OGH 2Ob44/91

OGH2Ob44/9118.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef S*****, vertreten durch Dr. Klaus Schärmer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) Manuela H*****, 2.) ***** Allgemeine Versicherungs-AG, *****, beide vertreten durch Dr. Ekkehard Beer und Dr. Kurt Bayr, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 58.098 sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 17.Mai 1991, GZ 4 R 44/91-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 13. Dezember 1990, GZ 9 Cg 415/89-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, den Beklagten die mit S 4.783,68 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 797,28 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 27.10.1989 ereignete sich auf der Kreuzung Andechsstraße/Langer Weg in Innsbruck ein Verkehrsunfall, bei welchem der PKW Audi *****, dessen Halter und Lenker der Kläger war, und der PKW Toyota Carina, *****, dessen Halterin und Lenkerin die Erstbeklagte und dessen Haftpflichtversicherer die zweitbeklagte Partei war, zusammenstießen. Am PKW des Klägers enstand ein Schaden von S 55.000,--, am PKW der Erstbeklagten ein solcher von S 19.000,--. Der Kläger hatte An- und Abmeldekosten des Fahrzeuges von S 1.200,--, Abschleppkosten von S 1.398,-- und Spesen von mindestens S 300,--. Der Erstbeklagten entstanden An- und Abmeldekosten, Abschleppkosten und Spesen von insgesamt S 1.753,--.

Der Kläger begehrte von den Beklagten Schadenersatz von S 58.098,-- sA, wobei er außer den bereits feststehenden Schäden noch weitere Spesen von S 200,-- geltend machte. Die Erstbeklagte sei am Unfall allein schuld, weil sie als Linksabbiegende den Vorrang des geradeaus fahrenden Klägers mißachtet habe.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger den Unfall alleine verschuldet habe. Dieser sei mit mindestens 60 km/h gefahren, habe den mittleren (den Rechtsabbiegern vorbehaltenen) Fahrstreifen auf der Andechsstraße benützt und sei zudem bei rot eingefahren. Anders als die Erstbeklagte, die ihr Fahrzeug vor der Kollision noch habe anhalten können, habe der Kläger auch in keiner Weise reagiert. Die Schäden der Erstbeklagten von S 21.753,-- (wobei von einem Fahrzeugschaden von S 20.000,-- ausgegangen wurde) würden aufrechnungsweise gegen die Klageforderung eingewendet.

Das Erstgericht stellte die Klageforderung als nicht zu Recht bestehend fest und wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende Feststellungen:

Der Kläger fuhr von Osten kommend auf der Andechsstraße und wollte die Kreuzung mit dem Langen Weg in Richtung Westen, also richtungsbeibehaltend überqueren. Die Andechsstraße weist für den in Richtung Westen führenden Verkehr drei Fahrstreifen auf, wobei nach den Richtungspfeilen vom rechten und mittleren Fahrstreifen aus nur das Abbiegen nach rechts in Richtung Langer Weg gestattet ist; für den geradeaus fahrenden Verkehr ist der linke Fahrstreifen eingerichtet. Die Kreuzung ist durch eine Ampelanlage geregelt, wobei die Ampel westlich der Kreuzung auf der Andechsstraße gleichgeschaltet ist mit der Ampel östlich der Kreuzung für den geradeaus führenden Verkehr. Bei beiden Ampeln beträgt die Grünphase jeweils 19 Sekunden; daran schließt eine Gelbphase von 3 Sekunden und dann jeweils eine "gleich lange" Rotphase an. Gleichzeitig mit der Grün- und Gelbphase dieser beiden Ampeln endet auch die Grün- und Gelbphase der Ampel, die östlich der Kreuzung auf der Andechsstraße aufgestellt ist und den Verkehr auf dem mittleren und rechten Fahrstreifen, also für die in Richtung Langer Weg nach rechts abbiegenden Fahrzeuge regelt. Diese Ampel weist jedoch eine kürzere Rotphase auf und zeigt bereits 31 Sekunden grün, ehe auch die Ampel für den geradeaus stadteinwärts fahrenden Verkehr auf grün schaltet. Nach der östlich der Kreuzung befindlichen Haltelinie sind durch Sperrlinien zwei Fahrstreifen nach rechts hin zum Langen Weg eingezeichnet; die geradeaus führende Fahrspur ist nicht durch Sperrlinien gekennzeichnet.

Der Unfall ereignete sich um 20,05 Uhr bei Dunkelheit, eingeschalteter Straßenbeleuchtung und trockener Fahrbahn. Die Erstbeklagte fuhr in östliche Richtung und hatte die Absicht, auf der Kreuzung mit dem Langen Weg nach links einzubiegen. Sie hielt den linken zum Linksabbiegen bestimmten Fahrstreifen ein und hielt vor der Haltelinie bei Rotlicht an; ihr Fahrzeug war das erste Fahrzeug an der Ampel. Als diese dann grün zeigte, fuhr sie langsam und vorsichtig - da sie über sehr wenig Fahrpraxis verfügte und ihr damaliges Auto erst seit 4 Tagen hatte - in die Kreuzung ein. Ihre Geschwindigkeit betrug nicht mehr als 10 bis 20 km/h. Nach dem Überfahren des hinter der Haltelinie befindlichen Fußgängerübergangs schlug sie einen leichten Bogen nach links in Richtung Langer Weg ein.

Gleichzeitig näherte sich aus der Gegenrichtung der Kläger, der den mittleren Fahrstreifen, auf welchem er "eher links" fuhr, einhielt. Der Kläger fuhr in einem Zug in die Kreuzung ein, wobei beide Ampeln (also auch die für den Rechtsabbiegeverkehr) grün zeigten. Daß er mit einer höheren Geschwindigkeit als 50 km/h gefahren wäre, konnte nicht festgestellt werden. Der Kläger hatte die Absicht, nicht im Sinne der Richtungspfeile auf dem mittleren Fahrstreifen nach rechts abzubiegen, sondern die Kreuzung richtungsbeibehaltend zu überqueren. Als er die nach links abbiegende und damit seine Fahrlinie kreuzende Erstbeklagte sah, versuchte er etwa 1,1 Sekunden bzw 9 m vor der Kollision sein Fahrzeug abzubremsen. Die Erstbeklagte war auf Grund der vom Kläger eingehaltenen Fahrspur zunächst der Meinung, daß dieses Fahrzeug nach rechts abbiegen werde. Als das Fahrzeug des Klägers dem Fahrstreifen nicht folgte, sondern geradeaus fuhr, bremste die Erstbeklagte ca 1,6 Sekunden bzw 5,2 m vor der Kollision. Der Erstbeklagten gelang es noch, ihr Fahrzeug auf oder nahezu auf Stillstand abzubremsen, ehe es zur Kollision kam. Das Fahrzeug des Klägers stieß mit einer Geschwindigkeit von 30 bis maximal 40 km/h frontal gegen den rechten vorderen Kotflügel des Fahrzeuges der Erstbeklagten. Ab der Haltelinie bis zur Unfallstelle hatten beide Fahrzeuge jeweils eine Strecke von ungefähr 25 m zurückgelegt. Die Erstbeklagte benötigte dazu eine Zeit von ca 7,5 Sekunden.

Der Zusammenstoß ereignete sich in der Verlängerung des linken Teiles des mittleren, in westliche Richtung führenden Fahrstreifens bzw des linken Fahrstreifens. Wäre der Kläger dem mittleren Fahrstreifen folgend weitergefahren, wäre es nicht zur Kollision gekommen.

Die Andechsstraße verläuft westlich der Kreuzung für den stadteinwärts fahrenden Verkehr einspurig. Für einen vom mittleren Fahrstreifen geradeaus fahrenden PKW-Lenker, der in der Mitte des Fahrstreifens östlich der Kreuzung weiterfahren will, ist es daher erforderlich, im Kreuzungsbereich das Fahrzeug geringfügig nach links zu ziehen.

Es konnte nicht festgestellt werden, daß der Kläger oder die Erstbeklagte verspätet reagiert hätten. Dem Kläger war die Kreuzung bekannt, da er öfters über diese fuhr.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der Unfall auf das Alleinverschulden des Klägers zurückzuführen sei. Er habe gegen § 9 Abs 6 StVO verstoßen, weil er nicht im Sinne der Richtungspfeile auf dem mittleren Fahrstreifen, den er benützte, weitergefahren sei. Die Erstbeklagte habe darauf vertrauen dürfen, daß der Kläger nach rechts abbiegen werde. Ihr könne daher kein Verstoß gegen § 13 Abs 2 StVO angelastet werden; sie habe davon ausgehen können, daß eine gegenseitige Behinderung nicht erfolgen werde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Der Rechtsfall sei hier nicht nach Vorrangregeln, sondern danach zu beurteilen, daß die Erstbeklagte darauf vertrauen durfte, der Kläger werde die markierte Fahrlinie einhalten. Da er dies nicht beabsichtigte, hätte er den bevorstehenden Fahrstreifenwechsel rechtzeitig durch Linksblinken anzeigen müssen. Der Kläger sei daher am Unfall allein schuld.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus den Anfechtungsgründen des § 503 Z 3 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und dem Klagebegehren stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die behauptete Aktenwidrigkeit ist für die Entscheidung der Rechtssache bedeutungslos (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

In der Rechtsrüge vertritt der Kläger den Standpunkt, daß für die Erstbeklagte eine unklare Verkehrssituation bestanden habe, weshalb sie sogleich anhalten und seinen Vorrang beachten hätte sollen. Diese Ausführungen vermögen die Begründung der Vorinstanzen nicht zu widerlegen:

Gemäß § 9 Abs 6 zweiter Satz StVO müssen die Lenker von Fahrzeugen auch dann im Sinne der Richtungspfeile weiterfahren, wenn sie sich nicht der beabsichtigten Weiterfahrt entsprechend eingeordnet haben. Auf die Einhaltung dieser Verkehrsvorschrift durch den Kläger durfte die Erstbeklagte vertrauen. Sie brauchte umso weniger damit zu rechnen, daß der Kläger die vorgeschriebene Fahrtrichtung verlassen würde, als er es unterließ, ein Richtungsänderungszeichen gemäß § 11 Abs 3 StVO zu geben. Für die Erstbeklagte bestand daher im Gegensatz zu den Ausführungen des Klägers überhaupt keine bedenkliche Verkehrssituation.

Auch eine Vorrangverletzung etwa im Sinne des § 19 Abs 5 StVO hat sie nicht zu verantworten. Eine solche wäre nur gegeben, wenn die vom Kläger beabsichtigte Geradeausfahrt entsprechend den Verkehrszeichen oder seinem eigenen Verhalten (richtiges Einordnen, Anzeige des beabsichtigten Verlassens seines Fahrstreifens) zulässig gewesen wäre. Denn die Annahme eines Vorranges hat nach wiederholten Ausführungen des Obersten Gerichtshofes zur Voraussetzung, daß der betreffende Verkehrsteilnehmer überhaupt die Möglichkeit zum Weiterfahren (ZVR 1978/102) bzw zum zulässigen Weiterfahren hat (2 Ob 1/79; ZVR 1980/131; ZVR 1984/115; 8 Ob 87/85; ZVR 1988/24 ua). Diese war aber im vorliegenden Fall für den Kläger eindeutig nicht gegeben.

Mit Recht verweist daher das Berufungsgericht darauf, daß - ähnlich wie in ZVR 1988/146 - dem Kläger zum Vorwurf gemacht werden muß, auf der Kreuzung eine unvorschriftsmäßige Richtungsänderung vorgenommen zu haben, indem er ohne Richtungsänderungsanzeige seine bisherige Fahrspur verlassend geradeaus weiterfuhr und damit mit dem PKW der sich völlig verkehrsgerecht verhaltenden Erstbeklagten auf Grund seines eigenen Verschuldens zusammenstieß.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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