OGH 15Os110/91

OGH15Os110/9126.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.September 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofbauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Herbert P***** wegen des Vergehens der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. Mai 1991, GZ 4 d Vr 6391/90-16, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Herbert P***** des Vergehens der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 14.Mai 1990 in Wien außer den Fällen des § 201 StGB eine Person mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, indem er der Susana S***** einen festen Stoß versetzte, so daß diese auf eine Schreibmaschine zu liegen kam, und sodann ihre Brust abtastete und streichelte sowie sein Knie zwischen ihre Oberschenkel zwängte.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf § 281 Abs. 1 Z 4, 5, 5 a sowie 9 lit a und b StPO gestützt wird.

In der Hauptverhandlung beantragte der Beschwerdeführer die Durchführung eines Lokalaugenscheines zum Beweise dafür, daß die Zeugin A***** "etwas vom Vorfall hätte mitbekommen müssen, wenn es sich so abgespielt hätte, wie von der Zeugin S***** behauptet" (S 129).

Diesen Beweisantrag wies das Schöffengericht mit Zwischenerkenntnis gemäß § 238 StPO mit der Begründung ab, daß das Beweisthema eine reine Frage der Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Aussage der Zeugin S***** sei (S 130). In den Urteilsgründen wurde hiezu ergänzend ausgeführt, daß sich die zur Tatzeit herrschende Geräuschkulisse nicht mehr exakt nachstellen lasse, daß aus der Nichtwahrnehmung des Vorfalls durch die Zeugin A***** nicht zwingend erschlossen werden könne, der Vorfall hätte sich überhaupt nicht ereignet und daß die Zeugin S***** auf den Übergriff nicht mit lautem Schreien, sondern lediglich mit erhobener Stimme reagiert habe, was angesichts der Örtlichkeit (das Zimmer, in dem die Tat verübt wurde, war vom Aufenthaltsort der Zeugin A***** durch einen 4 m langen Raum getrennt) kaum wahrgenommen werden konnte (S 145).

Zu Unrecht erachtet sich der Nichtigkeitswerber durch die Ablehnung dieses Beweisantrages in seinen Verteidigungsrechten verletzt. Durch die Vornahme des beantragten Lokalaugenscheins kann nämlich bei der gegebenen Sachlage keine zusätzliche Aufklärung über erhebliche Tatsachen erwartet werden (vgl § 254 Abs. 1 StPO). Abgesehen von dem in Richtung eines unzulässigen Erkundungsbeweises laufenden und daher unzureichend konkretisierten Beweisthema, welches offen läßt, auf Grund welcher konkreten Umstände die Zeugin A***** - die "am Gang auf und ab gegangen" ist (S 40, 127) und ohnedies bekundete, daß beim Hinausgehen die Tür "zugeschlagen" wurde und daß Susana S*****, der die Zeugin A***** nicht ins Gesicht geschaut hatte, mit ihrem Bruder (nach dessen Aussage man nicht hören konnte, was drinnen geredet wurde - S 125) "weggestürmt" ist (S 128) - "etwas vom Vorfall hätte mitbekommen müssen", hat die Zeugin S***** auf die in Rede stehenden Angriffe des Rechtsmittelwerbers (verbal nur) dahin reagiert, daß sie sagte: "Was machen Sie da; ich werde hinuntergehen." (S 51) bzw ohne zu schreien "laut" bzw "ziemlich laut" sagte: "Gehen Sie weg von mir" (S 52, 121, 122).

Angesichts dieser Umstände und der nicht reproduzierbaren Lautstärke der verbalen Reaktion der Susana S***** ist daher die Vornahme eines Ortsaugenscheines nicht zielführend, weshalb durch dessen Nichtdurchführung Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verkürzt wurden.

Auch die Mängelrüge (Z 5) erweist sich als unbegründet.

Das Schöffengericht hat den den Angeklagten belastenden Aussagen der Zeugin S***** Glauben zuerkannt, seiner Verantwortung jedoch die Glaubwürdigkeit versagt.

Der Beschwerdeführer vermeint zunächst, das Erstgericht hätte den persönlichen Eindruck, den es vom Nichtigkeitswerber und der erwähnten Zeugin gewonnen hatte, nicht bei der Beweiswürdigung berücksichtigen dürfen, weil dies im Widerspruch zur ständigen Judikatur stehe, wonach die Beweiswürdigung ein rationaler Vorgang zu sein habe. Dabei verkennt die Beschwerde aber das Wesen der im § 258 Abs. 2 StPO normierten freien Beweiswürdigung, bei welcher sehr wohl auch der persönliche Eindruck von Personen bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit ihrer Aussagen herangezogen werden darf (vgl RZ 1964, 38 und die übrigen bei Mayerhofer-Rieder, StPO3, ENr 6 zu § 281 Z 5 angeführte Judikatur).

Mit Recht haben daher die Tatrichter bei Prüfung der Frage, ob der Verantwortung des Rechtsmittelwerbers oder der Aussage der Zeugin S***** der Vorzug zu geben ist, den persönlichen Eindruck dieser Personen mitberücksichtigt. Darüber hinaus haben sie in einer den Denkgesetzen entsprechenden und demnach mängelfreien Weise begründet, warum sie die Verantwortung des Angeklagten für unglaubwürdig erachteten, den die Darstellung des Tatherganges betreffenden Angaben der Zeugin S***** aber folgten. Dabei wurden auch verschiedene Widersprüche in der Aussage dieser Zeugin erörtert und es wurde begründet, warum diese Widersprüche der Glaubwürdigkeit dieser Zeugenaussage keinen Abbruch tun.

So gesehen erweist sich das gesamte weitere Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO in Wahrheit als unzulässiger Angriff auf die Beweiswürdigung der Tatrichter. Denn der Versuch, die vom Erstgericht aufgezeigten Widersprüche in der Verantwortung des Beschwerdeführers als nicht erheblich oder auf einem Irrtum beruhend zu bezeichnen, zeigt keinen Begründungsmangel des Ersturteils in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes auf. Gleiches gilt für weitere, von der Beschwerde ins Treffen geführte Widersprüche in der Aussage der Zeugin S*****. Denn diese betreffen zum einen nicht den im Urteilsspruch festgehaltenen tatbestandsbezogenen Sachverhalt, zum anderen war das Schöffengericht angesichts des Gebotes der gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO) nicht gehalten, sich auch mit weiteren, von der Beschwerde ins Treffen geführten Widersprüchen auseinanderzusetzen, zumal es - wie schon

ausgeführt - Ungereimtheiten in bezug auf das Randgeschehen und auf Umstände, die nicht den strafrechtlich relevanten Vorfall betrafen, mit zureichender Begründung keine entscheidende Bedeutung beimaß.

Auch das Vorbringen in der Tatsachenrüge (Z 5 a), das Zweifel an der Täterschaft des Nichtigkeitswerbers zu erwecken trachtet, ist nicht begründet. Nach eingehender Prüfung der zu diesem Nichtigkeitsgrund vorgebrachten Einwände in Verbindung mit dem bezüglichen Akteninhalt gelangt der Oberste Gerichtshof zur Überzeugung, daß damit gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen - bei Bedacht auf § 258 Abs. 2 StPO - keine erheblichen Bedenken dargetan werden.

Die Rechtsrügen (Z 9 lit a und b) gelangen nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung, weil sie nicht den gesamten Urteilssachverhalt mit dem darauf angewendeten Strafgesetz vergleichen.

Indem der Rechtsmittelwerber das Vorliegen ernstlicher Gewaltanwendung in Abrede stellt (Z 9 lit a), weil es sonst dem 15 Jahre alten Opfer nicht gelingen hätte können, den 45 Jahre alten Angeklagten wegzustoßen, übergeht er die Urteilsfeststellung, daß dieses Wegstoßen mit den - ersichtlich beschuhten - Füßen des Mädchens erfolgte. Ein derartiges Mittel ist aber - was der Vollständigkeit halber anzumerken ist - durchaus geeignet, auch eine ernstliche Gewaltanwendung eines 45 Jahre alten Mannes abzuwehren.

Mit dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 9 lit b StPO hinwieder behauptet der Beschwerdeführer das Vorliegen des Strafaufhebungsgrundes des Rücktritts vom Versuch "iS des § 16 StGB". Selbst wenn ihn, so vermeint er, die Zeugin zurückgestoßen hätte, wäre die Möglichkeit der Fortsetzung der behaupteten Aktion ganz eindeutig offen geblieben, weil sich die grundsätzlichen Voraussetzungen damit nicht geändert hatten; er hätte nunmehr gewußt, daß sich die Zeugin nicht freiwillig irgendwelche sexuelle Handlungen gefallen lassen würde. Der Rücktritt vom Versuch bloß wegen Kenntnisnahme dieses Umstands sei ein freiwilliger, weil dadurch ohne Zwang auf die tatbestandsmäßig erforderliche und weiterhin mögliche weitere Gewaltanwendung verzichtet worden sei.

Mit diesem Vorbringen aber übergeht er die Feststellung in US 6:

"Obwohl die Zeugin den Angeklagten mit den Worten 'Gehen Sie weg von mir' mit erhobener Stimme aufforderte, von ihr abzulassen, streichelte er das Mädchen weiter. Schließlich gelang es ihr, den Angeklagten mit den Füßen wegzustoßen und konnte sie sich dadurch von ihm befreien". Nach diesen Konstatierungen unterblieb die Tatvollendung durch die Abwehrhandlungen der Zeugin S***** und nicht auf Grund eines freiwilligen Verzichts des Nichtigkeitswerbers von der Fortsetzung der (als Versuch beurteilten) Tathandlung.

Die zum Teil nicht dem Gesetz gemäß ausgeführte, im übrigen aber offenbar unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs. 1 Z 1 StPO iVm § 285 a Z 2 StPO; § 285 d Abs. 1 Z 2 StPO).

Gemäß § 285 i StPO ist zur Entscheidung über die Berufungen der Gerichtshof zweiter Instanz zuständig.

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