OGH 14Os92/91

OGH14Os92/9115.10.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Oktober 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofbauer als Schriftführerin, im Verfahren zur Unterbringung des Anton L***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 1 StGB (§§ 99 Abs. 1, 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB) über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 22.Juli 1991, GZ 12 Vr 957/90-35, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser, und des Verteidigers Dr. Krepp, jedoch in Abwesenheit des Betroffenen zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und es werden

1.) das angefochtene Urteil, das im Ausspruch über die Begehung der im Urteilssatz bezeichneten Taten als solche unberührt bleibt, im Ausspruch darüber, daß Anton L***** diese Taten nicht unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, begangen hat, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Anrechnung der vorläufigen Anhaltung) und im Ausspruch über die Kostenersatzpflicht; sowie

2.) der Beschluß auf Widerruf einer bedingten Entlassung aufgehoben.

Gemäß § 288 Abs. 2 Z 1 StPO wird im Umfang der Aufhebung eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Erstgericht verwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Anton L***** entgegen dem auf seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 1 StGB gerichteten Antrag der Staatsanwaltschaft (§ 429 Abs. 1 StPO) der Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB (1) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB (2) schuldig erkannt und hiefür bestraft (§ 434 Abs. 1 StPO). Gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO wurde der Widerruf einer bedingten Entlassung (AZ 20 BE 66/89 des Kreisgerichtes Leoben) ausgesprochen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat Anton L***** am 5. September 1990

1. in Pöls die Cäcilia F***** widerrechtlich gefangengehalten, indem er sie in ihrer Wohnung Gusterheimerweg Nr. 7 einsperrte;

2. während der Überstellung von Gusterheim nach Judenburg und von dort nach Graz die begleitenden Gendarmeriebeamten Horst L*****, Peter S***** und Manfred B***** durch die wiederholte Äußerung, er werde sie umbringen, mit dem Tod gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Die gegen diesen Schuldspruch aus dem Grunde der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet.

Rechtliche Beurteilung

Das Schöffengericht bejahte die Zurechnungsfähigkeit (§ 11 StGB) des Anton L***** zur Zeit der Verübung der Anlaßtaten (5.September 1990) auf Grund dessen persönlichen, "zurechnungsfähigen" und schuldeinsichtigen Eindruckes in der Hauptverhandlung, der "durchaus geordneten" Schilderung seiner Tathandlungen durch ihn, des Umstandes, daß er bereits am 12. Oktober 1990 aus dem Landessonderkrankenhaus entlassen, dort erst im Zuge der eingeleiteten Voruntersuchung am 18.Feber 1991 wieder eingewiesen wurde, ohne daß er in der Zwischenzeit irgendwelche Aggressionshandlungen oder Gewalttätigkeiten gesetzt habe, nahezu keine aggressiven Tendenzen mehr zeige, im nüchternen Zustand ein durchaus friedlicher Mensch sei und nur im alkoholisierten Zustand zu Aggressionen und Gewalttätigkeiten neige. Der Umstand allein, daß Anton L***** seit Jahren ständig Alkoholmißbrauch betreibe und daraus ein starker geistiger Abbau resultiere, sei kein Einweisungsgrund nach § 21 Abs. 1 StGB (US 13 ff).

Diese, die Grundvoraussetzungen einer Entscheidung über die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 1 (oder Abs. 2) StGB betreffende - und daher mit Nichtigkeitsbeschwerde anfechtbare (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 4 zu § 433) - Begründung zur Frage der Schuldfähigkeit, ob Anton L***** also die Anlaßtaten unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB) begangen hat und zu der weiteren Frage, ob der (allenfalls auch die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließende und daher eine - vom Erstgericht überhaupt nicht erwogene - Unterbringung nach § 21 Abs. 2 StGB rechtfertigende) Zustand auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, ist mangelhaft (Z 5).

Das Erstgericht lehnte die übereinstimmenden Gutachten der beiden beigezogenen psychiatrischen Sachverständigen, die sowohl die Zurechnungsunfähigkeit als auch die übrigen Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 (und damit auch des Abs. 2) StGB bejahten, ab, ohne sich allerdings in zureichendem Maße mit dem Inhalt dieser beiden Gutachten auseinanderzusetzen. Nach Meinung der Sachverständigen habe der Betroffene schon zur Zeit der Anlaßtaten, nachdem er bis dahin nicht weniger als 15-mal wegen Verdachtes aggressiver Psychopathie bzw. der Psychose in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden war, an einem durch Alkoholmißbrauch hervorgerufenen massiven und offenbar progressiven Persönlichkeitsabbau sowie einem durch Aggressivität, Affektlabilität und paranoide Ideen gekennzeichneten, mit einem anlagebedingten höhergradigen Schwachsinn verbundenen organisch-toxischen Psychosyndrom gelitten, welcher Zustand Zurechnungsunfähigkeit zur Zeit der Anlaßtaten bewirkt habe und als geistig-seelische Abartigkeit höheren Grades einzustufen sei. Nach der Person, dem Zustand des Betroffenen und nach der Art der Tat sei zu befürchten, daß er in Zukunft Delikte jeglicher Art "gegen Hab und Gut und Leben" bzw. "Gewalthandlungen bis zum Totschlag" - also mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen im Sinne des § 21 StGB - begehen werde (ON 9 und ON 20 sowie S 186 ff).

Da die oben wiedergegebene Urteilsbegründung nicht erkennen läßt, aus welchen Erwägungen das Erstgericht diesen Inhalt der beiden Gutachten für nicht stichhältig erachtete, ist das Urteil in bezug auf die erwähnten Grundvoraussetzungen der vorbeugenden Maßnahme unvollständig begründet (Nichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z 5 StPO). In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher der erstinstanzliche Ausspruch über die Schuldhaftigkeit der Tatbegehung durch Anton L***** (nicht auch der - unbestrittene - Ausspruch über die Tatbegehung als solche), demzufolge auch der Ausspruch einer Strafe und der schuldspruchabhängige Widerrufsbeschluß (§ 494 a Abs. 1 Z 4 StPO) sowie - mangels eines Schulderkenntnisses (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 3 zu § 389) - der Ausspruch über die Kostenersatzpflicht aufzuheben. Die subsidiär erhobene, gegen die Nichtannahme einer spezifischen Gefährlichkeit im Sinne des § 21 Abs. 2 StGB gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft ist damit nicht mehr aktuell.

In der neuen Hauptverhandlung wird nach ergänzender Befragung der psychiatrischen Sachverständigen zu klären und mängelfrei zu begründen sein, ob der Betroffene zur Tatzeit wegen eines der im § 11 StGB bezeichneten Zustände (Geisteskrankheit, Schwachsinn, tiefgreifende Bewußtseinsstörung oder andere schwere, einem dieser Zustände gleichwertige seelische Störungen) unfähig war, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder/und nach dieser Einsicht zu handeln, ob ferner im Sinne des § 21 (Abs. 1 oder Abs. 2) StGB dieser Zustand, unter dessen Einfluß diese Taten allenfalls begangen wurden (gleichviel, ob er Zurechnungsunfähigkeit bewirkte oder nicht), auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, d.h. einer schweren, die Willensbildung wesentlich beeinflussenden Abnormität beruhte und ob schließlich nach der Person des Betroffenen, seinem Zustand und nach der Art seiner Taten konkret zu befürchten ist, daß er sonst unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

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