Spruch:
Im Strafverfahren U 336/89 des Bezirksgerichtes Liesing wurde das Gesetz verletzt:
1. durch das Urteil vom 15.Jänner 1990, ON 7, insoweit damit - ungeachtet des Umstandes, daß gemäß §§ 31, 40 StGB von der Verhängung einer Zusatzstrafe zu der über den Beschuldigten Gerhard W*** vom Jugendgerichtshof Wien zum AZ 3 b Vr 820/89 verhängten bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten abgesehen wurde - die Verlängerung der von diesem Gerichtshof bestimmten Probezeit von drei Jahren auf fünf Jahre ausgesprochen wurde, in den Bestimmungen der §§ 53 Abs. 2 StGB und 494 a Abs. 4 und Abs. 7 StPO;
2. durch den Vorgang, daß das Bezirksgericht Liesing von dieser Entscheidung (Absehen vom Widerruf) nicht unverzüglich den Jugendgerichtshof Wien, dessen Vorentscheidung betroffen war, verständigte, im § 494 a Abs. 8 StPO.
Der unter Punkt 1 bezeichnete Ausspruch, der soweit er das Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht aus Anlaß der neuerlichen Verurteilung (§ 494 a Abs. 1 Z 2 StPO) zum Ausdruck bringt, unberührt bleibt, wird in der Anordnung einer Verlängerung der Probezeit aufgehoben.
Text
Gründe:
Mit dem rechtskräftigen Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 14. November 1989, GZ 3 b Vr 820/89-12, wurde der am 14.Mai 1969 geborene Gerhard W*** des (am 1.Mai 1988 begangenen) Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt.
Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom 15. Jänner 1990, GZ U 336/89-7, wurde Gerhard W*** des am 24. Jänner 1989, sohin noch vor der oben bezeichneten Verurteilung durch den Jugendgerichtshof Wien, begangenen Vergehens der Unterschlagung nach § 134 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Unter Bedachtnahme (gemäß §§ 31, 40 StGB) auf das Urteil vom 14. November 1989 wurde zwar von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen; unter einem wurde jedoch vom Bezirksgericht Liesing im Rahmen des urteilsmäßigen Strafausspruches die vom Jugendgerichtshof bestimmte dreijährige Probezeit auf fünf Jahre verlängert. In der Folge wurden über W*** zunächst mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Neusiedl am See vom 29.Mai 1990, GZ U 167/90-4 (wegen des vom 13. bis 17.April 1990 begangenen Vergehens der unerlaubten Abwesenheit nach § 8 erster Fall MilStG) und sodann mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 9.Oktober 1990, GZ 15 E Vr 559/90-13, wegen der (im Mai und Juni 1990 begangenen) Vergehen nach §§ 8 erster Fall, 22 Z 2 MilStG jeweils Geldstrafen verhängt. Während das Bezirksgericht Neusiedl am See, dem auf Grund einer unrichtige Geburtsdaten enthaltenden Vorstrafenanfrage mitgeteilt worden war, daß im Strafregister keine (Vor-)Verurteilung(en) des Gerhard W*** aufscheinen (siehe ON 3 dieses bezirksgerichtlichen Aktes), keinen Anlaß zu einer Prüfung nach § 494 a StPO sah, faßte das Landesgericht Eisenstadt anläßlich seiner Urteilsfällung den Beschluß, vom Widerruf der W*** zum AZ 3 b Vr 820/89 des Jugendgerichtshofes Wien gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen; dieser Beschluß enthält außerdem den Hinweis, daß die Probezeit bereits durch das Bezirksgericht Liesing auf fünf Jahre verlängert wurde.
Das Bezirksgericht Liesing brachte die am 15.Jänner 1990 angeordnete Verlängerung der Probezeit mit der (erst) am 13. März 1990 erlassenen Endverfügung (S 25) dem Jugendgerichtshof Wien am 14.Mai 1990 (zum AZ 3 b Vr 820/89 - siehe die dortige ON 17) zur Kenntnis. Es vertrat auch noch in einer am 21.Juni 1990 gegenüber dem Verein für Bewährungshilfe und soziale Arbeit (Geschäftsstelle Wien) abgegebenen Äußerung - insoweit der Stellungnahme des Bezirksanwaltes vom 12.Juni 1990, Nst 22277/90, folgend - die Ansicht, daß (im Anlaßfall) eine Verlängerung der Probezeit rechtlich möglich gewesen sei (S 32).
Rechtliche Beurteilung
Die Entscheidung des Bezirksgerichtes Liesing über die Verlängerung der Probezeit verletzt das Gesetz in mehrfacher Hinsicht:
Im Fall einer nachträglichen Verurteilung gemäß § 31 StGB ist die allfällige Notwendigkeit des Widerrufs einer mit dem früheren Urteil gewährten bedingten Strafnachsicht nicht nach § 53 StGB, sondern nach § 55 Abs. 1 StGB zu beurteilen. Eine Verlängerung der Probezeit durch Richterspruch ist im Fall des Absehens vom Widerruf nach § 55 StGB jedoch nicht vorgesehen (ÖJZ-LSK 1977/243). Von Gesetzes wegen (§ 55 Abs. 3 StGB) tritt nur beim Zusammentreffen von (zwei oder) mehreren Probezeiten eine Verlängerung aller bis zum Ablauf der zuletzt endenden (jedoch nicht länger als auf fünf Jahre) ein, nicht hingegen dann, wenn im späteren Urteil eine bedingte Strafnachsicht gar nicht ausgesprochen worden ist (NRsp 1990/190). Die Änderung des § 494 a Abs. 7 StPO durch die Strafgesetznovelle 1989 brachte keine materiellrechtliche Neuerung im Sinn einer Erweiterung der rechtlichen Möglichkeiten zur nachträglichen Verlängerung der Probezeit einer bedingten Strafnachsicht durch Richterspruch, sondern bloß eine Verschiebung der Kompetenz für eine solche - weiterhin nur unter den Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 StGB zulässigen - Maßnahme (NRsp 1990/191). Dem eine nachträgliche Verurteilung im Sinn des § 31 StGB aussprechenden Bezirksgericht Liesing kam daher - ungeachtet seiner auf § 494 a Abs. 1 StPO gegründeten Zuständigkeit zur Prüfung der Widerrufsvoraussetzungen nach § 55 Abs. 1 StGB in Ansehung der vom Jugendgerichtshof bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe (NRsp 1990/188, 189) - die Anordnung der Probezeitverlängerung schon mangels jeglicher materiellrechtlichen Grundlage nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 StGB nicht erfüllt waren.
In formeller Hinsicht verstieß die Aufnahme dieser das Absehen vom Widerruf aus Anlaß der neuerlichen Verurteilung (§ 494 a Abs. 1 Z 2 StPO) in sich schließenden Anordnung in den Strafausspruch des Urteiles gegen die Vorschriften der Absätze 4 und 7 des § 494 a StPO, wonach Entscheidungen nach Absatz 1 dieser Gesetzesstelle (mit Ausnahme des Strafausspruches nach Z 3 erster Satz StPO) und damit verbundene Anordnungen (Probezeitverlängerung, Erteilung von Weisungen, Bestellung eines Bewährungshelfers, familien- oder jugendwohlfahrtsrechtliche Verfügungen) mit - allerdings gemeinsam mit dem Urteil zu verkündendem und auszufertigendem - Beschluß zu ergehen haben.
Durch die erhebliche Verzögerung der Mitteilung dieser
Entscheidung an den Jugendgerichtshof Wien verletzte das
Bezirksgericht Liesing zudem die ihm nach § 494 a Abs. 8 StPO
auferlegte Pflicht zur unverzüglichen Verständigung jenes Gerichtes,
dessen Vorentscheidung betroffen wurde (vgl. EvBl. 1989/64 =
NRsp 1989/60 = JBl. 1989, 400 ua).
In Stattgebung der vom Generalprokurator erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war demnach spruchgemäß zu erkennen.
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