OGH 2Ob33/91

OGH2Ob33/9118.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margarete L*****, vertreten durch Dr. Ingo Gutjahr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr. Reinhard Kloiber, Dr. Rudolf Beck, Dr. Ivo Burianek, Rechtsanwälte in Mödling, wegen S 144.000,-- sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 1. März 1991, GZ 13 R 3/91-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 8. Oktober 1990, GZ 29 Cg 713/90-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

In Abänderung der Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz wird das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 29.964,20 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (einschließlich S 3.320,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Andreas R***** verschuldete am 14.2.1989 mit seinem bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW einen Verkehrsunfall, bei welchem Rudolf L*****, ein Sohn der Klägerin, tödliche Verletzungen erlitt. Das Alleinverschulden an diesem Unfall traf den Versicherungsnehmer der beklagten Partei.

Die Klägerin begehrte von der beklagten Partei ab 1.3.1989 eine monatliche Rente von S 4.000. Sie beziehe lediglich eine geringe Pension von ungefähr S 6.800 monatlich. Ihr verstorbener Sohn habe als Angestellter der Z-Bank ein monatliches Durchschnittseinkommen von S 30.000 gehabt. Auf Grund seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht und aus freiem Willen habe er sie regelmäßig mit Natural- und Barleistungen unterstützt, die monatlich zumindest S 4.000 betragen hätten.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Eine Unterhaltspflicht des getöteten Sohnes gegenüber der Klägerin habe nicht bestanden. Bei den behaupteten Zuwendungen habe es sich um Schenkungen, nicht aber um die Erfüllung von Unterhaltspflichten gehandelt. Schenkungen zu besonderen Anlässen könnten keinen Ersatzanspruch nach § 1327 ABGB begründen. Außerdem habe die Klägerin aus der Verlassenschaft ihres Sohnes ein Vermögen erhalten, dessen Erträgnisse auf einen allenfalls entgangenen Unterhalt anzurechnen seien. Allfälligen Leistungen Rudolf L***** an die Klägerin seien Leistungen ihrerseits für ihn gegenübergestanden. Der Wert dieser Leistungen habe monatlich S 4.000 betragen. Die Klägerin brauche sie nunmehr nicht zu erbringen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin bezog im Februar 1989 eine monatliche Pension von netto S 6.856,10. Ihr Sohn Rudolf L*****, der keinerlei andere Sorgepflichten hatte und nicht verheiratet war, hatte als Angestellter der Z-Bank ein durchschnittliches monatliches Einkommen von S 30.000 netto, das wegen Schichtarbeit und unregelmäßiger Überstunden nicht immer gleich hoch war. Er erbrachte nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1983 bis zu seinem Ableben an die Klägerin regelmäßig nachstehende Leistungen:

S 500 als monatlichen Zuschuß für die Miete der Wohnung, die Bezahlung der Telefonrechnungen in durchschnittlicher Höhe von

S 600 für zwei Monate, die Übergabe von Essenbons der Z-Bank in Höhe von S 900 pro Monat sowie die Bezahlung der Fernsehgebühren und der Monatsmarke der Wr. Stadtwerke-Verkehrsbetriebe. Weiters lud er seine Mutter zu Ausflügen und Urlauben ein, wobei der hiefür aufgewendete Betrag nicht festgestellt werden konnte. Ferner übergab er seiner Mutter monatliche Bargeldbeträge von durchschnittlich S 3.000 bis S 4.000.

Die Klägerin kochte ihrem Sohn, zu dem sie in einem sehr engen Verhältnis stand, täglich eine warme Mahlzeit; sie wusch und bügelte auch regelmäßig seine Wäsche. Soweit es ihr Gesundheitszutand als schwere Diabetikerin zuließ, leistete sie für ihren Sohn auch weitere Haushaltsarbeiten, und zwar Aufräumen der Wohnung, Staubsaugen und Einkaufen. Sie erbte nach ihrem Sohn Z-Anteilsscheine im Wert von ca. S 35.000, wobei der Ertrag aus diesen Papieren höchstens S 2.000 bis S 3.000 pro Jahr beträgt. Daß sonstiges Verlassenschaftsvermögen außer wertloser Bekleidung und Möbeln vorhanden gewesen wäre, konnte nicht festgestellt werden.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß die Leistungen des Sohnes der Klägerin, obwohl sie allenfalls über jenes Ausmaß hinaus erbracht wurden, in welchem sie vom Gericht dem Unterhaltspflichtigen hätten auferlegt werden können, dennoch zu ersetzen seien, weil sie jedenfalls Unterhaltscharakter hatten, weshalb das Klagebegehren berechtigt sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, wies das Klagebegehren in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung ab und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Es führte rechtlich aus, daß die Ersatzpflicht für die Hinterbliebenen und auch deren Ausmaß durch die gesetzliche Unterhaltspflicht bestimmt und begrenzt werde, wobei aber auf das tatsächlich Geleistete Rücksicht zu nehmen sei, soweit es noch als Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht angesehen werden kann. Das Berufungsgericht schließe sich dieser Auffassung vollinhaltlich an, weil im § 1327 ABGB der Ersatz an mittelbar Geschädigte geregelt werde, denen ohne besondere Regelung überhaupt kein Schadenersatz zustehen würde, sodaß eine ausdehnende Auslegung nicht gerechtfertigt sei. Im § 12 Abs 2 EKHG werde bestimmt, daß dem Hinterbliebenen insoweit Ersatz zu leisten ist, als der Getötete zur Gewährung des Unterhalts an ihn nach dem Gesetz verpflichtet gewesen wäre. Da keineswegs zu erkennen sei, daß § 12 Abs 2 EKHG eine von § 1327 ABGB diesbezüglich abweichende Regelung schaffen wollte, sei diese Regelung auch zur Auslegung des § 1327 ABGB heranzuziehen. Daraus, aber auch aus dem Wortlaut des § 1327 ABGB selbst ergebe sich somit, daß dem Hinterbliebenen vom Schädiger dasjenige zu ersetzen sei, was ihm durch den Tod des unterhaltspflichtigen Angehörigen an gesetzlichem Unterhalt entgangen ist, ein Schadenersatzanspruch also nur dann und auch nur insoweit gegeben sei, als eine Unterhaltsverpflichtung des Getöteten bestand. Voraussetzung für den Unterhaltsanspruch von Eltern gegenüber Kindern sei, daß sie zur Selbsterhaltung nicht imstande sind. Ob diese Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben ist, müsse nach den Lebensverhältnissen der Eltern beurteilt werden. Die Bezugnahme auf die Lebensverhältnisse des allenfalls unterhaltspflichtigen Kindes im § 143 Abs 1 ABGB sei dahin zu verstehen, daß es zu keinem höheren als dem seinen Lebensverhältnissen entsprechenden Unterhaltsbeitrag verpflichtet werden dürfe, nicht aber, daß der Unterhalt der Eltern jedenfalls den Lebensverhältnissen des Kindes entsprechen müßte. Besondere Bedürfnisse oder Auslagen habe die Klägerin weder behauptet noch könnten solche aus dem Akteninhalt unterstellt werden. Das Berufungsgericht komme daher zu dem Ergebnis, daß die Klägerin ein solches Pensionseinkommen hatte, daß sie keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gemäß § 143 ABGB gegen ihren getöteten Sohn hätte durchsetzen können. Seine freiwillig für sie erbrachten Leistungen seien aber im Sinne der obigen Ausführungen gemäß § 1327 ABGB nicht zu ersetzen, sodaß in Stattgebung der Berufung das Begehren auf Zahlung der Unterhaltsrente abzuweisen war.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und dem Klagebegehren stattzugeben.

Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, daß der schuldige Schädiger bzw sein Haftpflichtversicherer auch die freiwilligen Leistungen zu ersetzen habe, die ihr der getötete Sohn vor dem Unfall erbrachte. Außerdem sei die Klägerin im Hinblick auf die krasse Divergenz zwischen ihrem Einkommen und dem ihres Sohnes ohnedies diesem gegenüber unterhaltsberechtigt gewesen. Diese Darlegungen sind zum Ausgangspunkt der folgenden Erwägungen zu nehmen:

Nach § 1327 ABGB ist dann, wenn "aus einer körperlichen Verletzung der Tod erfolgt, den Hinterbliebenen, für deren Unterhalt der Getötete nach dem Gesetze zu sorgen hatte, das, was ihnen dadurch entgangen ist, zu ersetzen". Nach ständiger Judikatur beschränkt sich der nach dieser Gesetzesstelle gewährte Ersatzanspruch auf das, was die Hinterbliebenen aus dem Titel des gesetzlichen Anspruches auf Unterhalt vom Unterhaltsverpflichteten verlangen konnten. Maßgebend für die Berechnung des Entganges sind dabei letztlich die tatsächlich erbrachten, Unterhaltscharakter aufweisenden Leistungen, sofern sie nicht auffallend über das gesetzliche Maß des Unterhaltes hinausgingen, also noch einigermaßen im Verhältnis zu diesem stehen (vgl SZ 45/143; SZ 59/166 uza). Diese Auffassung teilt auch Koziol in Haftpflichtrecht2 II 156. Fraglich ist allerdings, ob die Klägerin als Bezieherin einer eigenen Pension von monatlich netto S 6.856,10 gemäß § 143 Abs 1 ABGB einen darüber hinausgehenden Alimentierungsanspruch gegenüber ihrem Sohn mit Erfolg hätte geltend machen können (vgl zu diesem Fragenkomplex 8 Ob 79/87; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 143; Schlemmer in Schwimann, Praxiskommentar Rz 1 bis 7 zu § 143; RdW 1987, 247; Materialien zu § 143 ABGB in Klang2 ErgB 49, 50). Berücksichtigt man, daß sich die Unterhaltspflicht der Kinder gegenüber ihren Vorfahren nach den Lebensverhältnissen des Kindes richtet (Pichler in Rummel aaO; Schlemmer in Schwimann aaO) und daß die Unterhaltsberechtigung nicht schon durch den Bezug einer über der Ausgleichszulage liegenden Pension ausgeschlossen wird (siehe Kohler zu VwGH RdW 1987, 247), muß bei Abwägung dieser Kriterien davon ausgegangen werden, daß die Klägerin als unterhaltsberechtigter Elternteil im Sinne des § 143 Abs 1 ABGB von ihrem getöteten Sohn zu seinen Lebzeiten jedenfalls Leistungen erhielt, die Unterhaltscharakter hatten (vgl hiezu die Ausführungen Reischauers in Rummel, ABGB Rz 22 zu § 1327). Von diesen kann nicht gesagt werden, daß sie über das bei einem Mutter-Sohn-Haushalt der festgestellten Art übliche Maß auffallend hinausgingen. Damit sind sie aber im Sinne der oben dargestellten ständigen neueren Judikatur und Literatur Ansprüche nach § 1327 ABGB, die vom Schädiger grundsätzlich zu ersetzen sind.

Dies alles hat das Erstgericht richtig erkannt. Es hat außerdem die Anrechnung ersparter Arbeitskraft durch den Wegfall häuslicher Pflichten der überlebenden Mutter mit Recht verneint (vgl EFSlg 36.241 und die dort zitierte Judikatur; zustimmend auch die beklagte Partei AS 45). Auf die nicht ins Gewicht fallenden Erträgnisse der Erbschaft hat das Erstgericht - von der beklagten Partei unbekämpft - ebenfalls zutreffend nicht Bedacht genommen. Die Dauer der zugesprochenen Rente wurde nicht in Frage gestellt. Damit sind alle Voraussetzungen für die Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes gegeben, sodaß in Abänderung der Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz wie im Spruch zu erkennen war.

Der Kostenausspruch beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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