OGH 3Ob607/90

OGH3Ob607/9023.1.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Dr. Angst als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Claudia K*****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie,

Am Spitz 1, 1210 Wien, als Sachwalter für die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche, infolge Revisionsrekurses des Kindes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. Oktober 1990, GZ 44 R 652/90-68, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 5. September 1990, GZ 2 P 462/80-63, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Für seine jetzt 17 Jahre alte Tochter hatte der Vater nach dem Beschluß des Pflegschaftsgerichtes vom 11. Juli 1986 an Unterhalt monatlich S 1.300,- zu leisten. Der Vater war damals seit dem 19. April 1986 arbeitslos.

Das Erstgericht wies die Anträge des Vaters vom 10. November 1989, die Unterhaltsverpflichtung für diese Tochter, die als Friseurlehrling eigenes Einkommen beziehe, auf S 500,- im Monat herabzusetzen, und vom 10. Juli 1990, ihn von dieser Unterhaltsverpflichtung zu entheben, im wesentlichen mit der Begründung ab, daß nach dem Bedarfs- Leistungsprinzip der Monatsunterhaltsbetrag von S 1.3000,- den erhobenen Verhältnissen weiter angemessen und vom Vater zu leisten sei.

Das Rekursgericht änderte über den Rekurs des Vaters diesen Beschluß dahin ab, daß es den vom Vater für die Tochter zu leistenden Unterhalt ab dem 1. Dezember 1989 auf S 500,- im Monat herabsetzte, und bestätigte die Abweisung des Antrags auf Enthebung von der Unterhaltsverpflichtung. Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung und Selbsterhaltungsfähigkeit iSd § 140 Abs 3 ABGB keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.

Die Vorinstanzen gingen bei ihren Entscheidungen von den folgenden Feststellungen aus:

Das Mädchen steht in der Obsorge der Mutter, die den Haushalt führt, in dem das Kind betreut wird, und als Kellnerin etwa S 7.200,- monatlich verdient. Das Mädchen ist seit dem 5. Feber 1989 Friseurlehrling und bezog im ersten Lehrjahr einschließlich der Sonderzahlungen rund S 2.300,- und im zweiten Lehrjahr rund S 3.500,- Lehrlingsentschädigung. Das Trinkgeld von etwa S 300,- monatlich kommt dazu (die erstgerichtliche Annahme, daß dieser Betrag für einen berufsbedingten Mehraufwand aufgehe, wurde vom Rekursgericht nicht übernommen).

Der Vater bezog seit 21. April 1989 (1986?) Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Vierzig Vermittlungsversuche blieben erfolglos. An Krankengeld und Notstandshilfe erhielt der Vater von Dezember 1989 bis Mitte Juli 1990 durchschnittlich rund S 9.400,- im Monat, seit Mitte Juli 1990 bezieht (bezog) der Vater als Saisonarbeiter ein Arbeitseinkommen von rund S 9.300,-

zuzüglich eines Anteils an den Sonderzahlungen von monatlich S 1.550,-, zusammen daher im Monat rund S 10.850,-. Er hat noch für die beiden Geschwister des Mädchens im Alter von 15 und 12 Jahren, einen 7-jährigen Sohn (mit insgesamt S 3.300,-) und teilweise für seine Ehefrau zu sorgen, die an Notstandshilfe rund S 4.700,- bis 5.500,- im Monat bezieht.

Das Rekursgericht meinte, daß bei dem Einkommen des Vaters zwar nach den üblichen Prozentsätzen eine Unterhaltsleistung für die älteste Tochter von S 1.600,- bis S 1.800,- angemessen sei, nicht aber, wenn der Vater insgesamt vier Kinder versorgen müsse. Bei der gebotenen Kürzung der Unterhaltsansprüche, um dem Vater die Sicherung seiner Existenz zu gewähren, müsse die als Lehrling tätige Tochter ihr Einkommen zur Deckung der eigenen Bedürfnisse einsetzen und sei etwa den Lebensverhältnissen des Vaters gleichgestellt, wenn dieser noch S 500,- im Monat leiste. Er müsse ja noch S 3.300,- für die drei anderen Kinder aufbringen. Das Kind sei zwar noch nicht selbsterhaltungsfähig, doch könne der Vater nicht mehr leisten.

Rechtliche Beurteilung

Der vom durch den Sachwalter vertretenen Kind erhobene Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Nach § 14 Abs 1 AußStrG in der hier nach Art XLI Z 5 WGN anzuwendenden Fassung ist gegen den Beschluß des Rekursgerichtes ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Nach Art XLI Z 9 WGN ist das Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in der Übergangszeit bei dieser Beurteilung in Unterhaltsbemessungsfragen nicht bedeutsam, wenn das Rekursgericht von einer nicht mehr als drei Jahre zurückliegenden Rechtsprechung eines Gerichtes zweiter Instanz nicht abgewichen ist, die veröffentlicht ist. Die vom Rekursgericht für die Erheblichkeit der zu lösenden Rechtsfrage bezeichnete Beurteilung des Einkommens eines Lehrlings an Lehrlingsentschädigung wurde vom Obersten Gerichtshof in mehreren und teils auch schon veröffentlichten Entscheidungen dahin entschieden, daß auch die Lehrlingsentschädigung Einkommen des Kindes iSd § 140 Abs 3 ABGB darstellt (EvBl 1990/134). Daß das Kind hier auch bei Bezug einer Lehrlingsentschädigung von S 3.500,- und Trinkgeld von S 300,-

nicht die Selbsterhaltungsfähigkeit erlangt hat, haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt. Es trifft aber nach einhelliger Rechtsprechung der Rekursgerichte und nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes zu, daß nicht allein die Bedürfnisse des Berechtigten, sondern auch die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen berücksichtigt werden muß (vgl EFSlg 55.973 ua). Dies zieht auch die Revisionsrekurswerberin nicht in Zweifel, sie verlangt nur die Anlegung eines anderen Maßstabes an die Beurteilung der Leistungskraft des Vaters, weil nicht von seinen festgestellten Einkünften, sondern im Sinne der Anspannungstheorie vom erzielbaren Einkommen auszugehen sei. Ob im Einzelfall die Arbeitslosigkeit verschuldet ist oder der Unterhaltsverpflichtete nicht die ihm zumutbaren Anstrengungen unternimmt, um wieder einer geregelten Arbeit nachzugehen, hängt von den Umständen ab und stellt daher in der Regel keine Rechtsfrage von der im § 14 Abs 1 AußStrG idF WGN umschriebenen Bedeutung dar. Selbst wenn der Vater seit 1986 arbeitslos war und zahlreiche Vermittlungsversuche unter anderem deshalb fehlschlugen, weil den Dienstgebern genug problemlose Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, bei denen mit Gehaltspfändung nicht zu rechnen ist, zeigt schon allein der Umstand, daß das Arbeitseinkommen seit Juli 1990 den Bezug an Notstandshilfe und Krankengeld bis zum Antritt der neuen Beschäftigung mit rund 15 % nur unwesentlich übersteigt und daher bei der Unterhaltsbemessung keinen erheblichen Unterschied macht, daß mit der Anspannung nichts zu gewinnen ist. Ob die Voraussetzungen dafür vorligen, ist im Einzelfall zu entscheiden. Das Rekursgericht hat dabei nicht erkennbar den Ermessensrahmen überschritten und im übrigen zutreffend erkannt, daß zwischen dem für den Unterhalt des Vaters verbleibenden Einkommensteil und den dem Kind insgesamt zur Verfügung stehenden Mitteln eine angemessene Relation anzustreben ist.

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