Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 17.022,60 (darin S 2.837,10 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger stürzte am 20. Mai 1984 bei Gartenarbeiten aus 2 m Höhe von einer Leiter und zog sich einen Drehbruch im oberen Drittel des linken Oberarmknochens sowie eine mit Erde verschmutzte, leicht blutende Schürfwunde an der Innenseite des Oberarmes zu. Der Bruch wurde im A***** U*****krankenhaus in G*****, einem von der Beklagten unterhaltenen Spital, ambulant mit einem Gipsverband versorgt. Eine Schutzimpfung gegen Tetanus erfolgte nicht. Wegen am folgenden Tag aufgetretener Schmerzen und Fiebers wurde der Kläger am 21. Mai 1984 stationär in das Krankenhaus aufgenommen. Eine wegen zunehmender Schmerzen verfügte Kontrolle des Gipsverbandes ergab, daß dieser entgegen den Beteuerungen des Klägers nicht zu eng war. Der Kläger erhielt schmerzstillende Mittel. Am folgenden Tag war der Kläger fieber-, aber nicht schmerzfrei. In der Nacht vom 22. auf den 23. Mai wurden die Schmerzen so heftig, daß die Nachtschwester verständigt wurde. Diese verabreichte dem Kläger ohne Beiziehung eines Arztes schmerzstillende Mittel und eine Injektion. Bei der Morgenvisite am 23. Mai, bei welcher der Kläger auf seine starken Schmerzen hinwies, beschränkte der behandelnde Arzt die Behandlung darauf, weitere Schmerzmittel zu verordnen. Eine Blutzuckeruntersuchung ergab erheblich erhöhte Blutzuckerwerte, die sich trotz gezielter Therapie kaum beeinflussen ließen. Eine Erhöhung der Blutzuckerwerte ist nicht immer Folge des Unfalles und des erlittenen Schocks, sondern sehr häufig Ausdruck einer Infektion. Es ist allgemein bekannt, daß, so lange eine Infektion besteht, die Blutzuckerwerte nicht einstellbar sind. Da die Schmerzen weiter zunahmen, wurde am 24. Mai 1984 der Gipsverband abgenommen. Es wurden Schwellungen im Bereich des rechten Ober- und Unterarmes festgestellt. Eine Röntgenkontrolle ergab ein Abszeß im Frakturbereich und Gasansammlungen in den Weichteilen. Die behandelnden Ärzte widmeten jedoch ihr Augenmerk nur der Fraktur, die sich in guter Position befand und beschränkten die Therapie weiter auf Verabreichung schmerzstillender Mittel und von Medikamenten gegen den hohen Blutzucker. Der Gesundheitszustand des Klägers verschlechterte sich laufend. Erst nachdem am folgenden Tag (25. Mai 1984) auf dem prall geschwollenen Handrücken des Klägers eine Spannungsblase eröffnet und weitere zwei Stunden später bereits der Puls nicht mehr tastbar war, wurde der Kläger wegen des Verdachtes eines Gefäßverschlusses zur Arteriographie in das zentrale Röntgeninstitut des Krankenhaus G***** überführt, wo der zuständige Arzt die bereits weit fortgeschrittene Erkrankung an Gasbrand diagnostizierte. Zur Abwendung der drohenden Lebensgefahr war die sofortige Amputation des linken Armes ab dem Schultergelenk erforderlich. In der Folge traten ein Wundstarrkrampf und metastasenhafte Eiterungen auf, die weitere operative Eingriffe erforderlich machten.
Unter Einhaltung der geforderten besonderen ärztlichen Sorgfalt wäre es möglich gewesen, die in Friedenszeiten höchst seltene Gasbrandinfektion etwa zwei bis drei Tage früher zu erkennen, hätte man bereits am 22. oder 23. Mai dem erhöhten Blutzuckerwert mehr Beachtung geschenkt, vor allem auch ein Blutbild gemacht und den nicht auf den Gipsverband zurückzuführenden Schmerzen und dem aufgetretenen Fieber sowie insbesondere den auf dem Röntgenbild bereits erkennbaren Gasansammlungen Beachtung geschenkt. Bei einem um zwei oder drei Tage früheren Erkennen der Gasbrandinfektion wäre eine Armamputation mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden worden. Durch eine wegen der Schürfwunde erforderliche Tetanusinjektion schon anläßlich der Anlegung des Gipsverbandes wäre es nicht zu einer Aufpfropfung einer Tetanusinfektion mit Beatmungsschwierigkeiten in der septischen Intensivstation gekommen.
Der Kläger begehrt von der Beklagten als Spitalerhalterin Leistungen von insgesamt S 1,682.960,86 und erhebt ein Feststellungsbegehren. Auf Grund von als Kunstfehler zu wertenden Unterlassungen sei die Infektion mit Gasbranderregern nicht erkannt worden. Bei rechtzeitigem Erkennen und Einsetzen der Behandlung wären die Amputation des linken Armes und eine Tetanusinfektion zu vermeiden gewesen. Die Beklagte habe dem Kläger daher Schmerzengeld, Verdienstausfall und weitere ursächliche Kosten zu ersetzen.
Die Beklagte wandte ein, die durch die Gasbrandinfektion notwendige Amputation des linken Armes sei nicht auf einen Kunstfehler der Ärzte oder Schwestern der Beklagten zurückzuführen. Gasbrandinfektionen nach Knochenbrüchen kämen in Friedenzeiten praktisch nicht vor. Ein Fall wie der vorliegende werde in der Literatur nicht behandelt, so daß eine Früherkennung nicht möglich gewesen sei. Selbst unter dieser Voraussetzung wäre aber eine Amputation unvermeidlich gewesen. Es habe sich um ein tragisches schicksalhaftes Ereignis gehandelt, das nicht vermeidbar gewesen sei.
Das Erstgericht bejahte die Haftung der Beklagten, verurteilte diese mit Teilurteil zur Zahlung des vom Kläger begehrten Schmerzengeldes von S 745.000 und gab dem Feststellungsbegehren statt. Bei der Behandlung des Klägers sei nicht jene medizinisch gebotene Sorgfalt aufgewendet worden, welche zu einer rascheren Einengung der Differentialdiagnose geführt hätte. Für den Nachweis des Kausalzusammenhanges genüge es, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spreche, daß der Schaden durch das Verhalten der Beklagten oder ihrer Erfüllungsgehilfen eingetreten sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte rechtlich aus, der von der Beklagten zu vertretende Kunstfehler liege in der Unterlassung aller jener medizinischen Maßnahmen, die angesichts des objektiven Befundes zu ergreifen gewesen wären, um eine mögliche Amputation des linken Armes zu vermeiden. Der Kläger habe damit einen ärztlichen Kunstfehler nachgewiesen. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, den Nachweis zu liefern, daß ihre Erfüllungsgehilfen kein Verschulden treffe. Dies sei ihr nicht gelungen. Das rechtswidrige nicht rechtzeitige Erkennen einer Infektion der Bruchstelle verbunden mit dem nach den Umständen des Einzelfalles möglichen höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit der Vermeidung des eingetretenen Erfolges bei rechtmäßigem Handeln schließe eine Haftungsbefreiung aus. Wenn auch die Chancen für die Erhaltung des linken Armes bei entsprechend früh einsetzender Therapie nur mit hoher Wahrscheinlichkeit gewahrt gewesen seien, so sei dies im Anlaßfall angesichts der Schwierigkeit der Beurteilung der Erfolgschancen aus naturwissenschaftlicher Sicht noch ausreichend, um den Erfordernissen des Kausalzusammenhanges zu genügen.
Da der Oberste Gerichtshof in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung (JBl 1990, 524 mit Kritik von Holzer) ausgesprochen habe, daß nach dem Grundsatz der alternativen Kausalität eine Schadensteilung vorzunehmen sei, die im Zweifel zur Schadenstragung zu gleichen Teilen führe, wenn ein schuldhafter Behandlungsfehler des Arztes mit einem den Patienten treffenden Zufall konkurriere, sei die Revision zuzulassen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revision, die das Berufungsurteil nur mehr insoweit anficht, als dem Kläger ein über das halbe Leistungsbegehren hinausgehender Betrag zugesprochen und die Haftung der Beklagten über die Hälfte des Gesamtschadens festgestellt wurde, kommt keine Berechtigung zu. Da die entgegen dem Standpunkt der Beklagten getroffene Feststellung, der Arm wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit bei rechtzeitiger Erkennung des Gasbrandes zu retten gewesen, im Revisionsverfahrens nicht mehr bekämpfbar sei, werde nur mehr der Einwand aufrechterhalten, daß das Auftreten des Gasbrandes als (außerordentlich unglücklicher) Zufall zu werten sei, der dem Geschädigten zugerechnet werden müsse, sodaß es zu einer Schadensteilung zu kommen habe.
Die beklagte Partei verkennt, daß sich das schon in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes JBl 1986, 576 ausführlich erörterte Problem der alternativen Kausalität hier gar nicht stellt. Der erkennende Senat hat schon in seiner Entscheidung 6 Ob 702/89 dargelegt, daß die Ursächlichkeit bestimmter Umstände für den Eintritt gesundheitsschädigender Folgen naturwissenschaftlich nicht immer mit Sicherheit beweisbar ist. Vielfach kann der Schadenseintritt daher weder eindeutig dem dem Patienten zuzurechnenden natürlichen Risiko noch dem unterlaufenen Kunstfehler der Ärzte zugewiesen werden. Haben die Erfüllungsgehilfen durch den ihnen unterlaufenen Kunstfehler zwar nicht unmittelbar gegen ein Schutzgesetz, aber gegen die behandlungsvertragliche Verpflichtung zur Vornahme alles dessen, was nach den "anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft" (§ 8 Abs 2 KAG) geboten erscheint, verstoßen, dann bürdet diese erwiesene Vertragsverletzung der Beklagten - ähnlich wie bei der Verletzung eines Schutzgesetzes - den vollen Beweis dafür auf, daß das nach Erfahrung und logischer Erwägung vom Patienten zu tragende natürliche Behandlungsrisiko einer bleibenden Gesundheitsschädigung wesentlich erhöhende Verhalten (hier Unterlassen einer Reihe von Maßnahmen und Fehleinschätzungen zur frühestmöglichen Erkennung der Infektion) im konkreten Behandlungsfall mit größter Wahrscheinlichkeit für die eingetretenen Folgen unwesentlich geblieben sei. Im vorliegenden Fall vermochte die Beklagte nicht nur diesen Beweis nicht zu erbringen; es steht vielmehr irrevisibel fest, daß bei medizinisch richtigem und rechtzeitigem Handeln der Erfüllungsgehilfen der Beklagten mit großer Wahrscheinlichkeit die Armamputation vermeidbar gewesen wäre.
Unter diesen Umständen besteht aber kein rechtlicher Grund für eine Kürzung der Schadenersatzansprüche des Klägers wegen eines ihm zuzurechnenden Zufalles. Der in JBl. 1990, 524 veröffentlichten Entscheidung vermag der erkennende Senat aus den von Holzer in seiner Entscheidungsbesprechung (JBl. 1990, 526) überzeugend ausgeführten Gründen nicht zu folgen.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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