Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die am 19.März 1965 geborene Renate G***** wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 7.Dezember 1983, P 25/67-101, wegen Geistesschwäche beschränkt entmündigt. Gemäß Art X Pkt. 3 des Bundesgesetzes vom 2.Februar 1983 über die Sachwalterschaft für behinderte Personen, BGBl. Nr. 136, steht Renate G***** nun einer Person gleich, der ein Sachwalter nach § 273 Abs 3 Z 3 ABGB (= für alle Angelegenheiten) bestellt wurde, wobei sie jedoch die Handlungsfähigkeit einer mündigen Minderjährigen behielt.
Die Sachwalterin beantragte die gerichtliche Zustimmung zur Sterilisation mit der Begründung, die Betroffene habe das 25. Lebensjahr vollendet, sei aber nicht in der Lage, "irgendetwas" alleine zu tun; sie könne weder kochen noch sich den Kopf waschen etc.; sie kenne nicht einmal die Uhr, könne die einfachsten Rechnungen nicht bewerkstelligen und wäre auch nicht in der Lage, einmal ein Kind zu versorgen.
Das Erstgericht wies den Antrag der Sachwalterin ab. Dieser Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Betroffene erklärte, sie habe noch niemals Beziehungen zu einem Mann gehabt und wolle solche auch nicht eingehen. Gegenüber dem Sachverständigen erklärte sie sich mit einer Sterilisation einverstanden. Bei der Betroffenen besteht ein angeborener und jedwede Verselbständigung ausschließender Schwachsinn im Ausmaß einer Imbezillität. Sie würde mit großer Wahrscheinlichkeit durchwegs schwachsinnige Kinder gebären. Sie wäre niemals in der Lage, ihre Kinder selbst aufzuziehen. Ihre wiederholten Äußerungen, sie wolle von Männerbekanntschaften nichts wissen, ist in Anbetracht der einer Schwachsinnigen eigenen Leichtgläubigkeit und der damit verbundenen Beeinflussungsmöglichkeiten bzw. im Hinblick auf ihre oft widerstandslose Verführbarkeit kein Gewicht beizumessen. Der Sachverständige gewann den Eindruck, daß die Betroffene intuitiv die Zweckmäßigkeit des Eingriffes richtig erfaßte. Die Betroffene hat keine Kenntnis über die Vorgänge von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt. Sie kann nicht einmal richtig und vollständig die Frage beantworten, welche Personen für ihre Existenz notwendig gewesen sind. Seinerzeit war bei der Betroffenen die Einsetzung einer Spirale wegen der Schmächtigkeit ihrer Gebärmutter nicht möglich gewesen. Ob diesbezüglich eine Änderung eingetreten ist, steht nicht fest.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß der irreversible Vorgang der Sterilisation nicht vorgenommen werden müsse, weil die Sachwalterin die Einnahme eines ovulationshemmenden Präparates durch die Betroffene überwachen könne. Im Falle des Ablebens der Sachwalterin müsse die Betroffene ohnedies sofort einer anderen Pflegeperson anvertraut werden, die dann diese Aufgabe übernehmen müsse. Sollte sich durch eine neuerliche Untersuchung die Möglichkeit des Einsetzens einer Spirale ergeben, so wäre dieser Methode der Vorzug zu geben, weil dabei die Notwendigkeit einer täglichen Kontrolle - wie sie bei der Einnahme der "Pille" erforderlich ist - wegfiele.
Das Rekursgericht änderte über Rekurs der Sachwalterin der Betroffenen den erstgerichtlichen Beschluß in dem Antrag stattgebendem Sinn ab.
Gemäß § 90 Abs 2 StGB sei die von einem Arzt an einer Person mit ihrer Einwilligung vorgenommene Sterilisation dann nicht rechtswidrig, wenn entweder die betreffende Person bereits das 25. Lebensjahr vollendet hat oder wenn der Eingriff aus anderen Gründen nicht gegen die guten Sitten verstößt. Die Einwilligung einer Pflegebefohlenen, der die Einsicht in die Bedeutung einer solchen Erklärung mangle - wie es bei der hier Betroffenen der Fall sei - könne durch die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters und die Genehmigung des Pflegschaftsgerichtes ersetzt werden. Dies entspreche nicht nur dem zivilrechtlichen Grundsatz der Vertretung Pflegebefohlener durch deren gesetzlichen Vertreter, sondern werde auch durch das Strafgesetzbuch weder ausdrücklich noch auch nur erkennbar untersagt. Diese Vorgangsweise sei überdies verfassungskonform, weil der Gleichheitsgrundsatz dann verletzt wäre, wenn der nicht Geschäftsfähige trotz schwerwiegender Gründe, die im Fall seiner wirksamen Einwilligung die Rechtswidrigkeit ausschlössen, von der Möglichkeit einer zu seinem Wohl dienenden Sterilisation überhaupt ausgenommen bliebe.
Besonders sei darauf hinzuweisen, daß die Sterilisation der Betroffenen keine staatliche Maßnahme darstelle, sondern Ergebnis eines durch die Sachwalterin substituierten Willensaktes der Betroffenen selbst sei. Dem gesamten Sachwalterrecht liege das Ziel zugrunde, mangelnde Fähigkeiten der Betroffenen zu ergänzen oder zu ersetzen. Im vorliegenden Fall werde eine Maßnahme genehmigt, die von der Betroffenen selbst, wäre sie zu entsprechend vernünftigen Überlegungen imstande, gesetzt würde. Dies folge daraus, daß die Schwangerschaft mit einer erheblichen psychischen Beeinträchtigung der Betroffenen und vor allem mit dem Bewußtsein verbunden wäre, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit behinderte Kind nie selbst betreuen zu können. Die Vermeidung der Mutterschaft könne der Betroffenen im konkreten Fall mit Sicherheit nicht anders als durch einen chirurgischen Eingriff ermöglicht werden.
Das Rekursgericht sprach die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses aus, weil es zu der hier zu lösenden Rechtsfrage erst eine oberstgerichtliche Entscheidung gebe.
Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs des Kollisionskurators, der für die Betroffene bestellt wurde, mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluß wiederherzustellen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Der Kollisionskurator macht geltend, daß
a) nicht davon ausgegangen werden könne, daß die Betroffene selbst sich gegen eine Mutterschaft entscheiden würde, weil diese gar nicht in der Lage sei, die Bedeutung einer Sterilisation zu erfassen;
b) die Betroffene ein von ihr zur Welt gebrachtes Kind auf keinen Fall pflegen und erziehen könnte, sodaß die beabsichtigte Sterilisation in Wahrheit nicht dem Wohl der Betroffenen, sondern dem Interesse der Gesellschaft diene, die davor bewahrt werde, ein von der Pflegebefohlenen geborenes Kind aufziehen zu müssen, und
c) der durch die irreversible Maßnahme der Sterilisation angestrebte Zweck auch durch ein gelinderes Mittel, nämlich die Einsetzung einer Spirale, erreicht werden könne.
Alle diese Argumente sind nicht überzeugend.
In der Entscheidung vom 12.Dezember 1977, 1 Ob 735/77 (SZ 50/161 = EvBl 1978/100) bestätigte der Oberste Gerichtshof die von einem Rekursgericht erteilte Genehmigung zur Durchführung einer Sterilisation der Pflegebefohlenen, die bis zur Ausfertigung und Durchführung der oberstgerichtlichen Entscheidung das 25. Lebensjahr vollendet haben würde. Der der seinerzeitigen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt stimmt in allen wesentlichen Punkten mit dem hier zu beurteilenden überein. Der erkennende Senat bestätigt daher auch in diesem Fall die rekursgerichtliche Entscheidung aus den in der seinerzeitigen Entscheidung dargestellten Gründen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:
Nach § 90 Abs 2 StGB ist die von einem Arzt an einer Person mit ihrer Einwilligung vorgenommene Sterilisation nicht rechtswidrig, wenn entweder die Person bereits das 25. Lebensjahr vollendet hat - wie hier die Betroffene - oder wenn der Eingriff aus anderen Gründen nicht gegen die guten Sitten verstößt. Die Einwilligung einer Pflegebefohlenen, der die Einsicht in die Bedeutung einer solchen Erklärung mangelt, kann durch die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters und die Genehmigung des Pflegschaftsgerichtes ersetzt werden. Dies entspricht nicht nur dem zivilrechtlichen Grundsatz der Vertretung Pflegebefohlener durch ihren gesetzlichen Vertreter, sondern wird - wie das Rekursgericht zutreffend ausführte - durch das Strafgesetzbuch weder ausdrücklich noch erkennbar untersagt und ist überdies verfassungskonform, weil der Gleichheitsgrundsatz gefährdet wäre, wenn der nicht Geschäftsfähige trotz schwerwiegender Gründe, die im Falle seiner wirksamen Einwilligung die Rechtswidrigkeit ausschließen würden, von der Möglichkeit einer seinem Wohle dienenden Sterilisation überhaupt ausgenommen bliebe. Die Notwendigkeit der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung einer solchen, vom Sachwalter beabsichtigten schwerwiegenden Maßnahme folgt aus den §§ 216, 269 und 282 ABGB.
Eine persönliche Einwilligung der Betroffenen kommt nicht in Betracht, weil diese die ihr zukommende Willenserklärung in keiner Weise erfassen könnte. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Betroffene seinerzeit bloß beschränkt entmündigt wurde - und sie daher auf Grund der oben genannten Übergangsbestimmung einem mündigen Minderjährigen gleichsteht -, weil es nur darauf ankommt, ob die Betroffene die Tragweite der konkreten Rechtshandlung zu beurteilen vermag. Gerade dies ist aber nach den getroffenen Feststellungen nicht der Fall.
Die Verhinderung einer Schwangerschaft der Betroffenen, die selbst pflegebedürftig ist und die zur Pflege und Erziehung eigener Kinder gewiß nicht imstande wäre, liegt entgegen der Meinung des Revisionsrekurswerbers in deren dringendem Interesse.
Die Anwendung anderer, gleich wirksamer und geeigneter Mittel zur Verhinderung einer Schwangerschaft kommen nicht in Betracht:
Die Einnahme ovulationshemmender Medikamente scheidet von vornherein aus, weil ihre verläßliche Einnahme durch eine nicht voll zurechnungsfähige Person nicht ständig gesichert werden kann.
Auch ist nicht einzusehen, warum die Betroffene, die wegen ihres nicht besserungsfähigen Schwachsinns vor der Gefahr einer ihrer Einsicht völlig entzogenen Schwängerung geschützt werden muß, einer jahrelangen Injektionsbehandlung (mit eine Schwangerschaft für jeweils drei Monate verhindernden Wirkung) oder der auch nicht ein für allemale möglichen und mit Sicherheit komplikationslosen Einsetzung einer Spirale ausgesetzt werden soll, wobei die letztgenannte Möglichkeit bisher mangels Durchführbarkeit scheiterte.
Das Moment der praktischen Unwiderruflichkeit der Sterilisation fällt in diesem konkreten Fall nicht ins Gewicht, weil eine Fruchtbarkeit der Betroffenen aller menschlichen Voraussicht nach auch in Zukunft niemals anzustreben sein wird.
Das vom Kollisionskurator gebrauchte Argument, in Wahrheit solle nur die Gesellschaft davor geschützt werden, ein von der Betroffenen geborenes Kind aufziehen zu müssen, schlägt nicht durch, weil es darauf bei der Entscheidung überhaupt nicht ankommt. Unfruchtbarkeit der Betroffenen hat zwar den vom Kollisionskurator aufgezeigten Effekt, doch ist die Erzielung dieses Effektes nicht der Grund für die Sterilisation der Betroffenen.
Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.
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