OGH 9ObA3/91

OGH9ObA3/9130.1.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Adametz und Rupert Gnant als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W***** B*****, ***** vertreten durch H***** D*****, ***** dieser vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei G***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwälte *****, wegen 112.626,-- S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. November 1990, GZ 31 Ra 106/90-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Juni 1990, GZ 5 Cga 28/90-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger einen Betrag von 112.626,-- S brutto zuzüglich 4 % Zinsen ab 20.3.1990 zu zahlen und ihm die mit 24.994,80 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz (darin enthalten 13.680 S Barauslagen und 1.885,80 S USt) zu ersetzen, alldies binnen 14 Tagen bei Exekution".

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens im Betrag von 16.789,-- S (darin enthalten 10.000,-- S Barauslagen und 1.131,60 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 18.5.1981, zuletzt als Laborarbeiter, bei der beklagten Partei beschäftigt. Vom 12. bis 22.10.1989 war er wegen einer Sehnenscheidenentzündung an der rechten Hand im Krankenstand. Da er wegen dringender Arbeiten im Labor der beklagten Partei gebraucht worden wäre, rief der Leiter der Qualitätssicherung, dem auch das Labor untersteht, den Kläger am

19. oder 20.10.1989 an und fragte ihn, wann er wieder zur Arbeit komme. Der Kläger teilte mit, daß er am Montag, dem 23.10. den Arzt aufsuchen und daß sich dann entscheiden werde, ob er weiter im Krankenstand bleiben oder die Arbeit antreten werde. Am 23.10. erschien der Kläger nicht zur Arbeit; der Leiter der Qualitätssicherung und der Laborleiter gingen davon aus, daß der Kläger weiter im Krankenstand sei. Der Kläger suchte am Nachmittag des 23.10.1989 seinen praktischen Arzt auf, um den Krankenstand verlängern zu lassen, was dieser jedoch ablehnte. Am Vormittag des 24.10. rief der Kläger die kontrollärztliche Dienststelle der NÖ. Gebietskrankenkasse an und äußerte den Wunsch, weiterhin im Krankenstand zu bleiben, was jedoch von der Bediensteten abgelehnt wurde. Am Vormittag des 25.10. rief der Kläger den Betriebsratsvorsitzenden der beklagten Partei an und teilte ihm mit, daß er schon den dritten Tag nicht arbeite, obwohl er sich weder im Krankenstand noch im Urlaub befinde. Dieser empfahl ihm, sich sofort mit seiner Abteilung in Verbindung zu setzen. Unmittelbar darauf rief der Kläger den Personalchef der beklagten Partei an, der, was auch dem Kläger bekannt war, weder für die Entgegennahme von Krankenstandsmeldungen noch für die Bewilligung von Urlaub unmittelbar zuständig ist, und teilte ihm gleichfalls mit, daß er, ohne im Krankenstand oder im Urlaub zu sein, schon seit drei Tagen nicht arbeiten gehe. Auch der Personalchef forderte ihn auf, sich sofort mit seiner Abteilung in Verbindung zu setzen. Der Personalchef sah keine Veranlassung, sofort gegen den Kläger dienstrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, weil er annahm, dieser habe wohl derzeit noch keine ärztliche Krankenstandbescheinigung, werde sich aber eine solche noch beschaffen. Er informierte noch am selben Tag den Leiter der Qualitätssicherung über den Anruf des Klägers, fuhr dann auf Urlaub und war im weiteren mit der Angelegenheit nicht mehr befaßt. Der Leiter der Qualitätssicherung nahm aufgrund des Anrufes an, daß der Kläger für die Zeit seines Fernbleibens von der Arbeit eine ärztliche Krankenstandsbescheinigung nachbringen werde. Vom Laborleiter wurde der Kläger ab 30.10.1989 - der 27.10.1989 war als "Fenstertag" zwischen dem Nationalfeiertag und dem Wochenende bei der beklagten Partei arbeitsfrei - für die Nachtschicht eingeteilt und trat seine Arbeit am 30.10.1989 an. Er arbeitete während der ganzen Woche, wobei er jedoch mit seinen Vorgesetzten, die in der anderen Schicht eingesetzt waren, nicht zusammentraf. Schriftliche wurde ihm eine Aufforderung übermittelt, eine Krankenstandsbestätigung vorzulegen. Als der Kläger am 6.11.1989 die Arbeit in der Frühschicht begann, legte er eine ärztliche Bescheinigung vor, die seine Arbeitsunfähigkeit nur bis 22.10.1989 bestätigte. In der Anwesenheitskarte hatte er, ohne die erforderliche Zustimmung eingeholt zu haben, für die Zeit vom 23.10.1989 bis 25.10.1989 Urlaub eingetragen. Vom Leiter der Qualitätskontrolle wurde der Vorfall dem unter anderem für Personalangelegenheiten zuständigen Direktor gemeldet. Dieser lud den Kläger für den folgenden Tag zu einem Gespräch ein, in dessen Verlauf die Entlassung ausgesprochen wurde.

Der Kläger begehrt den der Höhe nach nicht strittigen Betrag von 112.626 S sA an Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung, Weihnachtsremuneration und Abfertigung. Er habe den Personalchef über die Tatsache, daß er bereits drei Tage ohne Grund der Arbeit ferngeblieben sei, verständigt. Dieser habe ihn in Kenntnis dieser Tatsache angewiesen, sich bei seinem Vorgesetzten zu melden und in der Folge sei er dann über eine Woche im Betrieb beschäftigt worden. Die am 7.11.1989 ausgesprochene Entlassung sei nicht zu Recht erfolgt.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Als der Kläger, der wegen verschiedener Unzukömmlichkeiten bereits zweimal schriftlich verwarnt worden sei, am 23.10. nicht zur Arbeit erschienen sei, habe man angenommen, daß er nach wie vor im Krankenstand sei. Man habe erwartet, daß der Kläger, der am 30.10.1989 seine Arbeit angetreten habe, in der Folge seinen Krankenstand bis einschließlich 25.10.1989 durch ärztliche Bestätigungen nachweisen werde. Erst am 6.11.1989 habe sich ergeben, daß ein Krankenstand für die Zeit vom 23.10.1989 bis 25.10.1989 nicht nachgewiesen werden könne. Der Entlassungsgrund sei erst an diesem Tag festgestanden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger wäre jedenfalls verpflichtet gewesen, seine Arbeit sofort anzutreten, als sich herausgestellt habe, daß sein Krankenstand nicht verlängert werde. Das Entlassungsrecht der beklagten Partei sei auch nicht verfristet, weil die Tatsache, daß die Entlassung erst etwa zwei Wochen nach dem Fernbleiben des Klägers von der Arbeit ausgesprochen worden sei, ihren Grund in der Schwerfälligkeit der Verwaltung der beklagten Partei habe und im übrigen das geduldige Zuwarten der beklagten Partei auf die Vorlage einer Krankenstandsbestätigung durch den Kläger dieser nicht zum Nachteil gereichen könne. Der Kläger habe zwar dem Personalchef den Sachverhalt am 25.10.1989 mitgeteilt, doch sei dieser zur Entgegennahme dieser Meldung nicht zuständig gewesen und habe offenbar auch nicht erfaßt, daß der Kläger nicht in der Lage sein werde, eine Krankenstandsbestätigung vorzulegen; dieser Mitteilung komme daher keine entscheidende Bedeutung zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge; es trat im wesentlichen der Begründung des Erstgerichtes bei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Die Fragen, die den Gegenstand der Mängelrüge bilden, sind für die rechtliche Beurteilung nicht entscheidend, sodaß ein Eingehen auf diese Revisionsausführungen entbehrlich ist.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsrüge ist hingegen berechtigt.

Wesentliche Bedeutung kommt dem Telefongespräch zu, das der Kläger am 25.10.1989 mit dem Personalchef der beklagten Partei führte. Nach dem festgestellten Sachverhalt teilte der Kläger dabei mit, daß er schon seit drei Tagen nicht zur Arbeit erschienen sei, obwohl er sich weder im Krankenstand noch im Urlaub befinde. Die spätere Vorlage einer Krankenstandsbestätigung durch den Kläger konnte vom Personalchef nach dem Inhalt dieses Gespräches nicht erwartet werden. Dem Personalchef lagen daher alle zur Entscheidung über den Ausspruch der Entlassung wesentlichen Fakten bereits in diesem Zeitpunkt vor. Damit, daß er unter diesen Umständen vom Ausspruch der Entlassung Abstand nahm und den Kläger an seinen unmittelbaren Vorgesetzten verwies, brachte er zum Ausdruck, daß die beklagte Partei das unentschuldigte Fernbleiben des Klägers von der Arbeit durch drei Tage nicht zum Anlaß nehmen werde, das Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden. Daß die Organisation im Betrieb der beklagten Partei so eingerichtet ist, daß Krankmeldungen und Urlaubsersuchen jeweils an den direkten Vorgesetzten zu richten sind, ändert nichts daran, daß der Personalchef, wenn er von einem Entlassungsgrund unmittelbar erfährt, eine umgehende Entscheidung über den Ausspruch der Entlassung zu treffen hat. Dadurch, daß eine Entlassung nicht ausgesprochen, sondern der Kläger vielmehr an seine Abteilung verwiesen, dort zur Arbeit eingeteilt und in der Folge noch über eine Woche im Betrieb beschäftigt wurde, hat sich die beklagte Partei, die sich das Verhalten ihres Personalchefs zurechnen lassen muß, ihres Entlassungsrechtes begeben. Die der Höhe nach nicht bestrittenen Ansprüche des Klägers werden daher zu Recht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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