OGH 11Os71/91

OGH11Os71/915.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. November 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Felzmann, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofbauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ludwig A***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 30. April 1991, GZ 25 Vr 363/91-8, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, der Generalanwältin Dr. Bierlein, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in dem im Schuldspruch wegen Betruges enthaltenen Ausspruch der Benützung eines falschen Beweismittels sowie demzufolge in der rechtlichen Qualifikation des Sachverhaltes auch nach dem § 147 Abs 1 Z 1 StGB sowie im Strafausspruch aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Ludwig A***** wird auf Grund des unberührt bleibenden Teiles des Schuldspruches wegen des ihm weiterhin zur Last fallenden Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs 2, 148, zweiter Fall, StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten verurteilt, die gemäß dem § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 26. Juni 1934 geborene Ludwig A***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 StGB schuldig erkannt und nach dem zweiten Strafsatz des § 148 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in der Zeit vom 18. Juni 1985 bis zum 12. Dezember 1989 in Vandans als geschäftsführender Gesellschafter der A***** Hoch- und Tiefbaugesellschaft mbH in 27 Angriffen mit dem Vorsatz, die genannte Gesellschaft durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, sowie in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von (schweren) Betrügereien eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Angestellte des Arbeitsamtes Bludenz und Feldkirch "durch Stellung von Anträgen auf Schlechtwetterentschädigung für Ausfallsstunden infolge Schlechtwetters nach § 4 Abs 2 Bauarbeiterschlechtwetterentschädigungsgesetz 1957", jeweils unter Vorlage manipulierter Lohnlisten der Arbeitnehmer, somit durch Täuschung über Tatsachen unter Benützung eines falschen Beweismittels zur Auszahlung von zu Unrecht in Anspruch genommenen Schlechtwetterentschädigungen im Gesamtbetrag von 411.440,51 S, sohin zu Handlungen verleitet, welche die österreichische Arbeitsmarktverwaltung an ihrem Vermögen schädigte, wobei der Schaden der im angefochtenen Urteil detailliert dargestellten betrügerischen Angriffe insgesamt den Betrag von 25.000 S überstieg.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil ficht der Angeklagte mit seiner auf die Z 10, der Sache nach teils auch Z 9 lit. a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an.

Im Rahmen der Rechtsrüge bringt er vor, daß in jenen vom Erstgericht unerörtert gebliebenen Fällen, in denen er bei den Anträgen auf (Rückersatz der) Schlechtwetterentschädigung zum Teil von niedrigeren Stundenlöhnen ausgegangen sei als der betreffende Arbeitnehmer tatsächlich bezog, schon deswegen kein Betrug anzunehmen gewesen wäre, weil der Angeklagte einen höheren Anspruch für die "berechtigten" Schlechtwettertage hätte geltend machen können, weshalb das Erstgericht über den Inhalt der benützten Urkunden "konkrete und individualisierende" Feststellungen hätte treffen müssen.

Dieses Vorbringen ist nicht zielführend.

Den mit dem Geständnis des Angeklagten (S 345 f, 361 f dA) übereinstimmenden Urteilsfeststellungen nach waren die in den seinen Anträgen auf Rückerstattung der Schlechtwetterentschädigung beigelegten Lohnlisten ausgewiesenen Arbeitstunden "fingiert", d.h., daß ein für den Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung der Arbeiter gegen den Dienstgeber vorausgesetzter Arbeitsausfall, der mit einem Lohnausfall verbunden gewesen wäre, und ein dementsprechender Rückerstattungsanspruch des Dienstgebers gegenüber der Arbeitsmarktverwaltung in Wahrheit nicht bestanden haben. Die hiemit in Widerspruch stehende Argumentation der Beschwerde, wonach der Angeklagte für die "berechtigten" Schlechtwettertage einen höheren Erstattungsanspruch hätte geltend machen können, ist daher unbegründet. Niedrigere Löhne hat der Beschwerdeführer seinem Geständnis zufolge (in den unrichtigen Aufzeichnungen) im übrigen nur deshalb ausgewiesen, weil die entsprechenden Aufzeichnungen auch der Vorlage an die Gebietskrankenkasse dienten und sich dadurch geringere Sozialversicherungsbeiträge errechneten.

Die auf eine schädigende Vermögensverfügung der Arbeitsmarktverwaltung abzielende Täuschung ist nach den Urteilsfeststellungen auf die einen tatsächlich nicht bestandenen Arbeitsausfall ausweisenden Rückerstattungsanträge und die gleichlautenden unrichtigen Lohnlisten zurückzuführen. Die Höhe des von ihm zu Unrecht verlangten Rückerstattungsbetrages hat der Beschwerdeführer nie bestritten. Näherer Feststellungen über den Inhalt der erwähnten falschen Lohnlisten bedurfte es somit der Beschwerde zuwider nicht.

Die Beschwerde ist hingegen im Recht, soweit sie sich gegen die rechtliche Beurteilung des urteilsgegenständlichen Sachverhaltes auch als gemäß dem § 147 Abs 1 Z 1 StGB qualifizierter schwerer Betrug wendet.

Entgegen der vereinzelt gebliebenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 31. Mai 1988, GZ 12 Os 51/88-7 (JBl. 1989, 189 ff mit kritischer Anmerkung Kienapfels) ist nach sonst im wesentlichen einhelliger Rechtsprechung und Lehre (siehe dazu Kienapfel, BT II2, RN 35 und 64 zu § 147, WK, Rz 3, 5 und 5 a (10 a.Lfg.) zu § 147 sowie Rz 140, 152 und 265 zu § 223 StGB und die dort jeweils angeführten weiteren Nachweise) davon auszugehen, daß echte Urkunden unrichtigen (unwahren) Inhalts vom Anwendungsbereich der Qualifikation des § 147 Abs 1 Z 1 StGB ausscheiden (siehe dazu auch Leukauf-Steininger StGB2, RN 8 und 10 zu § 147). Wenn das Erstgericht unter Berufung auf die angeführte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes annimmt, daß eine echte Urkunde unrichtigen Inhalts die nach dem § 147 Abs 1 Z 1 StGB qualifikationsbegründende Qualität eines falschen Beweismittels aufweist, vernachlässigt es die einhellige Lehre und Rechtsprechung, wonach die Bestimmung des § 147 Abs 1 Z 1 StGB jene Beweismittel nicht erfaßt, die dem Urkundenbegriff des § 74 Z 7 StGB entsprechen.

In diesem Zusammenhang sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, daß ungeachtet des Entfalls der Qualifikation des Betruges (auch) nach dem § 147 Abs 1 Z 1 StGB (als Folge dieser Erwägungen) gegen die Annahme der Qualifikation des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach dem § 148, zweiter Fall, StGB deswegen keine Bedenken bestehen, weil fünf der urteilsgegenständlichen betrügerischen Angriffe dem Tätervorsatz gemäß einen Schaden von je mehr als 25.000 S verursachten. Daraus kann aber auf der Basis der erstgerichtlichen Konstatierungen die Absicht des Angeklagten, sich auch durch die wiederkehrende Begehung von schadenbetragsmäßig zum schweren Betrug qualifizierten Betrugshandlungen eine fortlaufende Einnahme zu erzielen, rechtsrichtig abgeleitet werden.

Entgegen der Auffassung der Generalprokuratur und der in ihrer Stellungnahme angeführten Judikatur, die auch echte (Absichts-)Urkunden unwahren Inhalts als falsche Beweismittel verstanden wissen will (etwa EvBl. 1988/29, 12 Os 28, 29/87 (nv), 12 Os 157/88 (nv) ua), sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt, dem Angeklagten das ihm nach dem Schuldspruch zur Last liegende Verhalten zusätzlich als Vergehen der Fälschung eines Beweismittels nach dem § 293 Abs 2 StGB zuzurechnen.

Dieses Vergehen begeht nach der genannten Gesetzesstelle, wer ein falsches oder verfälschtes Beweismittel in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht. Nach der eingangs zitierten Judikatur und Lehrmeinung ist das Kriterium einer falschen = unechten Urkunde die Täuschung über die Identität des Ausstellers. Demnach ist eine Urkunde falsch, wenn sie nicht von dem herrührt, von dem sie herzurühren scheint (siehe dazu Kienapfel, BT II2, RN 34 zu § 147 mwN). Nach dem schon zu § 147 Abs 1 Z 1 StGB Ausgeführten kommt die Verwendung einer bloß unrichtigen Urkunde zur Verwirklichung des Urkundenbetruges nicht in Betracht, die gebotene teleologische Reduktion des Beweismittelbegriffs läßt aber auch die Unterstellung einer solchen Urkunde unter den Begriff eines falschen oder verfälschten (arg. "solchen" in § 147 Abs 1 Z 1 StGB) Beweismittels nicht zu.

Wollte man im Sinn der schon zitierten - im einzelnen anders gelagerte Fälle betreffenden - Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (entgegen Leukauf-Steininger StGB2, RN 18 und WK, Rz 8, je zu § 293 StGB) Urkunden unrichtigen Inhalts undifferenziert die Qualität eines falschen Beweismittels iS des § 293 StGB zuerkennen, müßte dies zwangsläufig zu einer "chamäleontischen" (WK, Rz 140 zu § 223), unter dem Gesichtspunkt des § 1 StGB bedenklichen, jedenfalls der Rechtssicherheit abträglichen "Mehrbegrifflichkeit" (Kienapfel, aaO Rz 152; RZ 1980, 225; ÖJZ 1984, 86 ua) der in den Bestimmungen des § 147 Abs 1 Z 1 und des § 293 StGB verwendeten gleichlautenden Begriffe führen. Für andere Gewährschaftsträger mögen "dogmatische und kriminalpolitische Überlegungen eine extensive Interpretation des Begriffes 'falsches Beweismittel' nahelegen" (abermals Kienapfel, RZ 1980, 225), für Urkunden iS des § 74 Z 7 StGB muß aber in der Frage des Wahrheitsproblems auf das zu § 147 Abs 1 Z 1 StGB Dargelegte zurückgegriffen werden. Damit scheiden "Lugurkunden" auch aus dem Anwendungsbereich des § 293 StGB aus.

Bei der zufolge Aufhebung des Strafausspruchs notwendig gewordenen Neubemessung der Strafe waren als erschwerend der lange Tatzeitraum und die sich der Qualifikation des § 147 Abs 3 StGB nähernde Schadenshöhe, als mildernd hingegen das reumütige Geständnis und der bisherige ordentliche Lebenswandel des Angeklagten sowie die teilweise Schadensgutmachung zu werten.

Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen war eine Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten tatschuldangemessen. Ungeachtet des längeren Tatzeitraums und der damit dokumentierten Intensität des Täterwillens schien mit Rücksicht auf die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten die bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe vertretbar, weil angenommen werden kann, daß auch die bloße Androhung der Vollziehung dieser Freiheitsstrafe genügen werde, um Ludwig A***** von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Auch generalpräventive Erwägungen stehen nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes der bedingten Nachsicht nicht entgegen.

Aus all diesen Erwägungen war wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.

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