OGH 10ObS309/90

OGH10ObS309/904.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Robert Renner (AG) und Ferdinand Rodinger (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Juliane R***, Losenheimstraße 35, 2734 Puchberg/Schneeberg, vertreten durch Dr. Thomas Zimmert, Rechtsanwalt in Neunkirchen wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Hinterbliebenenleistungen infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Mai 1990, GZ 33 Rs 83/90-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Jänner 1990, GZ 4 Cgs 291/89-8, aufgehoben wurde in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 19. April 1989 verstorbene Ehemann der Klägerin Anton R***, bezog wegen einer Berufskrankheit (Siliko-Tuberkulose Stadium II - III) eine Versehrtenrente. Im Juni 1988 wurde der Verstorbene wegen Auftreten von Teerstühlen in das Krankenhaus Neunkirchen eingewiesen und es bestand der hochgradige Verdacht auf das Bestehen eines bösartigen Tumors im Magen. Die damals vorgeschlagene Operation wurde von Anton R*** abgelehnt. Ca. ein dreiviertel Jahr später mußte er mit akuter Schmerzsymptomatik auf die chirurgische Abteilung des Krankenhauses Neunkirchen neuerlich eingewiesen werden. Er befand sich damals in einem sehr schlechten, abgemagerten Allgemeinzustand, wobei sich röntgenologisch ein riesiger raumfordernder Prozeß im Magen mit Verlegung des Magenausganges und Lymphknotenmetastasen zeigte. Aufgrund der vitalen Indikation mußte am 17. April 1989 eine Notfallsoperation durchgeführt werden. Am 2. postoperativen Tag verschlechterte sich die cardiale Situation mit Auftreten eines Lungenödems, das am 19. April 1989 unter Zeichen eines allgemeinen Herz- und Kreislaufversagens zum Tod führte. Die cardio-respiratorische Situation war bis zur Operation ziemlich kompensiert und stabil.

Anton R*** ist nicht an den Folgen einer Staublungenerkrankung verstorben, sondern an einem ausgedehnten Magenkarzinom mit Metastasen, an postoperativem Kreislaufversagen durch allgemeine Unterernährung durch das Grundleiden (Magenkarzinom). Ein Zusammenhang zwischen dem Magenkarzinom und der Berufskrankheit besteht nicht. Durch die Berufskrankheit (Silikose) ist es beim Verstorbenen zu einer Rechtsherzüberlastung gekommen. Auch ohne Operation wäre der Tod durch das Magenkarzinom einem Tod aufgrund der Berufskrankheit zuvorgekommen. Mit letzterer hätte er noch Jahre leben können, mit dem Magenkarzinom - ohne Operation - vielleicht noch 6 Monate. Unabhängig von der Berufserkrankung des Versicherten - er war 80 Jahre alt, die statistische Lebenserwartung bei Männern liegt bei 74 Jahren - hätte man den Kläger nur bei vitaler Indikation operiert. Der Allgemeinzustand im Operationszeitpunkt war nicht durch die Silikose, sondern durch den Magenkrebs so geschwächt, daß es zum Tod infolge Herz-Kreislaufversagens gekommen ist. Die Berufserkrankung und die damit verbundene Rechtsherzbelastung hat das Herz-Kreislaufsystem so geschwächt, daß die Silikose am Herz-Kreislaufversagen nach der Operation zu 25 % maximal 50 % beteiligt war. Der Tod durch den Magenkrebs ist sohin dem natürlichen Tod zuvorgekommen.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 4. Oktober 1989 wurde der Klägerin nach dem Tod ihres Ehemannes eine einmalige Witwenbeihilfe im Ausmaß von 40 % der Bemessungsgrundlage zugesprochen. Der Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen wurde abgelehnt. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klägerin begehrt, die beklagte Partei zur Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nach Anton R*** zu verpflichten. Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab. Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen bestehe nicht, weil nicht die Berufskrankheit, sondern (letztlich) das Magenkarzinom zum Tod des Ehemannes der Klägerin geführt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zurück. Für die Beurteilung des Anspruches der Klägerin sei wesentlich, ob nach einer anderen etwa gleich schweren Operation Herz-Kreislaufversagen eingetreten bzw. damit zu rechnen gewesen wäre. Weiters sei zu klären, inwieweit der Allgemeinzustand Anton R*** durch den Magenkrebs so geschwächt gewesen sei, daß es zu dessen Tod infolge Herz-Kreislaufversagens gekommen sei. Zur Klärung dieser Fragen sei die Beiziehung eines Sachverständigen für Chirurgie erforderlich.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Die Klägerin hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Als Ursache und Mitursache sind unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (Theorie der wesentlichen Bedingung - Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 480 c; Lauterbach, Unfallversicherung 204). Fest steht nun, daß die Berufskrankheit allein den Tod nicht herbeigeführt hätte; ohne Dazwischentreten des Krebsleidens hätte Anton R*** auch unter der Berücksichtigung der Berufskrankheit noch jahrelang leben können. Diese kann daher nur im Zusammenhang mit der schicksalhaft eingetretenen Erkrankung als unmittelbare Todesursache in Frage kommen. Sind zwei oder mehrere Ereignisse im gleichen Maß wesentlich für den Erfolg, dann sind sie alle wesentliche Bedingungen und damit Ursachen im Rechtssinne. Ist eine der Bedingungen oder sind mehrere Bedingungen gemeinsam gegenüber einer von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur jene wesentliche Bedingungen und damit Ursachen im Rechtssinn der in der Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre (Brackmann aaO 480 k f; Lauterbach aaO; SSV-NF 4/83 in Druck).

Strittig ist im vorliegenden Fall, ob die beim Ehemann der Klägerin bestandene Siliko-Tuberkulose eine wesentliche Ursache seines Todes im Sinne der obigen Ausführungen war. Zutreffend verweisen die Rekursausführungen darauf, daß es für die Entscheidung nicht von Bedeutung ist, ob der Tod des Versehrten etwa nach einer gleich schweren Operation eingetreten wäre; maßgeblich ist nur, ob und in welchem Maß die Berufskrankheit den nach der gegenständlichen Operation eingetretenen Tod mitverursacht hat. Daß der Eintritt des Todes die Folge des durch das Krebsleiden verursachten schlechten Allgemein- und Herz-Kreislaufzustandes war, hat das Erstgericht seiner Entscheidung zugrundegelegt, sodaß es auch dieser Ergänzung nicht bedarf.

Fest steht damit, daß der Allgemeinzustand des Ehegatten der Klägerin im Operationszeitpunkt nicht durch die Siliko-Tuberkulose, sondern durch den Magenkrebs so schlecht war, daß es zum Tod zufolge Herz-Kreislaufversagens kam. Anton R*** ist nicht an den Folgen einer Staublungenerkrankung, sondern an einem ausgedehnten Magenkarzinom mit Metastasen sowie an postoperativem Kreislaufversagen wegen allgemeiner Unterernährung durch die Grundkrankheit (Magenkarzinom) verstorben. Selbst wenn durch die Siliko-Tuberkulose eine Beeinträchtigung des Herz-Kreislaufsystems bestand, das letztlich das Herz-Kreislaufversagen mitbestimmt hat, stand doch hier die Krebserkrankung und die dadurch bedingte Verschlechterung des Allgemeinzustandes sowie des Herz-Kreislaufzustandes im Vordergrund. Daß die Siliko-Tuberkulose trotz der dadurch bedingten Beeinträchtigung des Herz-Kreislaufsystems letztlich für den Eintritt des Todes nicht maßgeblich war, ergibt sich aus der Feststellung, daß der Ehegatte der Klägerin ohne Auftreten der Krebserkrankung noch jahrelang gelebt und damit die Berufskrankheit - Anton R*** war im Zeitpunkt des Todes bereits 80 Jahre alt - keine wesentliche Herabsetzung der natürlichen Lebenserwartung bedingt hätte. Das durch die schicksalhafte Erkrankung und die damit verbundene Unterernährung und Verschlechterung des Allgemeinzustandes bedingte Herz-Kreislaufversagen steht als Todesursache so im Vordergrund, daß die Beeinträchtigung des Herz-Kreislaufsystems durch die Berufskrankheit dahinter zurücktritt. Wesentliche Bedingung für den Eintritt des Todes waren daher nur das Krebsleiden und die mit diesem verbundenen Auswirkungen. Da die Siliko-Tuberkulose damit keine wesentliche Bedingung für den Eintritt des Todes Anton R*** war, besteht kein Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenleistungen. Der Oberste Gerichtshof konnte daher in der Sache selbst erkennen, und das abweisliche Urteil des Erstgerichtes wiederherstellen. Bemerkt sei, daß der von der Klägerin in der Berufung gerügte Mangel (Nichtzustellung von Protokollsabschriften) in keiner Weise konkretisiert wurde; die Sachverständigengutachten wurden der Klägerin vorschriftsgemäß übermittelt, eine Abschrift des Protokolles der einzigen Streitverhandlung wurde von der anwesenden Klägerin nicht begehrt.

Da die Klägerin im Berufungsverfahren durch einen Vertreter im Rahmen der Verfahrenshilfe vertreten war, liegen die Voraussetzungen für einen Kostenzuspruch aus Billigkeit (§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG) nicht vor. Im Revisionsverfahren wurden Kosten nicht verzeichnet.

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