OGH 12Os9/91 (12Os10/91)

OGH12Os9/91 (12Os10/91)7.3.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.März 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hofer als Schriftführer in der Strafache gegen Peter S***** wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 (§§ 15, 127) StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht sowie über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck, beide Entscheidungen vom 3.Dezember 1990, GZ 36 Vr 1651/90-14, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwalts Dr. Jerabek, und des Verteidigers Dr. Göbel, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, es werden das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in der spruchgemäßen Individualisierung und in der rechtlichen Beurteilung, beides, soweit über das Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB hinaus keine weitere Rauschtat angenommen wurde, und im Strafausspruch einschließlich des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung, sowie der Beschluß über das Absehen vom Widerruf der bedingten Entlassung aufgehoben und es wird gemäß §§ 288 Abs. 2 Z 3, 494 a Abs. 5 StPO in der Sache selbst erkannt:

Peter S***** hat im Rausch auch versucht, Wolfgang H***** durch Versetzen von Stößen, sohin mit Gewalt, zur Unterlassung seiner Anhaltung zum Zweck der Feststellung der Personalien und der Anzeigeerstattung zu nötigen, sohin (neben der im unberührt gebliebenen Schuldspruch festgestellten Tat auch) Handlungen begangen, die ihm außer diesem Zustand als das Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zugerechnet würden.

Er hat hiedurch das Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 ((neben §§ 15, 127 auch) nach §§ 15, 105 Abs. 1) StGB begangen und wird hiefür nach § 287 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 1 (einem) Monat verurteilt.

Gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB wird die am 13.Juni 1990 von 13.25 Uhr bis 17 Uhr erlittene Verwahrungshaft auf diese Strafe angerechnet. Gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO wird die mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Vollzugsgericht vom 16. November 1988, GZ 20 BE 817/88-6, angeordnete bedingte Entlassung (Strafrest 1 Jahr, 3 Monate, 15 Tage) widerrufen. Mit ihrer Berufung und ihrer Beschwerde wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidungen verwiesen. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** Peter S***** des Vergehens nach § 287 Abs. 1 (§§ 15, 127) StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Gleichzeitig wurde gemäß § 19 SGG das Strafverfahren bezüglich des ebenfalls unter Anklage gestellten Vergehens nach § 16 Abs. 1 SGG eingestellt und gemäß § 16 Abs. 3 SGG beim Angeklagten vorgefundenes Cannabisharz (0,49 Gramm) eingezogen. Weiters wurde vom Widerruf der bedingten Entlassung abgesehen.

Nach dem Urteilsspruch liegt Peter S***** zur Last, am 13. Juni 1990 in I***** sich, wenn auch nur fahrlässig, durch den Gebrauch eines berauschenden Mittels, nämlich Einnahme von fünf Stück Rohypnoltabletten in Verbindung mit der Einnahme von Methadon, in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und versucht zu haben, aus dem Kaufhaus D***** eine Quarzuhr im Wert von 149 S zu stehlen.

Dieses Urteil ficht die Staatsanwaltschaft im Schuldspruch mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a (richtig Z 10) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und im Strafausspruch mit Berufung an; überdies bekämpft sie den Beschluß auf Absehen vom Widerruf der bedingten Entlassung mit Beschwerde.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Die Staatsanwaltschaft reklamiert zu Recht, daß die Rauschtat auch die Tatbestandserfordernisse der §§ 15, 105 Abs. 1 StGB erfüllt.

Rechtliche Beurteilung

Nach den im Rahmen der Anfechtung wesentlichen Urteilsfeststellungen wurde der Angeklagte nach Passieren der Kassa vom Abteilungsleiter des Kaufhauses D*****, Wolfgang H*****, aufgefordert, ins Büro mitzukommen, weil er auf Grund der vorangegangenen Beobachtungen des Personals dringend verdächtig war, eine Quarzuhr im Wert von 149 S ohne Bezahlung aus dem Geschäft verbringen zu wollen. Peter S***** wehrte sich gegen H*****, der ihn aufzuhalten trachtete und ihn dann an der Hand erfaßte, indem er ihn wegzustoßen versuchte, um das Geschäft verlassen zu können. Erst als ein zufällig anwesender Kunde namens Udo G***** dem Abteilungsleiter zu Hilfe kam, gab der Angeklagte seinen Widerstand auf, ging ins Büro mit und gab die Uhr heraus. Im Hinblick auf den auch in Richtung § 131 StGB erhobenen Anklagevorwurf führten die Tatrichter aus, sie hätten nicht mit der nötigen Sicherheit feststellen können, daß der Angeklagte Gewalt gegen den Zeugen H***** angewandt habe, um sich den Besitz der gestohlenen Sache zu erhalten. Im Zweifel müsse davon ausgegangen werden, daß der Angeklagte lediglich flüchten wollte, um eine Feststellung seiner Personalien bzw. eine Anzeige zu verhindern (S 71 f).

Aus diesen Urteilskonstatierungen folgt rechtlich, daß der Angeklagte in Ausführung eines spontanen Willensentschlusses gegen H*****, der in Ausübung seines Anhalterechtes nach § 86 Abs. 2 StPO handelte, mit nicht unerheblicher physischer Kraft, sohin mit Gewalt (vgl. hiezu Leukauf-Steininger2 RN 4 zu § 105 StGB) vorging, um dessen offenkundigen Willen, ihn anzuhalten und zur Anzeige zu bringen, zu überwinden. Da ihm dies durch das Eingreifen des Zeugen G***** nicht gelang, blieb es beim Versuch der Nötigung (EvBl. 1980/33).

Es war sohin der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Folge zu geben und die rechtliche Beurteilung der im Rausch gesetzten, im Urteil festgestellten Taten dahin zu ergänzen, daß der Angeklagte neben Handlungen, die ihm außer diesem Zustand als Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB, auch solche beging, die ihm als Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zugerechnet würden.

Zur Neubemessung der Strafe:

Die Komplettierung des Schuldspruchs hatte auch die Aufhebung des Strafausspruchs und die Strafneubemessung zur Folge, die wiewohl wieder nach § 287 Abs. 1 (letzter Satz) StGB nunmehr unter Bedachtnahme auf die dahinter stehende strengere Strafdrohung des § 105 Abs. 1 StGB (bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe) vorzunehmen war.

Bei dieser Strafzumessung waren die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen, die hinsichtlich des Diebstahls auch die Rückfallsvoraussetzungen des § 39 StGB erfüllen, der bereits zweite Rückfall innerhalb einer offenen und bereits verlängerten Probezeit, das durch Suchtgiftmißbrauch getrübte Vorleben, sowie, daß die im Rausch verübten Handlungen außer diesem Zustand zwei Delikte verwirklichten, als erschwerend zu werten, während als mildernd das Geständnis bezüglich des Diebstahlsversuches und die Tatsache, daß es in beiden verdeckten Vergehen, wenn voll verantwortlich begangen, beim Versuch geblieben wäre, berücksichtigt wurden.

Im Hinblick auf die korrigierte rechtliche Subsumtion der Rauschtaten kann nicht mehr - wie das Schöffengericht vermeint - von einer Geringfügigkeit des Grunddeliktes gesprochen werden. Überdies zeigen das schwer belastete Vorleben und die charakterliche Labilität des Angeklagten sowie die Wirkungslosigkeit der zuletzt zu GZ 10 U 692/89-4 des Bezirksgerichtes Innsbruck verhängten Geldstrafe, daß es nunmehr wieder einer spürbaren - wenn auch nicht allzu

strengen - Reaktion bedarf, um den Angeklagten auf den nach der Entlassung aus dem Strafvollzug zunächst eingeschlagenen Weg der Resozialisierung zurückzubringen. Die maßvolle, aus dem Spruch ersichtliche, unbedingte Freiheitsstrafe entspricht diesem Erfordernis.

Zum Widerrufsbeschluß:

Mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Vollzugsgericht vom 16.November 1988, GZ 20 BE 817/88-6, wurde Peter S***** von den mit den Urteilen des Landesgerichtes Innsbruck vom 21. August 1985, 38 Vr 2328/85-17, vom 15.September 1987, 27 Vr 2570/87-15, vom 3.November 1987, 27 Vr 3722/87-13, und vom 19. Juli 1988, 27 Vr 1948/88-15, sowie des Jugendgerichtshofes Wien vom 21.März 1985, 1 b Vr 127/85-38, verhängten Freiheitsstrafen in der Dauer von insgesamt zwei Jahren und sieben Monaten bei einem Strafrest von einem Jahr, drei Monaten und fünfzehn Tagen unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren am 15.Dezember 1988 bedingt entlassen. Gleichzeitig wurde dem Entlassenen ein Bewährungshelfer bestellt. Diese bedingte Entlassung aus dem Erstvollzug zum frühestmöglichen Zeitpunkt (§ 46 Abs. 1 StGB) gründete das Vollzugsgericht unter anderem auf die seiner Meinung nach eingetretene Entwöhnung des Angeklagten vom Suchtgiftmißbrauch und dessen Unterstützung durch einen Bewährungshelfer. Nach dem Bericht dieses Bewährungshelfers verlor Peter S***** jedoch schon in der ersten Zeit in Freiheit seine guten Vorsätze, unterzog sich zwar dem Methadonprogramm, ließ aber die Kontakte mit ihm abreißen, sodaß der Bewährungshelfer die Aufhebung der Bewährungshilfe beantragte, welchem Antrag das Vollzugsgericht auch mit Beschluß vom 1. Dezember 1989 entsprach (ON 11 und 19 im Akt 20 BE 817/88). In der Zwischenzeit war der Angeklagte neuerlich straffällig und mit Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 6.Oktober 1989 des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt worden, weil er am 6.August 1989 versucht hatte, aus abgestellten Personenkraftwagen Wertgegenstände zu stehlen. Aus Anlaß dieser Verurteilung wurde zwar gemäß § 494 a (Abs. 1 Z 2) StPO vom Widerruf der bedingten Entlassung abgesehen, jedoch gleichzeitig die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Aus dem nunmehrigen Strafverfahren ergibt sich überdies, daß der Angeklagte weiterhin, wenn auch seltener, Haschisch raucht (S 61), sodaß - wie auch vom Sachverständigen in der Hauptverhandlung angedeutet (S 63) - das Problem der Süchtigkeit nach wie vor besteht.

Allein diese Entwicklung zeigt, daß nunmehr in Entsprechung der gesetzlichen Anordnung des § 53 Abs. 1 StGB neben der Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe auch die bedingte Entlassung zu widerrufen war. Die vom Schöffengericht für die Begründung seiner noch immer günstigen Prognose herangezogene soziale Bindung des Angeklagten zur Freundin und seinem Kind sowie der Hinweis auf die Fortführung des Methadonprogramms vermögen nicht zu überzeugen, weil er nunmehr trotz dieser sozialen Umstände bereits zum zweiten Mal straffällig wurde und seine Gefährlichkeit offensichtlich noch in Richtung Gewalttätigkeit zu eskalieren droht.

Es war daher der Widerruf der bedingten Entlassung zu verfügen.

Zu Berufung und Beschwerde:

Mit ihrer Berufung und ihrer Beschwerde war die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung und den Widerrufsbeschluß zu verweisen.

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