OGH 9ObA20/91

OGH9ObA20/9127.2.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dkfm. Dr. Franz Schulz und Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** K*****, Verkäuferin, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei K***** Ö*****, vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wegen 67.830 S brutto sA (Revisionsstreitwert 60.786 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30.Oktober 1990, GZ 5 Ra 157/90-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 3.Juli 1990, GZ 43 Cga 63/90-13, teils bestätigt, teils aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.077 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 679,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 1.März 1980 als Kassierin im Angestelltenverhältnis bei der beklagten Partei beschäftigt. Sie war zuletzt Stellvertreterin der Kassenleiterin im C*****-Markt D*****. Am 22.November 1989 war sie nicht nur für eine der Kassen, sondern auch für die Leergutannahme und den Informationsschalter zuständig. Gegen 17 Uhr kaufte H***** G*****, ein ebenfalls im C*****-Markt beschäftigter Mitarbeiter vier Packungen Zigaretten um den Preis von insgesamt 111 S. Er hielt diesen Betrag abgezählt bereit und zahlte ihn bei der Klägerin an der von ihr betreuten Kassa. Da die Klägerin zur gleichen Zeit von wartenden Kunden zur Leergutannahme gerufen wurde, legte sie das Geld, obwohl mehrere Personen in der Nähe waren, auf die Kassa, ohne den Betrag zu bonieren und den entsprechenden Bon an H***** G***** auszuhändigen. Obwohl die Klägerin und H***** G***** wußten, daß alle Mitarbeiter am Abend vor dem Verlassen des Geschäftslokales kontrolliet wurden, dachten beide nicht daran, daß H***** G***** bei dieser Kontrolle den Bon vorweisen muß. Als die Klägerin etwas später zur Kassa zurückkam, befand sich auf dieser nur noch etwas Wechselgeld. Der größte Teil des von H***** G***** gezahlten Betrages lag nicht mehr auf der Kassa. Der Klägerin fiel das Fehlen nicht auf, weil sie nicht mehr an den ihr übergebenen Betrag dachte, so daß sie auch die Bonierung nicht mehr durchführte. Als H***** G***** vor dem Verlassen des Geschäftslokales vom Marktleiterstellvertreter H***** B***** kontrolliert wurde, erinnerte er sich, daß ihm die Klägerin keinen Bon gegeben hatte. Er teilte H***** B***** mit, daß er die Zigaretten bei der Klägerin bezahlt, hiefür aber keinen Bon erhalten hatte. Wie in solchen Fällen üblich, bat H***** B***** daraufhin die Klägerin zu sich. Diese bestätigte sofort, daß H***** G***** die Zigaretten bei ihr bezahlt hatte. Weiters gab die Klägerin an, daß sie den Kassabon weggeworfen hatte. H***** B***** forderte sie daraufhin auf, den Bon zu suchen und vorzulegen. Auf dem Weg zur Kassa wurde der Klägerin bewußt, daß sie möglicherweise vergessen hatte, den Betrag von 111 S zu bonieren. Sie geriet in Panik und wollte diesen Umstand vertuschen. Sie riß zunächst den schon verwendeten und bedruckten Kontrollstreifen aus der Kassa, um nachzuprüfen, ob der Betrag von 111 S darauf aufschien. Da dies nicht der Fall war, tippte sie diesen Betrag nunmehr in die Kassa. Dabei wird die Bonierung mit einer fortlaufenden Nummer auf einem rosaroten Bonstreifen, von dem der zahlende Kunde gewöhnlich einen entsprechenden Abschnitt ausgehändigt bekommt, und auf einem in der Kassa verbleibenden, weißen Kontrollstreifen abgedruckt. Da aber die Klägerin einen Teil des Kontrollstreifens zuvor aus der Kassa genommen hatte und sie den in der Kassa verbliebenen Teil nicht wieder eingespannt hatte, wurde zwar ein dem eingetippten Betrag von 111 S entsprechender Bon mit der fortlaufenden Nummer 7374 ausgedruckt, eine entsprechende Buchung auf dem Kontrollstreifen kam jedoch nicht zustande. Demnach befand sich auf dem zuvor entfernten Kontrollstreifen zuletzt die fortlaufende Nummer 7373 und auf dem restlichen Teil, der am nächsten Tag wieder eingespannt wurde, zuerst die Nummer 7375, während die Nummer 7374 fehlte. Da die Kassa bereits um 17 Uhr 30 auf den nächsten Tag umgestellt worden war, wies der Bon mit der Nr. 7374 bereits das Datum 23.November 1989 auf. Unmittelbar nachdem die Klägerin den Bon ausgedruckt hatte, erschien bei ihr der Marktleiter F***** A*****, der inzwischen von H***** B***** verständigt worden war. Die Klägerin händigte F***** A***** den Bon mit der Nr.7374 aus. Daraufhin überprüfte F***** A***** den aus der Kassa genommenen Teil des Kontrollstreifens und stellte fest, daß dieser weder eine Buchung über 111 S noch eine solche mit der Nummer 7374 aufwies, so daß er davon ausging, daß die Klägerin am Kontrollstreifen manipuliert hatte. Daraufhin stellte er die Klägerin außer Dienst und erklärte ihr, daß sie vorläufig nicht mehr zur Arbeit zu kommen brauche. Zu diesem Zeitpunkt war auch schon die Kassenlade entfernt und eine Überprüfung des Kassenstandes nicht mehr möglich. Dies wurde dann am nächsten Tag nachgeholt, wobei sich ein Fehlbetrag von 133,10 S ergab. Am Morgen des 23.November 1989 informierte F***** A***** mündlich Direktor O***** S***** als verantwortlichen Personalchef über den Vorfall. Weiters verfaßten F***** A***** und H***** B***** ein Protokoll über den Vorfall, das sie in der Folge O***** S***** zusandten. Dieser informierte den Betriebsrat und gab ihm bekannt, daß nach seiner Meinung ein Entlassungsgrund gegeben sei. Mit Schreiben vom 24.November 1989 entließ O***** S***** die Klägerin mit 23.November 1989. In den folgenden Tagen intervenierte der Betriebsratsvorsitzende K***** S***** bei O***** S*****, um die Entlassung der Klägerin zu mildern. Über seine Initiatve kam es am 28.November 1989 zu einer Besprechung, an der O***** S*****, K***** S*****, G***** A***** (ein Sekretär des ÖGB, an den sich die Klägerin nach der Entlassung gewandt hatte), F***** A*****, H***** B*****, das Betriebsratsmitglied G***** K***** und die Klägerin teilnahmen. Dabei wurde zunächst das von F***** A***** und H***** B***** aufgenommene Protokoll verlesen, wozu die Klägerin erklärte. Es werde schon so gewesen sein" und "sie habe einen Blödsinn gemacht". Betriebsratsobmann K***** S***** machte sodann mehrere Vorschläge, um die Situation für die Klägerin zu verbessern. Schließlich schlug er auch vor, daß die Entlassung in eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses mit 30.November 1989 "umgewandelt" werde, wobei aber auf eine Abfertigung verzichtet werde. K***** S***** sagte der Klägerin in diesem Zusammenhang, daß sie diesfalls leichter einen neuen Arbeitsplatz finden würde, Arbeitslosenunterstützung beziehen könne und daß es "beser aussehen würde, wenn das Dienstverhältnis nicht zum 23.November, sondern zum 30.November 1989 endet". K***** S***** und G***** A***** sagten der Klägerin, daß dies das beste wäre, was sie aus ihrer Situation noch machen könnte, worauf die Klägerin zustimmte. Es wurde dabei auf die Klägerin kein Druck ausgeübt. Es gab keine Differenzen hinsichtlich der Abrechnung und der Arbeitspapiere oder sonstige Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Beendigung des Dienstverhältnisses. Da auch O***** S***** unter der Bedingung, daß die Klägerin auf die Abfertigung verzichte, mit diesem Vorschlag einverstanden war, wurde ein Protokoll folgenden Inhaltes aufgenommen und von allen anwesenden Personen unterfertigt:

"Aufgrund der heutigen, dem 28.11.1989 stattgefundenen Aussprache im Beisein von den Herren.... wird vereinbart, daß die fristlose Entlassung von Frau K***** mit 30.11. dieses Jahres auf eine einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses umgewandelt wird. Frau K***** scheidet daher zu diesem Zeitpunkt aus unserem Unternehmen aus. Als Resturlaub werden 13 Tage Urlaub abgegolten. Mit nachstehenden Unterschriften wird bestätigt, daß mit dieser einvernehmlichen Lösung alle lohn- und sozialrechtlichen Ansprüche abgegolten sind und aus diesem Titel an den K***** Ö***** keine weiteren Forderungen gestellt werden. Die Umwandlung erfolgt ohne Abfertigungsanspruch."

Anläßlich dieses Gespräches zahlte die Klägerin der beklagten Partei auch den Fehlbetrag aus der Kasse in Höhe von 133,10 S.

Die Klägerin begehrt 67.830 S an Abfertigung und Urlaubsentschädigung. Die Entlassung sei zu Unrecht erfolgt; der Verzicht auf die Abfertigung während des aufrechten Dienstverhältnisses sei nicht wirksam gewesen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Aufgrund des Vorfalles vom 22.November 1989 sei die Entlassung berechtigterweise ausgesprochen worden. Der Verzicht sei rechtswirksam erfolgt, weil die Vereinbarung im Interesse der Klägerin und ohne jeglichen Druck zustandegekommen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß nach der infolge der gerechtfertigten Entlassung erfolgten Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Drucksituation für die Klägerin nicht bestanden habe. Überdies sei die Vereinbarung im Interesse der Klägerin abgeschlossen worden, um ihr die Arbeitssuche zu erleichtern und die Möglichkeit für den sofortigen Bezug der Arbeitslosenunterstützung zu schaffen. Insgesamt habe sich durch diese Vereinbarung die Position der Klägerin gegenüber einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Entlassung verbessert.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil, soweit das auf den Titel der Abfertigung gestützte Begehren von 60.786 S abgewiesen worden war, als Teilurteil und hob es bezüglich des aus dem Titel der Urlaubsentschädigung begehrten Betrages von 7.044 S auf. Es vertrat bezüglich des im Revisionsverfahren strittigen Abfertigungsanspruches die Rechtsauffassung, daß der Verzicht mangels Vorliegens einer Drucksituation wirksam sei, obwohl das Fehlverhalten der Klägerin eine Entlassung nicht gerechtfertigt habe. Im Zeitpunkt der Vereinbarung sei das Arbeitsverhältnis bereits aufgelöst gewesen, die zur Vereinbarung führende Unterredung sei auf Betreiben des Betriebsratsobmannes angesetzt worden und es hätten keine Abrechnungsschwierigkeiten bestanden, so daß eine Drucksituation nicht angenommen werden könne. Auch wenn die Beratung durch den Betriebsratsobmann und den beigezogenen Sekretär des ÖGB unrichtig gewesen sein sollte, sei die Annahme nicht gerechtfertigt, daß der Arbeitgeber einen Informationsmangel bei der Vereinbarung vom 28.November 1989 ausgenützt habe, zumal die beklagte Partei nach wie vor überzeugt sei, daß die Entlassung zu Recht ausgesprochen worden sei.

Gegen dieses Teilurteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Teilurteil im Sinne der Stattgebung des Begehrens auf Zahlung von 60.786 S sA abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Vereinbarung vom 28.November 1989 ist nicht als einseitiger Verzicht der Klägerin, sondern als Vergleich im Sinne des § 1380 ABGB zu beurteilen. Soweit die Klägerin im Hinblick auf ihr weiteres berufliches Fortkommen der Umwandlung der Entlassung in eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses, jedoch ohne Anspruch auf Abfertigung, zustimmte, verzichtete sie dadurch noch nicht auf ihr unstrittig zustehende Ansprüche. Für den Fall, daß die Entlassung zu Recht erfolgt wäre, hätte die Klägerin nämlich ohnehin keinen solchen Anspruch gehabt. Aber auch die beklagte Partei trug das Risiko, in einem von der Klägerin angestrengten Verfahren zu unterliegen. Soweit die beklagte Partei auf den vom Vorsitzenden des Betriebsrates erstatteten Vorschlag einging, die bereits ausgesprochene Entlassung in eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 1989 umzuwandeln, gewährte sie der Klägerin nicht nur eine "gesichtswahrende" Auflösungsart zu einem "unverdächtigen" Zeitpunkt, sondern auch eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und sohin einen verlängerten Entgeltzahlungszeitraum (vgl Kuderna, Das Entlassungsrecht, 24 f; DRdA 1984/21 (M.Schauer)). Es lag sohin im beiderseitigen Interesse, strittige oder zweifelhafte Tatumstände durch beiderseitiges Nachgeben mit streitbereinigender Wirkung einvernehmlich neu festzulegen. Eine solche aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffene abschließende Regelung ist als Vergleich anzusehen, da die Vereinbarung auch zumindest noch ungewisse Rechte umfaßte. Die Klägerin konnte sich daher auch über an sich unverzichtbare Ansprüche rechtswirksam vergleichen (Arb 9862, 9209, 8502, 8222, 6231; 9 Ob A 183,184/90; zuletzt 9 Ob A 315/90), wobei es zur Prüfung der Wirksamkeit des Vergleiches im Sinne des Günstigkeitsprinzips nicht darauf ankommt, die vertragliche Regelung mit der gesetzlichen zu vergleichen. Es geht vielmehr darum, ob die Einbuße bestimmter Rechtsstellungen durch Vorteile an anderer Stelle, vor allem auch durch die Klärung einer bisher ungeklärten Sach- und Rechtslage wiederum aufgewogen wird (siehe Migsch Abfertigung für Arbeiter und Angestellte, Rz 364 und 397; Martinek-Schwarz, Abfertigung-Auflösung des Arbeitsverhältnisses, 306 f).

Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - auch nicht davon ausgegangen werden kann, daß die von der Berechtigung der Entlassung nach wie vor überzeugte beklagte Partei bei der Vereinbarung vom 28.November 1989 einen Informationsmangel der Klägerin ausgenützt hätte, so daß Anfechtungsgründe im Sinne des § 1385 ABGB nicht vorliegen, da nur ein arglistig hervorgerufener Irrtum über einen Vergleichspunkt zur Anfechtung berechtigt (siehe Ertl in Rummel ABGB § 1385 Rz 2). Geht man vom Zweck und Inhalt (insbesondere Verzicht auf die Abfertigung) dieses Vergleiches aus, dann ist die Frage, ob die Entlassung gerechtfertigt war oder nicht, jedenfalls auch dann als von der Bereinigungswirkung erfaßter Punkt anzusehen, wenn, wie im vorliegenden Fall, eine der Parteien von der Berechtigung der Entlassung überzeugt war, insbesondere wenn man ins Kalkül zieht, daß die beklagte Partei hiebei von dem von der Klägerin bestrittenen Diebstahl des nicht ordnungsgemäß bonierten Betrages ausging.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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