OGH 11Os103/91

OGH11Os103/916.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.September 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Lachner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kandera als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johann S***** wegen des Verbrechens der versuchten Notzucht mit Unmündigen nach den §§ 15, 207 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28.Mai 1991, GZ 4 a Vr 10745/90-47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 5.Dezember 1950 geborene Gelegenheitsarbeiter Johann S***** des Verbrechens der versuchten Notzucht mit Unmündigen nach den §§ 15, 207 Abs. 1 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) und des Vergehens der sittlichen Gefährdung Unmündiger nach dem § 208 Abs. 1 StGB (Punkt 2) schuldig erkannt, weil er 1. Anfang September 1990 in Wien dadurch, daß er dem am 2.Mai 1986 geborenen Robert C***** 10 S für einen Handverkehr anbot und, als das Kind zustimmte, mit ihm in Richtung eines nahegelegenen Haustores ging, eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht zu mißbrauchen versuchte (§ 15 StGB), sowie 2. Anfang Oktober und am 19.Oktober 1990 dadurch, daß er vor mehreren Kindern sein Glied entblößte und es ihnen zeigte, eine Handlung, die geeignet ist, die sittliche Entwicklung unmündiger Personen zu gefährden, vor unmündigen Personen vornahm, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen.

Den Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 3, 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Die im Rahmen der Verfahrensrüge (Z 3) - an sich zu Recht - aufgeworfene Frage, ob das Schöffengericht in der Hauptverhandlung vom 5.März 1991 vor allem dadurch gegen die Nichtigkeitssanktion des § 228 Abs. 1 StPO verstieß, daß es insbesonders auch noch während der Vernehmung der Beamten Alfred S***** und Josef B***** über die Art der polizeilichen Einvernahme des Angeklagten am 20.Oktober 1990 den "wegen Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit" (S 175) verfügten Ausschluß der Öffentlichkeit (§ 229 StGB) aufrechterhielt, kann dahingestellt bleiben; durch die Erneuerung der Hauptverhandlung am 28.Mai 1991 (ON 46) gemäß dem § 276a StPO wurde die geltend gemachte Nichtigkeit im Zuge der ersten Hauptverhandlung auf jeden Fall verfahrensrechtlich obsolet (vgl Mayerhofer-Rieder II/23 § 276a StPO, EGr 8).

Zutreffend greift der Beschwerdeführer jedoch auch in der Mängelrüge (Z 5) die Problematik des Zustandekommens seines später widerrufenen Geständnisses vom 20.Oktober 1990 (S 41) vor der Polizei und der (u.a.) darauf gestützten Feststellungen auf:

Das Schöffengericht setzt sich zwar in seinen Entscheidungsgründen mit der Persönlichkeit jener Beamten, vor denen das "Geständnis" abgelegt wurde, und mit der Behauptung einer gesetzwidrigen Einflußnahme auf den Inhalt der Verantwortung des Angeklagten auseinander, unterläßt jedoch jede Erörterung des Umstandes, daß Johann S***** nach seiner Einlieferung in das gerichtliche Gefangenenhaus u.a. diverse Verletzungen am linken Oberarm und im Brustbereich aufwies (vgl S 75), die von ihm ausdrücklich auf Mißhandlungen, zwar nicht durch vernehmende, jedoch durch andere Polizeibeamte zurückgeführt werden. Da auch der "intellektuelle Standard" des Johann S***** nach dem gerichtsärztlichen Sachverständigengutachten "deutlich unter dem Durchschnitt angesiedelt ist" (S 141), hätte es bei dieser Sachlage im Sinn der Beschwerdeausführungen des Verteidigers und Sachwalters des Angeklagten einer umfassenden Auseinandersetzung mit der Frage bedurft, ob S***** während der "ein- oder zweistündigen Vernehmung" (S 184) durch Gruppeninspektor Josef B***** und Abteilungsinspektor Engelbert V***** in Anbetracht der angeblich vorausgegangenen vorsätzlichen Körperverletzungen dem von ihm zumindest subjektiv als "Druck" ("unterschreib und dann passiert Dir nichts" etc) empfundenen Verhalten der verhörenden Beamten (vgl u.a. S 178 ff) allenfalls letztlich nicht standhalten konnte und Angaben machte, die zur Gänze oder teilweise nicht den Tatsachen entsprachen.

Der erwähnte Begründungsmangel macht das Urteil nichtig nach der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO, weil im Beweisverfahren hervorgekommene Umstände mit Stillschweigen übergangen bzw ungewürdigt gelassen wurden, bei deren Erörterung eine andere Lösung der Beweisfrage nicht auszuschließen ist.

Da sich sohin zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war gemäß dem § 285 e StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Sitzung wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

Auf das übrige Beschwerdevorbringen brauchte demnach nicht mehr eingegangen zu werden.

Bei der Neudurchführung des Verfahrens wird im Zusammenhang mit dem Verbrechensfaktum nach den §§ 15, 207 Abs. 1 StGB gegebenenfalls auch den erforderlichen Konstatierungen über den Tatplan Augenmerk zuzuwenden sein (vgl u.a. Mayerhofer-Rieder StGB3 § 15 EGr. 2).

Mit seiner durch die Urteilsaufhebung gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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