit der Rechtsbelehrung angestrebten Zweck, sondern einen gegenteiligen Effekt zu erzielen. Den Geschworenen darf nur eine einzige Rechtsansicht mitgeteilt werden, wobei es in den Verantwortungsbereich des Vorsitzenden fällt, die rechtsrichtige Auffassung zu finden. Zitierungshinweise auf Literatur, Judikatur und Gesetzesstellen sind für die Erreichung des Belehrungszweckes nicht geboten. Den Geschworenen soll nämlich die Rechtslage verständlich gemacht werden, ohne daß es dabei zusätzlich darum geht, ihnen einen rechtlichen Text zu unterbreiten, welchen sie durch eigenständige Gesetzesauslegung zu überprüfen haben.

Eine unrichtige Rechtsbelehrung im Sinn des eingewendeten Nichtigkeitsgrundes liegt vor, wenn ihr maßgebender Inhalt gesetzlichen Bestimmungen oder Grundsätzen des Strafrechtes oder des Strafverfahrensrechtes widerspricht. Für diese Beurteilung sind die Ausführungen in ihrer Gesamtheit und nicht einzelne aus dem Zusammenhang gelöste Teile der Rechtsbelehrung heranzuziehen. Aus der Erörterung überflüssiger Umstände ist eine Unrichtigkeit der Belehrung grundsätzlich nicht ableitbar.

Die mit einer Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung verknüpfte Nichtigkeitssanktion erstreckt sich auf alle abstrakt denkbaren nachteiligen Auswirkungen des Fehlers. Sie erfaßt demnach nicht auch solche Fälle, in denen die Unrichtigkeit eine den Beschwerdeführer begünstigende Belehrung zu einer für ihn nachteilig beantworteten Frage betrifft, weil es insoweit generell an einer überhaupt denkbaren Benachteiligung des Beschwerdeinteresses fehlt (EvBl. 1983/18).

Im vorliegenden Falle ist zunächst die Behauptung des Beschwerdeführers unzutreffend, daß die Erläuterungen zum Vorsatzbegriff mit den Bezugnahmen auf spontane Willensbildung einerseits und Planung andererseits die Auffassung ausdrücken, geplantes tatbestandsmäßiges Vorgehen sei nicht strafbar, weil bei Würdigung der Rechtsbelehrung in ihrer Gesamtheit und nach dem Sinnzusammenhang eine derartige Aussage nicht vorliegt.

Zu Unrecht erblickt der Beschwerdeführer ferner in der Beifügung des Wortes "vorsätzlich" bei Erläuterung des Tatbestandes des Mordes ein verunsicherndes und verwirrendes Belehrungselement. Mögen die Geschworenen auch knapp davor ohnehin darauf hingewiesen worden sein, daß nur vorsätzliches Handeln strafbar ist, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, so lag dennoch ein richtiger und zweckmäßiger Zusatz vor, weshalb das Vorbringen über seine Eignung, die Geschworenen zu verunsichern und in Irrtum zu führen, auf einer haltlosen Spekulation beruht.

Dies gilt auch für die Unterstellung, daß die Instruktion zur Hauptfrage 3 (welche übrigens ebenso wie die Hauptfrage 2 im Sinne des § 314 StPO als Eventualfrage zu stellen gewesen wäre) den Geschworenen die Bejahung der Hauptfrage 1 in Richtung Mord nahegelegt habe. Die sinngemäße Belehrung, daß eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nicht in Betracht komme, wenn sich der Tätervorsatz auf die Todesfolge erstrecke, weil "vorliegendenfalls" Mord anzunehmen sei, enthielt ihrer inneren Tragweite nach keine Meinungsäußerung über festzustellende Tatsachen, sondern traf allein Vorkehrungen für die Lösung der Rechtsfrage, falls vorliegend von den Geschworenen eine solche Gestaltung der subjektiven Tatseite angenommen werden sollte.

Die weiteren Rügen betreffen die Belehrung über "provozierte Notwehr", wobei keine sachliche Unrichtigkeit der gegebenen Anleitung, sondern ihre Irreführungseignung und Unverständlichkeit sowie ihre Unüberprüfbarkeit für die Geschworenen behauptet wird. Dazu ist auszuführen:

Bei der bemängelten Belehrungspassage handelt es sich um eine weitgehend wörtliche Wiedergabe von Kommentarstellen. Diese Erläuterungen können nicht als für Laien unverständlich angesehen werden, wie dies der Beschwerdeführer mit der unfundierten Behauptung darzulegen sucht, die im Text in Klammern enthaltenen Literatur- und Judikaturhinweise seien als Aufforderung an die hiedurch überforderten Geschworenen zu verstehen, diese Bezugsstellen nachzulesen. In Wahrheit sind die Paragraphen- und Klammerzitate zwar überflüssige Beifügungen zu den Erklärungen über den Notwehrbegriff, die Entbehrlichkeit dieser Hinweise zog aber keine Unverständlichkeit der Erläuterungen nach sich. Zudem gab weder der Wortlaut der zu beantwortenden Fragen, noch die Rechtsbelehrung selbst zur Prüfung Anlaß, ob beim Tatopfer durch Provokation seitens des Angeklagten sogar "entschuldigende Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens im Sinne des § 10" herbeigeführt worden ist, weil auch diesem Fall eben ausdrücklich keine Sonderstellung eingeräumt wurde, weshalb die diesbezügliche Aussage ("selbst wenn die Provokation entschuldigende Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens im Sinne des § 10 begründen sollte, bleibt der Provokateur notwehrberechtigt") überflüssig war, ohne aber hiedurch der Verständlichkeit der sonstigen Belehrung Abbruch zu tun. Somit kann entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht auch nicht davon gesprochen werden, daß hier von den Geschworenen gefordert wurde, "ein rechtmäßiges Verhalten im Sinne" eines Paragraphen ohne Angabe des entsprechenden Gesetzes zu "überprüfen".

Die unzweifelhafte Möglichkeit einer zweckmäßigeren Gestaltung der Belehrung durch Weglassung von Belegstellen und anderen Überflüssigkeiten bedeutet noch nicht eine Unrichtigkeit im Sinne des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes. Letzten Endes hat sich der Vorsitzende ohnehin davon zu überzeugen, ob die mündlich erläuterte Belehrung von den Geschworenen verstanden wurde (§ 323 Abs. 3 StPO), weshalb eine allenfalls noch erforderliche Klarstellung auf jeden Fall sichergestellt war.

Grundsätzlich berechtigt ist allerdings der Beschwerdeeinwand, daß den Geschworenen nicht klar gesagt wurde, ob gegen einen provozierten Angriff das volle oder ein eingeschränktes Notwehrrecht zusteht. Im Anschluß an die Erörterung, wonach auch in diesem Fall das (uneingeschränkte) Notwehrrecht besteht, wird nämlich in der Rechtsbelehrung (unter Beifügung von Zitaten) ausgeführt: "Die jüngere österreichische Rechtsprechung und ein Teil der Lehre wollen den Provozierenden allerdings auf abwehrende Handlungen beschränken, die nur eine Gefährdung oder eine bloß unerhebliche Verletzung des provozierten Angreifers erwarten lassen." Demgemäß wurden die Geschworenen in diesem Punkt mit zwei gegensätzlichen Rechtsmeinungen konfrontiert, wodurch sie gegebenenfalls tatsächlich daran gehindert sein konnten, die richtige Rechtslage zu erkennen, nach welcher das Notwehrrecht gegen einen durch schuldhafte Provokation verursachten Angriff (soweit nicht eine das Notwehrrecht verwirkende Absichtsprovokation vorliegt) eingeschränkter ist als das Notwehrrecht gegen eine unprovozierte Attacke (SSt. 48/82 und 49/39; JBl. 1982, 101; 1990, 388). Dem Belehrungsinhalt entsprechend konnte die Auffassung der Geschworenen aber jedenfalls nur dahin fehlgeleitet werden, daß auch im Falle provozierter Notwehr über das rechtsrichtige Maß hinaus von Anfang an ein volles Notwehrrecht zuzubilligen sei. Damit wirkte der Mangel ausschließlich strafbarkeitseinschränkend, weshalb es an einer Benachteiligung der Beschwerdeinteressen des Angeklagten fehlt. Aus diesem Grund wurde durch die zutreffend aufgezeigte Unrichtigkeit, welche allein zugunsten des Angeklagten ausschlagen konnte, der in Anspruch genommene Nichtigkeitsgrund gleichfalls nicht verwirklicht (vgl. Mayerhofer/Rieder, StPO3, ENr. 7 und 8 zu § 345 Z 8).

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

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