OGH 12Os72/91

OGH12Os72/918.8.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.August 1991 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Felzmann, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofbauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz O***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Leoben vom 27. Februar 1991, GZ 19 Vr 703/90-47, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, der Generalanwältin Dr. Bierlein, des Angeklagten Franz O***** und des Verteidigers Dr. Fetz zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 16 (sechzehn) Jahre erhöht.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 8.Juli 1943 geborene Franz O***** wurde des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 24. Juli 1990 in Hall bei Admont seine Gattin Christiane O***** durch Schüsse aus einem Kleinkalibergewehr vorsätzlich getötet.

Die Geschwornen haben - jeweils stimmeneinhellig - die anklagekonforme Hauptfrage nach Mord (§ 75 StGB) bejaht, die auf Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) lautende Zusatzfrage jedoch verneint. Demgemäß ließen sie die Eventualfragen nach dem Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung in bezug auf Mord - § 287 Abs. 1 (§ 75) StGB (Eventualfrage 1), nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang - §§ 83 Abs. 1, 86 StGB (Eventualfrage 2) und nach dem Vergehen nach § 287 Abs. 1 (§§ 83 Abs. 1, 86) StGB (Eventualfrage 3) ebenso unbeantwortet, wie die zur Eventualfrage 2 gestellte Zusatzfrage in Richtung § 11 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft seinen Schuldspruch mit einer auf § 345 Abs. 1 Z 6, 8 und 10 a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welcher jedoch in keinem Punkt Berechtigung zukommt.

Das Unterbleiben einer Eventualfrage nach Totschlag (§ 76 StGB) bedeutete keine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6), weil die gesetzlichen Voraussetzungen hiefür - der Beschwerdeauffassung zuwider - im konkreten Fall nicht zutrafen. Gemäß § 314 Abs. 1 StPO sind nämlich vom Anklagevorwurf abweichende Schuldfragen (Eventualfragen) an die Geschwornen grundsätzlich nur zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung entsprechende Tatsachen vorgebracht wurden. Die für eine Tatbeurteilung nach § 76 StGB wesentlichen Kriterien sind aber weder der Verantwortung des Angeklagten noch den Ausführungen der beigezogenen gerichtspsychiatrischen Sachverständigen zu entnehmen. Der Angeklagte beschrieb die tatauslösende Auseinandersetzung mit seiner Gattin im wesentlich dahin, daß er (nach seiner verspäteten Heimkehr in schwer alkoholisiertem Zustand) wegen der Ankündigung der Christiane O*****, sie werde für den Fall, daß er "so weiter mache und so spät nach Hause komme auch länger ausbleiben", in Zorn geraten sei, er habe deshalb das Kleinkalibergewehr aus dem Wohnzimmer geholt, im Zuge des weiteren (ihm im einzelnen nicht mehr erinnerlichen) Streitgesprächs aus Zorn zunächst auf seine im Bett liegende Gattin geschossen und den zweiten (tödlichen) Schuß auf sie abgegeben, als sie nach dem Aufstehen das Fußende des Bettes erreicht hatte (S 71, 72 und 74/II). Obwohl der Angeklagte nach eigener Darstellung keinen konkreten Grund für die Annahme ehewidriger Kontakte seiner Gattin hatte, führte er seine tatauslösende Erregung ausdrücklich allein auf deren Androhung zurück, daß "auch sie solange wegbleiben" werde, weil er mit ihrem allfälligen Zusammentreffen mit Arbeitskollegen nicht einverstanden gewesen sei (S 76 f/II). Abgesehen davon, daß der vom Angeklagten angegebene Tatablauf in mehrfacher Hinsicht von folgerichtigen Gedankengängen dominierte Einzelheiten ("intellektuelle Zwischenglieder") aufweist (Herbeischaffung der Tatwaffe aus einem anderen Raum, Ladevorgang, Verständigung der Gendarmerie) und die gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Dr. ZIGEUNER (S 91 f/II) und Dr. MATHIASCHITZ (S 96/II) davon ausgehend ein akut durchbrechendes hochgradiges Affektgeschehen (als Ausdruck einer heftigen Gemütsbewegung) ausschlossen, kann nach Lage des Falles auch davon nicht die Rede sein, daß die behauptete Gemütsbewegung aus der Sicht der zornauslösenden Begleitumstände allgemein begreiflich wäre. Nach dem bei der Beurteilung der allgemeinen Begreiflichkeit einer Gemütsbewegung im Sinn des § 76 StGB anzulegenden objektiven Maßstab muß die Gemütsbewegung sittlich verständlich (EvBl. 1976/119, 1982/167) und nicht im Charakter des Täters oder dessen verwerflichen Neigungen, Leidenschaften bzw. auch nicht in einem psychisch abnormen Persönlichkeitsbild (LSK 1978/199) vielmehr ausschließlich in äußeren Umständen begründet sein

(EvBl. 1976/119). Der Zorn des Angeklagten über die Reaktion seiner Gattin auf seine verspätete Heimkehr mit der Androhung analogen Verhaltens wird keinem der dargelegten Privilegierungskriterien gerecht, weil er sich ausschließlich als spezifischer Ausdruck der Täterpersönlichkeit, der Eifersuchtstendenzen des Angeklagten, seines massiven Alkoholmißbrauchs und der organischen Wesensveränderung und Entwicklung von Minderwertigkeitsgefühlen als Folgen einer schweren Kopfverletzung darstellt. Allein der Persönlichkeitsstruktur des Täters entspringende Aspekte bleiben aber nach dem Gesagten bei der Beurteilung der allgemeinen Begreiflichkeit einer Gemütsbewegung auch dann unbeachtlich, wenn sie (wie im konkreten Fall nach den gerichtspsychiatrischen Sachverständigengutachten) einer tataktuellen Affektaufschaukelung bzw. einer subjektiven Konfliktsempfindung zuträglich sind.

Fehl schlägt auch die Instruktionsrüge (Z 8), die eine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung daraus ableitet, daß sich diese nicht "mit dem Delikt des § 76 StGB befaßte", "fachspezifisch langatmig" ohne Anführung konkreter Beispiele abgefaßt sei und keine "Vergleiche und Gegenüberstellungen" der einzelnen "Tatbestandsmerkmale in jeder Richtung" (ersichtlich gemeint auch in Richtung § 76 StGB) enthalte, weshalb sie den "Zweck der Bestimmung des § 321 Abs. 2 StPO, den rechtsunkundigen Geschwornen die Anwendung der abstrakten Rechtsregeln auf den konkreten Fall zu ermöglichen", verfehle.

Nach § 321 Abs. 2 StPO muß nämlich die Rechtsbelehrung - für jede Frage gesondert - eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Haupt- oder Eventualfrage gerichtet ist, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes enthalten und das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage klarlegen. Daraus folgt, daß die Rechtsbelehrung nur die in den gestellten Fragen aufscheinenden, nicht aber andere, wenn auch mit ihnen verwandte Rechtsbegriffe oder ihr Verhältnis zu den Deliktsmerkmalen anderer Tatbestände, bezüglich deren eine Frage gar nicht gestellt wurde, zu erläutern hat (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 22 ff zu § 345 Z 8). Demgemäß haben nur rechtliche, nicht aber tatsächliche (nur für die Beweiswürdigung beachtliche) Umstände Gegenstand der Rechtsbelehrung zu sein, weshalb auch auf den konkreten Sachverhalt der jeweils zu beurteilenden Fallkonstellation - dem Beschwerdestandpunkt zuwider - nicht einzugehen ist. Die Zurückführung der in die Frage aufgenommenen gesetzlichen Merkmale auf den ihnen zugrundeliegenden Sachverhalt ist vielmehr Sache der nach § 323 Abs. 2 StPO abzuhaltenden Besprechung (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 14 ff zu § 345 Z 8).

Da das in Rede stehende Fragenschema (wie dargelegt zu Recht) eine Frage nach dem Verbrechen des Totschlags nicht enthielt, kann von der behaupteten Unrichtigkeit der zutreffend allein an den gestellten Fragen orientierten Rechtsbelehrung keine Rede sein.

Was schließlich (schwerpunktmäßig mit Blickrichtung auf eine Tatbeurteilung nach § 76 StGB bzw. § 287 StGB) zur Tatsachenrüge (Z 10 a) vorgebracht wird, vermag nach dem Akteninhalt insgesamt keine Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschwornen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten gemäß § 75 StGB vierzehn Jahre Freiheitsstrafe, wobei die brutale Vorgangsweise durch die Abgabe von zwei Schüssen aus kürzester Entfernung als erschwerend, das Tatsachengeständnis, die bisherige Unbescholtenheit und die alkoholisierungsbedingt verminderte Bewußtseinslage hingegen als mildernd gewertet wurden.

Den Strafausspruch bekämpfen beide Prozeßparteien jeweils mit Berufung.

Während die Staatsanwaltschaft zu ihrem Antrag auf Straferhöhung auf die Vernachlässigung einer besonderen Verwerflichkeit (§ 33 Z 5 StGB) der heimtückischen Tatausführung nach Art einer "Hinrichtung" des wehr- und hilflos im Bett liegenden Tatopfers (§ 33 Z 6 StGB) als zusätzlich erschwerend, ferner auf das Vorliegen der im § 35 StGB normierten Voraussetzungen für den Ausschluß der Berauschung des Angeklagten im Tatzeitpunkt als Milderungsgrund sowie auf generalpräventive Aspekte verweist, strebt der Angeklagte eine Strafreduktion unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 StGB unter das gesetzliche Mindestmaß im wesentlichen mit der Begründung an, die "brutale Vorgangsweise" sei zu Unrecht als erschwerend gewertet, eine Mehrzahl von Milderungsgründen hingegen nicht berücksichtigt worden. Die Berufungsargumentation stützt sich in diesem Zusammenhang auf die vernachlässigte Erziehung des Angeklagten, seine Selbststellung sowie die Tatauslösung durch eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung unter dem (in einer - nach Meinung des Berufungswerbers - einmaligen Konfliktsituation wirksamen) Einfluß der vor allem auf einer unverschuldeten alten Kopfverletzung beruhenden Herabsetzung seiner Dispositionsfähigkeit.

Mag es auch zutreffen, daß das mildernde Gewicht der vom Erstgericht ohnedies berücksichtigten tataktuellen psychischen Beeinträchtigung des Angeklagten auch auf dem in den Strafzumessungserwägungen übergangenen Einfluß einer unfallsbedingten organischen Verletzung im Kopfbereich und einer darauf zurückzuführenden Wesensveränderung des Angeklagten beruht, so ist im Ergebnis im Sinn des Berufungsvorbringens der Staatsanwaltschaft hier vor allem davon auszugehen, daß die Strafe ua umso strenger zu bemessen ist, je rücksichtsloser sie der Täter ausgeführt und je weniger Vorsicht gegen die Tat hat gebraucht werden können (§ 32 Abs. 3 StGB). Da der (zur Tatzeit 47-jährige und bereits vor seinem Unfall im Jahre 1987 für übermäßigen Alkoholkonsum anfällige) Angeklagte, dessen ungünstige Erziehungsverhältnisse im übrigen schon altersbedingt zu Recht unbeachtet blieben - Mayerhofer-Rieder StGB3 EGr 7 e zu § 34) seine Gattin im Zuge einer ehelichen Auseinandersetzung aus nichtigem Anlaß (weniger heimtückisch als vielmehr) unter Begleitumständen erschoß, die von einer extremen Hilflosigkeit des Opfers gekennzeichnet waren (wiederholte Schußabgabe auf die zunächst im Bett befindliche und in der Folge flüchtende Frau mit dem aus einem anderen Raum herbeigeschafften Gewehr), wird das Ausmaß der in erster Instanz ausgesprochenen Freiheitsstrafe weder der Täterschuld bzw. dem Tatunwert noch den gerade beim Verbrechen des Mordes besonders schwerwiegenden generalpräventiven Erfordernissen gerecht. Um diesen Aspekten in gebotener Weise Rechnung zu tragen, war daher das Strafausmaß spruchgemäß zu erhöhen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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