OGH 7Ob12/91

OGH7Ob12/9127.6.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helmut W*****, vertreten durch Dr. Peter Banwinkler, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei I*****VERSICHERUNG*****, vertreten durch Dr. Hansjörg Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Feststellung (Streitwert S 500.000,-- sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 6. Februar 1991, GZ 1 R 255/90-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 4. Juli 1990, GZ 4 Cg 62/90-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung

Der Kläger hat mit der beklagten Partei zum 29. Mai 1982 einen Familienunfallversicherungsvertrag abgeschlossen. Er erlitt am 7. Dezember 1987 mit seinem PKW einen Unfall, bei dem er schwer verletzt wurde. Er begehrt die Feststellung, daß dieser Unfall auf Grund des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vertrages einen versicherungspflichtigen Unfall darstelle.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Es liege ein Risikoausschluß nach Art. 3 Punkt III Z 7 der AUVB 1965 vor, weil beim Kläger zum Unfallszeitpunkt eine alkoholbedingte Bewußtseinsstörung vorgelegen sei.

Der Kläger erwiderte, das Blut zur Bestimmung des Blutalkoholgehalts sei ihm in bewußtlosem Zustand abgenommen worden. Dies sei verfassungswidrig und verstoße gegen Art. 8 MRK. Das Erstgericht gab der Klage statt und traf folgende Feststellungen:

Der Kläger wurde nach dem Unfall in bewußtlosem Zustand in das Allgemeine Unfallkrankenhaus eingeliefert. Auf Grund des äußerst kritischen Zustandes wurde sofort eine Notoperation angeordnet und dem Kläger eine Narkose verabreicht. Während der Operation wurde dem Kläger zumindest zweimal Blut abgenommen: einmal aus differenzialdiagnostischen Gründen, um bei einem eventuellen Todeseintritt die Todesursache besser bestimmen zu können, ein weiteres Mal über Anordnung der Gendarmerie; diese Blutabnahme diente ausschließlich der Bestimmung des Blutakoholgehalts des Klägers. Wäre der Kläger bei Bewußtsein gewesen, hätte er dieser Blutabnahme nicht zugestimmt. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls durch den Konsum von Alkohol in seiner Geistes- bzw. Bewußtseinsfähigkeit eingeschränkt war. Durch den Unfall liegen beim Kläger Dauerfolgen vor.

In der Begründung seiner Entscheidung führte das Erstgericht aus, die beklagte Partei habe den behaupteten Ausschlußgrund nicht beweisen können. Die im Zustand der Bewußtlosigkeit abgenommene Blutprobe zur Bestimmung des Blutalkoholgehalts sei ein Eingriff in das verfassungsmäßig gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens. Die Verwertung des auf diese Weise erlangten Beweismittels im Zivilprozeß sei nicht zulässig.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil der ersten Instanz und sprach aus, daß die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei. Es teilte die Rechtsmeinung des Erstgerichtes. Eine Obliegenheitsverletzung des Klägers im Sinne des Art. 7 Z 5 der AUVB 1965 habe die beklagte Partei im Verfahren vor dem Erstgericht nicht geltend gemacht.

Die Revision der beklagten Partei ist begründet.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen haben ihre Entscheidung im wesentlichen auf die Entscheidung des VfGH vom 6. Dezember 1988, B 1092/87 (JBl. 1989, 374), gegründet. Danach ist die von Exekutivbeamten verfügte Blutabnahme an einem Bewußtlosen zwecks Blutalkoholbestimmung eine in Ausübung behördlicher Zwangsgewalt gesetzte Maßnahme, die weder in § 5 Abs 6 StVO 1960 noch in einer anderen Rechtsvorschrift vorgesehen ist und die in das durch Art. 8 MRG geschützte Recht auch Achtung des Privatlebens eingreift.

Bei der Verwertung des solcherart erlangten Beweismittels im vorliegenden Rechtsstreit darf jedoch einerseits nicht übersehen werden, daß die beklagte Partei bei Erlangung des Beweises keineswegs gegen eine (straf-)gesetzliche Vorschrift, die den Kernbereich der verfassungsmäßig geschützten Grund- oder Freiheitsrechte der durch die Handlung betroffenen Person als solcher schützt, verstoßen hat - mag der Verstoß im Ergebnis auch für sie erfolgt sein (vgl. hiezu Fasching, Lehrbuch, Rz 936) -, und andererseits und vor allem, daß der Versicherungsnehmer nach Art. 7 Z 4 der AUVB 1965 dem Versicherer alle verlangten sachdienlichen Auskünfte zu erteilen hat und nach Art. 7 Z 5 dieser Versicherungsbedingungen verpflichtet ist, den behandelnden Arzt zu ermächtigen und zu veranlassen, die vom Versicherer geforderten Auskünfte zu erteilen und Berichte zu liefern. Diese Verpflichtungen umfassen ähnlich der in Art. 8 Abs 2 Z 2 der AKHB 1967 bestimmten Obliegenheit, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen, wohl auch die Blutabnahme; denn die Fahrtüchtigkeit des Lenkers ist einer der wesentlichsten Umstände, worüber dieser den Versicherer ungeachtet seiner eigenen Interessen vollständig aufzuklären hat. Diese Pflicht aber geht als privatrechtliche Vereinbarung über die gesetzliche Verpflichtung hinaus (ZVR 1978/327).

Eine der in Art. 7 der AUVB 1965 angeführten Obliegenheitsverletzungen hat die beklagte Partei allerdings, wie die zweite Instanz zutreffend ausgeführt hat, bei Abwehr des geltend gemachten Anspruches im Verfahren vor dem Erstgericht nicht geltend gemacht; sie hat auch kein tatsächliches Vorbringen in dieser Richtung erstattet. Auf die hypothetisch getroffene Feststellung, der Kläger hätte, wäre er bei Bewußtsein gewesen, einer Blutabnahme zur Bestimmung des Alkoholgehalts nicht zugestimmt, könnte darüber hinaus die Annahme einer Obliegenheitsverletzung nicht gegründet werden, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Blutabnahme eben bewußtlos war und in diesem Zustand eine Obliegenheitsverletzung nicht wohl hätte begehen können.

Dies ändert allerdings nichts daran, daß der Kläger auf Grund seiner privatrechtlichen Verpflichtungen entsprechend den Versicherungsbedingungen (Art. 7 der AUVB 1965) der beklagten Partei nicht verwehren kann, von den ihm abgenommenen Blutproben Gebrauch zu machen. Ausgehend von einer anderen rechtlichen Beurteilung über die Benützbarkeit vorhandener Befunde und Gutachten über den Blutalkoholgehalt des Klägers zum Unfallszeitpunkt haben die Vorinstanzen Feststellungen darüber nicht getroffen und dementsprechend auch nicht festgestellt, ob der Kläger zur Zeit des Unfalls durch den Konsum von Alkohol in seiner Geistes- bzw. Bewußtseinsfähigkeit eingeschränkt war, wie von der beklagten Partei geltend gemacht wird

(Art. 3 Punkt III Z 7 der AUVB 1965).

Das angefochtene Urteil war aus diesem Grund aufzugeben. Es war dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung in der aufgezeigten Richtung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.

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