OGH 14Os45/91

OGH14Os45/914.6.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Juni 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Moser als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Peter S***** wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 6. März 1991, GZ 15 Vr 912/90-25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugemittelt.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter S***** (I.) des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB und (II.) der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Er wurde deswegen zu einer (zweieinhalbjährigen) Freiheitsstrafe verurteilt; außerdem wurde gemäß § 21 Abs. 2 StGB seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 25.November 1990 in Stinatz

(zu I) die am 26.Februar 1983 geborene Veronika S***** mit Gewalt und durch gefährliche Drohung, indem er sie gewaltsam erfaßte und in ein Kellerabteil des Gasthofes "S*****" zerrte bzw. trug, wobei er ihr den Mund zuhielt, um Hilferufe zu unterbinden, ihr Schläge in das Gesicht versetzte und äußerte, er werde sie umbringen, sollte sie nicht still sein, zur Vornahme und Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er ihren zuvor entblößten Genitalbereich betastete, mit einem Finger in ihre Scheide eindrang und sie überdies aufforderte, sein entblößtes Glied zu betasten, und

(zu II) durch die oben zu I angeführten Handlungen die Unmündige Veronika S***** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht.

Der Angeklagte bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf die Z 3, 4, 5, 5 a, 10 und 11 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

In Ansehung seiner Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 2 StGB erblickt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Vorschriften, deren Beobachtung des Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit vorschreibt (§ 281 Abs. 1 Z 3 StPO), darin, daß er während der Voruntersuchung nicht durch einen Verteidiger vertreten gewesen sei (§ 436 Abs. 2 iVm § 429 Abs. 2 Z 1 StPO), weiters in dem Umstand, daß er im Rahmen der Voruntersuchung nicht durch einen Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie untersucht worden sei (§§ 436 Abs. 2 iVm § 429 Abs. 2 Z 2 StPO) und daß der erst nach Abschluß der Voruntersuchung zugezogene psychiatrische Sachverständige Dr. GROSS an der (vertagten) Hauptverhandlung vom 30. Jänner 1991 nicht teilgenommen habe.

Die relevierte Nichtigkeit (Z 3) liegt jedoch nur vor, wenn in der (dem Urteil vorangehenden) Hauptverhandlung Vorschriften unrichtig angewendet oder nicht beachtet werden. Demnach ist eine Verletzung der Vorschrift des § 436 StPO weder "direkt" noch unter Heranziehung weiterer Verfahrensvorschriften (vgl. hiezu die Beschwerdausführungen S 273) mit Nichtigkeit bedroht (ÖJZ-LSK 1978/141). Dazu kommt, daß sich der Verdacht, der Angeklagte habe die ihm zur Last liegenden (mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten) Taten (ohne zurechnungsunfähig zu sein) unter dem Einfluß einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad begangen, und die Befürchtung, er werde unter dem Einfluß dieser Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen, erstmals in der Hauptvehandlung vom 30.Jänner 1991, und zwar auf Grund der Verantwortung des Angeklagten (S 195, 196) ergab, als die in der Hauptverhandlung anwesende Sachverständige für Psychologie Dr. KARAFIAT mit dem Hinweis, daß beim Angeklagten möglicherweise "Blut, Sexualität, Befriedigung in einer Kette stehen" eine Ergänzung des psychiatrischen Gutachtens anregte (S 202). Dies nahm der Schöffensenat (gemäß § 276 StPO) zum Anlaß, die Hauptverhandlung zur Einholung eines ergänzenden Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen Dr. GROSS zu vertagen (S 206). Erst ab diesem Zeitpunkt war das Gericht gehalten, die Bestimmungen der §§ 435 ff StPO über die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 2 StGB anzuwenden, von denen - wie bereits aufgezeigt wurde - nur die Verfahrensvorschriften über die Hauptverhandlung (§ 439 Abs. 1 und Abs. 2 StPO) unter Nichtigkeitssanktion stehen. Insoweit führt die Beschwerde zudem selbst zutreffend aus, daß die Bestimmung des § 439 Abs. 2 iVm § 429 Abs. 2 Z 2 StPO nur dahin verstanden werden könne, daß der psychiatrische Sachverständige - bei sonstiger Nichtigkeit - zur Hauptverhandlung beigezogen werden muß (EvBl. 1982/151). Genau das ist aber im vorliegenden Fall ohnedies geschehen; denn die am 30. Jänner 1991 vertagte Hauptverhandlung mußte infolge Zeitablaufs (§ 276 a StPO) wiederholt werden. Bei der am 6. März 1991 neu durchgeführten Hauptverhandlung aber war der psychiatrische Sachverständige Dr. GROSS ohnedies von Beginn an anwesend (S 221). Der behauptete Verstoß gegen § 439 Abs. 2 StPO liegt demnach nicht vor.

Einen seine Verteidigungsrechte beeinträchtigenden Verfahrensmangel (Z 4) erblickt der Beschwerdeführer in der Abweisung des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung (vom 6. März 1991) gestellten Antrages auf Beiziehung "neuer Sachverständiger". Dieser Antrag wurde damit begründet, daß die Untersuchung nicht ausreiche, um verläßlich über die Persönlichkeit des Angeklagten abzusprechen und der Sachverständige ohne "weitere Untersuchung" bloß auf Grund von "Verhandlungsergebnissen" nicht von seinem schriftlich erstellten Gutachten abgehen könne (S 230).

Der Beweisantrag wurde mit der im Urteil nachgetragenen (S 249, 251 f) Begründung abgewiesen (S 235), daß der Schöffensenat an der Richtigkeit der von den beiden erfahrenen Sachverständigen übereinstimmend abgegebenen Expertisen keinen Zweifel hege.

Dem ist hinzuzufügen, daß für die Beiziehung des psychiatrischen Sachverständigen nach §§ 439 Abs. 2, 429 Abs. 2 Z 2 StPO die Regeln der §§ 118 Abs. 2 und 134 Abs. 1 StPO uneingeschränkt gelten (ÖJZ-LSK 1986/18). Demnach sind zwei Sachverständige aus einem Fachgebiet nur ausnahmsweise, nämlich dann beizuziehen, wenn es wegen der Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung erforderlich ist. Derartige Schwierigkeiten wurden indes vom Beschwerdeführer ebensowenig behauptet, wie etwa Mängel des Befundes (§ 125 StPO) oder des Gutachtens (§ 126 Abs. 1 StPO). Aus der Tatsache, daß der psychiatrische Sachverständige Dr. GROSS für die Exploration des Angeklagten (nach Meinung der Beschwerde "nur") etwa eine halbe Stunde bis eine Stunde aufwendete (S 229), kann eine Urteilsnichtigkeit ebensowenig abgeleitet werden, wie aus dem Umstand, daß der genannte Sachverständige sein Gutachten auf Grund der - ihm schriftlich vorliegenden - "Ergebnisse der letzten Hauptverhandlung" in Verbindung mit der - in seiner Anwesenheit

wiederholten - Verantwortung des Angeklagten dahin ergänzte, daß die bereits im schriftlichen Gutachten konstatierte Sexualneurose in Verbindung mit als Zykloidie qualifizierten Stimmungsschwankungen des Angeklagten (S 133) doch das Ausmaß einer seelischen Abartigkeit von höherem Grad im Sinn des § 21 StGB erreicht (S 228, 229). Erachtet aber das Gericht - wie hier - den beigezogenen Sachverständigen für befähigt, ein einwandfreies Gutachten abzugeben, und ergeben sich auch sonst keine Bedenken der in §§ 125, 126 StPO angeführten Art, so liegt in der Abweisung eines Antrags auf Beiziehung anderer Sachverständiger ein Akt der Beweiswürdigung des Schöffensenates, der im Nichtigkeitsverfahren nicht anfechtbar ist (Mayerhofer-Rieder StPO3 ENr. 132, 133 zu § 281 Abs. 1 Z 4).

Damit erledigt sich auch der auf die beiden Sachverständigengutachten abzielende Teil der Mängelrüge (Z 5). Denn welche "erheblichen Widersprüche" in den Gutachten der Sachverständigen Dr. GROSS und Dr. KARAFIAT nach Ansicht des Beschwerdeführers "unaufgeklärt" und "unerörtert" geblieben sind, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen. Die Gründe aber, aus denen der Sachverständige Dr. GROSS seine im schriftlichen Gutachten zum Ausdruck gebrachte Ansicht über das Ausmaß der seelischen Abartigkeit des Angeklagten auf Grund dessen Verantwortung in der Hauptverhandlung vom 30.Jänner 1991 und der Ausführungen der Psychologin Dr. KARAFIAT im Zusammenhalt mit der Verantwortung des Angeklagten in der (erneuerten) Hauptverhandlung vom 6. März 1991 änderte, wurden entgegen dem Beschwerdevorbringen im ergänzten Gutachten schlüssig und nachvollziehbar dargelegt (S 228, 229, 249). Die Beurteilung jedoch, ob eine - geistige oder seelische - Abartigkeit höheren Grades vorliegt, ist eine vom Gericht und nicht vom Sachverständigen zu beantwortende Rechtsfrage.

Es versagt aber auch der Einwand, der Schöffensenat habe die bezüglichen Urteilsfeststellungen offenbar unzureichend begründet und sich mit der Verantwortung des Angeklagten nicht hinreichend auseinandergesetzt. Dabei übergeht die Beschwerde nämlich, daß die von der Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung abweichenden Urteilsfeststellungen - soweit sie überhaupt entscheidende Tatsachen betreffen - in seiner (gemäß § 258 Abs. 2 StPO) für glaubwürdig erachteten Darstellung des Tatablaufes vor der Gendarmerie (S 7-10) und vor dem Untersuchungsrichter (S 30 ff) wie auch in den ebenfalls als glaubwürdig beurteilten Angaben der Veronika S***** (S 247 f) volle Deckung finden.

Demgemäß ergeben sich aus den Akten keine Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen; es geht daher auch die Tatsachenrüge (Z 5 a) fehl.

Mit seinem auf § 281 Abs. 1 Z 11 StPO gestützten Vorbringen wendet sich der Beschwerdeführer ausschließlich gegen die Anordnung seiner Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 2 StGB. Dabei setzt sich die Beschwerde jedoch über die Urteilsfeststellung hinweg, wonach die beim Angeklagten festgestellte, mit einer Persönlichkeitsstörung verbundene Sexualneurose das Ausmaß einer seelischen Abartigkeit von höherem Grad erreichte (S 245 f), sohin "außerhalb der Variationsbreite des noch normalen" liegt und so ausgeprägt ist, daß dadurch die Willensbildung beeinflußt werden kann (S 255). Daß aber die Bestimmung des § 21 Abs. 2 StGB nur für Personen vorgesehen ist, die "intellektuell oder psychisch einem Zurechnungsunfähigen gleichstehen", ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Vielmehr soll durch die vorbeugende Maßnahme nach § 21 Abs. 2 StGB unbeschadet der Möglichkeit, den Täter zu bestrafen, die Behandlung schwer psychopathischer Rechtsbrecher sichergestellt werden, deren spezifische Gefährlichkeit in der Anlaßtat zum Ausdruck kommt. Der Zustand ausgeprägter psychischer Abartigkeit muß nicht die einzige Ursache der Tatverübung sein, es genügt, wenn diese Abartigkeit für die Tatbegehung zumindest mitursächlich ist (ÖJZ-LSK 1979/135).

Mit dem weiteren darauf bezughabenden Vorbringen weist die Beschwerde auf die Ausführungen zu den geltend gemachten formalen Nichtigkeitsgründen zurück, ohne jedoch einen rechtlichen Fehler des Erstgerichts bei der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt gemäß § 21 Abs. 2 StGB aufzeigen zu können.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) schließlich läßt zur Gänze eine prozeßordnungsgemäße Ausführung vermissen. Denn bei dem Einwand, die Bestimmung des § 202 Abs. 1 StGB - ersichtlich gemeint in der Fassung vor der Strafgesetznovelle 1989 - sei zu Unrecht angewendet worden, weil im gesamten Verfahren von einer Nötigung zum "Beischlaf" nie die Rede gewesen sei, vielmehr eine "Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs. 1 StGB" vorliege, vergleicht die Beschwerde den im Urteil festgestellten Sachverhalt nicht mit dem vom Schöffengericht darauf tatsächlich angewendeten - seit der Strafgesetznovelle 1989 BGBl. 242 in Kraft stehenden - Gesetz (nämlich § 202 Abs. 1 StGB nF).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach gemäß § 285 d Abs. 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen. Daraus folgt, daß zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gemäß § 285 i StPO der Gerichtshof zweiter Instanz zuständig ist.

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