OGH 7Ob613/91

OGH7Ob613/9114.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude K*****, vertreten durch Dr. Karl Zingher und Dr. Madeleine Zingher, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Helma S*****, vertreten durch Dr. Karl Claus, Rechtsanwalt in Mistelbach, wegen Unterlassung (Streitwert S 30.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Berufungsgerichtes vom 9. Juli 1991, GZ 5 R 154/91-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Mistelbach vom 26. März 1991, GZ 2 C 136/90i-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.168,32 (darin S 1.194,72 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 5.123,04 (darin S 603,84 an Umsatzsteuer und S 1.500,-- an Barauslagen) - bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Liegenschaften der Streitteile grenzen aneinander. Die Grenze wird unter anderem durch eine Feuermauer gebildet, die im Eigentum der Klägerin steht.

Die Klägerin stellt das Begehren, die Beklagte sei schuldig, die von ihr an den in der einen Urteilsbestandteil bildenden Skizze rot (orange) eingezeichneten Grenzmauern zwischen den Grundstücken Nr. 4 und 5 und 2 gepflanzte Veitschi-Pflanze zu entfernen und jede weitere Inanspruchnahme dieser Mauerteile durch Pflanzengewächse zu unterlassen. Die Beklagte habe an der Grenze ihres Grundstückes eine Veitschi-Pflanze gepflanzt, die die Mauer überziehe. Ein Benützungsrecht an dieser Mauer stehe der Beklagten nicht zu.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Der Rechtsvorgänger der Klägerin habe sich in einem im Jahr 1988 geschlossenen gerichtlichen Vergleich verpflichtet, "künftige Handlungen zur Entfernung des Veitschi an der Mauer laut § 5 des Vertrages vom 19. 12. 1973 zu unterlassen". Bereits in § 6 des genannten Vertrages sei festgelegt worden, daß die gegenständliche Mauer zwar im Eigentum des Rechtsvorgängers der Klägerin stehe, daß aber die Rechtsvorgänger der Beklagten berechtigt seien, die Mauer von ihrer Seite her zu benützen.

Die Klägerin brachte dagegen vor, Gegenstand des 1973 abgeschlossenen Vertrages und des 1988 verglichenen Rechtsstreites sei der in der der Klage angeschlossenen Skizze grün, nicht der rot (orange) eingezeichnete Mauerteil gewesen. Verglichene Sache liege daher nicht vor.

Das Erstgericht gab der Klage statt und traf folgende Feststellungen:

Der am 19. 12. 1973 geschlossene Vertrag, mit dem Benützungsregelungen getroffen wurden, bezieht sich auf den südlichen Teil der Mauer, an dem ein Veitschi-Bewuchs vorliegt, der Gegenstand eines Verfahrens - Besitzstörungsklage wegen Entfernung des Veitschi - vor dem Erstgericht im Jahr 1988 war. Anschließend an diese südliche Wand erstreckt sich in einem Winkel von 125 Grad eine weitere Mauer, an der sich ein alter, vertrockneter Teilbewuchs von einem Veitschi und zwei neue, etwa 4 m angewachsene Triebe befinden. Über diese Mauer und deren Benützung gibt es keine Einigung.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, das Eigentumsrecht gebe der Klägerin nach § 354 ABGB die Befugnis, mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkür zu schalten und jeden anderen davon auszuschließen. Veitschi sei eine Kletterpflanze, die sich an einer Mauer mittels Sogwirkung festhalte und die sich "als Ausfluß einer Ausübung von Besitzrechten dessen, der sie gepflanzt habe" darstelle. Die Beklagte als Nichteigentümerin könne solche Besitzrechte nur in Anspruch nehmen, wenn sie ein Recht dazu habe. Ein derartiges Recht sei ihr jedoch nicht eingeräumt worden.

Das Berufungsgericht wies die Klage ab; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und daß die ordentliche Revision zulässig sei. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen teilte es die Ansicht des Erstgerichtes, eine rechtswirksame vergleichsweise Regelung der Sache liege nicht vor, weil von dem im Jahr 1988 abgeschlossenen Vergleich, dem die Vereinbarung vom 19. 12. 1973 zugrunde gelegen sei, ein anderer, hier nicht gegenständlicher Mauerteil erfaßt gewesen sei. Ein Eingriff in das Eigentumsrecht der Klägerin sei jedoch nicht gegeben. Die von einem Baum oder Strauch ausgehenden Beeinträchtigungen seien nach § 422 ABGB zu beurteilen. Ein Nachbar sei nicht berechtigt, vom Eigentümer von Bäumen oder Sträuchern die Unterlassung, Äste oder Wurzeln wachsen zu lassen, zu begehren. Das Wachstum von Kletterpflanzen sei nicht anders zu beurteilen als das von Bäumen und Sträuchern. Beim Emporranken derartiger Pflanzen handle es sich um ein natürliches Pflanzenwachstum, das die Klägerin zu dulden habe und das nur durch Maßnahmen iS des § 422 ABGB zu begrenzen sei. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil eine einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht bestehe und der festgestellte Sachverhalt keinen Einzelfall darstelle.

Die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie vom Erstgericht bereits dargelegt wurde, ist Eigentum nach § 354 ABGB die Befugnis, mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkür zu schalten und jeden anderen davon auszuschließen.

Zwar wird das Eigentum eines Baumes gemäß § 421 ABGB nach dem Stamm bestimmt, der aus dem Grund hervorragt, und es kann nach § 422 ABGB ein Grundeigentümer - als Ausfluß des ihm nach § 354 ABGB eingeräumten Rechtes - nur die Wurzeln eines fremden Baumes aus seinem Boden reißen und die über seinem Luftraum hängenden Äste abschneiden oder sonst benützen. Wächst aber auch die Veitschi-Pflanze unbestritten auf dem Grund der Beklagten, darf doch nicht außer Acht gelassen bleiben, daß es sich bei ihr um eine Kletterpflanze handelt, die sich zwangsläufig, "nach ihrem natürlichen Wachstum" (wie vom Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben wird), an der Mauer der Klägerin, neben der sie wächst, emporrankt und unbestritten zu eben diesem Zweck (um nämlich die sonst kahle Fläche durch Bewuchs zu verschönern) von der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern gesetzt wurde. Ein Recht, die der Klägerin gehörige Mauer zum Emporranken der Kletterpflanze zu benützen, wurde der Beklagten (ihren Rechtsvorgängern) nicht eingeräumt. Das Emporranken an einer im Eigentum des Nachbarn stehenden Mauer läßt sich mit den im Urteil des Berufungsgerichtes angeführten Entscheidungen SZ 58/121 und EvBl 1988/47 nicht vergleichen. In ihnen wird hervorgehoben, die von einem Baum (oder Strauch) ausgehende Beeinträchtigung des Nachbargrundes sei nicht nach § 364 Abs 2 ABGB, sondern nach der besonderen nachbarrechtlichen Bestimmung des § 422 ABGB zu beurteilen. Über das in § 422 ABGB normierte Selbsthilferecht hinaus habe der Nachbar nicht die Möglichkeit, ein auf sein Eigentumsrecht gestütztes Begehren auf Beseitigung des Überhanges durch den Eigentümer des Baumes (oder Strauches) zu stellen. Der Nachbar habe vielmehr den durch den Überhang entstehenden Bewuchs wie die natürliche Umgebung hinzunehmen (EvBl 1988/47). Es bestehe nicht die Möglichkeit, ein auf § 523 ABGB gestütztes Begehren zu stellen (SZ 58/121). Steht aber die Mauer, an der sich die Kletterpflanze "in natürlicher Weise", zwangsläufig (und überdies auch völlig absichtlich) emporrankt, im Eigentum der Klägerin, ist diese gemäß § 354 (§ 362) ABGB nicht nur befugt, die Beklagte von der Benützung der Mauer auszuschließen und unberechtigte Eingriffe in dieses ihr Eigentumsrecht mit Klage nach § 523 ABGB geltend zu machen (Petrasch in Rummel2 Rz 9 zu § 523 ABGB; Spielbüchler in Rummel2 Rz 4 zu § 364 ABGB), sondern auch von der Beklagten die Entfernung der Veitschi-Pflanze, von der der Bewuchs ausgeht und die anders gar nicht wachsen kann, weil dies ihrem zwangsläufigen Wachstum entspricht, zu verlangen. Die Benützung der Mauer der Klägerin auf die festgestellte Weise ist als eine unmittelbare Zuleitung iS des zweiten Satzes des § 364 Abs 2 ABGB zu beurteilen, die ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig ist (vgl. hiezu Spielbüchler aaO Rz 7, der die in den Rechtsmittelschriften der Streitteile erwähnte Entscheidung SZ 35/28 mit Recht ablehnt; sowie Klang in Klang2 II 167).

Das Klagebegehren erweist sich damit als berechtigt, so daß das angefochtene Urteil abzuändern und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen war.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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