OGH 8Ob610/90 (8Ob679/90)

OGH8Ob610/90 (8Ob679/90)13.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatpräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Graf und Dr. Jelinek als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*** U***- UND S*** AG, Tegetthoffstraße 7, 1010 Wien, vertreten

durch Dr. Franz Klaban, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Wolfgang G***, Inhaber einer Handelsagentur, Kärntner Straße 25, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Gerhard Engin-Deniz, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 199.997,18 sN (Revisionsstreitwert S 72.633,70 im Verfahren 48 C 578/86h und S 41.029,01 im Verfahren 48 C 670/86p), infolge Revision und ao. Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgericht vom 16.März 1990, GZ 41 R 21/90-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 14.September 1989, in den verbundenen Rechtssachen 48 C 578/86h-24 (führender Akt) und 48 C 670/86p, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Die Revision im Verfahren AZ 48 C 670/86p des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien, also hinsichtlich S 41.029,01 samt Nebengebühren, wird zurückgewiesen.

2. Der Revision im Verfahren AZ 48 C 578/86h desselben Gerichtes, also hinsichtlich S 72.633,70 samt Nebengebühren, wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Diese Rechtssache wird an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Partei schloß mit dem Beklagten am 1.3.1985 einen Mietvertrag auf unbestimmte Zeit über das Bestandobjekt im 4.Stock des Hauses Kärntnerstraße 25/Himmelpfortgasse 1 im 1.Wiener Gemeindebezirk. Die Vermietung erfolgte zur Benützung als Büro und Schönheitssalon. Die Nutzfläche des Bestandobjektes beträgt 213,37 m2. Als Mietzins wurde ein Betrag von S 27.750 (wertgesichert) zuzüglich der für das Mietobjekt anfallenden Betriebs-, Aufzugs- und Heizungskosten sowie der Verwaltungsgebühr und der Umsatzsteuer vereinbart. Die Betriebskosten werden von der Vermieterin in Rechnung gestellt und diese ist berechtigt, monatlich zum Hauptmietzins die Betriebskosten in der voraussichtlichen Höhe pauschal einzuheben. Die Abrechnung der Betriebskosten soll jährlich einmal erfolgen.

Die klagende Partei begehrt in den verbundenen Klagen AZ 48 C 578/86h und AZ 48 C 670/86p an rückständigen Mieten für die Zeit August 1986 bis inklusive Oktober 1987 nach Ausdehnung des Klagebegehrens und unter Berücksichtigung kapitalisierter Zinsen letztlich zusammen S 199.997,18 sN; davon entfallen S 41.029,01 sN auf die mit gesonderter Klage zur AZ 48 C 670/86p begehrte Miete für November 1986.

Der Beklagte bestreitet das Klagevorbringen, wendet compensando Gegenforderungen ein und beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Soweit es für das Revisionsverfahren von Interesse ist, bringt er zusammengefaßt vor, er habe S 10.000 monatlich an Miete einbehalten, weil das Bestandobjekt dadurch entwertet worden sei, daß die klagende Partei die E***-A*** I*** A*** Ltd als Mieterin in diesem Haus akzeptiert habe. Er und seine Kunden würden dadurch andauernd gefährdet und belästigt; dies habe zu einem Geschäftsrückgang nach Einzug der E**-A** geführt. Mehrere Mieter seien bereits aus dem Haus ausgezogen; es stehe teilweise leer; dennoch habe die klagende Partei sein Ansuchen auf Mietzinsreduktion abgelehnt. Er habe dadurch einen (näher aufgeschlüsselten) Gesamtschaden von S 1,653.000 erlitten, den er compensando bis zur Höhe der Klageforderung einwende. Im übrigen bestreitet er auch die Betriebskostenabrechnung.

Das Erstgericht stellte fest, daß die Klageforderung zu Recht, die eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht besteht und gab dem Klagebegehren zur Gänze statt.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung hinsichtlich eines Teilbetrages von S 86.334,46 sN auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die Berufung sei berechtigt, soweit die Entscheidung von der Höhe der Betriebskosten in Form von Pauschalraten und des Anteiles des Mietobjektes an der monatlich im Haus eingehobenen Pauschalrate abhänge. Dies treffe nur auf die Vorschreibungen für September und Oktober 1987 zu. Für die Monate August 1986 bis August 1987 sei die Klageforderung nicht von den Betriebskosten abhängig, weil die klagende Partei im Prozeß (ON 9) unwidersprochen klargestellt habe, daß sie die bloß für bestimmte Monate gewidmeten Minderzahlungen von je S 10.000 für Betriebs- und Nebenkosten widme.

Im übrigen, also hinsichtlich S 113.642,71 sN, gab das Berufungsgericht der Berufung des Beklagten nicht Folge, sprach mit Teilurteil aus, daß die Klageforderung in diesem Umfang zu Recht, die bis zu dieser Höhe eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und daher der Beklagte schuldig sei, der klagenden Partei diesen Betrag zu bezahlen. Ein Zinsminderungsanspruch wegen Gebrauchsbeeinträchtigung bestehe nicht, wenn sich ein Mieter durch den Umstand, daß eine andere Person auch Mieter des Hauses sei, belästigt fühle. Auch der wegen der Abneigung gegen einen anderen Mieter erhobenen Schadenersatzforderung mangle es an den grundsätzlichen Voraussetzungen. Ressentiments eines Mieters seien keine Anspruchsgrundlage und berechtigten den Mieter nicht, sich seiner Verbindlichkeiten zu entziehen. Die ordentliche Revision sei im Verfahren AZ 58 C 578/86h nicht zulässig und im Verfahren AZ 48 C 670/86p jedenfalls unzulässig.

Gegen dieses klagestattgebende Teilurteil richtet sich das als außerordentliche Revision bezeichnete Rechtsmittel des Beklagten. Er ficht das Teilurteil zur Gänze wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache an und beantragt, es im klageabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Die klagende Partei beantragt, die außerordentliche Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Verfahren AZ 48 C 670/86p unzulässig, im Verfahren AZ 48 C 578/86h jedoch zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Zu P 1 des Beschlusses:

Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung findet auch bei Verbindung von Rechtsstreitigkeiten, die - wie hier - in tatsächlichem oder rechtlichem Zusammenhang stehen, keine Zusammenrechnung statt (SZ 31/155 uva; ebenso Petrasch, ÖJZ 1983, 173, und ihm folgend JBl 1984, 554; JBl 1989, 73 uva). Im Verfahren AZ 48 C 670/86p beträgt der Streitwert nur S 41.029,01 sN; die Revision ist diesbezüglich gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig. Der Beklagte kann sich dadurch nicht beschwert erachten, weil er mit einem Zwischenantrag auf Feststellung die Unanfechtbarkeit dieses gesondert eingeklagten Teilbetrages hätte vermeiden können (§ 259 Abs 2 iVm § 236 Abs 1 ZPO).

Zu P 2 des Beschlusses:

Zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision bringt der Beklagte vor, daß zur Frage, ob von einem Mitmieter nur indirekt ausgehende Gefährdungen und Belästigungen (hier: angebliche Gefahr terroristischer Anschläge und zu deren Verhinderung nötige Sicherheitsvorkehrungen) eine rechtserhebliche Gebrauchseinschränkung des Mietgegenstandes darstellen, die einen Anspruch auf Mietzinsminderung begründen, eine oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle. Dies trifft zu. Die außerordentliche Revision ist daher zulässig.

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, ein Mietzinsminderungsanspruch wegen Gebrauchseinschränkung bestehe nicht, wenn sich ein Mieter durch den Umstand, daß eine andere Person ebenfalls Mieter des Hauses ist, belästigt fühlt, ist in dieser allgemeinen Form unrichtig. Der Vermieter ist nach herrschender Lehre und Rechtsprechung verpflichtet, seinen Mieter im Gebrauch des Bestandgegenstandes gegen Störungen durch Dritte, insbesondere auch durch im selben Haus wohnende Mitmieter, zu schützen (SZ 15/101; EvBl 1971/5; RZ 1985/138; MietSlg 35.170 uva; Würth in Rummel, ABGB Rz 9 zu § 1096). Der Mieter kann vom Vermieter zwar nicht verlangen, daß alle im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestandenen Umstände erhalten bleiben, wohl aber, daß er vom Vermieter oder von Dritten im bedungenen Gebrauch des Bestandgegenstandes nicht wesentlich beeinträchtigt wird (MietSlg 35.170; RZ 1985/54).

Dieser Anspruch ist Ausfluß des besonderen Gewährleistungsrechts im Bestandrecht. Bei nichtgehöriger Erfüllung (Verschaffung und Erhaltung des bedungenen oder nach den Umständen üblichen Gebrauches) kann der Bestandnehmer nach seiner Wahl ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Bestandgebers (JBl 1989, 381 ua) entweder auf Zuhaltung des Vertrages, zB durch Unterlassung der Störungen, Maßnahmen gegen Dritte udgl, bestehen oder gemäß § 1117 ABGB vom Vertrag zurücktreten oder sich - zunächst - mit der ex lege eintretenden Zinsbefreiung bzw -minderung begnügen. Bei Verschulden hat der Vermieter überdies Schadenersatz zu leisten (SZ 36/84; MietSlg 35.180). Im Fall eines außerordentlichen Zufalles im Sinn des § 1104 ABGB kann der Bestandnehmer nur zwischen Rücktritt und Zinsbefreiung bzw -minderung wählen. Ausgeschlossen ist eine Zinsbefreiung bzw -minderung nur, wenn der Bestandnehmer die Umstände, die seinen Gebrauch behindern, akzeptiert (Würth aaO Rz 2, 10 ff). Wird der Gebrauch der Bestandsache daher durch einen bei Abschluß des Bestandvertrages nicht berücksichtigten, nachträglich eingetretenen Umstand (EvBl 1972/74 ua) auf andere Weise als dadurch, daß die Sache selbst mangelhaft ist, gehindert oder beeinträchtigt, so kann dies ( - muß aber nicht: ein Konkurrenzunternehmen im gleichen Haus reicht zB nicht aus - ) zur Mietzinsminderung führen (JBl 1989, 381 ua).

Die vom Beklagten behaupteten besonderen Verhältnisse, nämlich die latente Gefahr von Bombenanschlägen, die ständige Anwesenheit von Polizei und die Durchführung von Personenkontrollen zur Verhinderung solcher Anschläge (vgl ON 5, S.2, ON 8 S.2, ON 27 S.10, ON 34 S.6 f), die durch den Einzug einer Mitmieterin, die erfahrungsgemäß bedauerlicherweise immer wieder Ziel terroristischer Anschläge war und ist, herbeigeführt worden sein sollen und die angeblich andere Mitmieter sogar zum Auszug aus dem Haus veranlaßt haben sollen, sind an sich - ihre Richtigkeit

vorausgesetzt - zweifellos geeignet, einen Umsatzrückgang und damit auch eine Entwertung des Mietobjektes zu bewirken. Kunden vermeiden verständlicherweise Orte, an denen die Gefahr von Bombenanschlägen und demgemäß auch verschärfter Sicherheitskontrolle besteht; Personenkontrollen und damit möglicherweise verbundene Registrierungen werden von den Betroffenen fast immer als lästig empfunden und nach Möglichkeit gemieden. Die Gefahr eines Kundenverlustes und damit eines Umsatzrückganges für Unternehmen, die an solchen Orten etabliert sind, ist daher evident. Zum Beweis dafür hat der Beklagte die Vernehmung von Zeugen und insbesondere auch seine Parteienvernehmung angeboten (ON 8 S.1 f). Die Aufnahme dieser Beweise durfte nicht mit dem lapidaren Hinweis auf angebliche Ressentiments des Beklagten gegen diese Mitmieterin abgelehnt werden. Sollten sich die behaupteten Umstände als richtig und nach ihrem Ausmaß auch als erheblich erweisen, rechtfertigen sie eine Mietzinsreduktion; sie konnten vom Beklagten bei Aushandlung des Mietzinses nicht berücksichtigt werden, weil sie erst durch die Person eines später eingezogenen Mieters ausgelöst wurden (vgl Würth aaO Rz 11). Darauf, ob der Vermieter diese Umstände zu vertreten oder gar verschuldet hat, kommt es bei der ipso iure eintretenden Mietzinsminderung als einer besonderen Form der Gewährleistung im Bestandrecht nicht an. Sie träte selbst dann ein, wenn die behaupteten Umstände bei Abschluß des späteren, sie dann auslösenden Mietvertrages für den Vermieter nicht vorhersehbar gewesen wären, wie zB spätere politische Veränderungen, die zur Gefahr terroristischer Anschläge führten. Eine solche Gefahr ist ein Fall höherer Gewalt, durchaus den im § 1104 ABGB genannten kriegerischen Ereignissen gleichzusetzen. In diesem Fall wäre der Vermieter im Rahmen seiner Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber seinen früheren Mietern sogar verpflichtet, von sich mit dem Anbot einer angemessenen Mietzinsreduktion an die früheren Mieter heranzutreten oder - wenn dies von ihnen nicht akzeptiert werden sollte - das Mietverhältnis mit dem die übrigen Mitmieter indirekt gefährdenden Mieter auf deren Verlangen zu beenden.

Die Frage des Verschuldens des Vermieters spielt nur für die vom Beklagten einredeweise erhobenen Schadenersatzansprüche eine Rolle (Würth aaO Rz 12); Vorhersehbarkeit der behaupteten Gefährdungen und Belästigungen genügt. Aus den den Vermieter treffenden Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber seinen Mietern ergibt sich auch ohne ausdrückliche Vereinbarung, daß er alles zu unterlassen hat, was über die eigentliche Störung und Beeinträchtigung hinaus zur Schädigung seiner Mieter führen kann. Diese kann auch in der herabgesetzten Verwertbarkeit des Mietobjektes bestehen. Feststellungen über die behaupteten Gefährdungen und Belästigungen und ihr Ausmaß sowie deren Voraussehbarkeit durch den Vermieter und das Ausmaß des behaupteten, einredeweise geltend gemachten Schadens des Mieters fehlen. Daher ist das Teilurteil im zulässigerweise angefochtenen Umfang aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens in diesem Sinn und neuerlichen Beschlußfassung zurückzuverweisen.

Der Einwendung des Beklagten, der Vermieter könne durch einseitige Widmung von Teilzahlungen die Überprüfung der Betriebskosten nicht ausschließen, ist entgegenzuhalten, daß die Revision insoweit nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht: nach diesem liegt für die Zeit von August 1986 bis August 1987 eine unwidersprochene Widmung der klagenden Partei vor.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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