OGH 8Ob648/90

OGH8Ob648/9021.3.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Graf und Dr. Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth K*****, vertreten durch Dr. Walter Lattenmayer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Erika M*****, vertreten durch Dr. Peter Lambert, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 25. April 1990, GZ 48 R 202/90-10, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 2. Jänner 1990, GZ 41 C 665/89f-6, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

In Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes wird das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.233,72 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (einschließlich S 955,52 Umsatzsteuer und S 1.500,-- Pauschalgebühren) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht hob die auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 4 erster und zweiter Fall und 6 MRG sowie auf § 30 Abs 2 Z 3 zweiter und dritter Fall MRG gestützte Aufkündigung der Wohnung top.29/30 in ***** als rechtsunwirksam auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es verneinte aufgrund der Außerstreitstellung, daß zum Zeitpunkt der Einbringung der Aufkündigung die Beklagte noch grundbücherlich einverleibte Eigentümerin eines 1/6-Anteiles an der genannten Liegenschaft war, die Aktivlegitimation der Klägerin: Die Aufkündigung eines Bestandvertrages mit einem Miteigentümer erfordere nämlich die Zustimmung des von der Auflösung als Mieter betroffenen Miteigentümers oder der Genehmigung des Gerichtes.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das angefochtene Urteil unter Rechtskraftvorbehalt und Zulässigerklärung des Rekurses an den Obersten Gerichtshof auf und trug dem Erstgericht die Verfahrensergänzung und neuerliche Entscheidung auf. Als rechtserhebliche Frage erachtete es die im folgenden behandelte Aktivlegitimation, zu der es noch keine oberstgerichtliche Judikatur gebe. Es sei zwar richtig, daß die Aufkündigung eines Bestandvertrages mit einem Miteigentümer die Zustimmung des davon als Mieter betroffenen Miteigentümers oder die Genehmigung des Gerichtes erforderlich macht; im vorliegenden Fall habe aber die Klägerin vorgebracht, daß sie die Miteigentumsanteile der Beklagten an der Liegenschaft vor Einbringung der Aufkündigung erworben habe. Als außerbücherliche Erwerberin sei die Klägerin unter der Voraussetzung, daß ihr bereits der Besitz und die Verwaltung der Liegenschaft übertragen wurde und sie in den mit der Beklagten abgeschlossenen Bestandvertrag eingetreten ist, zur Kündigung legitimiert. Es sei im Kaufvertrag vom 6.6.1989 ausdrücklich festgehalten worden, daß die Übergabe der Liegenschaft an die Klägerin am Tag der Vertragsunterfertigung erfolgt(e), sodaß die Beklagte nicht mehr als (Mit-)Bestandgeberin anzusehen sei. Da sich die Berechtigung zur Kündigung nicht aus dem Eigentum, sondern aus dem Bestandvertrag ergebe, sei die Klägerin zur Einbringung der Aufkündigung aktiv legitimiert. Die geltend gemachten Kündigungsgründe seien daher vom Erstgericht auf ihre Berechtigung zu überprüfen. Dabei werde auf die im Bestands- und Nutzungsregelungsvertrag vereinbarte Bestanddauer bis 31.12.2040 entsprechend Bedacht zu nehmen sein.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben oder abzuändern und das erstgerichtliche Urteil zu bestätigen.

Die Klägerin beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben und dem Erstgericht die Behandlung sämtlicher Kündigungsgründe aufzutragen.

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt:

Rechtliche Beurteilung

Es ist richtig, daß nach Lehre und ständiger Rechtsprechung zu § 1120 ABGB der Erwerber einer Liegenschaft erst mit deren Übergabe in bestehende Bestandverträge eintritt; unter "Übergabe" ist bei verbücherten Liegenschaften die Einverleibung des Eigentumsrechtes im Grundbuch zu verstehen (MietSlg. 36.198;

28.169 ua). Zur Auflösung von Mietverträgen über Liegenschaften ist im allgemeinen nur der Eigentümer berechtigt, der Erwerber der Liegenschaft also erst ab dem Zeitpunkt seiner Eintragung im Grundbuch. Die neuere Rechtsprechung räumt jedoch auch dem noch nicht verbücherten Erwerber bereits das Recht zur Auflösung von Bestandverträgen ein, wenn ihm vom Veräußerer der Besitz und die Verwaltung (Nutznießung) der Liegenschaft übertragen wurde und er in den vom bisherigen Eigentümer abgeschlossenen Bestandvertrag eingetreten ist bzw diesen erneuert hat (SZ 59/127; MietSlg. 36.200; 36.199; 24.180 ua); der Bestandgeber muß nämlich ebensowenig wie der Verkäufer einer Sache (§ 1092 ABGB) Eigentümer der Bestandsache sein; außerdem ist das Kündigungsrecht nicht Ausfluß des Eigentumsrechtes, sondern des Bestandvertrages (MietSlg. 30.237; EvBl. 1972/287;

2 Ob 607/82 uza).

Besteht jedoch das Bestandverhältnis zwischen Miteigentümern, so muß der Miteigentümer, der aufkündigen will, die Ermächtigung durch den Außerstreitrichter einholen, weil eine solche Kündigung als außerordentliche Verwaltungsmaßnahme anzusehen ist (MietSlg. 6937, 21.057; SZ 53/18 ua). Es handelt sich hiebei um eine wichtige Veränderung im Sinne des § 834 ABGB, die gemäß § 835 ABGB Einstimmigkeit oder die Genehmigung des Außerstreitrichters erfordert (SZ 53/18; SZ 34/79 ua); dasselbe gilt für die Änderung einer Benützungsregelung (SZ 53/18; SZ 37/45 ua). Die Aufkündigung des Bestandvertrages mit einem Miteigentümer kann der Aufkündigung eines Bestandvertrages mit einem Dritten nicht gleichgestellt werden (MietSlg. 21.057). Für das Verhältnis zwischen Miteigentümern ist ihre Stellung als Bestandnehmer und Bestandgeber nicht entscheidend. Kein Miteigentümer darf bei der Beschlußfassung über eine außerordentliche Maßnahme, wie es die gegen ihn ausgesprochene Kündigung ist, übergangen werden.

Die Vorinstanzen haben festgestellt, daß die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung noch bücherliche Eigentümerin eines Liegenschaftsanteiles war; die Eigentumsgemeinschaft der Parteien mit den daraus oben dargestellten Konsequenzen war daher - worauf es bei der Beurteilung der Verhältnisse von Miteigentümern zueinander ankommt - zu diesem Zeitpunkt noch aufrecht. Es ist zwar richtig, daß die Beklagte - wie die Klägerin in der Rekursbeantwortung ausführt - schon vor der bücherlichen Übertragung des Eigentumsrechtes auf ihre Mitverwaltungsrechte verzichtet haben könnte. Hiezu hat die Klägerin aber im Verfahren erster Instanz nichts vorgebracht und aus der Aktenlage ergibt sich auch kein Anhaltspunkt dazu; für die Annahme eines schlüssigen Verzichtes fehlt es an einem unmißverständlichen Verhalten der Beklagten. Aus der vom Berufungsgericht erwähnten Bestandsdauer der als "Bestands- und Nutzungsregelungsvertrag" bezeichneten Vereinbarung bis zum 31.12.2040 läßt sich eher das Gegenteil erschließen, nämlich daß die Beklagte mit der Einbringung ihrer Kündigung gegen sie weder einverstanden war noch sich der Rechte, eine solche Maßnahme möglichst zu verhindern, schon vor der endgültigen Übergabe ihres Eigentums begeben wollte.

Die dargelegten Grundsätze haben zur Folge, daß die Entscheidung des Berufungsgerichtes abzuändern und jene des Erstgerichtes wiederherzustellen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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