Spruch:
Das Gesetz wurde verletzt:
1. Im Strafverfahren AZ 6 c Vr 5709/90 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien
a) durch die Unterlassung der Anhörung des Angeklagten vor der Entscheidung über den allfälligen Widerruf der bedingten Entlassung bzw. die allfällige Probezeitverlängerung in der Bestimmung des § 494 a Abs. 3 erster Satz StPO;
b) durch die Unterlassung, das seinerzeit mit der bedingten Entlassung des Friedrich F***** befaßt gewesene Vollzugsgericht unverzüglich von der in der Hauptverhandlung (ON 21) mit Beschluß vom 1.August 1990 (ON 22) ausgesprochenen Verlängerung der Probezeit zu verständigen, in der Bestimmung des § 494 a Abs. 8 StPO;
2. in der Strafvollzugssache 18 a BE 786/88 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien durch den Beschluß vom 20.November 1990 (ON 10), mit dem die bedingte Entlassung des Friedrich F***** für endgültig erklärt wurde, in der Bestimmung des § 48 Abs. 3 StGB. Der (gemeinsam mit dem Urteil gefaßte) Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 1.August 1990, GZ 6 c Vr 5709/90-22, sowie der von diesem Gericht als Vollzugsgericht gefaßte Beschluß vom 20.November 1990, GZ 18 a BE 786/88-10, werden aufgehoben und es wird gemäß §§ 292, 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Die mit Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 1. Juni 1988, GZ 18 a BE 786/88-5, angeordnete bedingte Entlassung des Friedrich F***** aus der mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29.April 1988, GZ 13 e E Vr 3968/86-150, verhängten Freiheitsstrafe wird für endgültig erklärt.
Text
Gründe:
Mit dem Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 1.Juni 1988, GZ 18 a BE 786/88-5, wurde ***** Friedrich F***** gemäß § 46 (Abs. 2) StGB mit Wirkung vom 3. Juni 1988 unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt aus der Strafhaft entlassen (Strafrest ein Monat und zwölf Tage). Mit dem (zufolge Rechtsmittelverzichtes sogleich in Rechtskraft erwachsenen) Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1.August 1990, GZ 6 c Vr 5709/90-22, wurde Friedrich F***** wegen vornehmlich im Mai 1990 (sohin innerhalb der Probezeit) begangener Straftaten des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SGG, teils in der Entwicklungsstufe des Versuches nach § 15 StGB, sowie des Vergehens nach § 16 Abs. 1 SGG schuldig erkannt und zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollzug allerdings gemäß § 23 a Abs. 1 SGG aufgeschoben wurde (ON 24). Sogleich faßte der Schöffensenat auch den Beschluß, vom Widerruf der mit dem oben bezeichneten Beschluß bewilligten bedingten Entlassung gemäß § 494 a Abs. 1 Z 2 StPO abzusehen, verlängerte allerdings gemäß § 494 a Abs. 7 StPO die Probezeit auf fünf Jahre. Da in diesem Strafverfahren die Voruntersuchung gegen Friedrich F***** bereits mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 31.Mai 1990 eingeleitet worden war, lagen die zeitlichen Voraussetzungen für diese Maßnahme gemäß § 56 StGB vor; allerdings kann dem allein beweismachenden Hauptverhandlungsprotokoll nicht entnommen werden, daß der Angeklagte (und auch die Anklagebehörde) vor dieser Entscheidung gehört wurde(n; § 494 a Abs. 3 erster Satz StPO).
Überdies unterblieb die gemäß § 494 a Abs. 8 StPO vorgeschriebene unverzügliche Verständigung der als Vollzugsgericht zuständigen Abteilung 18 a des Landesgerichtes für Strafsachen Wien von der Verlängerung der Probezeit. Erst mit der Endverfügung vom 10. August 1990 wurde ohne besonderen Hinweis auf die Dringlichkeit die Verständigung des Vollzugsgerichtes zu 18 a BE 786/88 angeordnet (Punkt 14 auf S 141). Diese nach dem Abfertigungsvermerk am 30.November 1990 ausgefertigte Verständigung langte in der Abteilung 18 a des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erst am 5.Dezember 1990 ein (ON 11 im Akt 18 a BE 786/88).
Inzwischen hatte das Landesgericht für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht - dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechend - mit rechtskräftigem Beschluß vom 20.November 1990, GZ 18 a BE 786/88-10, in Unkenntnis der Entscheidung über die Verlängerung der Probezeit und damit noch vor deren Ablauf festgestellt, daß die bedingte Entlassung des Friedrich F***** endgültig sei.
In ihrer gemäß § 33 Abs. 2 StPO zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde weist die Generalprokuratur zur Recht darauf hin, daß durch die aufgezeigten Vorgänge das Gesetz in mehrerer Hinsicht verletzt wurde.
Zu 1 a des Spruches:
Rechtliche Beurteilung
Nach dem Inhalt des Aktes verfügte der Vorsitzende anläßlich der Ausschreibung der Hauptverhandlung die Beischaffung sämtlicher aus der Strafregisterauskunft (S 15) ersichtlicher Vorstrafakten (S 96), worunter sich auch der Akt 12 e E Vr 3968/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien befand, sodaß von der Verlesung dieser Akten in der Hauptverhandlung auszugehen ist (S 113), zumal unter Punkt 20 der Endverfügung auch wieder die Rücksendung dieser Akten verfügt wurde (S 142). Offensichtlich nicht Einsicht genommen hat der Schöffensenat aber in den Akt 18 a BE 786/88 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, obwohl dies nach Lage des Falles (Wahrung der Fristen) geboten gewesen wäre (siehe hiezu bereits 12 Os 131,132/90). Vor allem aber kann dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht entnommen werden, daß der Angeklagte (oder auch der Staatsanwalt) zum allfälligen Widerruf der bedingten Entlassung gehört wurde(n). Gemäß § 494 a Abs. 3 erster Satz StPO ist aber diese Anhörung zwingend vorgeschrieben (siehe 12 Os 25/89, 12 Os 141,142/89, 14 Os 33,34/90), weshalb jedenfalls in der Mißachtung dieses Anhörungsrechtes eine Gesetzesverletzung zu erblicken ist, die sich nach Lage des Falles auch zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben kann. Der Oberste Gerichtshof schloß sich hiebei dem im Gerichtstag gestellten Eventualantrag der Generalprokuratur an, da sich die (in der schriftlichen Beschwerde allein als verletzt angezogene) Verfahrensvorschrift des § 180 Abs. 2 StVG nur auf das Verfahren vor dem Vollzugsgericht bezieht, während § 494 a Abs. 1 und 7 StPO (ua) die Fälle des Widerrufes einer bedingten Entlassung, des Absehens von einem solchen und der Verlängerung der Probezeit jeweils aus Anlaß einer neuerlichen Verurteilung regelt und Abs. 3 leg. cit. hiefür die entsprechende (spezielle) Verfahrensnorm darstellt.
Der Beschluß, mit dem auch die Verlängerung der Probezeit ausgesprochen wurde, war daher zur Gänze aufzuheben.
Zu 1 b des Spruches:
Der Vorsitzende des Schöffengerichtes hat von dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß auf Verlängerung der Probezeit nicht sogleich das Vollzugsgericht (nämlich die Abteilung 18 a desselben Gerichtes) verständigt, sondern - wie dargestellt - die Verständigungsanordnung routinemäßig in die Endverfügung aufgenommen, ohne dafür Sorge zu tragen, daß diese umgehend abgefertigt wird. Damit hat das Gericht gegen die im § 494 a Abs. 8 StPO angeordnete Verpflichtung zu unverzüglicher Verständigung verstoßen. Die in dieser Gesetzesstelle normierte Verständigung soll nämlich sicherstellen, daß das von der neuen Entscheidung betroffene Gericht keine weitere Entscheidungskompetenz mehr in Anspruch nimmt. Dieser Zweck kann aber nur dann erreicht werden, wenn die Verständigung unmittelbar nach der jeweiligen Entscheidung (ohne Rücksicht auf deren Rechtskraft) vorgenommen wird (EvBl. 1989/64, 14 Os 176,177/88, 13 Os 81,82/89, 14 Os 51,52/90, 13 Os 3,4/91 uva). Die Dringlichkeit der Weitergabe der Information war im vorliegenden Fall überdies dadurch besonders indiziert, daß die Probezeit bereits abgelaufen war und daher eine baldige Entscheidung des Vollzugsgerichtes über die endgültige Nachsicht des Strafrestes zu gewärtigen war.
Diese Gesetzesverletzung war im Einklang mit der zitierten Vorjudikatur (einmal mehr) festzustellen.
Zu 2 des Spruches:
Die aufgezeigte Gesetzesverletzung hatte weiters zur Folge, daß das Vollzugsgericht, dessen Akt dem neu angefallenen Strafakt ersichtlich nicht angeschlossen war und das daher auch keine Kenntnis von dem neu eingeleiteten Strafverfahren und der möglichen Fristverlängerung nach § 56 StGB hatte, nach Ablauf der Probezeit eine Äußerung der Sicherheitsbehörde und eine neue Strafregisterauskunft einholte, die aber zufolge der späten Abfertigung der Endverfügung die neuerliche Verurteilung noch nicht enthielt, und hierauf die bedingte Entlassung für endgültig erklärte (ON 7 bis 10 des Aktes 18 a BE 786/88).
Gemäß § 48 Abs. 1 und 3 StGB ist die bedingte Nachsicht eines Strafrestes nur dann für endgültig zu erklären, wenn sie nicht widerrufen wird, was logischerweise erst nach Ablauf der (verlängerten) Probezeit entschieden werden kann. Dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß des Schöffengerichtes auf Verlängerung der Probezeit (von zwei auf fünf Jahre) steht somit der Ausspruch des Vollzugsgerichtes, daß die bedingte Entlassung endgültig sei, unvereinbar entgegen und entbehrt sohin jeder Rechtswirkung; er war (solcherart ohne Nachteil für den Verurteilten) durch Aufhebung zu beseitigen (abermals EvBl. 1989/64, zuletzt 12 Os 131,132/90).
Da aber, wie zu Punkt 1 a ausgeführt, nunmehr der Beschluß auf Verlängerung der Probezeit nachträglich aufgehoben wurde und die zweijährige Probezeit sowie die Nachfrist von sechs Monaten nach Beendigung des bei Ablauf der Probezeit anhängigen Strafverfahrens (§ 56 StGB) abgelaufen sind, konnte der Oberste Gerichtshof sofort in der Sache selbst entscheiden und gemäß § 48 Abs. 3 StGB nunmehr die bedingte Entlassung für endgültig erklären.
Das Landesgericht für Strafsachen Wien wird daher von dieser (die Rechtslage bereinigenden) Entscheidung das Strafregisteramt zu verständigen haben.
Der Nichtigkeitsbeschwerde war sohin spruchgemäß stattzugeben.
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