OGH 6Ob562/91

OGH6Ob562/916.6.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Igor O*****, vertreten durch Dr. *****, wider die beklagte Partei Firma C*****, vertreten durch Dr. *****, wegen S 271.389,42 samt Anhang, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgerichtes vom 22. März 1991, GZ 5 R 37/91-28, womit der Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 14. Jänner 1991, GZ 9 Cg 99/90-24, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der in der Bundesrepublik Deutschland wohnhafte Kläger ist Handelsagent. Er besitzt einen von der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel ausgestellten Gewerbeschein für das Gewerbe eines Handelsagenten mit dem Standort in Aurach, Tirol. Nach seinem Vorbringen betreibt er auch in Österreich eine Handelsagentur. Aus für den Beklagten in Österreich vermittelten Kaufgeschäften mit österreichischen Unternehmen macht er mit Klage vom 26. Mai 1989 Provisionen in Höhe von S 271.389,42 geltend. Der Beklagte habe gegen die Firma ***** KG in Graz laut Rechnung vom 1. April 1989 eine Forderung von S 283.717,20, die noch zur Gänze unbezahlt sei und den Gerichtsstand des Vermögens nach § 99 JN begründe. Mit der Klage wurde ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung verbunden, dem Beklagten jede Verfügung über die genannte Forderung, insbesondere deren Einziehung, zu verbieten und dem Drittschuldner zu untersagen, aufgrund der Rechnung bis auf weitere gerichtliche Verfügung Zahlung zu leisten.

Mit Schriftsatz vom 3.Juli 1989 urgierte der Kläger die Entscheidung des Erstgerichtes über den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung und brachte vor, daß wegen der langen inzwischen verstrichenen Zeit die Verbindlichkeit der Firma ***** KG gegenüber dem Beklagten bis auf S 39.172 bereits abgedeckt worden sei.

Nachdem das Rekursgericht das in der Folge eingeleitete erstgerichtliche Verfahren über die Klage bis einschließlich der Zustellung der Klage wegen ungesetzlicher Zustellungen als nichtig aufgehoben hatte, erhob der Beklagte in seiner Klagebeantwortung die Einrede der örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit, weil in Punkt 11 des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Handelsvertretervertrages die Anwendung deutschen Rechtes und der ausschließliche Gerichtsstand am Sitz des Klägers, sohin in München, Bundesrepublik Deutschland, vereinbart sei. Der Gerichtsstand des Vermögens sei überdies wegen des zum Streitgegenstand unverhältnismäßig geringfügigen Vermögens in Österreich nicht gegeben.

Der Kläger bestritt die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes.

Die Punkte 10 und 11 des in deutscher und italienischer Sprache abgefaßten Handelsvertretervertrages lauten:

"10. Maßgebend für das Vertragsverhältnis ist im übrigen das am Sitz des Handelsvertreters geltende Recht.

11. Gerichtsstand für etwaige Rechtsstreitigkeiten ist der Sitz des Klägers."

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzuständigkeit zurück. Nach dem Inhalt des Vertrages liege eine Vereinbarung des ausschließlichen Gerichtsstandes in München vor. Überdies betrage der vom Kläger noch vor Zustellung der Klage bekanntgegebene (verbliebene) Wert des Vermögens des Beklagten in Österreich von S 39.172 nicht einmal 1/6 der Klagsforderung. Er sei damit unverhältnismäßig geringer als der Wert des Streitgegenstandes und könne daher den Gerichtsstand des Vermögens nach § 99 JN nicht begründen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge, hob den Zurückweisungsbeschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Es führte aus, neben der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit - die Einrede sei vom Beklagten rechtzeitig erhoben worden, so daß keine Heilung im Sinne der §§ 43 Abs 1 und 104 Abs 3 JN eingetreten sei - müsse als Prozeßvoraussetzung das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit von Amts wegen geprüft werden. Das Vorliegen eines inländischen Gerichtsstandes sei zwar grundsätzlich ein Indiz auch für die inländische Jurisdiktion, reiche aber ohne Hinzutreten einer weiteren Inlandsbeziehung nicht aus. Eine ausreichende Inlandsbeziehung sei, wenn ein Gerichtsstand hinzutrete, hier gegeben, weil Klagsgegenstand ausschließlich Provisionen für in Österreich vermittelte Verkäufe seien und dem Kläger, der einen österreichischen Gewerbeschein besitze, nach dem Handelsvertretervertrag die Alleinvertretung für Österreich eingeräumt sei. Das Vorliegen einer Forderung des Beklagten gegen eine österreichische Firma in Höhe von S 382.717,20, welche die Klagsforderung übersteige, wäre daher ein Vermögen, das den Gerichtsstand nach § 99 JN begründen könnte. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung müsse das für den Gerichtsstand nach § 99 JN maßgebliche Vermögen nur im Zeitpunkt der Anhängigmachung der Klage vorhanden gewesen sein. Ein nachträglicher Wegfall oder, wie hier, eine Verminderung beseitige den einmal begründeten Gerichtsstand nicht. Die hier behauptete Verminderung sei daher bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zur Klagsforderung nicht mehr maßgeblich. Weil aber noch gar nicht geprüft sei, ob und in welcher Höhe die behauptete Forderung zum Zeitpunkt der Klagseinbringung bestanden habe, könne noch nicht abschließend beurteilt werden, ob die inländische Gerichtsbarkeit vorliege, denn diese müßte mangels eines Gerichtsstandes in Österreich nur aufgrund der übrigen Inlandsbeziehungen verneint werden.

Die vertragliche Gerichtsstandsvereinbarung sei aufgrund ihrer Textierung nicht als Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes zu verstehen. Eine Ausschließlichkeit müsse aus der Urkunde durch ausdrückliche Vereinbarung hervorgehen. Selbst wenn bei der Auslegung der vereinbarten Klausel nur noch Zweifel über die Absicht der Parteien verblieben wären, was hier gar nicht zutreffe, könne nur ein Wahlgerichtsstand als vereinbart angesehen werden.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil insbesondere zur Frage der Heilung einer allenfalls vorhandenen Unzuständigkeit durch Vorbringen zur Sache, soweit überprüfbar, eine höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit ist eine allgemeine Prozeßvoraussetzung, die unabhängig von der örtlichen Zuständigkeit beurteilt werden muß und deren Fehlen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen ist. Das Rekursgericht ist in seiner Entscheidung der

ständigen - zitierten - Rechtsprechung über die Beurteilungskriterien für das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit gefolgt und zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die Inlandsbeziehungen im gegenständlichen Fall nur dann ausreichten, wenn auch ein inländischer Gerichtsstand hinzukäme, so daß die aufgetragene Verfahrensergänzung erforderlich ist. Dies auch, weil eine Heilung im Sinne des § 104 Abs 3 JN nicht eingetreten ist. Danach wird ein an sich sachlich oder örtlich unzuständiges Gericht auch dadurch zuständig, daß der Beklagte zur Sache vorbringt (§ 74 ZPO) oder mündlich verhandelt, ohne die Einrede der Unzuständigkeit zu erheben. Mit Beschluß des Rekursgerichtes vom 8. März 1990 wurde das gesamte Verfahren bis einschließlich der Zustellung der Klage als nichtig aufgehoben. Das Verfahren ist damit wieder in den Stand nach der Klagseinbringung zurückversetzt worden. Nach ordnungsgemäßer Zustellung der Klage und dem Auftrag zur Erstattung der Klagebeantwortung hat der Beklagte vor den materiellrechtlichen Einwendungen gegen den Klagsanspruch, also vor der Streiteinlassung und damit rechtzeitig, in seiner Klagebeantwortung die Einrede der örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit erhoben.

Zutreffend hat das Rekursgericht auch ausgeführt, daß es für das Vorliegen des Gerichtsstandes des Vermögens auf den Zeitpunkt der Klagsanbringung und nicht auf jenen der Streiteinlassung ankommt. Der Fortfall eines inländischen Vermögens, das den Gerichtsstand des Vermögens begründet hat, kann daher die einmal begründete Zuständigkeit eines bestimmten inländischen Gerichtes nicht mehr beseitigen und auch nicht mehr nachträglich den daraus abgeleiteten Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit begründen (SZ 60/164 = EvBl 1988/33; SZ 52/60 ua).

Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß eine Gerichtsstandvereinbarung im Sinne des § 104 JN im Zweifel nur einen Wahlgerichtsstand begründet und daß sich die Beurteilung der Frage, ob der vereinbarte Gerichtsstand ein ausschließlicher sein sollte, danach richtet, ob aus dem Wortlaut und aus dem Sinn der Vereinbarung die Ausschließlichkeit ausdrücklich hervorgeht (EvBl 1968/160 mwN uva). Die Vereinbarung, daß für Streitigkeiten ein bestimmtes Gericht zuständig sei, besagt nur, daß dort Klagen eingebracht werden können, nicht aber, daß kein anderes Gericht angerufen werden dürfe. Nur wenn die Ausschließlichkeit ausdrücklich aus der Vereinbarung hervorgeht, ist kein Wahlgerichtsstand anzunehmen. Letzteres trifft hier keineswegs zu. Es wurde hier nicht einmal nur ein bestimmtes Gericht für etwaige Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis vereinbart (wie das Erstgericht unrichtig meint, das Amtsgericht München), denn die Klausel "Gerichtsstand für etwaige Rechtsstreitigkeiten ist der Sitz des Klägers" besagt nur, daß jeweils jenem Vertragspartner das Wahlrecht zukommt, welcher gegen den anderen mit Klage vorgehen will, daß also auch ein Wahlgerichtsstand in Italien vereinbart ist. Die Klausel enthält aber nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Annahme einer vereinbarten Ausschließlichkeit.

Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die Ansicht des Klägers, aus der Tatsache, daß zur Sicherung des mit Klage verfolgten Anspruches auch eine einstweilige Verfügung beantragt worden sei, müsse allein schon zwangsläufig die Bejahung der Zuständigkeit des inländischen Gerichtes folgen, weil nur durch eine Klageführung beim inländischen Gericht dem Auftrag zur Einbringung der Klage nach § 391 EO entsprochen werden könne, unrichtig ist. Ein allenfalls vorliegender Mangel der Zuständigkeit eines inländischen Gerichtes kann nicht auf einem solchen Umweg wieder beseitigt werden (EvBl 1968/160).

Dem Revisionsrekurs war daher keine Folge zu geben.

Die Kosten des Verfahrens über den Revisionsrekurs sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln (§ 52 ZPO).

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