OGH 12Os131/90 (12Os132/90)

OGH12Os131/90 (12Os132/90)29.11.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.November 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Siegl als Schriftführer in der Strafsache gegen Roland S*** wegen des Vergehens der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles nach § 7 Abs. 2 erster Fall MilStG über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 23.März 1990, GZ BE 1313/88-13, sowie gegen den Vorgang, daß der Einzelrichter des genannten Gerichts zu AZ 10 E Vr 84/90 die Verständigung des Vollzugsgerichtes vom Widerruf der bedingten Entlassung erst nach Rücklangen der Akten vom Rechtsmittelgericht veranlaßte, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Roland S*** wegen des Vergehens nach § 7 Abs. 2 erster Fall MilStG, AZ 10 E Vr 84/90 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt, und in der die bedingte Entlassung dieses Verurteilten aus Freiheitsstrafen betreffenden Strafvollzugssache AZ BE 1313/88 desselben Gerichtes verletzen das Gesetz:

1./ die Unterlassung des Einzelrichters im erstbezeichneten Strafverfahren, das mit der bedingten Entlassung des Roland S*** befaßt gewesene Vollzugsgericht unverzüglich von dem am 23. Februar 1990 in der Hauptverhandlung gefaßten Beschluß auf Widerruf der bedingten Entlassung (ON 8, Punkt II) zu verständigen, in der Vorschrift des § 494 a Abs. 8 StPO;

2./ der in der Strafvollzugssache ergangene Beschluß vom 23. März 1990 (ON 13), womit die bedingte Entlassung für endgültig erklärt wurde, im § 48 Abs. 3 erster Satz StGB sowie in dem sich aus §§ 179 Abs. 2 StVG, 494 a Abs. 4 StPO (wie auch aus §§ 17 Abs. 4, 180 Abs. 1 StVG) ergebenden Verbot, nach aufrechter (wenn auch noch nicht rechtskräftiger) Beschlußfassung über den Widerruf der bedingten Entlassung nochmals darüber zu entscheiden. Der zuletzt bezeichnete Beschluß wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Der am 19.September 1969 geborene Roland S*** wurde mit dem Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 23.Februar 1990, GZ 10 E Vr 84/90-8, des (seit 4.Dezember 1989 begangenen) Vergehens der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles nach § 7 Abs. 2 erster Fall MilStG schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt. Gleichzeitig erging gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO (iVm § 53 Abs. 1 StGB) der Beschluß auf Widerruf der bedingten Entlassung aus (insgesamt drei) Freiheitsstrafen (Strafrest drei Monate und zwanzig Tage), die mit Beschluß des des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 2.Februar 1989, GZ BE 1313/88-4, unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr angeordnet worden war. Den gegen dieses Urteil und den Widerrufsbeschluß erhobenen Rechtsmitteln (Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe, Berufung der Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch, Beschwerde des Angeklagten gegen den Widerrufsbeschluß) wurde mit Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 29.Mai 1990, AZ 24 Bs 104,105/90, nicht Folge gegeben. Erst nachdem der Akt nach Abschluß des Rechtsmittelverfahrens an das Erstgericht zurückgelangt war, verfügte der Einzelrichter die Verständigung des Vollzugsgerichtes vom Widerruf der zum AZ BE 1313/88 ausgesprochenen bedingten Entlassung (Punkt 10. der Endverfügung vom 18.Juli 1990, GZ 10 E Vr 84/90-18). Daß diese Verständigung auch tatsächlich beim Vollzugsgericht einlangte, ist den Akten BE 1313/88 nicht zu entnehmen.

Nach dem Beschluß des Einzelrichters auf Widerruf der bedingten Entlassung und vor der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien hatte allerdings bereits das Kreisgericht Wiener Neustadt als Vollzugsgericht mit Beschluß vom 23.März 1990, GZ BE 1313/88-13, die Entlassung des Roland S*** aus den in Rede stehenden Freiheitsstrafen für endgültig erklärt. Da die Staatsanwaltschaft dazu am 3.April 1990 Rechtsmittelverzicht erklärte, war dieser Beschluß früher in (formeller) Rechtskraft erwachsen als der Widerruf der bedingten Entlassung.

Rechtliche Beurteilung

Sowohl durch das Vorgehen des Einzelrichters als auch durch den letztbezeichneten Beschluß des Vollzugsgerichtes wurde das Gesetz verletzt:

Der Einzelrichter verstieß gegen die Vorschrift des § 494 a Abs. 8 StPO, wonach das erkennende Gericht unverzüglich alle Gerichte zu verständigen hat, deren Vorentscheidungen von einer Entscheidung nach den (dem Abs. 8 des § 494 a StPO) vorangestellten Bestimmungen dieser Gesetzesstelle betroffen sind. Zweck der Verständigungspflicht ist es, daß das ohne Eingreifen der Regelung des § 494 a StPO zuständige Gericht von einer seine Vorentscheidung betreffenden Verfügung frühestmöglich Kenntnis erhält, um zu verhindern, daß es in diesem Zusammenhang eine ihm nicht mehr zustehende Entscheidung trifft. Damit ist aber ein - hier unterlaufenes - Zuwarten mit der Verständigung bis zur Rechtskraft der nach § 494 a Abs. 1 StPO ergangenen Entscheidung - wie der konkrete Fall zeigt - nicht vereinbar (EvBl. 1989/64). Zur ehestmöglichen Verständigung des Vollzugsgerichtes bestand für den Einzelrichter hier umsomehr Anlaß, als er (zufolge S 19, 23 und 31 der Akten 10 E Vr 84/90) auf Grund der Verlesung der Strafregisterauskunft, des Beschlusses über die bedingte Entlassung und des Schlußberichtes der Bewährungshilfe eine unmittelbar bevorstehende Beschlußfassung des Vollzugsgerichtes über die endgültige Entlassung zu gewärtigen hatte. Dabei wäre er nach Lage des Falles auch verhalten gewesen, tunlichst nicht allein in den Entlassungsbeschluß, sondern in den gesamten Entlassungsakt Einsicht zu nehmen, mag auch § 494 a Abs. 3 erster und vierter Satz StPO nur die Einsicht in die Akten über die frühere Verurteilung, wenigstens aber in eine Urteilsabschrift zur Pflicht machen.

Mit dem Gesetz nicht im Einklang steht aber auch der Beschluß des Vollzugsgerichtes vom 23.März 1990 über die endgültige Entlassung des Verurteilten aus (gemeint:) den Freiheitsstrafen. Gemäß § 48 Abs. 3 erster Satz StGB ist die bedingte Nachsicht des Strafrestes (nur) dann für endgültig zu erklären, wenn sie nicht widerrufen wird. Hat hingegen das (hier nach § 179 Abs. 2 StVG, § 494 a StPO) zuständige Gericht auf Widerruf erkannt, dann unterliegt dieser - der materiellen Rechtskraft fähige - Beschluß nur noch der Behebung oder Abänderung im Wege der gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe. Er ist ab seiner Verkündung (§ 494 a Abs. 4 StPO) insoweit bindend, als - den Fall seiner Aufhebung ausgenommen - weder das erkennende noch ein anderes Gericht über den Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen darf. Ein mit dem bereits wirksamen (wenn auch noch nicht in Rechtskraft erwachsenen) Widerrufsbeschluß unvereinbarer Ausspruch des (insoweit nicht mehr zuständigen) Vollzugsgerichtes, daß die bedingte Entlassung endgültig sei, entbehrt jeder Rechtswirkung und war (solcherart ohne Nachteil für den Verurteilten) durch Aufhebung zu beseitigen (abermals EvBl. 1989/64 mit weiteren Judikaturzitaten). In Stattgebung der von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

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