Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die einschließlich S 301,50 mit S 1.811,10 bestimmten halben Revisionskosten zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 17. November 1989 wies die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag der Klägerin vom 20. Oktober 1989 auf Witwenpension nach ihrem am 10. September 1989 verstorbenen geschiedenen Ehegatten ab, weil ihr dieser zur Zeit seines Todes nicht aufgrund eines im § 258 Abs 4 ASVG genannten Titels Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) zu leisten gehabt habe.
Die dagegen rechtzeitig erhobene, auf die abgewiesene Leistung im gesetzlichen Ausmaß vom 11. September 1989 an gerichtete Klage stützt sich im wesentlichen darauf, daß der geschiedene Ehegatte nach dem Gesetz (§ 69 Abs 2 EheG) schuldig gewesen sei, der Klägerin vom 1. August 1988 bis 30. September 1989 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 500,-- zu zahlen. Sie habe daher den (Allein)Erben ihres geschiedenen Ehegatten, Ernst K*****, beim Bezirksgericht J***** auf diesen Unterhaltsbeitrag geklagt. In der Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vom 18. April 1990 ergänzte die Klägerin, daß diese Klage mit rechtskräftigem Anerkenntnisurteil des Bezirksgerichtes J***** vom 7. März 1990 erledigt worden sei.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, gegen die sie ua einwendete, daß der geschiedene Ehegatte der Klägerin dieser zur Zeit seines Todes nicht aufgrund eines im § 258 Abs 4 ASVG genannten Unterhaltstitels Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) zu leisten gehabt habe.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Es ging von folgenden wesentlichen Tatsachenfeststellungen aus:
Die zwischen der nunmehrigen Klägerin und Ernst K***** am 29. September 1951 geschlossene Ehe wurde mit (rechtskräftigem) Urteil vom 14. Juli 1988 auf Klage des Ehemannes nach § 55 Abs 3 EheG mit dem Ausspruch nach § 61 Abs 3 leg cit geschieden, daß der damalige Kläger die Zerrüttung allein verschuldet hat. Der Rechtsanwalt der damaligen Beklagten fragte den damaligen Kläger in der Scheidungsverhandlung vom 14. Juli 1988, ob er zu einer Unterhaltsleistung bereit wäre, was dieser verneinte. Der genannte Vertreter hatte nach den ihm von seiner Mandantin mitgeteilten Zahlen errechnet, daß ihre Pension mehr als 40 % des Gesamteinkommens beider Ehegatten betrug und ging daher davon aus, daß seine Mandantin (damals) keinen Unterhaltsanspruch gegen den Ehemann habe. Deshalb hielt er in einem an diesen gerichteten Schreiben vom 15. Juli 1988 fest, daß er ihm gegenüber die bindende Erklärung abgegeben habe, daß seine geschiedene Ehegattin derzeit keinen Unterhalt begehre. Der geschiedene Ehemann bezog eine Pension, deren Höhe vom 1. Jänner 1989 an S 11.253,40 brutto und S 10.255,80 netto betrug, sowie eine Rente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin von S 309,10 DM (Stand 1. Februar 1988). Der geschiedene Ehemann der Klägerin starb am 10. September 1989. Sein Nachlaß wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes J***** vom 3. Oktober 1989 seinem Sohn, Ernst K***** jun, zur Gänze eingeantwortet. Am 6. Februar 1990 klagte die Klägerin diesen Erben, der auch ihr Sohn ist, auf Zahlung von S 7.000,-- samt 4 % Zinsen seit dem Klagstag, weil ihr seit 1. August 1988 ein monatlicher Unterhaltsanspruch auf S 500,-- gegen ihren geschiedenen Ehemann zugestanden wäre. Der Beklagte anerkannte das Klagebegehren in der Tagsatzung vom 7. März 1990 zur Gänze, worauf auf Antrag der Klägerin in dieser Tagsatzung ein Anerkenntnisurteil erging.
Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes müsse das gerichtliche Urteil, aufgrund dessen der Versicherte zur Zeit seines Todes dem geschiedenen Ehegatten Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) zu leisten hatte, im Zeitpunkt des Todes des Versicherten bereits ergangen sein. Diese Auslegung entspreche dem Wortlaut und dem Zweck des § 258 Abs 4 ASVG, der dem hinterbliebenen geschiedenen Ehegatten unter den normierten Voraussetzungen einen Ersatz für den durch den Tod des Versicherten entgehenden Unterhalt bieten und jede denkbare Manipulation der Anspruchsvoraussetzungen weitgehend ausschließen solle. Gerade der vorliegende Fall zeige, wie nach dem Tod des Versicherten durch das Zusammenwirken der geschiedenen Ehegattin mit dem Erben ein vorher nicht bestandener Unterhaltstitel geschaffen werden könne.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge.
Der Versicherte müsse aufgrund eines im § 258 Abs 4 ASVG genannten Titels zur Zeit seines Todes unterhaltspflichtig gewesen sein. Daß Unterhaltsansprüche nach der jüngsten Rsp des Obersten Gerichtshofes grundsätzlich auch für die Vergangenheit geltend gemacht werden können, ändere daran nichts, weil die Klage und das Anerkenntnisurteil erst nach dem Tod des Versicherten erhoben worden bzw ergangen seien und zur Zeit seines Todes eine titelmäßige Unterhaltsverpflichtung nicht festgestanden sei.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Revision ist nicht berechtigt.
Nach § 258 Abs 4 ASVG in der hier anzuwendenden, seit 1. Jänner 1988 geltenden Fassung der 44. ASVGNov BGBl 1987/609 gebührt die Pension nach Abs 1, also die Witwen(Witwer)pension, nach Maßgabe der Abs 2 und 3 1. der Frau ..., deren Ehe mit dem Versicherten ... geschieden worden ist, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) aufgrund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor Auflösung (...) der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte, und zwar sofern und solange die Frau nicht eine neue Ehe geschlossen hat.
Die Revisionswerberin vermeint, das Anerkenntnisurteil vom 7. März 1990 wäre ein gerichtliches Urteil, aufgrund dessen ihr der geschiedene Ehegatte zur Zeit seines Todes (10. September 1989) einen Unterhaltsbeitrag zu leisten hatte.
Diese Frage ist schon deshalb zu verneinen, weil die Klägerin ihren allfälligen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehegatten bis zu dessen Tod nicht einmal eingeklagt hat. Erst am 6. Februar 1990, also fast fünf Monate nach dem Todestag, klagte sie den Sohn, dem der gesamte Nachlaß eingeantwortet worden war, auf Zahlung eines Unterhaltsrückstandes von S 7.000,--, weil ihr gegen den Erblasser vom 1. August 1988 bis 30. September 1989 ein monatlicher Unterhaltsanspruch von S 500,-- zugestanden wäre. Weil der beklagte Alleinerbe das auf Zahlung der behaupteten Erblasserschulden gerichtete Begehren zur Gänze anerkannte, wurde gegen ihn auf Antrag der Klägerin am 7. März 1990 das erwähnte Anerkenntnisurteil erlassen.
Aufgrund dieses fast sechs Monate nach dem Tod des geschiedenen Ehegatten ergangenen Urteils hatte daher nicht der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin einen laufenden Unterhaltsbeitrag zu leisten. Vielmehr wurde sein Erbe verurteilt, der Klägerin binnen 14 Tagen einen Unterhaltsrückstand von S 7.000,-- samt Zinsen und Kosten zu zahlen, weil der Erblasser für die Monate August 1988 bis September 1989, also für die Vergangenheit, die ihr nach dem Gesetz angeblich zustehenden, zu seinen Lebzeiten aber weder außergerichtlich noch gerichtlich geltend gemachten monatlichen Unterhaltsbeiträge von S 500,-- nicht geleistet hatte.
Im vorliegenden Fall muß daher zur Frage, ob im Zeitpunkt des Todes des Versicherten bereits ein Urteil, allenfalls sogar ein rechtskräftiges Urteil vorliegen muß oder ob für den Fall der späteren Stattgebung des Klagebegehrens bereits die Einbringung der Klage bei Lebzeiten des Versicherten genügt, nicht Stellung genommen werden.
Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Ehe der Klägerin gem § 55 Abs 3 iVm § 61 Abs 3 EheG geschieden wurde. Auch im Hinblick auf die begünstigende Regelung des § 264 Abs 5 ASVG kommt nämlich eine teleologische Reduktion des § 258 Abs 4 ASVG dahin, daß in diesen Fällen das Erfordernis des nach dieser Gesetzesstelle geforderten qualifizierten Unterhaltstitel entfallen könnte, nicht in Frage.
Die Schaffung der Bestimmung des § 264 Abs 5 ASVG erfolgte im Zusammenhang mit der Novellierung des EheG - Einführung der Scheidung nach § 55 Abs 3 EheG, ohne Möglichkeit eines Widerspruches nach länger als 6 Jahre aufgelöster ehelicher Gemeinschaft. Diese Reform wurde mit BGBl 1978/280 sowie BGBl 1978/303 eingeführt. Die Beschlußfassung über das Reformwerk war allerdings schon für einen früheren Zeitpunkt vorgesehen und es hat bereits die RV zur 32. ASVGNov die begleitenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen vorgesehen. Nach diesem Entwurf (181 BlgNR 14. GP, 21 f) sollte dem § 258 ASVG ein Abs 5 angefügt werden. Darin sollte für den hier in Frage stehenden Fall eine Sonderregelung getroffen werden. Für die nach § 55 Abs 3 EheG geschiedene Frau sollte § 258 Abs 4 ASVG nicht gelten; unabhängig von den Voraussetzungen des § 258 Abs 4 sollte sie unter den weiteren Voraussetzungen des § 258 Abs 5 des Entwurfes (diese entsprachen den nunmehr in § 264 Abs 5 angeführten Voraussetzungen) in jedem Fall Anspruch auf Witwenpension haben. Diese Bestimmung wurde nicht Gesetz.
Die sozialversicherungsrechtlichen Begleitmaßnahmen zur Scheidungsreform wurden im selben Bundesgesetz (BGBl 1978/280) angeordnet; die besonderen Bestimmungen finden sich nunmehr in § 264 Abs 5 ASVG. Die wesentlichen Erläuterungen finden sich im Ausschußbericht, zumal das Gesetzeswerk sehr umstritten war und gegenüber der Regierungsvorlage beträchtliche Änderungen erfolgten; insbesondere wurden die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen erst bei der Ausschußarbeit aufgenommen. Der Ausschußbericht (916 BlgNR 14. GP, 38) weist ausdrücklich darauf hin, daß der Weg, die Vollversorgung der "geschiedenen Witwe" in den Fällen des § 55 Abs 3 - § 61 Abs 3 EheG in § 264 Abs 5 ASVG zu regeln bewußt gewählt worden sei, weil nach der Absicht des Gesetzgebers die Witwenpension auch in diesen Fällen, abweichend von der Intention des Entwurfes zur 32. ASVGNov, an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 258 Abs 4 ASVG gebunden sein solle.
Im Hinblick auf diese klare Darlegung der Motive des Gesetzgebers besteht für eine teleologische Reduktion des § 258 Abs 4 ASVG keine Grundlage. Insbesondere wäre einer auf ein Versehen des Gesetzgebers gegründeten Argumentation der Boden entzogen.
Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß der Klägerin keine Witwenpension nach § 258 Abs 4 ASVG gebührt, ist daher nach der geltenden Gesetzeslage richtig, weshalb der Revision nicht Folge zu geben war.
Daß der erkennende Senat gegen die Anwendung dieser Gesetzesstelle aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit insbesondere im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz keine Bedenken hegt, wurde schon in den E SSV-NF 2/27 und SVSlg 35.576 (ähnlich Oberlandesgericht Innsbruck SVSlg 35.584) dargelegt, weshalb der Anregung der Revisionswerberin, beim Verfassungsgerichtshof nach Art 140 (richtig 89 Abs 2) B-VG die Aufhebung des § 258 Abs 4 ASVG zu beantragen, nicht zu entsprechen war.
Insbesondere unter Bedachtnahme auf die rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens war der zur Gänze unterlegenen Klägerin nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG der Ersatz der halben Revisionskosten zuzubilligen.
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