Spruch:
Das Gesetz wurde verletzt
1. im Strafverfahren 1 U 1293/89 des Strafbezirksgerichtes Wien
a) durch den Vorgang, daß von dem in der Hauptverhandlung am 19. Februar 1990 (der Sache nach) gefaßten Beschluß auf Verlängerung der Probezeit (unter Absehen vom Widerruf) zu der dem Verurteilten Manuel M*** mit dem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 2. April 1987, GZ 1 a Vr 1306/86-23, in Ansehung der über ihn verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 43 Abs. 1 StGB gewährten bedingten Strafnachsicht nicht unverzüglich der genannte Gerichtshof verständigt wurde, im § 494 a Abs. 8 StPO;
b) durch den Beschluß vom 6.März 1990 (ON 5), womit neuerlich vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgesehen und die oben angeführte Probezeit abermals auf fünf Jahre verlängert wurde, in dem im XX. Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft;
2. durch den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 16. Mai 1990, GZ 1 a Vr 1306/86-35, womit die mit dem Urteil vom 2. April 1987 (ON 23) verhängte Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen wurde, in dem sich aus § 43 Abs. 2 StGB iVm §§ 53 und 56 StGB ergebenden Gebot, die endgültige Strafnachsicht erst nach Ablauf der Probezeit auszusprechen.
Der zu Punkt 1 b bezeichnete Beschluß wird aufgehoben.
Text
Gründe:
Mit dem - am selben Tag in Rechtskraft erwachsenen - Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 2.April 1987, GZ 1 a Vr 1306/86-23, wurde (ua) der am 30.Oktober 1969 geborene Manuel M*** wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 StGB nach der letztgenannten Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt, wobei diese Strafe gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Mit dem Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 19. Februar 1990, GZ 1 U 1293/89-3, wurde Manuel M*** wegen des am 29. September 1989 - sohin während der Probezeit - begangenen Vergehens der versuchten Entwendung nach §§ 15, 141 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Zugleich wurde gemäß § 494 a (Abs. 7) StPO die Manuel M*** zum AZ 1 a Vr 1306/86 - dieses Aktenzeichen wurde ersichtlich irrtümlich mit 1 a Vr 1306/87 anstatt richtig mit 1 a Vr 1306/86 (vgl. S 7, 26) angegeben - des Jugendgerichtshofes Wien bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert (ON 3 S 21). Diese am 22. Februar 1990 in Rechtskraft erwachsene Entscheidung schließt begrifflich jedenfalls ein Absehen vom Widerruf der in Rede stehenden bedingten Strafnachsicht (§ 494 a Abs. 1 Z 2 StPO) in sich. In der hierauf am 6.März 1990 erlassenen Endverfügung ordnete das Bezirksgericht (siehe ON 4 Punkt 7/1, 2) erstmals an, den Jugendgerichtshof Wien zum oben bezeichneten Aktenzeichen vom Verfahrensausgang (unter Anschluß einer Ablichtung der ON 3 = StPOForm. U 7-Protokollsvermerk und gekürzte Urteilsausfertigung bei Schuldspruch) zu verständigen und das Strafregisteramt (mit StPOForm. BedV 5, 6) zu benachrichtigen. Die am 7.März 1990 (ohne besonderen Hinweis auf die Dringlichkeit der Verständigung laut Punkt 7/2) in der Geschäftsabteilung eingelangte Endverfügung wurde am 14.Mai 1990 abgefertigt (S 24).
Ungeachtet der bereits in der Hauptverhandlung am 19. Februar 1990 erfolgten Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre und der in der Endverfügung hiezu getroffenen Anordnungen, faßte das Strafbezirksgericht am 6.März 1990 neuerlich einen Beschluß auf Absehen vom Widerruf der dem Manuel M*** im Verfahren zum AZ 1 a Vr 1306/86 des Jugendgerichtshofes Wien gewährten bedingten Strafnachsicht sowie auf Verlängerung der - in diesem Ausmaß ohnehin bereits bestimmten - Probezeit auf fünf Jahre (ON 5) und verfügte (ua) die Zustellung des Beschlusses an den Jugendgerichtshof Wien (abermals unter Anschluß einer Ablichtung der ON 3) nach Rechtskraft, ferner an den "Beschuldigten" (obwohl dieser der Hauptverhandlung am 19.Februar 1990 ohnehin beigewohnt hatte, und ordnete (abermals) die Verständigung des Strafregisteramtes an. Die Durchführung dieser (dem Abfertigungsvermerk zufolge erst) am 26. Juli 1990 in der Geschäftsabteilung eingelangten (Zustell-)Verfügung erfolgte am 9.August 1990 (S 25). Inzwischen hatte der Jugendgerichtshof im Verfahren 1 a Vr 1306/86 - dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechend - mit Beschluß vom 16.Mai 1990 (ON 35) in Unkenntnis der Entscheidung des Bezirksgerichtes über die Verlängerung der Probezeit ausgesprochen, daß die im Urteil vom 2.April 1987 über Manuel M*** verhängte Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen werde. Gegen diesen ihr am 17. Mai 1990 zugestellten Beschluß wurde von der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien kein Rechtsmittel erhoben. Erst am 3. Juli 1990 gelangten Ablichtungen der ON 3, 4 und 5 des Aktes 1 U 1293/89 des Strafbezirksgerichtes Wien zum Akt des Jugendgerichtshofes (siehe ON 37 im letztgenannten Akt). In seiner gemäß § 33 Abs. 2 StGB erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde macht der Generalprokurator zu Recht die nachfolgend bezeichneten Gesetzesverletzungen geltend:
Rechtliche Beurteilung
Zunächst wurde durch den Vorgang, daß das Strafbezirksgericht dem Jugendgerichtshof Wien nicht unverzüglich seine Entscheidung auf Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre bekannt gab, das Gesetz im § 494 a Abs. 8 StPO verletzt. Der Zweck dieser Vorschrift kann nämlich nur dann erreicht werden, wenn die vorgeschriebene Verständigung sogleich nach der jeweiligen Entscheidung, und zwar ohne Rücksicht darauf erfolgt, ob diese in Rechtskraft erwachsen ist oder nicht (EvBl. 1989/64 = NRsp 1989/60 = JBl. 1989, 400). Läuft sohin schon eine Verzögerung der darauf Bezug habenden richterlichen Verfügung um fünfzehn Tage dem zuvor bezeichneten Verständigungsgebot zuwider, dessen Zweck darin liegt, die Fällung miteinander unvereinbarer Entscheidungen im Zusammenhang mit noch offenen bedingten Unrechtsfolgen zu vermeiden, so war es umso mehr verfehlt, im Sinn des Punktes 1 der Zustellverfügung zum Beschluß vom 6.März 1990 (ON 5) des Strafbezirksgerichtes Wien mit der Verständigung bis zur Rechtskraft zuzuwarten. Der letztgenannte Beschluß kann angesichts des unterschiedlichen Datums der Entscheidungen (19.Februar bzw. 6. März 1990) sowie der gesonderten Zustellverfügungen und Verständigungen des Strafregisteramtes jedenfalls nicht als bloße Ausfertigung der in ON 3 S 21 des bezirksgerichtlichen Aktes beurkundeten Verlängerung der Probezeit angesehen werden; der Beschluß vom 6.März 1990 (ON 5) stellt vielmehr eine neuerliche Entscheidung über denselben Gegenstand dar. Solcherart hat sich aber das Bezirksgericht darüber hinweggesetzt, daß seine - der materiellen Rechtskraft fähige - Entscheidung vom 19.Februar 1990 schon vom Zeitpunkt ihrer Verkündung an (§ 494 a Abs. 4 StPO) mit einer Bindungswirkung insoweit ausgestattet war, als ohne Aufhebung dieser - für den Endzeitpunkt der Probezeit
maßgeblichen - Entscheidung weder das erkennende noch ein anderes Gericht über den Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen durfte (vgl. abermals EvBl. 1989/64).
Die am 16.Mai 1990 - allerdings in unverschuldeter Unkenntnis der Probezeitverlängerung erfolgte - Beschlußfassung des Jugendgerichtshofes Wien über die endgültige Strafnachsicht während des Laufes der (durch das Strafbezirksgericht) verlängerten Probezeit hinwieder verstieß gegen das sich aus § 43 Abs. 2 StGB iVm §§ 53 und 56 StGB ergebende Gebot, die endgültige Strafnachsicht erst zu einem Zeitpunkt auszusprechen, zu dem (infolge Ablaufs der Probezeit) Widerrufsgründe im Sinn des § 53 StGB nicht mehr zum Tragen kommen können.
Da sich die Verletzung der Verständigungspflicht durch das Strafbezirksgericht Wien und die dadurch verursachte Beschlußfassung auf endgültige Strafnachsicht durch den (gemäß §§ 497 Abs. 1 StPO hiefür an sich zuständigen) Jugendgerichtshof Wien noch vor Ablauf der Probezeit zum Vorteil des Verurteilten ausgewirkt hat, muß es insoweit - anders als bei Vorliegen von begrifflich miteinander völlig unvereinbaren Entscheidungen - mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben. Hingegen war der vom Strafbezirksgericht Wien am 6.März 1990 (neuerlich) gefaßte Beschluß auf Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre (und einem daraus resultierenden späteren Endzeitpunkt der Probezeit) ungeachtet der ohnehin - wenn auch vorzeitig - eingetretenen Beendigung der Probezeit (durch die endgültige Strafnachsicht) aus Gründen der - auch im Interesse des Verurteilten gelegenen - Rechtsklarheit durch Aufhebung zu beseitigen.
Über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war sohin spruchgemäß zu erkennen.
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