OGH 11Os62/91

OGH11Os62/9118.6.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Juni 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Felzmann, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zacek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Adrian E***** wegen des Vergehens des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.August 1990, GZ 7 b E Vr 2897/90-9, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr. Stöger, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der - auf § 494 a Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 StPO beruhende - Beschluß des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. August 1990 (unrichtig: 31.August 1990), GZ 7 b E Vr 2897/90-9, mit dem von einem Widerruf der über Adrian E***** mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11.Februar 1987, GZ 12 e Vr 10.748/86-18, verhängten und bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten abgesehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 53 Abs. 2, 56 StGB iVm dem § 494 a Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 StPO sowie - durch Unterlassen der Einsicht in den Akt

12 e Vr 10.748/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vor Beschlußfassung - auch in der Bestimmung des § 494 a Abs. 3 StPO. Der Beschluß des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.August 1990 (unrichtig: 31.August 1990), GZ 7 b E Vr 2897/90-9, wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit Beschluß des - gemäß dem § 497 Abs. 1 StPO für diese Entscheidung berufenen - Schöffensenatsvorsitzenden des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4.April 1990, GZ 12 e Vr 10.748/86-27, wurde die mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11.Februar 1987, GZ 12 e Vr 10.748/86-18, über den am 5.Mai 1963 geborenen Adrian E***** wegen Verbrechens des Raubes nach dem § 142 Abs. 1 StGB und Vergehens des schweren Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 3, 128 Abs. 1 Z 4 StGB (a.F.) verhängte und gemäß dem § 43 Abs. 2 StGB (a.F.) für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten nach Ablauf der Probezeit (gemäß dem § 43 Abs. 2 StGB n.F.) endültig nachgesehen.

Mit rechtskräftigem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.August 1990, GZ 7 b E Vr 2897/90-7, wurde Adrian E***** wegen eines in mehreren Angriffen im September 1989, also innerhalb der ihm mit dem erwähnten Urteil vom 4.April 1990 gewährten Probezeit begangenen Vergehens des Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wovon ihm das Gericht gemäß § 43 a (Abs. 3) StGB einen Teil im Ausmaß von sechs Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah. Zugleich sprach der Einzelrichter im Anschluß an diese Verurteilung - ersichtlich in Unkenntnis der bereits am 4. April 1990 verfügten endgültigen Nachsicht der über Adrian E***** mit dem Urteil vom 11.Februar 1987 im Verfahren 12 e Vr 10.748/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verhängten Freiheitsstrafe von 18 Monaten - im Verfahren 7 b E Vr 2897/90 mit Beschluß vom 22.August 1990 (unrichtig: 31. August 1990), ON 9 dA, (gemäß dem § 494 a Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 StPO) aus, daß von einem Widerruf der bedingten Strafnachsicht im Verfahren 12 e Vr 10.748/86 aus Anlaß der neuerlichen Verurteilung vom 22.August 1990 abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert werde (§ 53 Abs. 2 StGB). Auch dieser Beschluß erwuchs nach beiderseitigem Rechtsmittelverzicht in Rechtskraft (vgl S 25 und ON 9 dA 7 b E Vr 2897/90 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien).

Dieser Beschluß des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.August 1990, GZ 7 b E Vr 2897/90-9, mit dem vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 494 a Abs. 3 StPO hat das Gericht vor einer Entscheidung nach dem Abs. 1 dieser Gesetzesstelle (also auch bei einem Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und einer allfälligen Verlängerung der Probezeit) unter anderem in die Akten über die frühere Verurteilung Einsicht zu nehmen. Diese Vorschrift hat der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien bei seiner Beschlußfassung vom 22.August 1990 gemäß dem § 494 a Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 StPO offensichtlich nicht beachtet, obgleich eine Einsicht in den Akt 12 e Vr 10.748/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien schon deshalb dringend geboten gewesen wäre, weil die in diesem Verfahren dem Adrian E***** gewährte dreijährige Probezeit abgelaufen und selbst die Sechsmonatsfrist des § 56 StGB im Zeitpunkt der Beschlußfassung am 22.August 1990 nicht mehr aktuell war. Diese Sechsmonatsfrist endete nämlich nach Ablauf der Probezeit (mit 11.Februar 1990) bereits am 11.August 1990 (24,00 Uhr). Die in § 56, letzter Fall, StGB statuierte Sechsmonatsfrist kam im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, weil das neue Strafverfahren gegen Adrian E***** zu 7 b E Vr 2897/90 beim Landesgericht für Strafsachen Wien im Zeitpunkt des Ablaufes der diesem Angeklagten im früheren Verfahren 12 e Vr 10.748/86 gewährten bedingten Strafnachsicht bei Gericht noch nicht anhängig war (das neue Strafverfahren gegen Adrian E***** wurde erst im März 1990 bei Gericht anhängig; vgl Antrags- und Verfügungsbogen, S 3 verso im Akt 7 b E Vr 2897/90 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien). Schon aus diesem Grund war eine Beschlußfassung durch den Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien im Verfahren 7 b E Vr 2897/90 gemäß dem § 494 a Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 StPO auf Absehen vom Widerruf der Adrian E***** im Verfahren 12 e Vr 10.748/86 dieses Gerichtes gewährten bedingten Strafnachsicht unter gleichzeitiger Verlängerung der Probezeit im Sinn der Bestimmung des § 53 Abs. 2 StGB infolge Ablaufes der im § 56 StGB angeführten Fristen verfehlt. Dazu kommt noch, daß auch die vom Schöffensenatsvorsitzenden des Landesgerichtes für Strafsachen Wien am 4.April 1990 in dem Verfahren

12 e Vr 10.748/86 beschlußmäßig ausgesprochene endgültige Nachsicht der in diesem Verfahren über Adrian E***** verhängten und bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 18 Monaten der vorerwähnten, dem Betroffenen zum Nachteil gereichenden Beschlußfassung des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.August 1990 entgegenstand und diesen Beschluß infolge der mit dem Ausspruch über die endgültige Strafnachsicht verbundenen Sperrwirkung unzulässig machte: Auch Feststellungsbeschlüsse über die Endgültigkeit einer bedingten Strafnachsicht sind der materiellen Rechtskraft fähig und entfalten demnach Bindungswirkung (vgl 16 Os 7/89; 14 Os 162, 163/88 ua).

Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher stattzugeben und gemäß dem § 292 StPO wie im Spruch zu erkennen.

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