OGH 13Os106/91 (13Os107/91)

OGH13Os106/91 (13Os107/91)20.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.November 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Hörburger, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Aigner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl S***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 1 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf vom 23.Juli 1990, GZ U 42/90-6, und des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Beschwerdegericht vom 18.Juni 1991, AZ Bl 91,92/91

(= GZ U 42/90-11 des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Beschlüsse

1. des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf vom 23.Juli 1990, GZ U 42/90-6, und

2. es Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Beschwerdegericht vom 18. Juni 1991, AZ 7 Bl 91,92/91 (= GZ U 42/90-11 des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf), verletzen das Gesetz in dem im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft.

Diese Beschlüsse werden aufgehoben.

Der Antrag der Bezirksanwältin auf Widerruf der mit Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Vollzugsgericht vom 16. Mai 1989, GZ BE 219/89-8, verfügten bedingten Entlassung des Karl S***** (S 32 in U 42/90 des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf) wird abgewiesen.

Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Beschwerde gegen den zu Punkt 1 bezeichneten Beschluß auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Vollzugsgericht vom 16.Mai 1989, GZ BE 219/89-8, wurde Karl S***** gemäß dem § 46 Abs. 1 StGB aus zwei Freiheitsstrafen (§ 1 Z 5 StVG) bedingt entlassen. Die Probezeit wurde mit einem Jahr bestimmt. Nach ihrem Ablauf wurde die bedingte Entlassung - in Unkenntnis eines wegen einer innerhalb der Probezeit begangenen strafbaren Handlung und vor Ablauf der Probezeit beim Bezirksgericht Ebreichsdorf deshalb anhängig gewordenen Strafverfahrens - mit Beschluß vom 21.Juni 1990 (rechtskräftig seit 17.Juli 1990), GZ BE 219/89-13, für endgültig erklärt (§ 48 Abs. 3 StGB).

In dem erwähnten neuerlichen Strafverfahren wurde Karl S***** mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf vom 23.Juli 1990, GZ U 42/90-6, zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Gleichzeitig wurde gemäß dem § 53 Abs. 2 StGB (§ 494 a Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 StPO) vom Widerruf der bedingten Entlassung, deren Endgültigerklärung nicht aktenkundig war, abgesehen und die Probezeit auf zwei Jahre verlängert.

Infolge Berufung und Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Kreisgericht Wiener Neustadt als Rechtsmittelgericht mit Entscheidung vom 18.Juni 1991, AZ 7 Bl 91,92/91 (= GZ U 42/90-11 des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf), den Ausspruch über die bedingte Strafnachsicht sowie den Beschluß auf Verlängerung der Probezeit in Ansehung der bedingten Entlassung auf und widerrief - ohne in die Strafvollzugsakten Einsicht zu nehmen und daher seinerseits in Unkenntnis der endgültigen Nachsicht des Strafrestes - die bedingte Entlassung.

Karl S***** hat den Strafrest noch nicht verbüßt.

Rechtliche Beurteilung

Sowohl der Beschluß des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf vom 23. Juli 1990 (Absehen vom Widerruf der bedingten Entlassung unter Verlängerung der Probezeit) als auch der Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Beschwerdegericht vom 18. Juni 1991 (Widerruf der bedingten Entlassung) stehen - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang. Denn zufolge Eintrittes der materiellen Rechtskraft des Beschlusses des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Vollzugsgericht vom 21.Juni 1990 (rechtskräftig seit 17. Juli 1990), GZ BE 219/89-13, mit dem die bedingte Entlassung des Karl S***** für endgültig erklärt worden ist, war eine neuerliche Entscheidung über den selben Gegenstand nicht mehr zulässig (XX. Hauptstück der StPO: "ne bis in idem"; vgl EvBl 1974/176, 1989/64 sowie 13 Os 94/91 ua).

Der Antrag der Bezirksanwältin auf Widerruf der bedingten Entlassung des Karl S***** (S 32 in U 42/90 des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf) war aus ebendemselben Grund abzuweisen.

Auf diese Entscheidung war die Staatsanwaltschaft mit ihrer - sohin gegenstandslosen - Beschwerde zu verweisen.

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