OGH 6Ob2/91

OGH6Ob2/9128.2.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der gesellschaftsrechtlichen Angelegenheit des Aufsichtsratsmitgliedes ***** vertreten durch Dr. *****, Rechtsanwalt in Linz, wegen Vorlage eines Berichtes des Abschlußprüfers der ***** Gesellschaft m.b.H. mit dem Sitz in ***** durch den Abschlußprüfer ***** vertreten durch Dr. *****, Rechtsanwalt in Salzburg, infolge Rekurses des Aufsichtsratsmitgliedes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 27. November 1990, AZ 6 R 274/90 (ON 27), womit der Beschluß des Kreisgerichtes Wels vom 15. Oktober 1990, GZ *****, unter Ausspruch der Unzulässigkeit der Anspruchsverfolgung im Verfahren außer Streitsachen einschließlich des gesamten Verfahrens ab Antragstellung an den Gegner als nichtig aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird stattgegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Rekursgericht die Sachentscheidung über den Rekurs des Abschlußprüfers gegen den erstinstanzlichen Beschluß aufgetragen.

Text

Begründung

In den Aufsichtsrat der aufsichtsratspflichtigen Familiengesellschaft bmH ist die Vorsitzende des Arbeiterbetriebsrates gemäß § 110 ArbVG entsandt.

Der von der Gesellschaft zur Prüfung des zum 31. Januar 1990 erstellten Jahresabschlusses bestellte Wirtschaftsprüfer erstattete seinen Prüfungsbericht.

Am 20. September 1990 brachte das gemäß § 110 ArbVG entsandte Aufsichtsratsmitglied beim Registergericht den ausdrücklich im Verfahren außer Streitsachen gestellten Antrag an, dem Abschlußprüfer bei Exekution aufzutragen, ihm binnen 14 Tagen eine Abschrift des Prüfungsberichtes für das Wirtschaftsjahr 1989/90 zu übergeben. Nach dem Antragsvorbringen weigere sich der Abschlußprüfer, dem gemäß § 110 ArbVG entsandten Aufsichtsratsmitglied eine ihm im Sinne des § 139 Abs. 3 AktG (§ 23 Abs. 1 Z 3 GmbHG) zustehende Ausfertigung des Prüfungsberichtes zukommen zu lassen.

Der Abschlußprüfer stellte den vom Aufsichtsratsmitglied behaupteten Individualanspruch in Abrede, bestritt seine Passivlegitimation, wendete der Sache nach eine von der Gesellschaft behauptete konkrete Gefahr mißbräuchlicher Verwendung des Berichtes durch das vom Betriebsrat entsandte Aufsichtsratsmitglied sowie Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen durch Ausfolgung einer ausreichenden Zahl von Ausfertigungen des Berichtes zu Handen des Vorsitzenden des Aufsichtsrates ein.

Das Gericht erster Instanz gab dem Antrag des Aufsichtsratsmitgliedes statt.

Das Rekursgericht hob in Stattgebung des vom Abschlußprüfer erhobenen Rekurses unter Ausspruch der Unzulässigkeit der Anspruchsverfolgung im Verfahren außer Streitsachen den erstinstanzlichen Beschluß unter Einschluß des gesamten Verfahrens ab Antragszustellung an den Prüfer als nichtig auf.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Aufsichtsratsmitglied gegen den rekursgerichtlichen Nichtigerklärungsbeschluß erhobene Rekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Die Gesellschaft hat - gemäß § 29 Abs. 1 Z 2 GmbHG - einen Aufsichtsrat bestellt. In diesen hat der Betriebsrat zwei seiner Mitglieder entsandt. Die konstituierende Sitzung fand im Dezember 1989 statt. Der von der Gesellschaft zur Prüfung des Abschlusses für das mit 31. Januar 1990 zu Ende gegangene Geschäftsjahr bestellte Abschlußprüfer erstattete seinen Prüfungsbericht zu Handen des Vorsitzenden des Aufsichtsrates. Die gemäß § 110 ArbVG in den Aufsichtsrat entsandte Vorsitzende des Arbeiterbetriebsrates besteht auf der Ausfolgung einer Ausfertigung des Prüfungsgerichtes an sie persönlich. Sie erblickt die gesetzliche Grundlage für ihr Begehren in der gemäß § 23 Abs. 1 Z 3 GmbHG sinngemäß anzuwendenden Bestimmung des § 139 Abs. 3 AktG. Diese Regelung gewähre nach ihrer Ansicht jedem Aufsichtsratsmitglied einen Individualanspruch; leistungspflichtig sei der Prüfer, durchsetzbar sei der Anspruch im Verfahren außer Streitsachen.

§ 139 Abs. 1 AktG lautet in seinem ersten Satz:

"Die Abschlußprüfer haben über das Ergebnis der Prüfung schriftlich zu berichten." § 139 idF des GesRÄG 1982 bestimmt in seinem dritten Absatz:

"Der Bericht ist dem Vorstand und den Mitgliedern des Aufsichtsrates vorzulegen."

Erklärtes Ziel des im Zusammenhang mit dem Insolvenzrechtsänderungsgesetz beratenen und beschlossenen Gesellschaftsrechtsänderungsgesetzes 1982 war eine verstärkte Kontrolle durch den Aufsichtsrat und zu diesem Zwecke seine bessere Information im Interesse tunlichster Insolvenzvorbeugung (vgl. AB 1148 BlgNR 15. GP, 2 zu § 239 Abs. 3 und insbesondere die Debattenbeiträge der Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Schmidt und Dr. Schüssel in der Sitzung vom 1. Juli 1982

NR 15. GP - 123. Sitzung - S 12.439 und 12.432, insbesondere Dr. Schüssel: "Der Bericht der Abschlußprüfer ist den Aufsichtsratsmitgliedern zuzustellen."). Aus dem Anlaß und dem Inhalt der Gesetzesänderung (gegenüber der früheren Fassung des § 139 Abs. 2 AktG: "Der Bericht ist dem Vorstand und dem Aufsichtsrat vorzulegen") folgerte auch der Fachsenat für Handelsrecht und Revision des Institutes für Betriebswirtschaft, Steuerrecht und Organisation der Kammer der Wirtschaftstreuhänder in seinem Fachgutachten Nr. 69 (Beilage zur "Kammer der Wirtschaftstreuhänder Nr. 5/1983"), der Abschlußprüfer habe dafür zu sorgen, daß auch jedes Mitglied des Aufsichtsrates nachweislich ein Belegexemplar zur eigenen Verfügung erhalte. Diese Ansicht setzte sich im Schrifttum als herrschend durch (Schreder in RdW 1985, 30; Wünsch GesRZ 1986, 112 in H/1; Schiemer AktG2 § 139 Anm 6.1; Kastner/Doralt/Nowotny Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechtes5, 284; das Recht jedes Aufsichtsratsmitgliedes auf Aushändigung eines Exemplars des Berichtes bejahend, aber - ohne weitere Unterscheidung wie das Fachgutachten 69 - eine Übermittlung der erforderlichen Exemplare zu Handen des Vorsitzenden des Aufsichtsrates als ausreichend ansehend: Reich-Rohrwig GmbHRecht, 218; vgl. auch für die Zukunft: § 273 Abs. 3 HGB idF d RLG).

Weder das GmbHG noch das hier sinngemäß anzuwendende AktG haben den vom antragstellenden Aufsichtsratsmitglied im Sinne der zitierten Meinungen behaupteten Anspruch auf Ausfolgung einer Ausfertigung des Prüfungsberichtes ausdrücklich normiert, daher auch keine ausdrückliche Zuweisung im Sinne des § 102 GmbHG (oder § 14 AktG) vorgenommen oder § 145 FGG entsprechend ergänzt (dasselbe gilt für das RLG).

Es mag auch bei Anerkennung einer gegenüber jedem einzelnen Aufsichtsratsmitglied zu erfüllenden Pflicht des Prüfers zur Ausfolgung einer Ausfertigung seines Prüfungsberichtes zunächst fraglich bleiben, ob nach der passiven Form der Regelung und dem Fehlen einer positiven Regelung - nunmehr allerdings in dieser Hinsicht eindeutig: § 273 Abs. 3 HGB - über eine Anspruchsverfolgung überhaupt ein unmittelbar durchsetzbarer Anspruch des einzelnen Aufsichtsratsmitgliedes begründet werden sollte oder etwa nur eine - zwingende - Voraussetzung für die Wirksamkeit der Prüfung, deren Mangel den Jahresabschluß als untaugliche Grundlage einer Beschlußfassung nach § 35 Abs. 1 Z 1 GmbHG erscheinen ließe.

Allein auch darüber haben im Falle eines erhobenen Rechtsschutzbegehrens - genauso wie über Aktiv- und Passivlegitimation, Anspruchsverwirkung, Erfüllung und andere anspruchsaufhebende Tatumstände - die Zivilgerichte zu entscheiden, weil unzweifelhaft eine bürgerliche Rechtssache vorliegt.

Dennoch ist entgegen der rekursgerichtlichen Auffassung die Anspruchsverfolgung nicht im Sinne des § 1 AußStrG auf den Streitweg verwiesen, weil aus der Regelung des § 145 FGG (und nunmehr des § 120 JN) die grundsätzliche gesetzgeberische Zielsetzung hervorleuchtet, Meinungsverschiedenheiten über das Zusammenwirken der Mitglieder und Organe von Handelsgesellschaften einerseits wegen der typischerweise zu beachtenden Gesamtinteressen der Gesellschaft und mitunter darüber hinaus der Verkehrskreise, in denen die Gesellschaft tätig ist oder werden könnte, und andererseits wegen der vielfach unter Berücksichtigung der konkreten Interessenlagen in bestimmender, also rechtsgestaltender Form zu treffenden Ausführungsanordnungen im Regelfall nicht in das durch die Parteistellung von Kläger und Beklagten polarisierte Streitverfahren, sondern in das für die Sachbehandlung geeigneter erscheinende Verfahren außer Streitsachen zu verweisen. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung auch in Fällen, in denen eine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die anzuwendende Verfahrensart fehlte, die Verfolgbarkeit von Auskunfts- und Einsichtsrechten von Gesellschaftern im Verfahren außer Streitsachen angenommen, zuletzt in Anwendung des § 102 AußStrG hinsichtlich der Auskunft- und Einsichtsrechte der Gesellschafter einer GmbH (ecolex 1991, 25 = RdW 1991, 14 = EvBl. 1990/170).

Der vom Aufsichtsratsmitglied verfolgte Anspruch auf Information im Sinn des § 139 Abs. 3 AktG (§ 23 Abs. 1 Z 3 GmbHG) ist für die Entscheidung über die zulässige Rechtswegsart rechtlich unter der Annahme zu qualifizieren, daß er, so wie ihn der Anspruchswerber behauptet, auch tatsächlich bestehe. Ein solcher Anspruch wäre aus den dargelegten Erwägungen nach den Grundsätzen des § 102 GmbHG im Verfahren außer Streitsachen zu verfolgen, und zwar auch dann, wenn er - wie hier - gegen einen von der Gesellschaft bestellten Abschlußprüfer verfolgt wird, weil dieser in das Abschlußprüfungsverfahren der Gesellschaft zumindest in einer organschaftähnlichen Funktion eingebunden ist, was nicht zuletzt auch der positiven Regelung des § 135 AktG zugrundegelegt werden kann (vgl. nunmehr auch § 276 HGB).

Ein auf § 139 Abs. 3 AktG gegründetes Begehren eines Aufsichtsratsmitgliedes auf Ausfolgung einer Ausfertigung des Prüfungsberichtes ist im Sinne der §§ 14 AktG und 102 GmbHG im Verfahren außer Streitsachen zu verfolgen.

Die rekursgerichtliche Ansicht über die Verfolgbarkeit eines solchen Anspruches gegen den Abschlußprüfer im Rechtsstreit kann nicht geteilt werden. Die Nichtigerklärung der erstinstanzlichen Sachentscheidung und des dieser vorangegangenen Verfahrens ist aus diesem Grunde nicht zu rechtfertigen.

Es ist daher die - vom Rekursgericht nach seiner Rechtsmeinung folgerichtig unerörtert gebliebene - Frage nach der gehörigen Besetzung des Gerichtes erster Instanz zu prüfen.

Der Gerichtshof erster Instanz hat in Einzelrichterbesetzung entschieden. Dies konnte nach der im Entscheidungszeitpunkt (Oktober 1990) geltenden Verfahrensrechtslage, da es sich um keine Registersache handelte, nur auf § 37 Z 11 iZm § 37 Abs. 2 GOG gestützt werden. Nach dieser Bestimmung bedürfen in außerstreitigen Angelegenheiten Verfügungen, "welche keinen entscheidenden Einfluß auf die Rechte der Parteien nehmen und nach dem Gesetz zweifellos sind", keiner Beschlußfassung des Senates. Es darf füglich bezweifelt werden, daß die erstrichterliche Erledigung keinen Einfluß auf die Rechte der Parteien genommen habe, da sie doch einen vollstreckbaren Leistungsbefehl beinhaltet. Abgesehen davon bestehen begründete Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Besetzungsvorschrift (vgl. Sinzinger FS Kastner, 451 ff). Das Gericht erster Instanz mag daher in einer nicht gehörigen Besetzung entschieden haben und seine Entscheidung mag aus diesem Grunde nichtig gewesen sein. Durch das Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. 1991 Nr. 10 (Art. XXIV Abs. 1) wäre zwar eine solche Nichtigkeit nicht rückwirkend saniert, aber doch unbehebbar geworden, weil nach der nunmehr geltenden Rechtslage das Gericht erster Instanz nur noch in der Einzelrichterbesetzung entscheiden dürfte, in der es ohnedies entschieden hat, zumal nach den Geschäftsverteilungsübersichten des Erstgerichtes für die Jahre 1990 und 1991 die Besetzung jener Gerichtsabteilung, die zur Bearbeitung der Rechtssache berufen wäre, unverändert geblieben ist.

Im Falle der Wahrnehmung einer unterlaufenen Nichtigkeit wegen unrichtiger Gerichtsbesetzung und einer damit begründeten Aufhebung zur neuerlichen Entscheidung müßte das Gericht erster Instanz § 7 a Abs. 3 JN in der Fassung des Art. XII Z 1 des Bundesgesetzes BGBl. 1991 Nr. 10 beachten. Nach dieser Regelung hat in außerstreitigen gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten jedenfalls der Einzelrichter zu entscheiden. Der nach der Novellenregelung beigefügte Klammerausdruck "(§ 120)" scheint zwar gerade jene Angelegenheiten auszunehmen, in denen nach den Regelungen der §§ 14 AktG und 102 GmbHG der dort genannte Gerichtshof im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden hat. Diese Formulierung ist aber nach der erklärten Zielsetzung einer weiteren Zurückdrängung der erstinstanzlichen Senatsgerichtsbarkeit und der erklärten Vorstellung einer verfahrensrechtlichen Gleichbehandlung der im HGB geregelten Fälle gesellschaftsrechtlicher Angelegenheiten und solchen im AktG und im GmbHG geregelten Fälle (AB 23 BlgNR 18. GP, 32 zu Art. XII Z 1 und Z 3 zum Abs. 1 P 3) als offensichtliche gesetzestechnische Ungenauigkeit zu erkennen. Nichts deutet auf die denkmögliche Absicht des Gesetzgebers hin, die gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten der Kapitalgesellschaften (§ 14 AktG und § 102 GmbHG) etwa wegen einer typischerweise unterstellten höheren Kompliziertheit und wirtschaftlichen Bedeutung zum Unterschied von der gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten der Personengesellschaften (§ 120 Abs. 1 Z 2 JN) bewußt der erstinstanzlichen Senatsgerichtsbarkeit unterwerfen zu wollen.

Zu den außerstreitigen gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten, die nach § 7 a Abs. 3 JN idF des Bundesgesetzes BGBl. 1991 Nr. 10 in Einzelrichterbesetzung zu erledigen sind, zählen auch die nach § 14 AktG und § 102 GmbHG in das Verfahren außer Streitsachen gewiesenen Angelegenheiten.

In Stattgebung des Rekurses der Antragstellerin war daher der rekursgerichtliche Nichterklärungsbeschluß aufzuheben und dem Rekursgericht die Sachentscheidung über den vom Abschlußprüfer gegen die erstinstanzliche Entscheidung erhobenen Rekurs aufzutragen.

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