OGH 10ObS30/91

OGH10ObS30/9112.2.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Prohaska (Arbeitgeber) und Franz Breit (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef S*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Reinhard Neureiter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ALLGEMEINE UNFALLVERSICHERUNGSANSTALT, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Oktober 1990, GZ 7 Rs 78/90-54, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Februar 1990, GZ 22 Cgs 1187/87-47, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war seit 1969 bei der Straßenmeisterei U***** beschäftigt, war als Kraftfahrer einer Erhaltungspartie tätig und hatte auch bei Straßenerhaltungsarbeiten mitzuhelfen. Seine tägliche Dienstzeit war Montag bis Donnerstag von 7 bis 16 Uhr und Freitag 7 bis 12,30 Uhr. Am 25. 3. 1986 erlitt Fritz Z***** als Fahrer eines LKW-Zuges auf der Bundesstraße 83 im Ortsgebiet von S***** einen Verkehrsunfall, wobei der LKW-Zug über die Straßenböschung stürzte. Die Ladung bestand aus vollen Mineralwasserkisten, wobei ein Teil der Kisten auf die Straße stürzte. Auch Begrenzungspflöcke mit Schneestangen sowie das Straßenbankett und die Böschung wurden beschädigt. An der Unfallstelle lagen auf der Böschung und am Bankett beschädigte Kisten und Scherben. Am 27. 3. 1986 fand am Morgen in der Straßenmeisterei U***** wie immer eine Dienstbesprechung statt. Bei dieser erteilte der Straßenmeister dem Partieführer, dem der Kläger unterstellt war, den Auftrag, an der Unfallstelle vorbeizuschauen und zu fragen, wie lange die Umladearbeiten noch dauerten und ob der Unfallenker die auf der Böschung liegenden Scherben der beschädigten Flaschen selbst wegräume. Im Zuge ihrer Tätigkeit kam die Partie gegen Mittag an der Unfallstelle vorbei. Der Kläger teilte dem Partieführer mit, daß er mit dem Unfallenker etwas besprechen wolle, worauf ihm dieser den Auftrag erteilte, gleich zu fragen, wie lange die Aufräumarbeiten noch dauerten. Der Kläger und ein weiterer Bediensteter erkundigten sich bei Z***** nach der mutmaßlichen Dauer der Aufräumarbeiten und der Kläger fragte diesen auch, ob er die beim Unfall beschädigte Plane des LKW bekommen könne. Nach diesem Gespräch teilte der Kläger dem Partieführer mit, daß Z***** nicht wisse, wie lange die Aufräumarbeiten dauerten und daß dieser die heruntergefallenen Flaschen, soweit sie nicht beschädigt seien, zusammensuchen und das Leergebinde zusammenschlichten wolle. Der Kläger war mit Z***** so verblieben, daß er am späteren Nachmittag, wenn die Partie im Zug der Reinigungsarbeiten wieder vorbeikam, neuerlich nachfragen werde. Z***** räumte dann an der Unfallstelle die beschädigten Kisten weg, während die restlichen Schäden von der Straßenmeisterei zu entfernen waren. Der beschädigte LKW-Zug wurde von einem Abschleppunternehmen auf einen Parkplatz in ca. 1 km Entfernung gebracht. Dort lud Z***** dann mit Hilfe eines auf einem LKW montierten Krans das Ladegut vom beschädigten LKW auf einen Anhänger um. Bei der Rückfahrt zur Straßenmeisterei bemerkte die Arbeitspartie im Vorbeifahren beim Parkplatz, daß sich das Zugfahrzeug dort befand und Z***** Umladearbeiten durchführte. Der Kläger ersuchte den Partieführer, das Fahrzeug anhalten zu dürfen, damit er den LKW-Fahrer nochmals fragen könne, wie weit die Umlade- und Aufräumarbeiten seien, und ob er die Plane haben könne. Er hielt das Fahrzeug an und erkundigte sich bei Z*****, ob die Aufräumarbeiten nun gegen 15 oder 16 Uhr beendet seien und fügte noch hinzu, daß die Straßenmeisterei bis 16 Uhr Dienst verrichte. Auch fragte er erneut nach der beschädigten LKW-Plane, worauf ihm Z***** zusicherte, daß er diese haben könne. In weiterer Folge kehrte der Kläger zum Fahrzeug der Straßenmeisterei zurück und teilte mit, daß Z***** noch 20 bis 30 Minuten für die Umladearbeiten benötige. Er meinte, daß noch etwas gewartet werden müsse, entfernte sich wieder und begab sich in den Schwenkbereich des Kranes zwischen den LKW und dem Anhängerheck. Einige Minuten nach Ende des Gespräches hob Z***** eine auf der Ladefläche des LKW stehende Mineralwasserkiste mit dem Kran leicht an und schwenkte den Kran mit der Last langsam gegen den Uhrzeigersinn. Der Kläger wurde von der Palette getroffen und gegen den Anhängerwagen gestoßen, wobei er schwere Schädelverletzungen erlitt. Die vom Kläger begehrte Plane befand sich zu diesem Zeitpunkt noch an der Unfallstelle. Die Grobreinigung der Unfallstelle wurde am Tag nach dem Unfall von der Straßenmeisterei vorgenommen, die weiteren Arbeiten erfolgten nach Ostern. Als Folge des Unfalles besteht beim Kläger eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H.

Mit Bescheid vom 26. 5. 1987 lehnte die beklagte Partei die Erbringung von Leistungen für die Folgen des Unfalls vom 27. 3. 1986 ab.

Der Kläger begehrte, die beklagte Partei zur Leistung einer Versehrtenrente im Ausmaß der Vollrente zu verpflichten. Der Unfall habe sich im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit ereignet und unterliege daher dem gesetzlichen Versicherungsschutz.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Der Umstand, daß der Kläger Z***** am Unfalltag ausschließlich deshalb aufgesucht habe, um von ihm die beschädigte Plane geschenkt zu erhalten, lasse darauf schließen, daß sich der Unfall bei einer privaten Tätigkeit ereignet habe. Es sei nicht erwiesen, daß der Unfall in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet habe.

Das Erstgericht sprach aus, daß das Begehren des Klägers auf Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 50 v. H. der Vollrente dem Grunde nach zu Recht bestehe und wies das übersteigende, auf eine Vollrente gerichtete Begehren (unangefochten) ab. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Versicherten und seiner die Versicherung begründenden Beschäftigung sei dann gegeben, wenn das den Unfall herbeiführende Verhalten von der Absicht und dem Entschluß bestimmt gewesen sei, die Interessen des Betriebes zu fördern. Die den Unfall auslösende Tätigkeit müsse allgemein einem vernünftigen Menschen als Ausübung der Erwerbstätigkeit erscheinen und auch vom Handelnden in dieser Intention entfaltet worden sein. Hier stehe fest, daß sich der Kläger während der Dienstzeit aus dienstlichen, aber auch privaten Gründen zu Z***** auf den Umladeplatz begeben habe, welcher ihn einerseits über den Fortschritt der Aufräumarbeiten informiert habe und ihm andererseits zugesichert habe, daß er die von ihm gewünschte Plane haben könne. Aus welchen Gründen der Kläger sich nach diesem Gespräch nochmals zu Z***** habe begeben wollen, sei infolge der schweren Verletzungen des Klägers ungeklärt geblieben, doch seien dienstliche Gründe wahrscheinlicher als private, zumal dem Kläger die Erfüllung seines Wunsches nach der beschädigten Plane bereits zugesichert gewesen sei. Der Unfall sei daher unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes im Sinn einer Klageabweisung ab. Der vom Kläger veranlaßte Halt, die Erkundigung über den Fortschritt der Umlade- und Aufräumarbeiten sowie das weitere Zuwarten seien primär darauf gerichtet gewesen, in den Besitz der noch an der Unfallstelle befindlichen und noch nicht zur Gänze freigelegten Plane zu gelangen. Der Schluß des Erstgerichtes, das Aufsuchen Z***** sei eher aus dienstlichen als aus privaten Gründen geschehen, könne nicht nachvollzogen werden. Für den Kläger sei nicht die die Versicherung begründende Beschäftigung, sondern eigenwirtschaftliches Interesse im Vordergrund gestanden, was den Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit beseitigt habe. Unfallversicherungsschutz bestehe daher nicht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Für Verrichtungen, die sowohl privaten wie auch betrieblichen Interessen dienen - sogenannte gemischte Tätigkeiten - besteht Versicherungsschutz, wenn die Verrichtung im Einzelfall dazu bestimmt war, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen (Brackmann, Handbuch 480 q). Nur dann, wenn für die unfallbringende Verrichtung im wesentlichen allein die privaten Interessen des Verletzten maßgebend sind, so ist der Unfall kein Arbeitsunfall; die ebenfalls vorhandenen betrieblichen Interessen wären hier nur der Nebenzweck des Handelns und hätten für den Unfall daher lediglich eine Gelegenheitsursache gebildet (Brackmann aaO).

Die Schlußfolgerung des Berufungsgerichtes, der Halt beim Parkplatz habe primär dem Interesse des Klägers gedient, in den Besitz der beschädigten Plane zu kommen, findet in den Feststellungen keine Deckung. Auszugehen ist davon, daß der Kläger beauftragt war, zu erheben, wie lange die Aufräumarbeiten nach dem Unfall noch in Anspruch nehmen werden und ob der Lenker des Unfallsfahrzeuges die auf der Böschung liegenden Abfälle selbst wegräumen werde; die Durchführung der Reinigungsarbeiten wäre im übrigen der Straßenmeisterei oblegen. Am Vormittag erhielt der Kläger vom Unfallenker diesbezüglich keine verbindliche Auskunft. Am Nachmittag hielt er das Fahrzeug bei einem nahegelegenen Parkplatz an, auf den das Unfallfahrzeug mittlerweile gebracht worden war, um zu fragen, wie lange die Aufräumarbeiten noch in Anspruch nehmen werden und nochmals um die Überlassung der Plane zu ersuchen. Der Aufenthalt am Parkplatz diente damit sowohl betrieblichen wie auch privaten Zwecken. Auch wenn der Kläger bei diesem Gespräch neuerlich sein Interesse an der beschädigten Plane bekundete und um deren Überlassung ersuchte, kann doch bei diesem Sachverhalt nicht davon ausgegangen werden, daß die dienstlichen Interessen dabei so weit in den Hintergrund getreten wären, daß sie nur eine unbedeutende Nebenursache des Halts am Parkplatz gewesen wären. Dieser und das Gespräch mit dem Lenker des verunfallten Fahrzeuges sind daher als gemischte Tätigkeit zu qualifizieren. Da die Verrichtung in wesentlichem Umfang durch betriebliche Interessen mitbestimmt wurde, stand sie unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Fraglich ist, ob auch der weitere Aufenthalt auf dem Parkplatz nach Beendigung des Gespräches mit dem LKW-Lenker betrieblichen Interessen gedient hat. Hätte nämlich das weitere Zuwarten des Klägers nach dem Ende des Gespräches nur dem Zweck gedient, nach Beendigung der Verladearbeiten die Übergabe der beschädigten Plane zu erwirken, so wären dafür ausschließlich eigenwirtschaftliche Interessen maßgebend gewesen. Der Unfall, der sich in dieser Zeit ereignete, wäre nicht vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfaßt gewesen. Hätte der Kläger aber etwa beabsichtigt, mit dem Lenker nach Beendigung der Verladetätigkeit die Unfallstelle aufzusuchen, um an Ort und Stelle nähere Details der Aufräumarbeiten zu besprechen, so wäre auch der weitere Aufenthalt auf dem Parkplatz unfallversicherungsgeschützt gewesen. Aufschlüsse darüber, welchen Grund das weitere Zuwarten auf dem Parkplatz hatte, könnte, wenn andere Anhaltspunkte fehlen der genaue Inhalt des Gespräches bieten, das der Kläger mit dem LKW-Lenker führte, bevor er sich zum weiteren Verbleib auf dem Parkplatz entschloß. Der Inhalt dieses Gespräches steht jedoch nicht fest. In diesem Punkt erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig.

Entsprechend den auch in Sozialrechtssachen geltenden Grundsätzen der Beweislastverteilung trifft den Kläger die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen. Der Kläger hat daher den kausalen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zur Verletzung führenden Unfall nachzuweisen. Die Beweislast für rechtsvernichtende oder rechtshemmende Tatsachen trifft hingegen die beklagte Partei, die dem Anspruch des Klägers unter Geltendmachung solcher rechtsvernichtender oder rechtshemmender Tatsachen entgegentritt (sa Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 244 m II).

Fest steht, daß der Kläger im Zug seiner beruflichen Tätigkeit den Parkplatz aufsuchte, wofür auch wesentliche berufliche Gründe maßgeblich waren. Der Beweis dafür, daß der Kläger während seines weiteren Aufenthaltes auf dem Parkplatz im wesentlichen eigenwirtschaftliche Interesse verfolgte und betriebliche Interessen dabei völlig in den Hintergrund traten obliegt der beklagten Partei, die ihr Begehren auf Klageabweisung darauf stützt, daß durch die Vorgangsweise des Klägers eine Lösung vom Betrieb eingetreten sei. Bei dem behaupteten Umstand handelt es sich nicht um ein negatives Tatbestandsmerkmal sondern um eine anspruchsvernichtende Tatsache, deren Nichterweislichkeit zu Lasten der beklagten Partei geht (idS auch BSG zitiert bei Brackmann aaO mwN zur Frage der Lösung vom Betrieb zufolge Verkehrsuntüchtigkeit wegen Trunkenheit).

Die bisher vorliegenden Feststellungen bieten für den vom Berufungsgericht gezogenen Schluß, der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Klägers sei durch die Verfolgung eigenwirtschaftlicher Interessen so weit gelöst worden, daß im Zeitpunkt des Unfalles der Unfallversicherungsschutz nicht mehr bestanden habe, keine Grundlage.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

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