OGH 2Ob27/91

OGH2Ob27/9112.6.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Zehetner, Dr.Niederreiter und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *****versicherungsanstalt *****, vertreten durch Dr.Rudolf Zitta und Dr.Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagten Parteien 1.) Erich P*****, 2.) Norbert P*****, und 3.) *****versicherung Aktiengesellschaft, ***** alle vertreten durch Dr.Günther Stanonik, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 243.501,67 sA, Zahlung einer monatlichen Rente und Feststellung (Gesamtstreitwert S 517.859,79), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 4.Dezember 1990, GZ 2 R 116/90-35, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 5.Februar 1990, GZ 13 Cg 342/88-27, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 21.991,68 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 3.665,28 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 10.10.1942 geborene Karl B***** erlitt am 17.6.1984 bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen. Die Haftung der beklagten Parteien für die Unfallsfolgen ist nicht bestritten. Aufgrund der Verletzungen mußte bei Karl B***** der linke Oberarm amputiert werden, eine funktionsfähige prothetische Versorgung gelang trotz aller Bemühungen nicht. Der Verletzte hatte unter heftigen Stumpf- und Phantomschmerzen zu leiden. Es kam zu einer schweren Depression, die zu einer deutlichen Persönlichkeitswandlung führte. In der Folge prägte sich das Gefühl der Verstümmelung immer mehr aus, das den Verletzten am 19.10.1986 in den Selbstmord trieb. Das Unfallsereignis ist aus der Kausalkette für den Selbstmord nicht wegzudenken. Die Amputation sowie die Stumpf- und Phantomschmerzen sind als wesentliche Bedingung für die Depression anzusehen, der Selbstmord war Ausfluß und Endpunkt der Depression. Eine freie Willensbildung ist aus psychiatrischer Sicht auszuschließen.

Die Klägerin erbringt an die Hinterbliebenen des Karl B***** Rentenleistungen. Sie begehrt Ersatz der bezahlten Beträge, und zwar für die Vergangenheit einen Kapitalbetrag und für die Zukunft eine Rente. Außerdem stellte die Klägerin ein Feststellungsbegehren.

Die beklagten Parteien wendeten insbesondere ein, zwischen dem Unfall und dem Selbstmord bestehe kein Kausalzusammenhang.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Leistungs- und des Feststellungsbegehrens.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei lediglich dahin teilweise Folge, daß die Rente nur bis Oktober des Jahres 2016 zuerkannt wurde. Das Gericht zweiter Instanz erklärte die Revision für zulässig. Es führte in rechtlicher Hinsicht folgendes Wesentliche aus:

Wegen der teilweisen Auslandsbeziehung (Karl B***** war deutscher Staatsbürger, die klagende Partei mit dem Sitz in der Bundesrepublik Deutschland erbrachte als Sozialversicherer Hinterbliebenenleistungen in Deutschland; der Unfall ereignete sich in Österreich, am Unfall war das in Österreich zugelassene Beklagtenfahrzeug beteiligt), sei zunächst zu prüfen, welches Recht Anwendung finde. Nach § 53 IPRG und den Bestimmungen des Übereinkommens über den Straßenverkehr, BGBl 1975/387, seien die Schadenersatzansprüche aus dem Unfall (Voraussetzungen und Umfang der Haftung, Art und Umfang des Schadenersatzes) nach österreichischem Recht zu beurteilen, und zwar auch die Ansprüche nur mittelbar Geschädigter, da sich der Unfall in Österreich ereignete (ZVR 1990/123 mwH). Das angeführte Übereinkommen sei aber auf die Ansprüche und Rückgriffsansprüche von Trägern der Sozialversicherung oder anderen ähnlichen Einrichtungen nicht anzuwenden (Art 2 Z 6 des Übereinkommens). Bei der Beurteilung der Legalzession einer Ersatzforderung sei zwischen dem Forderungsstatut und dem Zessionsstatut zu unterscheiden; nur bezüglich der Voraussetzungen und des Inhaltes der von der klagenden Partei in Anspruch genommenen Legalzession sei das deutsche Recht als Recht des Geltungsgebietes des Forderungsüberganges anzuwenden; auf das der Abtretung zugrunde liegenden Kausalverhältnis, also Grund und Umfang der übergegangenen Ersatzansprüche, sei das österreichische Recht als Recht des Deliktsortes anzuwenden (ZVR 1984/231 mwH). Wenn der Anspruch Dritter von ihrer Unterhaltsberechtigung abhänge, sei dafür das Unterhaltsstatut maßgeblich (ZVR 1990/123 mwH). Im gegenständlichen Fall seien daher die relevanten Fragen der Voraussetzungen und des Umfanges der Haftung, also die Frage der Kausalität, sowie der Art und des Umfanges des Schadenersatzes nach österreichischem Recht zu beurteilen. Die Kausalität sei eine Voraussetzung für die Zurechnung eines Schadens. Die natürliche Kausalität sei zu bejahen, wenn aus dem Verhalten des Täters der eingetretene Schaden zu erschließen sei. Es sei dabei eine Beweisfrage, ob überwiegende Gründe für die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Schaden vorliegen; die bloße Möglichkeit oder Zweifelhaftigkeit genüge dabei nicht. Nur die Wertung der Tatsachenfeststellungen, ob damit die erforderliche Wahrscheinlichkeit erreicht sei, falle in das Gebiet der Beweislastverteilung und damit in das Gebiet der rechtlichen Beurteilung (8 Ob 67/86 mwH; JBl 1974/318 ua). Die Beweislast für den Kausalitätsverdacht und seinen Umfang treffe den Schadenersatzkläger (RdW 1987, 96 mwH); den beklagten Parteien stehe die Widerlegung dieses Verdachtes offen (EvBl 1984/3). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes werde für alle zufälligen Folgen des schuldhaften Verhaltens gehaftet, mit deren Möglichkeit in abstracto gerechnet werden müsse, nicht aber für einen atypischen Erfolg (Adäquanztheorie; MGB ABGB33 § 1295/25 und die dort angeführte Jundikatur; JBl 1986, 103 ua). Die Adäquanz fehle, wenn das schädigende Ereignis für den eingetretenen Erfolg nach der allgemeinen Lebenserfahrung gleichgültig sei und nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen eine Bedingung für den Schaden gewesen sei (JBl 1986, 103 mwH). Eine Haftung bestehe auch dann, wenn eine weitere Ursache als schadenswirkend hinzutrete, wenn nur dieses Hinzutreten nicht außerhalb der menschlichen Erfahrung liege (RdW 1987, 227 mwH). Keine Haftung bestehe, wenn man mit einer derartigen Handlung eines Dritten (auch des Verletzten selbst) und mit dem dadurch bedingten Geschehensablauf nach der Lebenserfahrung nicht habe rechnen können (MGA ABGB33 § 1295/44). Der Schädiger habe daher zwar für die vom schädigenden Ereignis herbeigeführten neurotischen Fehlhaltungen des Geschädigten auch dann einzustehen, wenn sie durch eine konstitutionelle psychische Labilität mitverursacht wurden (JBl 1988, 649), die Ursächlichkeit einer krankhaften Anlage für früher herbeigeführte Beschwerden komme aber nicht in Betracht, wenn die Anlage auch ohne die Verletzungen in absehbarer Zeit den gleichen Gesundheitszustand herbeigeführt hätte (MGA ABGB33 § 1295/64; ZVR 1980/151). Im vorliegenden Fall sei der klagenden Partei der Nachweis gelungen, daß die schweren unmittelbaren Unfallsverletzungen kausal waren für die folgende psychische Entwicklung des Karl B***** und seinen letztlich ausgeführten Selbstmord. Es könne nicht gesagt werden, daß den Beklagten völlig außerhalb ihrer Sphäre und ihrer Kontrolle liegende atypische Umstände zugerechnet würden; das Hinzutreten der weiteren Ursachen für den Schadenseintritt (Suizid) sei nicht außerhalb der menschlichen Erfahrung gelegen. Die Schädiger hätten für die von den unmittelbaren Unfallsfolgen herbeigeführten neurotischen Fehlhaltungen des Verletzten einzustehen, da diese durch seine konstitutionelle psychische Labilität mitverursacht worden seien. Damit hätten die beklagten Parteien nach § 1327 ABGB den Hinterbliebenen den durch den Selbstmord entgangenen Unterhalt zu ersetzen. Nach § 116 Abs 1 des Deutschen Sozialgesetzbuches gehe ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens auf den Versicherungsträger oder Träger der Sozialhilfe über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen habe, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen oder die sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadenersatz beziehen. Diese Bestimmung sei auf Schadensfälle anzuwenden, die sich nach dem 30.6.1983 ereignet hätten. Das Erstgericht habe die den Hinterbliebenen entgangenen Unterhaltsbeträge richtig und in Entsprechung der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ermittelt und berechnet. Auch der Deckungsfonds bezüglich der Witwe sei richtig ermittelt worden. Allerdings seien die Renten mit dem mutmaßlichen Zeitpunkt des natürlichen Todes des Verunglückten zu begrenzen.

Die beklagten Parteien bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, machen den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen Abänderung dahin, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Ausführungen des Berufungsgerichtes über das anzuwendende Recht und die Legalzession sowie die allgemeinen Ausführungen zur Frage der Kausalität und der Adäquanz werden von den Beklagten nicht bekämpft, insoweit kann auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteiles verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Revisionswerber vertreten die Ansicht, der Unfall sei keine adäquate Ursache für den Selbstmord gewesen. Berücksichtige man, daß der öffentliche Verkehr in Österreich jährlich mehrere hundert Schwerverletzte fordere, wobei die Amputation von Gliedmaßen nicht außergewöhnlich sei, so müßte es unter diesen Verletzten in weiterer Folge zahlreiche Selbstmorde geben, um sagen zu können, daß ein schwerer Unfall, wie der des Karl B***** und der damit bedingte Geschehensablauf nach allgemeiner Lebenserfahrung zum Selbstmord führe. Ein Selbstmord nach einer schweren Verletzung stelle immer noch eine Außergewöhnlichkeit der Schadensfolge dar. Mit der Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang solle die Schadenszurechnung begrenzt werden. Die maßgebenden Kriterien hiefür seien die Wahrscheinlichkeit und die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufes und des Schadenseintrittes. Es entspreche aber weder der Wahrscheinlichkeit noch der allgemeinen Lebenserfahrung, daß bei schweren Schicksalsschlägen, die zweifelsohne auch durch schwere Unfälle begründet werden, ein Selbstmord die Regel sei, sondern es stelle vielmehr der Suizid eine Außergewöhnlichkeit des Geschehensablaufes dar. Der Rechtsirrtum des Berufungsgerichtes liege darin, daß es offensichtlich davon ausgehe, ein Selbstmord nach einer schweren Verstümmelung entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung und sei nicht atypisch. Dieser Rechtsansicht könnte nur bei Übergehung der Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang und der begrenzten Schadenszurechnung gefolgt werden, damit würde wohl die Einstandspflicht des Schädigers ins Uferlose führen. Wenn der Oberste Gerichtshof auch für auftretende Depressionen und beispielsweise damit verbundenen Arbeitsverlust haften lasse, so werde bei Beurteilung des gegenständlichen Falles doch zu überlegen sein, daß es österreichweit tausende Fälle von Depressionen gebe und ein Selbstmord unter der Anzahl der vielen Fälle noch immer atypisch sei und auch keineswegs der allgemeinen Lebenserfahrung entspreche.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:

Nach den Feststellungen waren die beim Unfall erlittenen Verletzungen Ursache der Depression, der Selbstmord war Ausfluß und Endpunkt dieser Depression. Der natürliche Kausalzusammenhang ist daher gegeben. Hiebei handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, die der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof entzogen ist (ZVR 1980/299 uva). Die Beurteilung der Adäquanz ist hingegen ein Akt der rechtlichen Beurteilung (8 Ob 171/73). Daß der Schädiger für auftretende Depressionen und Wesensveränderungen des Verletzten einzustehen hat, entspricht herrschender Ansicht (JBl 1988, 649 mwN). Daraus folgt, daß auch ein Selbstmord, der eine Folge der Depression ist, eine Ersatzpflicht des Schädigers begründet. Ein auf eine Depression zurückzuführender Selbstmord ist nicht als atypischer Erfolg anzusehen. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung GlUNF 5394 in einem ähnlichen Fall die Schadenersatzpflicht bejaht. Auch in der deutschen Rechtsprechung und Lehre wird ein Selbstmord, der durch erhebliche Verletzungen mit Dauerfolgen verursacht wurde, als adäquate Folge des Unfalles angesehen (Wussow, Unfallhaftpflichtrecht13, Rz 94 mwN). Der Hinweis der Revisionswerber auf die große Zahl von Unfällen mit schweren Verletzungen, die im allgemeinen nicht zu Selbstmorden führen, ist nicht zielführend. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß eine Depression als Folge schwerer Verletzungen mit Dauerfolgen gewiß nicht als ungewöhnlich angesehen werden kann und ein Selbstmord als "Ausfluß und Endpunkt der Depression" nicht atypisch ist. Nach der Rechtsprechung besteht zwar dann keine Haftung, wenn als weitere Ursache für den Schaden ein freies menschliches Handeln hinzu kam, mit dem der Schädiger nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen brauchte (vgl etwa ZVR 1971/224, ZVR 1973/131 ua). Ein derartiger Fall liegt hier aber nicht vor, weil der Selbstmord nicht auf freier Willensbildung beruhte.

Aus diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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