Spruch:
In der Strafsache gegen Aleksander K*****, AZ 16 Vr 1943/71 des Landesgerichtes Salzburg, verletzen das Gesetz:
1./ Die Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung an den damals ausgewiesenen Verteidiger des Angeklagten in den Bestimmungen der §§ 234, 235 FinStrG aF;
2./ die Zustellung des daraufhin ergangenen Abwesenheitsurteiles vom 12. Jänner 1972 (ON 13) in der Bestimmung des § 427 Abs. 1 StPO;
3./ die Ausschreibung des Angeklagten zum Stafvollzug trotz fehlender Rechtskraft des Urteils in der Bestimmung des § 397 StPO.
Die Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung und diese Hauptverhandlung selbst werden für unwirksam erklärt, das ergangene Abwesenheitsurteil und alle darauf beruhenden Verfügungen aufgehoben und es wird gemäß dem § 288 Abs. 2 Z 3 StPO sogleich in der Sache selbst erkannt:
Aleksander K***** wird von der Anklage, er habe anläßlich der nachangeführten Einreisen in das Zollgebiet Österreich abgabepflichtige Handelswaren, die er in seinem jeweils zur Einreise benützten Personenkraftwagen verwahrt bzw. versteckt hatte, der Verzollung dadurch entzogen, daß er diese Waren dem Zollamt vorsätzlich nicht stellte bzw. verheimlichte, und zwar:
1) in den Monaten März/April 1970 bei drei Einreisen aus Italien mit seinem damaligen PKW VW über ein Zollamt in Kärnten insgesamt achtzig Herrenarmbanduhren italienischer Herkunft im Gesamtbetrag von 7.280 S; und
2) am 17.Dezember 1970 über das Zollamt Walserberg-Autobahn unter dem Vordersitz seines zur Einreise benützten Personenkraftwagens Oldsmobile versteckt 197 synthetische Rubine, Gewicht 52 dkg, im Wert von 14.184 S, worauf Eingangsabgaben in Höhe von 2.947 S entfielen;
er habe den Schmuggel gewerbsmäßig und gewohnheitsmäßig begangen, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 12. Jänner 1972, GZ 16 Vr 1943/71-13, wurde der am 4. Juli 1946 geborene jugoslawische Staatsangehörige Aleksander K***** in Abwesenheit des Finanzvergehens des gewerbsmäßigen und gewohnheitsmäßigen Schmuggels nach den §§ 35 Abs. 1 lit. a und b, 38 lit. a FinStrG schuldig erkannt und zu einer Freiheits- sowie einer Geldstrafe verurteilt. Die Ladung zur Hauptverhandlung war dem Angeklagten zu Handen seines Verteidigers, der sich als Zustellungsbevollmächtigter erklärt hatte (ON 9), am 15. Dezember 1971 zugestellt worden (siehe Antrags- und Verfügungsbogen). Am 23. Dezember 1971 teilte der Verteidiger die Lösung des Vollmachtsverhältnisses mit (ON 11). Zur Zeit der Hauptverhandlung war der Angeklagte daher auch nicht durch einen Verteidiger vertreten. Allerdings bestand nach der damaligen Fassung des § 41 Abs. 3 StPO Verteidigerzwang in Strafsachen nur, wenn die Tat mit einer fünf Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht war.
Das Abwesenheitsurteil wurde - ohne jede ersichtliche Rechtsgrundlage - dem ehemaligen Verteidiger des Angeklagten am 24. Jänner 1972 zugestellt (S 43) und sodann mit Endverfügung vom 15. Februar 1972 vom Vorsitzenden für rechtskräftig erklärt (Antrags- und Verfügungsbogen). Der Angeklagte wurde zur Verhaftung wegen Strafvollzuges ausgeschrieben. Diese Ausschreibung wurde mittlerweile widerrufen.
Rechtliche Beurteilung
Nach der Rechtslage zur Zeit dieser Vorgänge (aufrechter Bestand des § 234 FinStrG, der erst mit Wirkung vom 1. Jänner 1976 aufgehoben worden ist; Bezugnahme des § 235 FinStrG auf den § 234 dieses Gesetzes, die mit Wirkung vom 1. Oktober 1989 beseitigt wurde) war die Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung an den ausgewiesenen Verteidiger unzulässig (vgl. 13 Os 30/72, 13 Os 80/72; Mayerhofer-Rieder StPO3 E 25 zu § 79; in diesem Sinn auch Sommergruber-Reger, Ausgaben mit Stand vom 1. Mai 1989 und 1. Jänner 1990). Daran ändert nichts, daß die heutige Rechtslage eine solche Zustellung wirksam erscheinen ließe (vgl. dazu Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch Anm. zu §§ 234, 235 FinStrG).
Die Rechtskraft des Abwesenheitsurteils ist keinesfalls eingetreten, weil dessen Zustellung an den (früheren) Verteidiger nach Vollmachtskündigung unwirksam war. Die Ausschreibung zum Strafvollzug entbehrt daher ebenfalls der Rechtsgrundlage.
Diese Gesetzesverletzungen wirken sich zum Nachteil des Angeklagten aus und müssen daher zur Unwirksamerklärung der Hauptverhandlung und zur Aufhebung des darauf beruhenden Urteils führen.
Gleichwohl ist ein kassatorisches Erkenntnis aus praktischen Überlegungen nicht angezeigt: In dieser Strafsache begann die Verjährungszeit gemäß dem § 31 Abs. 1 FinStrG am 17. Dezember 1970 zu laufen. Die absolute Verjährungsfrist gemäß dem § 31 Abs. 5 FinStrG ist daher seit 17. Dezember 1985 abgelaufen, weil das (an sich rechtzeitig ergangene) Urteil niemals rechtskräftig geworden ist. Eine Fortführung des Strafverfahrens kommt daher nicht in Betracht (vgl. Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch Anm 9 zu § 31).
Mithin war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes spruchgemäß zu entscheiden.
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