OGH 7Ob4/91

OGH7Ob4/9128.2.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parte O***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Klaus Braunegg ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei *****, Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Ferdinand Neundlinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 79.986,- s.A.) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19. Oktober 1990, GZ 5 R 171/90-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 13. Juni 1990, GZ 31 Cg 285/90-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Es wird festgestellt, daß die beklagte Partei für den der E***** Aktiengesellschaft am 23. 7. 1989 von Arbeitern der klagenden Partei im Rahmen von Sandstrahl- und Streicharbeiten im E*****KRAFTWERK S***** zugefügten Schaden an Ersatzteilen (26 Klemmleisten, 5 Rollenböcke, eine Hohlwelle und

5 Plattenzuschnitte) im Rahmen der bei der klagenden Partei bestehenden Haftpflichtversicherung der klagenden Partei zur Polizzennummer 2140/085490-3 zu haften hat.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 9.443,- (darin S 1.200,50 Umsatzsteuer und S 2.240,- Barauslagen) bestimmten Prozeßkosten und die mit S 7.857,40 (darin S 642,90 Umsatzsteuer und S 4.000,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 10.094,- (darin S 849,- Umsatzsteuer und S 5.000,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 23. 7. 1989 wollten drei Arbeiter der Klägerin an dem im Spruch genannten Kraftwerk Sandstrahl- und Anstreicherarbeiten durchführen. In der Nähe der zu bearbeitenden Flächen stand ein Handwagen mit aufgeladenen Maschinenersatzteilen von hohem Gewicht. Um ihre Arbeit zu erleichtern, wollten die drei Arbeiter der Klägerin diesen Handwagen wegstellen. Dabei geriet dieser mit den Ersatzteilen auf dem abschüssigen Gelände ins Rollen und stürzte in die Enns. Während der Handwagen geborgen werden konnte, ging das Ladegut verloren. Die E***** AG fordert von der Klägerin für die Nachschaffung der verloren gegangenen Ersatzteile die Bezahlung von S 79.986,-. Eine Bezahlung durch die Klägerin ist bisher nicht erfolgt.

Der Betriebshaftpflichtversicherung der klagenden Partei bei der beklagten Partei liegen entweder die Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherungen 1963 oder die Allgemeinen und Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung 1978 zugrunde.

Art. 5 III der AHVB 1963 lautet auszugsweise:

Ausgeschlossen von der Versicherung sind .... 6.) wegen Schäden

an ...... b) beweglichen Sachen, die bei oder infolge ihrer

Benützung, Beförderung, Bearbeitung oder einer sonstigen Tätigkeit an oder mit ihnen entstehen, c) jenen Teilen von unbeweglichen Sachen, die unmittelbar Gegenstand der Bearbeitung, Benützung oder einer sonstigen Tätigkeit sind;

Art. 7 der AHVB 1978 lautet auszugsweise:

9. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an .....

9.2. Beweglichen Sachen, die bei oder infolge ihrer Benützung, Beförderung, Bearbeitung oder einer sonstigen Tätigkeit an oder mit ihnen entstehen; 9.3. Jenen Teilen von unbeweglichen Sachen, die unmittelbar Gegenstand der Bearbeitung, Benützung oder einer sonstigen Tätigkeit sind .....

Die Klägerin begehrt gegenüber der beklagten Versicherung die Feststellung, daß diese aufgrund der bestehenden Betriebshaftpflichtversicherung für den am 23. 7. 1989 eingetretenen Schaden zu haften habe.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete einen Haftungsausschluß nach Art. 5 III 6 b AHVB ein, weil die Arbeiter der Klägerin den Handwagen benützt und befördert hätten. Ihre Handlungsweise habe sich auch auf das aufgeladene Gut erstreckt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und traf die oben wiedergegebenen Feststellungen. Der Ausschlußtatbestand der Tätigkeitsklausel sei anzuwenden, weil sich der Handlungswille der Arbeiter der klagenden Versicherungsnehmerin auf die beschädigten Sachen bezogen habe.

Das Berufungsgericht gab mit der angefochtenen Entscheidung der Berufung der klagenden Partei keine Folge und teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Das Wegschieben des Handwagens sei zur Durchführung der beruflichen Tätigkeit der klagenden Partei erfolgt.

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der klagenden Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist der Revisionswerberin zuzugestehen, daß es zur Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes an einer (österreichischen) Judikatur, wie die "Tätigkeitsklausel" hier auszulegen ist, fehlt.

Der Zweck der Tätigkeitsklausel liegt darin, den Versicherer in einem gewissen Umfang vom erhöhten Risiko zu befreien, das sich aus der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers ergibt. Dies entspricht dem Grundsatz der Haftpflichtversicherung, nicht das Unternehmerrisiko auf den Haftpflichtversicherer zu übertragen. Das Unternehmerrisiko soll grundsätzlich nicht versicherungsfähig sein (vgl. Wussow AHB7, 390 mwN). Unter einer "Tätigkeit" an einer Sache im Sinne der vorgenannten Bestimmung ist, ebenso wie im Sinne des Ausschlußtatbestandes des Art. 7.9.3 der AHVB 1978, eine bewußte und gewollte auf einen bestimmten Zweck abgestellte, nicht nur zufällige Einwirkung auf eine Sache zu verstehen. Es genügt, daß gelegentlich einer an einer anderen Sache auszuführenden Arbeit auch eine Tätigkeit an der später beschädigten Sache bewußt und gewollt durchgeführt wird. Bewußt und gewollt muß nicht nur die Schadenszufügung, sondern lediglich die Einwirkung auf die Sache sein (VersRSch 1990, 229 mwN). Dabei kommt es nicht auf das Bewußtsein und den Willen der einzelnen an der Arbeit beteiligten Arbeitnehmer oder auch des Arbeitgebers an. Man muß vielmehr nach der natürlichen Betrachtungsweise eines verständigen und unvoreingenommenen Beurteilers beachten, daß sich die gewerbliche Tätigkeit nicht immer auf einen Sachteil beschränken läßt, der im Mittelpunkt der Bearbeitung steht. Zur Bearbeitung werden oft Mittel verwendet, die nach ihrer Beschaffenheit eine punktuelle Begrenzung der Tätigkeit auf einen genau abgegrenzten Flächenteil überhaupt nicht oder nur bei der Durchführung besonderer Schutzmaßnahmen zulassen. Dann ist auch die unmittelbar benachbarte Fläche, die von der Ausübung der Tätigkeit zwangsläufig betroffen wird, objektiv Gegenstand der gewerblichen Tätigkeit (vgl. BGH 25. 3. 1970 VersR 70, 610 betreffend die Beeinträchtigung von Metallrahmen bei Türen und Fenstern durch Putzspritzer). Unter die Ausschlußklausel fallen daher auch Vorgänge, bei denen weitere Gegenstände beeinträchtigt werden, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung nicht zwangsläufig Gegenstand der Bearbeitung wurden, sich aber im Gefahrenbereich der Arbeiten befanden und insofern der Obhut des Versicherungsnehmers unterlagen. Praktisch bedeutet dies die Notwendigkeit einer Prüfung, ob die beschädigte Sache im Einzelfall in so unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit der zum Gegenstand der Arbeit gemachten Sache sich befunden hat, daß ihre Beeinträchtigung nach der Art der Tätigkeit des Versicherungsnehmers zwangsläufig war oder ob sie sich nur so nahe bei dieser Sache befand, daß sie durch diese Arbeit zwar nicht unmittelbar mitbearbeitet wurde, aber doch in Gefahr geriet. Nur die letztgenannten Sachen sollen durch die Ausschlußklausel nicht betroffen werden. Die bloße Tatsache, daß zur Vermeidung der Schädigung der Sache bei der Arbeit an einer anderen Sache Schutzmaßnahmen getroffen werden, ändert noch nichts daran, daß es sich insoweit nur um eine Obhutsmaßnahme handelt. Die Beziehung zwischen der bearbeitenden und der beschädigten Sache muß näher sein als das in Fällen der Obhut regelmäßig der Fall ist (Wussow AHB7 392 f). Reine Vorbereitungshandlungen, die in keinem Zusammenhang mit der auszuführenden beruflichen Tätigkeit stehen, fallen daher noch nicht unter die Tätigkeitsklausel. Ob das Wegschieben oder Wegstellen von Gegenständen, das erforderlich ist, um die berufliche Tätigkeit überhaupt erst zu ermöglichen, eben dieser Tätigkeit zuzuordnen ist und daher unter die Tätigkeitsklausel fällt (Wussow aaO 412), muß hier nicht abschließend beurteilt werden. Mit dem Wegschieben des Handwagens wollten sich nämlich die Arbeiter der klagenden Partei den eigentlichen Arbeitsvorgang nur erleichtern. Daß diese Gegenstände vor Farbspritzern, Verstaubung oder Beschädigung geschützt werden mußten, steht ebensowenig fest, wie daß das Wegschieben zur Durchführung der beruflichen Tätigkeit der klagenden Partei erforderlich war. Hiefür wäre die beklagte Partei jedoch beweispflichtig gewesen (VersRSch 1990, 226). Somit steht keine zwangsläufige Beeinträchtigung des Handwagens und des darauf befindlichen Ladegutes durch die Tätigkeit der klagenden Versicherungsnehmerin fest. Da auch die Fläche, auf der der Handwagen stand, nicht Gegenstand der Bearbeitung der Versicherungsnehmerin war, fällt das Wegschieben dieser Sachen und deren anschließende Beschädigung auch bei strengster Auslegung nicht unter die Ausschlußklausel. Das Wegschieben des Handwagens war weder eine Arbeitsvorbereitungs- noch Schutzmaßnahme, die Intention dazu entsprang allein der Bequemlichkeit der drei Arbeitnehmer der klagenden Partei. Da der Nachweis einer Notwendigkeit für das Verschieben des Handwagens fehlt, wurde damit noch keine berufliche Tätigkeit ausgeübt. Diese Auffassung steht nicht zu dem Ergebnis der Entscheidung des BGH vom 13. 9. 1956 (= VersR 1957, 637) im Widerspruch, weil dort der wegzuschiebende und daher beschädigte PKW den Beladevorgang behinderte (arg. im Wege stand). Der außerordentlichen Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Unterinstanzen in eine Klagsstattgebung abzuändern.

Die Kostenentscheidungen gründen sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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