OGH 11Os61/91

OGH11Os61/9125.6.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.Juni 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Felzmann, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zacek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johann D***** und andere wegen des Vergehens der fahrlässigen Gefährdung durch Verunreinigung der Luft nach dem § 181 (§ 180 Abs. 2) StGB (aF) über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 20. April 1989, AZ 8 Bs 275/89, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser, jedoch in Abwesenheit der Beteiligten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 20.April 1989, AZ 8 Bs 275/89, verletzt durch die Auslegung des Begriffes der Gefährdung bzw der Gefahr in den §§ 180 Abs. 2, 181 StGB (aF) sowie durch die Verneinung der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit (§ 6 StGB) des den Angeklagten Matthias B*****, Franz G*****, Johann D*****, Johann B*****, Willibald B*****, Dr. Hans W***** und Dipl.Ing. Günther R***** vom öffentlichen Ankläger zur Last gelegten Verhaltens ohne ausreichende Feststellungen über das Fehlen der Erkennbarkeit der Möglichkeit einer solchen Menge des Schadstoffausstoßes, die eine Gefahr für Leib oder Leben eines anderen herbeiführen konnte, das Gesetz (§ 181 StGB aF, teilweise in Verbindung mit § 6 StGB).

Text

Gründe:

Zwischen dem 10.Juli 1986, 12,30 Uhr, und dem 11.Juli 1986, 15,00 Uhr, kam es beim Betrieb der Gipsschwefelsäureanlage (sogenannten Krebsanlage) der C***** AG zum Ausstoß von Schwefeldioxid, dessen Menge ein Mehrfaches, zum Teil ein Vielfaches des mit dem Bescheid des Bürgermeisters der Stadt L***** als Gewerbebehörde erster Instanz vom 25.November 1957, GZ 671/R-O (in der Fassung des Bescheides des Landeshauptmannes von ***** vom 24.März 1961, Ge 1102/6/1961, und des Bundesministers für Handel- und Wiederaufbau vom 30.Oktober 1961, GZ 159725-IV-22 BA-1961) festgelegten Maximalemissionswertes von 1450 kg pro Tag betrug, und zwar am 11.Juli 1986 sogar während bloß zweier Stunden zum Ausstoß von ca 3200 kg, nämlich stündlich von 1583 kg (vgl ON 89 S 296 d.A).

Die Staatsanwaltschaft erhob deshalb gegen die Schichtmeister Matthias B*****, Franz G*****, Johann D***** und Johann B*****, den vorgesetzten Werkmeister Willibald B*****, den Bereichschemiker Dr. Hans W*****, den Abteilungsleiter Dipl.Ing. Johann G*****, den Bereichsdirektor Dipl.Ing. Günther R***** und den Direktor der Betriebsleitstelle, gewerberechtlichen Geschäftsführer und Umweltschutzbeauftragten Dipl.Ing. Dr. Helmuth H***** Anklage wegen des Vergehens der fahrlässigen Gefährdung durch Verunreinigung der Luft nach dem § 181 (§ 180 Abs. 2) StGB (aF).

Mit dem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes L***** vom 8. Juni 1988, GZ 32 E Vr 1830/86-89, wurden die Beschuldigten gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld gab das Oberlandesgericht L***** nach Wiederholung des Beweisverfahrens mit dem Urteil vom 20. April 1989, AZ 8 Bs 275/89 (ON 117 der erstgerichtlichen Akten), nicht Folge.

Das Oberlandesgericht bejahte zwar den Eintritt einer abstrakten Gefahr für Leib oder Leben im Sinn des § 181 (§ 180 Abs. 2) StGB (aF), schloß aber eine Verantwortlichkeit der Angeklagten Dipl.Ing. G***** und Dr. H***** (schon) deshalb aus, weil der eine an den Tagen der Vorfälle auf Urlaub und daher nicht im Werk war und der andere als Umweltbeauftragter keine Anordnungsbefugnisse, sondern nur beratende und koordinierende Funktionen hatte, welchen er auch nachgekommen sei. Hinsichtlich der übrigen Angeklagten nahm das Oberlandesgericht objektive Sorgfaltsverletzungen an, verneinte jedoch die subjektive Vorwerfbarkeit.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes steht in mehrfacher Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

1./ Zum Begriff der potentiellen Gefährdung

Unbeschadet der Bejahung des Vorliegens des Deliktserfordernisses einer - als solche bereits unrechtsbegründenden - potentiellen (i.w.S. abstrakten) Gefährdung für Leib oder Leben

(vgl Nowakowski im WK Vorbem zu §§ 3 bis 5 StGB Rz 23 mwN) - welche Voraussetzung für den Umweltstraftatbestand auch in der Fassung des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987 (nunmehr unter der weiteren Bedingung der Gefährdung einer größeren Anzahl von Menschen: §§ 180 Abs. 1 Z 1, 181 StGB nF) gilt - geht das Oberlandesgericht zum Teil von unrichtigen Anforderungen für die Beurteilung der potentiellen Gefahr aus:

Auch für die Gefährdungsdelikte der §§ 180 Abs. 2, 181 StGB aF genügte eine Handlung oder Unterlassung, die bei abstrakter Betrachtung die - ernstliche und nicht völlig

lebensfremde - Möglichkeit eines schädlichen Erfolges eröffnete (Nowakowski aaO). Der anzuwendende Gefahrenbegriff erforderte die Prüfung mehrerer Komponenten, die - begriffslogisch - einer einheitlichen Bewertung und Beurteilung zu unterziehen waren:

(Immissionssituation auf Grund der emittierten Schadstoffart und Schadstoffmengen; Höhe der Emissionsstelle; konkrete Geländesituation; real mögliche Anwesenheit von (insbesondere Risiko-)Personen im Immissionsbereich der verunreinigten Luft; Ausbreitungsvarianten; medizinisch-toxikologische Gefahrengrenze).

Die Prüfung sowohl der Immissionssituation als auch der medizinisch-toxikologischen Gesundheitsgefahrengrenze hatte sich in einer einheitlichen Art "worst-case"-Beurteilung an der ernstlich möglichen Schadstoffbelastung und an den Auswirkungen dieser Belastung auf die menschliche Gesundheit im jeweils ungünstigsten Sinn, dh unter Mitberücksichtigung typischer, auch minimaler Erfolgseintrittschancen zu orientieren (Kienapfel in JBl 1990, 466 ff; Schroll JBl 1990, 683, 689 f, 694).

Diesen Beurteilungskriterien entsprach das Oberlandesgericht indes zunächst insoweit nicht, als es zwar die Auffassung des Erstgerichtes, beim Gefahrenkalkül sei im Zweifel von dem nach den Beweisergebnissen möglichen niedrigeren Immissionswert auszugehen (ON 89 S 324 d.A), zutreffend verwarf (ON 117 S 142 f), aber nicht folgerichtig einen von einem Sachverständigen als sehr wahrscheinlich bezeichneten Mittelwert der Immissionsbelastung für maßgebend erachtete (ON 117, S 145 f, 149 f d.A). Richtigerweise wäre hier auf die allein entscheidende Frage abzustellen gewesen, welche - nicht völlig

irreale - höchstmögliche Immission (Belastungsspitze) sich auf Grund der vom Werksbetreiber verursachten überhöhten Emission bei abstrakter Betrachtung (rechnerischer Ermittlung) hätte ergeben können.

Von der gebotenen Einheitlichkeit des Gefahrenkalküls wich das Oberlandesgericht ferner bei der medizinisch-toxikologischen Gesundheitsgefahrengrenze ab, weil es ersichtlich die einschlägigen Beurteilungsgrundlagen und die rechtliche Wertung aus dem Ersturteil übernahm, ohne sich mit den Einwänden in der Nichtigkeitsberufung der Staatsanwaltschaft zu befassen. Darin wurde - dem einheitlichen Gefahrenbegriff entsprechend - für die Gesundheitsgefährdung auch eine abstrakte Heranziehung extrem risikoanfälliger, insbesondere akut asthmakranker Personen - die nicht schon in mehrtägiger klinischer Behandlung standen und deren Anwesenheit im Immissionsbereich nicht auszuschließen ist - verlangt und eine Gesundheitsgefährdung nur unter der Voraussetzung verneint, daß diese Risikogruppe durch die Schadstoffeinwirkung ungefährdet bliebe (ON 97, S 389 ff d.A). Das Oberlandesgericht folgte hingegen dem vom

Erstgericht - gestützt auf nicht alle denkbaren Risikogruppen erfassende medizinische Tests eines Sachverständigen - angenommenen Grenzwert von 2,5 mg SO2/m3, welcher Feststellung die unrichtige Rechtsauffassung zugrundelag, daß die Gesundheitgsgefährdung (nur) die Erwartbarkeit eines Gesundheitsschadens oder eines hohen Gesundheitsrisikos voraussetze, die mit den Mitteln der wissenschaftlichen Prognose zu belegen sei oder mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausgeschlossen werden könne (vgl ON 117 S 147 ff iVm ON 89 S 298 f 324 ff d.A). In konsequenter Auslegung des einheitlichen potentiellen Gefahrenbegriffes ist jedoch keine qualifizierte statistische Wahrscheinlichkeitsanalyse zu verlangen: Die ernstliche Möglichkeit einer Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit reicht zur Tatbestandsverwirklichung aus. 2./ Zur subjektiven Sorgfaltswidrigkeit

Wie erwähnt, erachtete das Oberlandesgericht die objektive Sorgfaltswidrigkeit des den Angeklagten Matthias B*****, Franz G*****, Johann D*****, Johann B*****, Willibald B*****, Dr. Hans W***** und Dipl.Ing. Günther R***** von der Anklagebehörde zur Last gelegten Verhaltens für gegeben, verneinte jedoch die subjektive Sorgfaltswidrigkeit. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß es sich um den ersten derartigen Störfall im 30-jährigen Betrieb der Anlage gehandelt habe und daß die Schichtmeister im Bemühen, die Anlage wieder in den Griff zu bekommen, "vielleicht zu sehr" auf ihre Fähigkeiten vertrauten und zu spät der Weisung nachkamen, die Störung weiterzumelden. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, daß an diesem Tag die sogenannte Monsantoanlage (eine weitere, neuere Schwefelsäureerzeugungsanlage) nicht in Betrieb war, für welche eine zusätzliche SO2-Ausstoßmenge von ca 1000 kg/d "konsensgemäß" gewesen wäre, sodaß die Angeklagten wußten, daß nur die Hälfte des zulässigen SO2 ausgestoßen worden sei. Dabei könne davon ausgegangen werden, daß auch der Ausstoß der (zulässigen) Gesamtmenge von einer Gesundheitsschädlichkeit "noch weit entfernt" gewesen wäre, zumal der Gewerbebehörde nicht unterstellt werden könne, sie habe eine Grenzmenge festgesetzt, die bei der geringsten Überschreitung bereits eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung mit sich brächte. Aus der Tatsache, daß das Schwefeldioxidemissionsmeßgerät auf Vollanschlag stand, habe noch kein Schluß auf die tatsächlich ausgestoßene Menge Schwefeldioxid gezogen werden können. Es müsse daher den Angeklagten zugebilligt werden, daß für sie nicht erkennbar war, die Überschreitung des Schadstoffausstoßes - die mengenmäßig wegen der Art der Anlage nicht feststellbar gewesen sei - könne auch trotz Stillstandes der Monsantoanlage eine Gesundheitsgefahr herbeiführen. Dies umsomehr, als davon ausgegangen werden müsse, der Störfall sei für die Angeklagten, die schon lange an dieser Anlage arbeiten, der erste gewesen, der ein solches Ausmaß erreichte und der auf der unteren Ebene der Schicht- und Werkmeister nicht behoben werden konnte (ON 117 S 154 ff d.A).

Für diese Erwägungen des Oberlandesgerichtes fehlt es an ausreichenden Feststellungen tatsächlicher Natur (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit a StPO):

Das Vorliegen einer objektiven Sorgfaltsverletzung indiziert in der Regel auch die Fahrlässigkeitsschuld, sofern sich aus dem Tatgeschehen und der Person des Täters keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß gerade dieser Täter den objektiven Sorgfaltsanforderungen nicht nachkommen konnte (Leukauf-Steininger2 RN 14 zu § 6 StGB ua). Nach dem auf die Person des Täters anzuwendenden "objektiviert-subjektiven Maßstab" kann sich jemand auf die Unkenntnis dessen, was zum allgemeinen Erfahrungs- und Wissensstand eines ordnungsgemäß ausgebildeten und verantwortungsbewußten Angehörigen seines Berufskreises oder Tätigkeitsbereiches - hier eines Mitarbeiters der chemischen Industrie - gehört, nicht berufen (Kienapfel BT I3 RN 134 ff zu § 80 StGB ua). Für einen akademisch graduierten Techniker bzw Chemiker und für ausgebildete Werk- und Schichtmeister mit entsprechender Berufserfahrung konnte der Umstand, daß die Anlage etliche Jahre störungsfrei gearbeitet hatte, nicht die Einsicht in eine mögliche Störanfälligkeit und damit verbundene, für die Umwelt gefährliche Folgen ausschließen. Es mußte im Gegenteil - gerade weil nach der Art der Anlage die Emissionsmenge nicht (ohne weiteres) feststellbar war - für das technisch adäquat ausgebildete Personal naheliegen, daß durch die stundenlange Anschlagstellung des Meßgerätes am Maximalmeßpunkt ein nicht nur geringfügig, sondern erheblich darüber und bereits im Bereich (potentieller) Gefährlichkeit für die Gesundheit von Menschen liegender Schadstoffausstoß indiziert sein konnte. Bei der so beschaffenen Fallgestaltung hätte es deshalb zur (rechtsrichtigen) Beurteilung der subjektiven Tatseite näherer Feststellungen bedurft, weshalb den Angeklagten Matthias B*****, Franz G*****, Johann D*****, Johann B*****, Willibald B*****, Dr. Hans W***** und Dipl.Ing. Günther R***** die Erkennbarkeit einer möglichen Schadstoffemission in einer für Leib oder Leben eines anderen (abstrakt) gefährlichen Menge verwehrt gewesen sein sollte. Weil das Urteil des Oberlandesgerichtes hiezu keine Tatsachenannahmen enthält, leidet es zur Frage der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit des Verhaltens dieser Angeklagten an einem die Rechtsanwendung hindernden Feststellungsmangel, somit an materieller Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs. 1 Z 9 lit a StPO.

Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO begründet erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher stattzugeben und gemäß dem § 292 StPO wie im Spruch zu erkennen.

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