Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird stattgegeben. Die angefochtene Entscheidung und der erstinstanzliche Beschluß werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.
Text
Begründung
Das nunmehr sieben Jahre alte Mädchen ist ein eheliches Kind. Die Ehe der Eltern wurde im Herbst 1985 durch Scheidungsurteil aufgelöst. Der Vater war bereits zu Beginn des Jahres 1985 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen, hat aber eine Gleichschrift des am 5. März 1985 durch die Mutter zu gerichtlichem Protokoll gegebenen Unterhaltsfestsetzungsantrages noch am 8.März 1985 unter der Anschrift der Ehewohnung zu eigenen Handen zugestellt erhalten. Mit pflegschaftsgerichtlichem Beschluß vom 4.April 1985 wurde der Vater antragsgemäß verpflichtet, zum Unterhalt seiner Tochter ab 1. April 1985 monatlich 1.000 S zu bezahlen. Dieser Unterhaltsbemessung lag die Annahme zugrunde, daß der im Mai 1947 geborene, gesunde und arbeitsfähige, zuletzt als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesene Unterhaltspflichtige unter gebotener Anspannung im Jahresdurchschnitt ein monatliches Nettoeinkommen von rund 7.600 S erzielen könnte. Der Vater hatte dem Pflegschaftsgericht niemals eine Wohnungsänderung bekanntgegeben. Der Unterhaltsfestsetzungsbeschluß wurde ihm unter der Adresse der Ehewohnung im Wege postamtlicher Hinterlegung zugestellt. Erhebungen über den Aufenthaltsort des Vaters blieben in der Folge ergebnislos. Im Scheidungsverfahren war für den Vater ein Rechtsanwalt zum Prozeßkurator bestellt worden. Diesem Rechtsanwalt stellte das Pflegschaftsgericht in der Folge einen Obsorgeantrag der Mutter als Abwesenheitskurator des Vaters zu.
Das Pflegschaftsgericht bestellte das Stadtjugendamt zum Unterhaltssachwalter und stellte eine Ausfertigung des Bestellungsbeschlusses dem Vater zu Handen einer zur Zustellkuratorin bestellten Gerichtsbediensteten zu. Mit Beschluß vom 17.Dezember 1985 beschloß das Pflegschaftsgericht antragsgemäß die Gewährung monatlicher Unterhaltsvorschüsse in der titelmäßigen Höhe des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses vom 4.April 1985 (1.000 S) für die Zeit vom 1.Dezember 1985 bis 30.November 1988.
Nach einer Dienstgeberauskunft war der Vater im zweiten Halbjahr 1986 vier Monate in einem Salzburger Restaurant (als Abwäscher) beschäftigt und ist Ende November 1986 nach Beendigung des dreiwöchigen Betriebsurlaubes nicht mehr zur Arbeit erschienen. Nach den Ergebnissen von Sozialversicherungsanfragen vom Frühjahr und Herbst 1988 waren in Ansehung des Vaters keine Daten über eine versicherungspflichtige Tätigkeit gespeichert.
Mit dem Beschluß vom 30.November 1988 bewilligte das Pflegschaftsgericht antragsgemäß die Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse in der monatlichen Höhe von 1.000 S für die Zeit vom 1.Dezember 1988 bis 30.November 1991.
Sozialversicherungsanfragen über versicherungspflichtige Tätigkeiten des Vaters erbrachten auch im Jahre 1989 jeweils (März, Juli und Dezember) ein negatives Ergebnis.
Am 13.September 1990 langte beim Pflegschaftsgericht der Antrag des durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretenen Kindes auf Gewährung der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG (anstelle der Vorschüsse in Höhe der titelmäßig festgesetzten Beträge) ein. Die in den Jahren 1985 bis 1987 mehrmals zum Zustellkurator bestellte Gerichtsbeamtin teilte dem Pflegschaftsgericht auf dessen Anfrage am 24. September 1990 mit, daß ihr der Aufenthalt des Vaters nicht bekannt sei. Auch eine abermalige Sozialversicherungsanfrage blieb ergebnislos.
Mit pflegschaftsgerichtlichem Beschluß vom 27.September 1990 wurde dem Kind hierauf anstelle der titelmäßigen Vorschüsse (von monatlich 1.000 S) für die Zeit vom 1. September 1990 bis 31. August 1993 die Gewährung monatlicher Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG im Ausmaß von 50 % des im § 6 UVG genannten Richtsatzes bewilligt.
Das Rekursgericht änderte in Stattgebung des vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes erhobenen Rekurses den pflegschaftsgerichtlichen Beschluß im Sinne einer Abweisung des auf § 4 Z 2 UVG gestützten Antrages ab. Das Gericht zweiter Instanz schloß sich dabei der Argumentation des Rekurswerbers an, ein erfolgreich durchzuführendes Unterhaltserhöhungsverfahren wäre nicht schon von vornherein aus dem einzigen Grund als unmöglich zu erkennen, daß der Aufenthalt des Unterhaltsschuldners derzeit unbekannt sei. Nach der gesetzgeberischen Zielsetzung sei die Regel des § 4 Z 2 UVG "sehr sorgfältig" anzuwenden. Die Bestimmung sei nicht dazu geschaffen worden, Unterhaltserhöhungsverfahren zu ersparen oder Kinder in den Genuß von Vorschüssen zu bringen, die in keinem Verhältnis zum real ermittelten Einkommen des Unterhaltspflichtigen stünden. Das vorschußberechtigte Kind sei nach der Aktenlage nicht davon zu entbinden, eine Erhöhung der titelmäßigen Unterhaltsverpflichtung seines Vaters im Unterhaltserhöhungsverfahren zu versuchen. Es sei nicht auszuschließen, daß ernstlich unternommene Versuche, Aufenthalt und Lebensverhältnisse des Vaters ins klare zu setzen, erfolgreich sein könnten.
Das durch den Jugendwohlfahrtsträger als Sachwalter vertretene Kind ficht die abändernde Rekursentscheidung wegen (qualifiziert) unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses zielenden Abänderungsantrag an.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist wegen der Abhängigkeit der Entscheidung von den im folgenden darzulegenden Rechtsfragen zulässig. Er ist auch im Sinne des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages berechtigt.
Eltern haben im Ausmaß des § 140 ABGB zur Deckung der Lebensbedürfnisse ihres Kindes nach ihren Kräften beizutragen. Steht eine solche Beitragspflicht dem Grunde nach fest, bedarf sie im Streitfall der betraglichen Festsetzung, um den Anspruch des Kindes inhaltlich zu bestimmen und mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung durchsetzbar zu machen. Nach der Fälligkeitsregel des § 1418 zweiter Satz ABGB sind Alimente wenigstens auf einen Monat voraus zu bezahlen. Dieser Bestimmung liegt augenfällig die Erwägung zugrunde, daß Unterhaltsleistungen ihren Zweck, dem Berechtigten die zur Befriedigung seiner grundsätzlich regelmäßig wiederkehrenden Lebensbedürfnisse erforderlichen Mittel an die Hand zu geben, nur dann voll erfüllen, wenn sie auch rechtzeitig erfolgen. Mit der Verpflichtung zur Gewährung von Vorschüssen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz 1985 hat sich der Bund eine Art Garantie für die vollständige und rechtzeitige Befriedigung gesetzlicher Unterhaltsansprüche von minderjährigen Kindern auferlegt. In dieser Sicht ist es systemgerecht, daß die Vorschußleistungen grundsätzlich nicht über den Umfang der bürgerlich-rechtlichen Verpflichtung des Unterhaltsschuldners hinausgehen. Dieser Grundsatz sollte auch dann nicht aufgegeben werden, wenn die Vorschußgewährung ausnahmsweise nicht an das Vorhandensein eines Exekutionstitels über den geschuldeten Unterhaltsbeitrag anknüpfen kann.
Nach § 4 Z 2 UVG sind Vorschüsse auch dann zu gewähren, wenn die (titelmäßige) Erhöhung des Unterhaltsbeitrages aus Gründen auf Seite des Unterhaltsschuldners nicht gelingt, außer dieser ist nach seinen Kräften offenbar zu .... einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande.
Auch in einem solchen Fall bliebt der Grundsatz aufrecht, daß die Vorschußleistung aus öffentlichen Mitteln (wie eine Garantiepflicht) nur an die Stelle der vom Unterhaltspflichtigen geschuldeten, wenn auch betraglich noch nicht festgesetzten, Leistungen zu treten habe.
Von dieser durch den erkennenden Senat bereits in der Entscheidung EvBl 1990/121 dargelegten Grundlage ausgehend ist für die Fälle der Notwendigkeit einer Anpassung der titelmäßigen Verpflichtung gegenüber einem unbekannten Aufenthaltes weilenden Unterhaltsschuldners unter Beachtung der gegenüber den Grundsätzen des Unterhaltsfestsetzungsverfahrens bewußt abweichend positiv geregelten Behauptungs- und Beweislast nach § 4 Z 2 UVG weiter zu erwägen:
Auch im außerstreitigen Unterhaltserhöhungsverfahren trifft das antragstellende Kind, ungeachtet amtswegiger Erhebungspflichten, in Ansehung konkreter anspruchsbegründender Umstände nicht nur eine gewisse verfahrensrechtliche Mitwirkungspflicht, sondern vor allem nach allgemeinem Grundsatz der Nachteil aus einer nicht zustandegekommenen richterlichen Überzeugung ("Beweislast"). Davon ist auch bei einer Unterhaltsfestsetzung aufgrund eines nicht tatsächlich erzielten, sondern bloß als erzielbar zugrundegelegten Einkommens des Unterhaltsschuldners keine Ausnahme zu machen. Könnte also in einem konkreten Fall die Möglichkeit einer Steigerung der im vorangegangenen Titelverfahren etwa bereits voll ausgeschöpften Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners nicht mit einer für eine entsprechende betragliche Festsetzung hinreichenden Sicherheit angenommen werden, müßte ein etwa auf eine allgemeine Wirtschaftsentwicklung gestützter Unterhaltserhöhungsantrag gegen einen unbekannten Aufenthaltes weilenden Unterhaltsschuldner mangels Feststellbarkeit seiner konkreten Lebens- und Einkommensverhältnisse oftmals der Abweisung verfallen. Die Risken aus der Abwesenheit seines Unterhaltsschuldners trägt in diesem Sinne das unterhaltsberechtigte Kind.
Der Novellengesetzgeber des Jahres 1980 hat die Schwierigkeiten des minderjährigen Kindes gegenüber seinem abwesenden Unterhaltsschuldner grundsätzlich gleich behandeln wollen, ob das Kind nun eine erstmalige Unterhaltsfestsetzung oder die Erhöhung einer vermutlich (nach einer diesbezüglich gesetzlich festgelegten Dreijahresfrist anzunehmenden) zu gering erscheinenden Unterhaltsfestsetzung (gegenüber der in den Erläuternden Bemerkungen verwendeten Sprachschöpfung "Untertitel" erschiene, soweit eine Begriffsbildung überhaupt als notwendig angesehen wird, das Wort "Mindertitel" treffender) anstrebt. Im Fall eines "Mindertitels" soll der Zeitablauf die Festsetzungswirkung für die Höhe der Vorschüsse verlieren und damit dieselbe Ausgangslage wie bei einer Vorschußgewährung ohne Unterhaltstitel schaffen (vgl. 276 BlgNR XV. GP, 9 zu § 4 Z 2). Dem vorschußpflichtigen Bund ist die Behauptungs- und Beweislast aufgebürdet, daß der Unterhaltsschuldner nach seinen Kräften offenbar zu einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande ist.
Das darf nach dem schon in der Entscheidung EvBl 1990/121 dargelegten Zweck und der deshalb gebotenen Begrenzung der Vorschüsse nach dem Unterhaltsvorschußgesetz 1985 allerdings nicht dazu führen, daß das Kind Vorschüsse vom Bund bezöge, die offenbar höher wären als der Unterhaltsbeitrag, der ihm gegenüber dem Unterhaltsschuldner zugesprochen würde.
Die vom Rekursgericht dazu vertretene Auffassung das infolge Zeitablaufes nur noch mit einem "Mindertitel" gegenüber einem unbekannten Aufenthaltes weilenden Unterhaltsschuldner ausgestattete minderjährige Kind, vor allem auch zur Klärung der Zweifel, ob die angemessene Unterhaltsleistung den sich nach der anzuwendenden Richtsatzquote ergebenden Monatsbetrag überhaupt erreichte, auf das Unterhaltsbemessungsverfahren zu verweisen, widerspricht dem materiellen Grundsatz, die Garantieleistung rasch der tatsächlichen Unterhaltsverpflichtung anzupassen (was bei einem unbekannten Aufenthalt des Unterhaltsschuldners typischerweise verneint werden muß) und andererseits der durch § 4 Z 2 UVG bewußt zum Nachteil des Bundes geregelten Beweislast (in den Fällen des Abganges der Offenbarkeit).
Die Einschränkungsbestimmung des § 4 Z 2 letzter Halbsatz UVG gestattet und zwingt daher nach dem Grundsatz, daß auch ein pauschalierter Vorschuß den Umfang der konkreten Unterhaltspflicht nicht übersteigen sollte, zu einer entsprechenden Einschränkung der Richtsatzquote, wenn dem vorschußpflichtigen Bund im Vorschußverfahren der Nachweis gelingen sollte, daß der Unterhaltsschuldner offenbar nicht zur Leistung des vollen, der Richtsatzquote entsprechenden Betrages imstande wäre, etwa durch den Nachweis, daß sich unter Zugrundelegung der Einkommens- und Lebensverhältnisse des nunmehr unbekannten Aufenthaltes weilenden Unterhaltsschuldners durch längere Zeit vor dem Einsetzen der Nachrichtenlosigkeit nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eine entsprechende Erhöhung der Unterhaltsbemessungsgrundlage, aber eben nur bis zu einer mit einiger Sicherheit abschätzbaren Höhe annehmen ließe.
Eine sich unter der Beweislast des vorschußpflichtigen Bundes auf diese Weise offenbar ergebende Beschränkung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners, aus der sich eine unter den Richtsatzquoten des § 6 UVG ergebende monatliche Unterhaltszahlungspflicht ergäbe, zwingt dazu, im Falle wirksamer verfahrensrechtlicher Geltendmachung durch den vorschußpflichtigen Bund (sei es auch erst im Rekurs des Oberlandesgerichtspräsidenten), im Vorschußverfahren den monatlichen Betrag zu ermitteln, den der Unterhaltsschuldner offenbar höchstens zu zahlen imstande wäre, diesen Betrag in eine Relation zum aktuell berechneten Betrag zu setzen, der sich aus der jeweils anzuwendenden Richtsatzquote von 25, 50 oder 75 Prozent ergäbe und danach die Vorschußgewährung auf einen entsprechenden Prozentsatz zu begrenzen, der unterhalb der altersmäßig aktuellen Richtsatzquote liegt. (Bei einem Kind zwischen vollendetem 6. und 14. Lebensjahr nach § 6 Abs 2 Z 2 UVG etwa nicht 50 %, sondern beispielsweise nur 35 %.)
Nur diese Vorgangsweise wird einerseits dem Grundsatz gerecht, daß die Vorschüsse die (vermutliche) Unterhaltspflicht des Unterhaltsschuldners nicht übersteigen sollen, und andererseits dem Grundsatz, daß bei Gründen auf Seite des Unterhaltsschuldners, die eine betragliche Festsetzung der konkreten Unterhaltsverpflichtung im Bemessungsverfahren verhindern, die in der Nichtfeststellbarkeit einzelner Bemessungsfaktoren gelegenen Unsicherheiten zu Lasten des vorschußpflichtigen Bundes und nicht des vorschußberechtigten Kindes gehen sollen.
Die Richtsatz-Quoten des § 6 Abs 2 UVG sind nicht nur "vorbehaltlich des § 7" sondern auch in den Fällen des § 4 Z 2, letzter Halbsatz, UVG keine absoluten sondern nur Höchst-Sätze. Im Sinne dieser Auslegung des § 4 Z 2 UVG ist also dem Bund im anhängigen Verfahren Gelegenheit zu geben, zu beweisen, daß der Vater nach seinen Kräften offenbar nicht imstande ist, höhere Unterhaltsbeiträge für das Kind zu zahlen, als im letzten Unterhaltsfestsetzungsverfahren ausgemittelt wurden (1.000 S monatlich).
Dazu ist eine Ergänzung des Verfahrens in erster Instanz unumgänglich. In Stattgebung des Revisionsrekurses waren daher die Entscheidungen beider Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Pflegschaftsgericht erster Instanz zurückzuverweisen.
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