Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Josef N***** hat zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zwischen 23.Dezember 1988 und Mitte Juni 1989 in Wiesing Urkunden, über die er nicht allein verfügen durfte, nämlich die an die Bezirkshauptmannschaft Kufstein gerichteten Anzeigen P 2194/88, P 2195/88 und P 2204/88 der Außenstelle Wiesing der Verkehrsabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Tirol, mit dem Vorsatz, zu verhindern, daß sie im Rechtsverkehr zum Beweis von Tatsachen gebraucht werden, durch Zerreißen und Wegwerfen vernichtet.
Er hat hiedurch das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB begangen und wird hiefür nach dieser Gesetzesstelle unter Anwendung des § 37 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 180 (einhundertachtzig) Tagessätzen, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu 90 (neunzig) Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, sowie gemäß §§ 389 Abs. 1, 390 a StPO zum Ersatz der Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz verurteilt.
Der Tagessatz wird mit 400 (vierhundert) S festgesetzt. Gemäß §§ 43, 43 a Abs. 1 StGB wird ihm ein Teil dieser Geldstrafe, nämlich im Ausmaß von 90 (neunzig) Tagessätzen, unter Bestimmung einer Probezeit von 3 (drei) Jahren bedingt nachgesehen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef N***** von der wider ihn wegen Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB erhobenen Anklage, in der Zeit zwischen 23. Dezember 1988 und Mitte Juni 1989 in Wiesing als Gendarmeriebeamter mit dem Vorsatz, den Staat an seinem Recht auf Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich mißbraucht zu haben, indem er die Anzeigen P 2194/88, P 2195/88 und P 2204/88 der Außenstelle Wiesing des Landesgendarmeriekommandos für Tirol (Verkehrsabteilung) an sich nahm, nicht an die Bezirkshauptmannschaft Kufstein weiterleitete, im Postbuch als am 21. Dezember 1988 zugestellt eintrug und in weiterer Folge vernichtete, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Nach den Feststellungen (US 5, 7) zerriß der in der Außenstelle Wiesing tätige Angeklagte zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt zwischen Dezember 1988 und Mitte Juni 1989 drei am 16. und am 17. Dezember 1988 von anderen Beamten dieser Dienststelle abgefaßte und vom Kommandanten gefertigte Verwaltungsstrafanzeigen gegen Rudolf K***** (den Inhaber eines "Transportbegleitungsservice") sowie gegen einen Transportbegleiter und einen Aushilfsfahrer dieses Unternehmens und warf sie weg. Es kam deshalb zur Verjährung der am 30. November 1988 bzw. am 7.Dezember 1988 begangenen Verwaltungsübertretungen.
In ein bei der Außenstelle Wiesing freiwillig - nicht auf Grund einer Vorschrift oder Dienstanweisung - geführtes Postaufgabebuch waren die drei Anzeigen vom Angeklagten als am 21.Dezember 1988 zur Bezirkshauptmannschaft Kufstein abgegangen vermerkt worden, wobei er ein anderes Schreibwerkzeug verwendete als jener Beamte, der die tatsächlich unter dem betreffenden Datum abgegangenen Schriftstücke eingetragen hatte. Er hatte seine Schrift nicht verstellt und die drei Geschäftszahlen neben bereits vorhandenen Eintragungen am Rande seitlich so vorgenommen, daß sie relativ deutlich als nachträglicher Zusatz erkennbar waren.
Das Erstgericht schloß nicht aus (US 6), daß der Angeklagte am 23. Dezember 1988 den Auftrag erhalten hatte, die bisher liegengebliebenen Anzeigen noch vor den Weihnachtsfeiertagen an die Bezirkshauptmannschaft Kufstein weiterzuleiten, diesem Auftrag auch nachzukommen gedachte und den Abgang der Anzeigen im Postaufgabebuch unter jenem Datum eintrug, mit welchem sie eigentlich hätten abgefertigt werden sollen, in der Folge jedoch den Auftrag vergaß und den die drei Anzeigen enthaltenden Umschlag mit anderen Aktenstücken versehentlich in seinen Schreibtisch räumte; ferner, daß er erst etwa Mitte Juni 1989 die drei Anzeigen zufällig wieder vorfand, die indessen eingetretene Verjährung erkannte und in dem Bestreben, den ihm peinlichen Fehler zu verheimlichen, die Anzeigen vernichtete.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß mangels eines dem Angeklagten nachzuweisenden Schädigungsvorsatzes das Tatbild des § 302 StGB nicht verwirklicht sei. Die Eintragung der Geschäftszahlen der betreffenden Anzeigen im Postbuch sei weder dem § 311 StGB zu unterstellen, weil es sich bei diesem Buch bloß um einen internen Arbeitsbehelf handle, noch nach § 223 Abs. 1 StGB zu beurteilen, weil in der betreffenden Seite des Postbuches unterschriftliche Bestätigungen des Übernehmers oder Aufgebers überhaupt nicht aufschienen. In Richtung § 229 Abs. 1 StGB hat das Schöffengericht den Sachverhalt - aus Versehen - nicht geprüft.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Gründe der Z 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die auf einen anklagekonformen Schuldspruch wegen § 302 Abs. 1 StGB, in eventu auf die Verurteilung des Angeklagten wegen der Vergehen nach §§ 229 Abs. 1 und 311 StGB abzielt.
Dem Einwand (Z 5) undeutlicher und widersprüchlicher Feststellungen darüber, was mit den Anzeigen wirklich geschehen ist, ist entgegenzuhalten, daß das Gericht jenen Satz der Urteilsbegründung, demzufolge das Schicksal der jedenfalls nicht bei der Bezirkshauptmannschaft Kufstein eingelangten Strafanzeigen, der Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Unterdrückung oder Vernichtung und die zugrundeliegenden Vorsätze und Absichten des Angeklagten nicht aufgeklärt werden konnten (US 7 dritter Absatz), mit den Worten "im übrigen" eingeleitet und damit unmißverständlich zum Ausdruck gebracht hat, daß es sich nur außerstande sah, über den zuvor festgestellten (insb. US 5), "unbestritten feststehenden Sachverhalt" (unbefugtes Vernichten der Anzeigen durch den Angeklagten nicht ausschließbar nach dem 7. Juni 1989) hinausgehende Feststellungen zu treffen.
Die mangelnde Erörterung der Verantwortung des Angeklagten, sich zum Zeitpunkt der Vernichtung der Anzeige seiner Verpflichtung bewußt gewesen zu sein, auch "verjährte Anzeigen" weiterzuleiten (S 61), berührt keine entscheidende Tatsache im Sinne des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO; hat doch der Schöffensenat keineswegs den damit eingestandenen wissentlichen Befugnismißbrauch des Angeklagten verneint, sondern den tatbestandsmäßigen Schädigungsvorsatz für nicht nachweisbar erachtet (US 10), der im gegebenen Fall aus der bewußten Mißachtung von Dienstvorschriften in der Tat nicht abgeleitet werden kann, worauf noch bei Erledigung der Rechtsrüge zurückzukommen sein wird.
Soweit sich die Staatsanwaltschaft gegen die Annahme des Erstgerichtes wendet (Z 5), der Angeklagte habe die nachträgliche Ergänzung der Abgangseinträge vom 21.Dezember 1988 im Postaufgabebuch nicht zu verschleiern getrachtet (US 5, 9/10), beziehen sich die Beschwerdeausführungen zum überwiegenden Teil bloß auf die Würdigung des betreffenden Urkundenbeweises (S 23), sind aber im übrigen auch insoweit unzulässig, als auf die Unterlassung der Einholung von Vergleichsschriften sowie eines Sachverständigengutachtens hingewiesen wird. Diese Erhebungsmängel können schon infolge Fehlens eines entsprechenden Beweisantrages nicht geltend gemacht werden.
Auf die Zeugenaussage des Gendarmeriebeamten H***** (S 62 iVm S 35) über die Reaktion des Angeklagten auf den Vorhalt des Nichteinlangens der Anzeigen bei der Bezirkshauptmannschaft ist das Erstgericht ohnehin eingegangen (US 9), hat sie jedoch nicht zum Anlaß genommen, der Verantwortung des Angeklagten jenes Maß an Glaubwürdigkeit abzusprechen, das immerhin Zweifel an der Berechtigung des Anklagevorwurfs offen ließ. Soweit die Beschwerdeführerin dieses Verfahrensergebnis einer davon abweichenden Würdigung unterzieht, führt sie der Sache nach eine unzulässige Schuldberufung aus.
Gleiches gilt für die beiden übrigen Einwände der Mängelrüge. Der Umstand, daß der Angeklagte vom 1.Oktober 1987 bis März 1989 eine Nebenbeschäftigung bei der Firma K*****-Transportbegleitungsservice ausübte (S 15), war nicht erörterungsbedürftig, weil sich das Gericht bei der gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO) nur mit Tatsachen auseinandersetzen muß, die seinen Annahmen entgegenstehen. Die besondere Beziehung des Angeklagten zu dem von den Anzeigen betroffenen Unternehmen ist aber mit der vom Schöffensenat nicht ausgeschlossenen Sachverhaltsvariante, daß er die Anzeigen rund ein halbes Jahr lang bloß aus einem Versehen nicht weiterleitete, durchaus vereinbar und vermag den diese Argumentation des Erstgerichtes stützenden Hinweis auf die habituelle Nachlässigkeit des Angeklagten (US 7, 8) nicht zu entkräften. Mit dem darauf bezogenen Beschwerdevorbringen sucht die Staatsanwaltschaft vielmehr unzulässigerweise darzutun, daß die Verfahrensergebnisse auch eine Würdigung im Sinne der Anklage zugelassen hätten. Auf der gleichen Linie liegt auch ihre Behauptung, daß schon die Vornahme unrichtiger Eintragungen des Angeklagten im Postaufgabebuch sein Bestreben erkennen ließen, etwas zu verschleiern. Auf die Erwägungen des Erstgerichtes, daß es sich bei diesen Eintragungen nur um eine vorweggenommene Aufzeichnung des nach dem damaligen Vorhaben des Angeklagten unmittelbar bevorstehenden Abfertigungsvorganges gehandelt haben könnte (US 6), geht die Beschwerdeführerin dabei nicht ein, was aber zur gesetzmäßigen Ausführung der Mängelrüge erforderlich gewesen wäre.
Rechtliche Beurteilung
Verfehlt ist auch die Rechtsrüge (Z 9 lit. a), das Erstgericht habe den nach § 302 StGB tatbildlichen Schädigungsvorsatz wegen der zum Zeitpunkt der Vernichtung der Anzeigen bereits eingetretenen Verjährung der Verwaltungsdelikte (§ 31 Abs. 2 VStG) zu Unrecht verneint. Für die Annahme dieses Vorsatzes reicht das - im Urteil ohnehin nicht in Frage gestellte - bloße Wissen des Angeklagten um seine Verpflichtung, auch Anzeigen wegen verjährter Verwaltungsübertretungen an die zuständige Behörde weiterzuleiten, nicht aus. Wie bereits zur Mängelrüge erwähnt wurde, deckt der bewußte Verstoß gegen die Dienstpflicht im vorliegenden Fall nur die rechtliche Annahme wissentlichen Befugnismißbrauchs. Die (insb. auf die bei Mayerhofer-Rieder3 zu § 302 StGB unter Nr. 51 zitierten Entscheidungen gestützte) Argumentation der Staatsanwaltschaft, daß schon damit auch die Schädigung eines konkreten staatlichen Rechtes, nämlich des Anspruches des Staates auf Überprüfung des Verdachtes strafbarer Handlungen durch die dafür zuständige Behörde, bewirkt sei, geht hier ins Leere, weil eine Überprüfung, ob bei der gegebenen Sachlage ein ausreichender, den staatlichen Strafanspruch begründender Verdacht besteht oder nicht, infolge Eintritts der Verjährung evidentermaßen gar nicht mehr in Betracht kam. Demgemäß hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen (EvBl. 1976/262, 11 Os 41/77, 12 Os 41/77), daß bei wissentlich pflichtwidriger Unterlassung der Anzeigenerstattung durch einen Gendarmeriebeamten dessen Schädigungsvorsatz für den Fall zu verneinen ist, daß der Beamte die rechtliche Möglichkeit zur Durchsetzung des Strafanspruchs infolge Verjährung für nicht mehr gegeben erachtete.
Der von der Staatsanwaltschaft hilfsweise angestrebten Beurteilung der vom Anklagevorwurf umfaßten unrichtigen Eintragung der Anzeigenabfertigung an die Bezirkshauptmannschaft im Postbuch der Außenstelle als Vergehen der falschen Beurkundung im Amt (§ 311 StGB) steht zwar an sich noch nicht entgegen, daß dieses Buch für den amtsinternen Gebrauch bestimmt war. Auch Unterlagen mit einer solchen Widmung kann der Charakter einer öffentlichen Urkunde im Sinne der §§ 311 und 224 StGB zukommen (EvBl. 1977/185; ÖJZ-LSK 1979/42 zu § 224 StGB). Denn vom Schutzzweck dieser Normen wird auch jenes größere Vertrauen umfaßt, welches der von einem Beamten errichteten Urkunde von anderen (selbst vorgesetzten) Beamten oder Dienststellen entgegengebracht wird. Allerdings müssen die zur dienstinternen Verwendung bestimmten Urkunden ihrer Art, ihrem Inhalt und ihrer spezifischen Zweckbestimmung nach eben deswegen, weil sie von einem Beamten kraft Amtes errichtet worden sind, mit erhöhter Bestands-(Beweis-)Garantie ausgestattet sein, um als öffentliche Urkunden jenen qualifizierten strafrechtlichen Schutz zu genießen, der einfachen amtlichen Urkunden nicht zukommt (SSt. 53/68, NRsp 1988/67). Feststellungen, aus welchen die Erfüllung dieser Voraussetzung durch die gegenständlichen Eintragungen im Postbuch hervorginge, sind jedoch weder im Urteil getroffen worden, noch durch die Verfahrensergebnisse indiziert gewesen.
Mit Recht begehrt allerdings die Anklagebehörde die Beurteilung des Anklagesachverhalts (§ 262 StPO) als Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB. Aus der Urteilsfeststellung (US 5 Mitte), daß der Angeklagte die Anzeigen ohne Vornahme einer Verständigung und ohne Einholung einer Erlaubnis oder Ermächtigung zerrissen und vernichtet hat, ergibt sich nicht nur die Erfüllung des objektiven Tatbestandes der Urkundenunterdrückung, sondern auch das zur Verwirklichung der inneren Tatseite hinreichende Begleitwissen (Mayerhofer-Rieder3 § 229 StGB E 4 b).
Insoweit war daher der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ein Teilerfolg beschieden.
Der von der Verteidigung im Gerichtstag geltend gemachte Strafausschließungsgrund des § 42 StGB ist nicht gegeben, weil hier von einem erheblichen Zurückbleiben des tatbildmäßigen Verhaltens des Angeklagten hinter dem in § 229 StGB typisierten Unrechts- und Schuldgehalt keine Rede sein kann und es daher an einer der kumulativ geforderten Voraussetzungen für die Anwendung dieser Gesetzesbestimmung, daß nämlich die Schuld des Täters gering ist, mangelt (§ 43 Z 1 StGB; Foregger-Serini4 Anm. III/1 dazu).
Bei der Strafbemessung war erschwerend, daß der Angeklagte mehrere Anzeigen vernichtet und die Tat unter Ausnützung der ihm durch seine Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit begangen hat (§ 313 StGB). Mildernd war sein bisher ordentlicher Lebenwandel und das Geständnis. Nach Lage des Falles bedarf es nicht der Verurteilung zu einer - im Gesetz angedrohten - Freiheitsstrafe (§ 37 Abs. 1 StGB). Eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen entspricht der unrechtsbezogenen Täterschuld (§ 32 StGB). Die Höhe des Tagessatzes wurde nach den im Ersturteil festgestellten (US 4) persönlichen Verhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Angeklagten bemessen. Da er bisher einen ordentlichen Lebenwandel geführt und die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht, konnte ihm gemäß §§ 43, 43 a Abs. 1 StGB die Hälfte dieser Geldstrafe für eine Probezeit von drei Jahren ohne Nachteil für die Rechtsordnung bedingt nachgesehen werden.
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