OGH 10ObS326/91

OGH10ObS326/9112.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Herbert Vesely (Arbeitgeber) und Reinhard Horner (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Marianna B*****, vertreten durch Dr.Michael Gabler, Mag.Dr.Erich Gibel, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Alterspension und Rückforderung eines Überbezuges infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7.März 1988, GZ 31 Rs 34/88-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22. Oktober 1987, GZ 16 a Cgs 145/86-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten der Berufung, der Revision, der Stellungnahme der Klägerin zur Äußerung der Bundesregierung und der Beteiligung der Klägerin an der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof am 20.6.1991 sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 18.4.1984 beantragte die (am 4.6.1924 geborene) Klägerin bei der beklagten Partei die Alterspension. Dabei gab sie an, nicht selbständig erwerbstätig zu sein. Mit Bescheid vom 10.12.1984 wurde ihr die Alterspension ab dem 1.7.1984 zuerkannt.

Nachdem die beklagte Partei am 4.4.1985 erfahren hatte, daß die Klägerin vom 1.7.1984 an der Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 3 GSVG unterlag, nahm sie mit Bescheid vom 11.8.1986 das Verfahren wieder auf, wies den Antrag auf Alterspension ab dem 1.7.1984 ab und forderte den vom 1.7.1984 bis 31.5.1985 entstandenen Überbezug von 109.973,80 S zurück. Die Klägerin habe anläßlich der Antragstellung gegenüber der beklagten Partei nicht erwähnt, daß sie handelsrechtliche Geschäftsführerin einer GesmbH sei und über 50 % des Stammkapitals verfüge.

Das Erstgericht wies die Klage, die beklagte Partei sei schuldig, ab dem 1.7.1984 eine Alterspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, und die Rückforderung der für die Zeit vom 1.7.1984 bis 31.5.1985 ausgezahlten Pensionsbeträge von 109.973,80 S sei zu Unrecht erfolgt, ab und erkannte die Klägerin schuldig, der beklagten Partei diesen Betrag zu ersetzen. Der Anspruch auf Alterspension setze nach § 253 ASVG ua voraus, daß am Stichtag keine Pflichtversicherung nach dem GSVG bestehe. Die Klägerin sei jedoch am 1.7.1984 aufgrund ihrer Geschäftsführertätigkeit - wenn auch ohne Entgelt - nach dem GSVG pflichtversichert gewesen. Wegen der Verletzung der diesbezüglichen Meldepflicht sei auch der Überbezug rückzuersetzen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge.

Dagegen richtet sich die nichtbeantwortete Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Weil der erkennende Senat gegen die hier präjudizielle Wortfolge im § 253 Abs 1 ASVG (idF BGBl 1986/111) " ... und der (die) Versicherte am Stichtag (§ 223 Abs 2) weder in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz noch nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz noch nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz pflichtversichert ...."

verfassungsrechtliche Bedenken hatte, stellte er mit Beschluß vom 19.12.1989 10 Ob S 194/88 beim Verfassungsgerichthof den Antrag, die genannte Wortfolge als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Klägerin gab eine schriftliche Stellungnahme zu der ihr vom Verfassungsgerichtshof übermittelten Äußerung der Bundesregierung ab und beteiligte sich auch an der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof am 20.6.1991.

Mit Erkenntnis vom 2.10.1991 G 18/90-16 sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß die schon erwähnten Worte im § 253 Abs 1 ASVG idF BGBl 1986/111 verfassungswidrig waren.

An diesen Spruch des Verfassungsgerichtshofes sind nach Art 140 Abs 7 Satz 1 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch das Gesetz mangels eines gegenteiligen Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes nach dem 2.Satz des zit Absatzes weiterhin anzuwenden.

Anlaßfall ist ausschließlich die Rechtssache, die den Verfassungsgerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bewogen hat (VfSlg 3103). Die Rückwirkung der Aufhebung auf den Anlaßfall besteht ausschließlich darin, daß dieser so zu entscheiden ist, als ob die aufgehobene Bestimmung im für die Entscheidung des Anlaßfalles maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr bestanden hätte (VfSlg 3961, 4072), so daß sie im Anlaßfall nicht mehr anzuwenden ist (VfSlg 8934).

Weil die genannte Wortfolge des § 253 Abs 1 ASVG bei der Entscheidung des vorliegenden Falles nicht mehr anzuwenden ist, hätte die Klägerin ungeachtet einer am Stichtag allenfalls bestandenen Pflichtversicherung nach dem ASVG, GSVG oder B-VG vom 1.7.1984 an Anspruch auf eine Alterspension, wenn die Wartezeit (§ 236) erfüllt wäre.

Diese allgemeine Voraussetzung für den Anspruch wurde im bisherigen Verfahren weder behauptet, noch erörtert, noch außer Streit gestellt, noch allenfalls geprüft.

Deshalb erweist sich das Verfahren sowohl hinsichtlich des die Alterspension betreffenden Leistungsbegehrens als auch hinsichtlich des die Rückforderung betreffenden Feststellungsbegehrens, das schon dann berechtigt wäre, wenn dem Leistungsbegehren stattzugeben wäre, als noch nicht spruchreif.

Die Urteile der Vorinstanzen waren daher aufzuheben, die Sozialrechtssache war zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Vorbehalt der Entscheidung über die mit dem Berufungs- und Revisionsverfahren verbundenen Kosten der Klägerin beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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