OGH 14Os20/91 (14Os21/91)

OGH14Os20/91 (14Os21/91)23.4.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.April 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Felzmann, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. ***** D***** wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Untersuchungsrichters vom 17. Juli 1989, GZ 22 b Vr 2514/89-82, und der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 26.Juli 1989, GZ 22 b Vr 2514/89-87, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr. Knob, und des Verteidigers Dr. Walter Strigl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Dr. ***** D***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Beschlüsse des Untersuchungsrichters und der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17.Juli 1989, GZ 22 b Vr 2514/89-82, und vom 26.Juli 1989, GZ 22 b Vr 2514/89-87, verletzen - soweit darin abgelehnt wird, aus den angeordneten Telefonüberwachungen jene Tonbandaufzeichnungen zu vernichten, welche Gespräche des Dr. ***** D***** mit seinem Verteidiger Dr. ***** S***** betreffen - das Gesetz in der Bestimmung des § 149 b Abs. 2 StPO iVm den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 und 3 lit. b und c sowie des Art. 8 MRK.

In diesem Umfang werden die bezeichneten Beschlüsse aufgehoben. Gemäß § 292 StPO wird dem Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien aufgetragen, die diesbezüglichen Aufzeichnungen vernichten zu lassen.

Text

Gründe:

Gegen ***** Dr. ***** D***** ist beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu 22 b Vr 2514/89 ein Strafverfahren wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Begünstigung nach § 299 Abs. 1 StGB und anderer Delikte anhängig.

Dr. D***** war Inhaber der Fernsprechanschlüsse mit den Teilnehmernummern 214/26/27, 83/84/412 und 02243/84/818.

Mit (von der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien am 24.Mai 1989 genehmigten) Beschlüssen vom 18.Mai 1989 (ON 20 bis 22 im Akt 22 b Vr 2514/89 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) ordnete der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wegen Gefahr im Verzuge gemäß § 149 a Abs. 2 StPO die Überwachung des Fernmeldeverkehrs der erwähnten Teilnehmernummern für die Dauer von zwei Wochen an.

Eine weitere Überwachungsanordnung für die Dauer von vier Wochen hinsichtlich der Teilnehmernummern 214/26/27 und 02243/84/18 (richtig 84/818) erfolgte mit den (von der Ratskammer am 31. Jänner 1990 genehmigten) Beschlüssen des Untersuchungsrichters vom 20.November 1989 (ON 125, 126), wobei die Überwachungsdauer in bezug auf die Teilnehmernummer 214/26/27 in der Folge mit Beschluß vom 18.Dezember 1989 bis 31.Jänner 1990 verlängert wurde (ON 169).

In einer am 28.Juni 1989 beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingebrachten (als Ratskammerbeschwerde bezeichneten) Eingabe stellte Dr. ***** D*****, vertreten durch seinen Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. ***** S*****, unter anderem den Antrag, der Untersuchungsrichter (allenfalls die Ratskammer) solle die sofortige Vernichtung sämtlicher Aufzeichnungen über die Telefongespräche des Beschuldigten im Überwachungszeitraum, insbesondere solche mit Richtern und mit seinem Verteidiger Dr. S*****, einschließlich der Aufzeichnungen im Schlußbericht samt den dazugehörigen Schallträgern verfügen (ON 64).

Mit Beschluß vom 17.Juli 1989 ordnete der Untersuchungsrichter zwar die Vernichtung verschiedener Protokolle und Aufzeichnungen über die Telefongespräche des Dr. ***** D***** an, wies aber das Mehrbegehren, sämtliche Telefonaufzeichnungen zu vernichten und sämtliche Bandaufnahmen zu löschen, ab, wobei in der Begründung des bezüglichen Beschlusses die Ansicht vertreten wird, der Umstand, daß bei einigen Gesprächen der Verteidiger des Beschuldigten dessen Gesprächspartner war, sei auch "unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 MRK bedeutungslos, da ja nicht das Telefon des Verteidigers, sondern Anschlüsse des Beschuldigten überwacht wurden" (ON 82).

Die dagegen erhobene Beschwerde des Beschuldigten (ON 86) wurde mit Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 26.Juli 1989 abgewiesen (ON 87).

Bereits am 10.Juli 1989 (vgl. auch die Beschwerdeergänzung ON 86) hatte Dr. ***** D***** gegen die Genehmigungsbeschlüsse der Ratskammer - betreffend die am 18.Mai 1989 angeordneten Telefonüberwachungen - Beschwerde an das Oberlandesgericht Wien erhoben und auch darin begehrt, die Vernichtung sämtlicher durch die Überwachung gewonnenen Aufzeichnungen anzuordnen (ON 69).

Ebenso beantragte der Beschuldigte in seiner des weiteren gegen die späteren Genehmigungsbeschlüsse der Ratskammer - betreffend die am 20.November 1989 angeordneten und am 18.Dezember 1989 verlängerten Telefonüberwachungen - ergriffenen Beschwerde an das Oberlandesgericht Wien die sofortige Vernichtung aller hiedurch gewonnenen Aufzeichnungen (ON 208).

Diesen Beschwerden wurde mit den Beschlüssen des Oberlandesgerichtes Wien vom 1.September 1989, AZ 25 Bs 354-357/89 (ON 107) und vom 26.Juli 1990, AZ 25 Bs 267-269/90 (ON 221) nicht Folge gegeben. Auf das Begehren, die Tonbandaufzeichnungen zu vernichten, gehen die Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Wien nicht ein, zumal eine Vernichtungsanordnung gemäß § 149 b Abs. 3 StPO vorausgesetzt hätte, daß die Beschwerden (wegen Unzulässigkeit der Telefonüberwachungen an sich) für berechtigt erkannt worden wären.

Im Zusammenhang mit den angeordneten Telefonüberwachungen und der Weigerung, die Aufzeichnungen, insbesondere jene seiner Gespräche mit seinem Verteidiger, zu vernichten, hat Dr. ***** D***** gegen die Republik Österreich eine Menschenrechtsbeschwerde eingebracht. Die österreichische Bundesregierung wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte um Stellungnahme ersucht, ob der Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 MRK garantierte Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Privatsphäre durch Aufzeichnung insbesondere seiner Telefongespräche mit einem Verteidiger und Anschluß der Aufzeichnungen an die Gerichtsakten nach Art. 8 Abs. 2 MRK gerechtfertigt war, wobei die in Art. 6 Abs. 3 lit. b und c MRK enthaltenen Garantien zur Interpretation dieser Bestimmung heranzuziehen seien.

Gegen die bezeichneten Beschlüsse des Untersuchungsrichters und der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien hat der Generalprokurator Beschwerde gemäß § 33 StPO erhoben. Er führt darin unter anderem wörtlich aus:

"Gemäß § 149 a Abs. 1 Z 2 letzter Halbsatz StPO ist die Überwachung eines Fernmeldeverkehrs einschließlich der Aufzeichnung seines Inhaltes unzulässig, wenn der Inhaber eine der in § 152 Abs. 1 Z 2 StPO genannten Personen ist. Der Zweck dieser Bestimmung ist neben dem Schutz der Interessen anderer Klienten der Schutz der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht der in § 152 Abs. 1 Z 2 StPO genannten Personen, mit anderen Worten, der Schutz der diesen erteilten vertraulichen Information (vgl. Foregger-Serini-Kodek, MKK, StPO4, Erl. V zu § 149 a StPO).

In diesem Sinne hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 3.Dezember 1984, G 24, 25, 51, 52, 89/83, G 107/84 (vgl. AnwBl. 1/1985) folgende Ausführungen getroffen:

Alle wesentlichen Verfahrensgesetze räumen dem Einzelnen das Recht ein, sich bei Verfolgung seiner rechtlichen Angelegenheiten eines berufsmäßigen Parteienvertreters zu bedienen. Den berufsmäßigen Parteienvertretern steht hingegen das Recht zu, sich als Zeuge der Aussage zu entschlagen, wobei sich das Entschlagungsrecht in seinem Kern auf jene Fakten bezieht, die dem berufsmäßigen Parteienvertreter im Zuge seiner Tätigkeit über seinen Klienten zur Kenntnis gelangt sind. Das Entschlagungsrecht ist offensichtlich eine notwendige Ergänzung zum Recht, sich eines Vertreters zu bedienen. Bei der Ausübung des Mandates kommt es notwendigerweise zu einem Informationsaustausch zwischen dem Klienten und dem berufsmäßigen Parteienvertreter. Soll nun durch das Entschlagungsrecht gerade dieser Informationsaustausch immunisiert werden, so kann sich die ratio legis des Entschlagungsrechtes nicht bloß darauf beschränken, daß der Vertreter nicht gezwungen werden soll, gegen seinen Klienten auszusagen. Es kommt nicht bloß auf die Nichterschütterung des Vertrauens an, das der Klient dem Vertreter entgegenbringt, sondern in erster Linie auf den Schutz der Information an sich, die dem Vertreter erteilt werden muß, soll er überhaupt in der Lage sein, sein Mandat auszuüben. Jedermann, der sich in seinen Angelegenheiten an einen berufsmäßigen Parteienvertreter wendet, muß darauf vertrauen können, daß er nicht gerade durch Betrauung eines Parteienvertreters und Informationserteilung an diesen Beweismittel schafft (Korrespondenz, Besprechungsnotizen usw), die dann, auf welchem Wege immer, ob durch Zeugenaussage oder durch Beschlagnahme, in die Hände der Behörde gelangen. Fehlt dieser Schutz, so fehlt ein wesentliches Element des Rechtes, sich in seinen Angelegenheiten eines Rechtsbeistandes zu bedienen.

Der erwähnten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes liegt somit die Überlegung zugrunde, daß das durch das Gesetz eingeräumte Entschlagungsrecht nicht auf Umwegen zunichte gemacht werden soll. Dieser Grundsatz ist auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Der von Dr. ***** D***** in seiner Beschwerde vom 8. Mai 1990 (ON 208) geäußerten Ansicht, es könne nicht darauf ankommen, ob der Inhaber der Fernmeldeanlage eine der im § 152 Abs. 1 Z 2 StPO genannten Personen ist, sondern ob eine solche Person - daher ein Verteidiger oder Rechtsanwalt - mit seinem Klienten spricht und somit nicht jene des Klienten, sondern die Fernmeldeanlage des Verteidigers überwacht wird und die Gespräche aufgezeichnet werden, kann freilich nicht gefolgt werden. Denn die Möglichkeit, daß der Inhaber eines Telefonanschlusses (auch) mit seinem Verteidiger oder Rechtsanwalt telefonisch Kontakt aufnimmt, kann von vornherein niemals ausgeschlossen werden, sodaß die zitierte Auffassung in letzter Konsequenz zur Unzulässigkeit jeglicher Überwachung des Fernmeldeverkehrs führen müßte. Dem von den Gerichten vertretenen Standpunkt, die Tatsache, daß der Verteidiger des Beschuldigten bei einigen Gesprächen dessen Gesprächspartner war, sei bedeutungslos, weil nicht das Telefon des Verteidigers, sondern das des Beschuldigten überwacht wurde, ist daher in bezug auf die Zulässigkeit der Überwachungsanordnung an sich grundsätzlich beizupflichten.

Andererseits ist aber ein Eingriff in die durch Art. 8 Abs. 1 MRK

gewährleisteten Rechte nach Art. 8 Abs. 2 der

Menschenrechtskonvention, welche in Österreich im Verfassungsrang

steht, nur statthaft, insoweit er gesetzlich vorgesehen ist und

eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft

..... zur Verhinderung von strafbaren Handlungen (worunter

entgegen der vom Beschuldigten vertretenen Auffassung wohl auch

die Aufklärung von Straftaten zu subsumieren ist) ..........

notwendig ist. Die "Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft" bedeutet dabei, daß der Eingriff, um mit der Menschenrechtskonvention vereinbar zu sein, unter anderem einem "zwingenden sozialen Bedürfnis" entsprechen und "in angemessenem Verhältnis zum verfolgten berechtigten Ziel" stehen muß (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 23.(richtig 25.)3.1983 in der Menschenrechtsbeschwerdesache Silver gegen Großbritannien).

Es ist daher eine Interessenabwägung vorzunehmen, die im vorliegenden Fall zum Ergebnis führt, daß die verfügte Aufbewahrung der aufgezeichneten Gespräche des Dr. ***** D***** mit seinem Verteidiger im Hinblick auf die ihm zustehenden Rechte nach Art. 6 Abs. 3 lit. b und c MRK zu weitgehend war, um nach Art. 8 Abs. 2 MRK gerechtfertigt zu sein; dies insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, daß das Recht auf Beiziehung des Verteidigers als Element eines fairen Verfahrens zu den grundlegenden Rechten der Menschenrechtskonvention zählt und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt ausgesprochen hat, daß die Konvention nicht bestimmt ist, theoretische oder illusorische Rechte zu garantieren, sondern Rechte gewährleistet, die konkret sind und Wirksamkeit entfalten.

Den Anträgen des Beschuldigten, die bezüglichen Aufzeichnungen zu vernichten, hätte demnach entsprochen werden müssen. Ihre spätere Verwertung im anhängigen Strafverfahren wäre unzulässig, würde auf eine Umgehung des § 152 Abs. 1 Z 2 StPO hinauslaufen und würde dem Erfordernis eines fair trial widersprechen (vgl. hiezu auch Arnold in AnwBl. 2/1980)."

Rechtliche Beurteilung

Die Wahrungsbeschwerde ist berechtigt.

Das Fernmeldegeheimnis ist in Österreich durch Art. 10 a StGG und durch Art. 8 MRK verfassungsrechtlich geschützt. Auch wenn Art. 8 Abs. 1 MRK Telefongespräche nicht ausdrücklich erwähnt, sind derartige Gespräche von den in der Vorschrift genannten Begriffen "Privatleben" und "Briefverkehr" miterfaßt (vgl. EGM 6.9.1978, Klass ua, EubRZ 1979, 278 ff). Ausnahmen vom Schutz des Fernmeldegeheimnisses sind nach Art. 10 a StGG nur auf Grund eines richterlichen Befehls in Gemäßheit bestehender Gesetze zulässig. Gemäß Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des in Art. 8 Abs. 1 MRK genannten Rechtes nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft - unter anderem - für die öffentliche Ruhe und Ordnung, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig ist.

Solche gesetzliche Ausnahmen enthält § 149 a StPO. Nach dieser Bestimmung ist die Überwachung eines Fernmeldeverkehrs einschließlich der Aufzeichnung seines Inhalts nur zulässig, wenn zu erwarten ist, daß dadurch die Aufklärung einer vorsätzlich begangenen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren handlung gefördert werden kann, und wenn 1. der Inhaber der Fernmeldeanlage selbst dringend verdächtig ist, die Tat begangen zu haben, oder 2. Gründe für die Annahme vorliegen, daß sich eine der Tat dringend verdächtige Person beim Inhaber der Anlage aufhalte oder sich mit ihm unter Benützung der Anlage in Verbindung setzen werde, es sei denn, daß der Inhaber einer der in § 152 Abs. 1 Z 2 StPO genannten Personen ist, oder 3. der Inhaber der Anlage der Überwachung ausdrücklich zustimmt. Letztere Voraussetzung liegt im vorliegenden Fall nicht vor. Gemäß § 149 b Abs. 2 StPO hat der Untersuchungsrichter nach Beendigung der Überwachung, falls kein Verlangen nach Aufbewahrung gestellt wird, die Aufzeichnungen nur soweit zu den Akten zu nehmen, als sie für das gegenwärtige oder ein erst einzuleitendes Strafverfahren von Bedeutung sein können; die nicht zu den Akten genommenen Aufzeichnungen hat er vernichten zu lassen.

Nach Art. 6 Abs. 3 MRK hat jeder Angeklagte unter anderem das Recht über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen (lit. b) und sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten (lit. c).

Von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses sind gemäß § 152 Abs. 1 Z 2 StPO befreit: Verteidiger über das, was ihnen in dieser Eigenschaft vom Beschuldigten anvertraut worden ist, und Rechtsanwälte, Notare und Wirtschaftstreuhänder über das, was ihnen in dieser Eigenschaft von ihrem Vollmachtsgeber anvertraut worden ist. Nach § 9 Abs. 2 und 3 RAO ist der Rechtsanwalt zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Angelegenheiten und die ihm sonst in seiner beruflichen Eigenschaft bekanntgewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse seiner Partei gelegen ist, verpflichtet. Er hat in gerichtlichen und sonstigen behördlichen Verfahren nach Maßgabe der verfahrensrechtlichen Vorschriften das Recht auf diese Verschwiegenheit (Abs. 2). Das Recht des Rechtsanwaltes auf Verschwiegenheit nach Abs. 2 2. Satz darf durch gerichtliche oder sonstige behördliche Maßnahmen, insbesondere durch Vernehmung von Hilfskräften des Rechtsanwaltes oder dadurch, daß die Herausgabe von Schriftstücken, Bild-, Ton- oder Datenträgern aufgetragen wird oder diese beschlagnahmt werden, nicht umgangen werden; besondere Regelungen zur Abgrenzung dieses Verbotes bleiben unberührt (Abs. 3).

Vorweg sei bemerkt, daß gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 149 a Abs. 1 Z 1 und 2 StPO keine Bedenken bestehen. Denn die im Art. 8 Abs. 2 MRK normierten Ausnahmen von Persönlichkeitsrechten eines Menschen sind unter anderem auch zulässig, wenn sie für die öffentliche Ruhe und Ordnung und die Verteidigung der Ordnung notwendig sind. Diese (weitgehende) Bestimmung umfaßt somit nicht nur die Verhinderung, sondern auch die Aufklärung und Verfolgung strafbarer Handlungen (vgl. Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, S 117). Es bestand somit - entgegen der Anregung des Verteidigers im Gerichtstag - kein Anlaß zu einer Antragstellung im Sinne des Art. 140 Abs. 1 1. Satz B-VG.

Im Gegensatz zu § 152 Abs. 1 Z 1 StPO, der die Zeugnisbefreiung der Angehörigen des Beschuldigten regelt, dient die Befreiung der Verteidiger, Rechtsanwälte etc. von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses über das ihnen in dieser Eigenschaft vom Beschuldigten (Vollmachtgeber) Anvertraute nicht nur dem Schutz des Zeugen, vielmehr auch im Interesse eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK) dem verfassungsrechtlich gesicherten Recht des Beschuldigten auf seine Verteidigung. Hiebei kommt es vor allem auch auf den Schutz der Information an sich an, die dem Vertreter erteilt werden muß, soll er überhaupt in der Lage sein, sein Mandat auszuüben. Jedermann muß darauf vertrauen können, daß er nicht gerade durch Betrauung eines Parteienvertreters und Informationserteilung an diesen Beweismittel gegen sich schafft. Das Entschlagungsrecht des Verteidigers und das Grundrecht des Beschuldigten auf freie Verteidigung darf auch nicht auf Umwegen zunichte gemacht werden (VfSlg. 10291/1984). Die Möglichkeit allerdings, daß der Inhaber der Fernmeldeanlage unter anderem auch mit seinem Verteidiger spricht, schließt die Zulässigkeit der Überwachung nicht aus, denn sonst wäre, wie die Generalprokuratur zutreffend ausgeführt hat, jede Überwachung der Telefonanlage eines Beschuldigten und Aufzeichnung von dort geführter Gespräche illusorisch, da nie ausgeschlossen werden kann, daß er auch mit seinem Verteidiger oder Rechtsanwalt telefonisch Kontakt aufnimmt. Die gesetzlich vorgesehene Überwachung einer Fernmeldeanlage stellt jedenfalls eine Maßnahme dar, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der Ordnung zur Verhinderung und Aufklärung von strafbaren Handlungen notwendig ist. Sie entspricht einem zwingenden sozialen Bedürfnis und steht im angemessenen Verhältnis zum verfolgten berechtigten Ziel (vgl. EGMR, 25.3.1983, Silver ua gegen Vereinigtes Königreich, EuGRZ 1984 S 147).

Hingegen gehört das Recht auf Beiziehung des Verteidigers als Element eines fairen Verfahrens zu den grundlegenden Rechten der Menschenrechtskonvention (Art. 6 Abs. 3 lit. b und c MRK). Die Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufklärung und Verfolgung strafbarer Handlungen und des Grundrechtes auf freie Verteidigung führt zum Ergebnis, daß das zuletzt genannte Recht überwiegt. Die Aufbewahrung der aufgezeichneten Gespräche mit dem Verteidiger widerspricht daher dem Geist eines "fair trial".

Das den Eingriff gestattende innerstaatliche Gesetz muß ausreichend klar sein, um die Bürger hinlänglich darauf hinzuweisen, unter welchen Umständen und Bedingungen es den Behörden gestattet ist, in das Recht auf Achtung des Privatlebens und des Telefonverkehrs einzugreifen (EGMR 24.4.1990 Fälle Krusin und Huvig gegen Frankreich, ÖJZ 1990, 564 f). Das den Grundrechtseingriff erlaubende Gesetz muß das Verhalten der Behörde (Gerichte) so ausreichend vorausbestimmen, daß es für den Normadressaten vorausberechenbar und nachträglich auch überprüfbar ist (VfSlg. 11455/1987 und die dort zitierte Vorjudikatur). Diesen Erfordernissen entsprechen aber die gesetzlichen Vorschriften über die Telefonüberwachung nach §§ 149 a und 149 b StPO. Im gegebenen Zusammenhang ordnet § 149 b Abs. 2 StPO ausdrücklich an, daß der Verdächtige (Beschuldigte) zwar verlangen kann, daß die von ihm eingesehenen Aufzeichnungen über eine durchgeführte Telefonüberwachung aufbewahrt werden. Wird kein solches Verlangen gestellt, so hat der Untersuchungsrichter die Aufzeichnungen zu vernichten, soweit sie nicht für das gegenwärtige oder ein erst einzuleitendes Strafverfahren von Bedeutung sein können. Im vorliegenden Fall hat der Beschuldigte aber ausdrücklich die Vernichtung der Aufzeichnungen beantragt. Diesem Verlangen hätten der Untersuchungsrichter und die Ratskammer in Beachtung der Anordnungen des § 149 b Abs. 2 StPO zu entsprechen gehabt, da im Hinblick auf die (im Verfassungsrang stehenden) zitierten, der Sicherung eines fairen Verfahrens dienenden Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 und 3 lit. b und c MRK und die diesem Grundrechtsschutz innerstaatlich sichernden Normen der §§ 152 Abs. 1 Z 2 StPO und 9 RAO die Aufzeichnungen der Telefongespräche mit dem Verteidiger nicht von Bedeutung sein konnten; sie dürfen ja - wie dargelegt - nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden.

Die Gesetzesverletzungen waren daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes festzustellen und darüber hinaus aber dem Untersuchungsrichter auch aufzutragen, die gesetzwidrig verweigerte Vernichtung der genannten Tonbandprotokolle nachzuholen (§ 292 letzter Satz StPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte