OGH 9ObA138/91 (9ObA139/91)

OGH9ObA138/91 (9ObA139/91)6.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith und Dr.Jelinek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Wolfgang Neumeier als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen 1. der klagenden Partei K***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei H***** R*****, Montagehelferin, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwälte *****, wegen Erteilung der Zustimmung zur Entlassung (44 Cga 238/90) und 2. der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der K***** Gesellschaft mbH, vertreten durch *****, Rechtsschutzsekretär des ÖGB *****, wider die beklagte Partei K***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwalt ***** *****, wegen Anfechtung einer Entlassung (44 Cga 241/90), infolge Revision der klagenden Partei im Verfahren 44 Cga 238/90 gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.März 1991, GZ 5 Ra 37,38/91-14, womit infolge Berufung der K***** Gesellschaft mbH das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 13.November 1990, GZ 44 Cga 238,241/90-4, teilweise bestätigt (44 Cga 238/90) und teilweise aufgehoben (44 Cga 241/90) wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen im Verfahren 44 Cga 238/90 des Erstgerichtes werden aufgehoben und die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte ist seit 21.5.1984 bei der klagenden GmbH beschäftigt und seit 29.9.1989 Betriebsratsvorsitzende.

Die Hierarchie der klagenden Partei ist wie folgt aufgebaut:

"Oberster" ist der Geschäftsführer, dann kommt der Betriebsleiter, der auch gewerberechtlicher Geschäftsführer ist, dann der Einmontagemeister und schließlich die Mitarbeiter, die von Vorarbeitern betreut werden.

Der Betriebsleiter wurde Mitte September 1990 von einer Mitarbeiterin davon verständigt, sie habe Johanna S***** der Beklagten Hilfestellungen geleistet. Diese seien so weit gegangen, daß eine tatsächliche Mitarbeit der S***** am Arbeitsplatz der Beklagten stattgefunden haben soll. Der Betriebsleiter nahm dies vorerst nicht ernst, da es sich um langjährige Mitarbeiterinnen handelte. Er unternahm Kontrollgänge, konnte aber nichts Ungewöhnliches bemerken. Dennoch beauftragte er diese Mitarbeiterin - sie war von Mitte bis Ende September krank -, genauere Beobachtungen anzustellen. In der Folge wurde ihm berichtet, daß die Beklagte am 26. bzw. 27.9.1990 auf den Leistungslohnscheinen ihre ausgeübte Tätigkeit nicht richtig ausgewiesen habe. Er rief sie hierauf zu sich ins Büro und machte ihr Vorhaltungen und Ermahnungen, daß "dies nicht in dem Sinne sei, wie es zu handhaben sei", und erklärte ihr auch die Folgen, werden doch die Lohnscheine für Kalkulationen, speziell für Nachkalkulationen, benötigt. Nach dem Gespräch forderte er die Beklagte auf, den unrichtig gestempelten Leistungslohnschein richtigstellen zu lassen.

Um den 11. oder 12.10.1990 fiel auf, daß S***** am Arbeitsplatz der Beklagten war und dort arbeitete. Dies wurde dem Betriebsleiter damals allerdings nicht berichtet.

Am 17.10.1990 vormittags berichtete die mit der Beobachtung beauftragte Mitarbeiterin dem Betriebsleiter, daß S***** am Arbeitsplatz der Beklagten tätig sei, obwohl sie auf eine andere Tätigkeit angestempelt sei. Unmittelbar darauf bat der Betriebsleiter die Beklagte und S***** zu sich ins Besprechungszimmer. Er wies sie zu Recht, warf beiden Betrug vor, wobei für ihn der Betrug darin bestand, daß S***** widerrechtlich ihren Arbeitsplatz verlassen hatte und gleich weiterbezahlt wurde, der Beklagten jedoch half, deren Lohn bzw die Prämie anzuheben. Daß die beiden dies damit bezweckten, war dem Betriebsleiter klar. Er erklärte ihnen, es würden weitere Schritte stattfinden, auch strafrechtlicher Art. Unter jenen weiteren Schritten, die der Betriebsleiter ankündigte, verstand er eine fristlose Entlassung. Ihm war zu diesem Zeitpunkt klar, daß durch die den beiden Frauen vorgeworfene Handlungsweise für die klagende Partei ein Schaden jedenfalls dadurch entstehe, daß durch unrichtige Leistungslohnscheine unrichtige Zahlen für die Nachkalkulation herangezogen werden. Am 19.10. war ihm auch klar, daß ein weiterer Schaden deswegen entstand, weil unrichtige Lohnauszahlungen vorgenommen wurden. Bereits vor dem 17.10. erfuhr der Betriebsleiter von den oben erwähnten Vorfällen am 11./12.10.; wann er dies genau erfuhr, konnte nicht festgestellt werden.

Am 18.10.1990 versuchte der Betriebsleiter, den Geschäftsführer telefonisch zu erreichen. Er erfuhr am 18. oder 19.10., daß dieser nicht zur Verfügung stehe; er werde voraussichtlich bis in die kommende Woche nicht da sein. Am 22.10.1990 versuchte der Betriebsleiter nochmals, den Geschäftsführer zu erreichen, weil er sich dachte, man könnte ihn vielleicht auch im Ausland erreichen.

Der Betriebsleiter ist berechtigt, Leute einzustellen, sie zu kündigen und zu entlassen. Er wollte den Geschäftsführer erreichen, um mit ihm die beabsichtigte Entlassung zu besprechen.

Am 19.10., einem Freitag, setzte sich der Betriebsleiter mit dem Klagevertreter in Verbindung, um sich beraten zu lassen. Am selben Tag erhielt er ein Schreiben der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie vom 18.10., das auszugsweise wie folgt lautet:

" ... Sie haben der Betriebsratsvorsitzenden Frau R***** und der Arbeitnehmerin Frau S***** in ungerechtfertigter Art und Weise das Verbrechen des Betruges vorgeworfen. Weiter haben Sie beiden damit gedroht, daß die Sache ein Nachspiel haben wird. Wir legen Wert auf die Feststellung, daß beide Beschäftigten keine strafbaren Handlungen gesetzt haben und werten Ihre Äußerung als üble Nachrede bzw Verleumdung. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie sich in aller Form bei Frau Betriebsratsvorsitzenden R***** und Frau S***** entschuldigen."

Am Montag, dem 22.10.1990, bekam der Betriebsleiter die gewünschte Rechtsauskunft des Klagevertreters. Am selben Tag war das obzitierte Schreiben, versehen mit dem Betriebsratsstempel, an der Informationstafel im Betrieb ausgehängt. Der Betriebsleiter erblickte darin ein Aufwiegeln der Belegschaft. Dies bestärkte ihn in dem Entschluß, die beiden Arbeitnehmerinnen zu entlassen. Die Entlassung wurde am 22.10.1990 um 16.25 Uhr ausgesprochen.

Mit Schreiben vom selben Tag erhielt der Betriebsrat der klagenden Partei eine Verständigung von der fristlosen Entlassung der beiden Arbeitnehmerinnen; auch diese selbst erhielten eine Kopie dieses Schreibens. Die Entlassung wurde jedoch mündlich ausgesprochen.

In seiner Sitzung vom 23.10.1990 beschloß der Betriebsrat einstimmig, den Entlassungen zu widersprechen und sie anzufechten.

Arbeitsbeginn der entlassenen Arbeitnehmerinnen war 7.00 Uhr, Arbeitsende 16.30 Uhr. Am 18., 19. und 22.10. hielten die beiden Arbeitnehmerinnen diese Zeit auch tatsächlich ein.

Mit der zu 44 Cga 238/90 des Erstgerichts eingebrachten Klage begehrte die klagende Partei, ihr die nachträgliche Zustimmung zur Entlassung der Beklagten im Sinn des § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG und (eventualiter) die Zustimmung zu ihrer Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 122 Abs 1 Z 3 ArbVG zu erteilen. In der Tagsatzung vom 13.11.1990 stützte sie ihr Begehren auf nachträgliche Zustimmung zur Entlassung wegen des Anschlags des Gewerkschaftsschreibens auf dem "Schwarzen Brett" auch auf § 122 Abs 1 Z 5 ArbVG. (Die verbundene Rechtssache 44 Cga 241/90 des Erstgerichtes betreffend die Anfechtung der Entlassung der Johanna S***** durch den Arbeiterbetriebsrat der klagenden Partei ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens.)

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte die Klagsabweisung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil die Entlassung verspätet ausgesprochen worden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit im wesentlichen gleicher Begründung (näheres siehe S 20-36 des Berufungsurteils).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, das angefochtene Urteil im Verfahren 44 Cga 238/90 im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist im Sinn des Aufhebungsantrages berechtigt.

Die behauptete Aktenwidrigkeit ist rechtlich unerheblich und die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist festzuhalten, daß - wie bereits das Erstgericht zutreffend erkannt hat - die beklagte Betriebsratsvorsitzende durch den Anschlag des Briefes der Gewerkschaft an den Betriebsleiter an der Informationstafel des Betriebes keine erhebliche Ehrverletzung iS des § 122 Abs 1 Z 5 ArbVG begangen hat: In dem Schreiben hat die Gewerkschaft lediglich ihre Auffassung dargelegt, daß die des Betruges beschuldigten Arbeitnehmerinnen keine strafbaren Handlungen begangen hätten; ferner wird der Betriebsleiter aufgefordert, sich bei diesen zu entschuldigen. Der Frage, ob auch dieser Umstand als Entlassungsgrund bereits mit der Klage hätte geltend gemacht werden müssen - dies wäre leicht möglich gewesen - oder ob er noch unverfristet "nachgeschoben" werden konnte, kommt daher keine rechtliche Bedeutung zu.

Im übrigen ist die Rechtsrüge aber berechtigt. Die klagende Partei hat die Entlassung der Klägerin nicht verspätet ausgesprochen:

Dem Betriebsleiter war zwar am Mittwoch, dem 17.10.1990, klar, daß durch die behauptete Vorgangsweise der beiden Arbeitnehmerinnen, die Grundlagen für die Kalkulation verfälscht wurden und daß die beiden einen Betrug versucht hatten: die Beklagte sollte durch die Mithilfe der S***** bei prämienentlohnter Arbeit zu einem Zeitpunkt, in welchem letztere lediglich eine Zeitarbeit zu verrichten gehabt hätte, und daher keine finanzielle Einbuße erleiden konnte, eine höhere Prämie erzielen. Er wußte damals aber noch nicht, ob und in welchem Ausmaß die klagende Partei dadurch tatsächlich geschädigt worden war. Schon im Hinblick darauf, daß es sich um langjährige Arbeitnehmerinnen handelte, muß dem Betriebsleiter zugebilligt werden, die Schadenshöhe zu erheben, bevor er sich zu so einem gravierenden Schritt wie eine Entlassung entschloß. Das Berufungsgericht irrt, soweit es meint, die gleichartigen Vorfälle vor dem 17.10.1990 seien weder tatsächlich noch rechtlich erheblich; sie sind vielmehr, gerade weil die Beklagte deshalb schon beanstandet und ermahnt wurde, in die Betrachtung miteinzubeziehen. Daher war das Zuwarten mit der Entscheidung bis zur Ermittlung der genauen Schadenshöhe gerechtfertigt. Das Ergebnis dieser nicht einfach anzustellenden

Erhebungen - Vergleichsberechnungen mußten angestellt werden - lag bereits zwei Tage später, nämlich am Freitag, dem 19.10.1990, nach Dienstschluß vor, sodaß von einer ungebührlich langen Erhebungszeit nicht gesprochen werden kann.

Bei einem solchen, für den Betriebsinhaber ungewöhnlichen und sehr bedeutsamen Schritt wie der Entlassung eines Betriebsratsmitgliedes muß dem Betriebsleiter auch Zeit zur die Einholung eines juristischen Rates zugebilligt werden, der sinnvollerweise erst nach Feststehen der Schadenshöhe eingeholt werden konnte und umgehend auch eingeholt wurde; die Auskunft langte im Laufe des darauffolgenden Werktages, nämlich am Montag, dem 22.10.1990, ein; eine schnellere Antwort konnte im Hinblick auf das dazwischenliegende Wochenende nicht erwartet werden. Dem Betriebsleiter konnte daher nicht zugemutet werden, die Beklagte bereits am Montag früh vor Einlangen der Rechtsauskunft zu entlassen, auch wenn ihm zu diesem Zeitpunkt die Schadenshöhe bereits bekannt war. Ihre Entlassung vor Dienstschluß dieses Tages war daher noch rechtzeitig, zumal sie mit einem solchen Schritt rechnen mußte. Der Betriebsleiter hatte nämlich der Beklagten gegenüber ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, sie müsse noch mit weiteren Schritten, auch strafrechtlicher Art, rechnen. Der Beklagten als Betriebsratsvorsitzender mußte bei der Androhung selbst strafrechtlicher Schritte bewußt sein, daß die angedrohten sonstigen weiteren Schritte wohl nicht nur eine Ermahnung, sondern auch eine fristlose Entlassung sein konnten.

Im übrigen muß auch einem an sich zur Entlassung berechtigten Dienstnehmer zugebilligt werden, daß er in einer solch außergewöhnlichen und für das Betriebsklima wichtigen Angelegenheit zumindest versucht, den Dienstgeber vor dem Ausspruch der Entlassung zu erreichen. Erst als der Betriebsleiter erkannte, daß dies vergeblich war, hat er unmittelbar nach Einlangen der Rechtsauskunft die Entlassung ausgesprochen.

Da sich die Unterinstanzen nur mit der Frage der Verspätung, nicht aber mit der Berechtigung der Entlassung iS des § 122 Abs 1 Z 2 und 3 iVm Abs 3 ArbVG befaßt haben, sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und ist dem Erstgericht aufzutragen, nach allfälliger Ergänzung des Verfahrens ausreichende Feststellungen über den behaupteten Entlassungsgrund zu treffen und unter Abstandnahme vom gebrauchten Abweisungsgrund neuerlich zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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