Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Revisionsverfahrens gleich Kosten des Berufungsverfahrens Bedacht zu nehmen haben wird.
Text
Begründung
Franz S*** schloß am 31.8.1983 bei der beklagten Partei eine Unfallversicherung ab. Die Versicherungssumme betrug S 100.000,-- zuzüglich 6 % jährlicher Wertsicherung sowie 10 % dieses Gesamtbetrages als Kostenersatz für Begräbniskosten. Bezugsberechtigt war die Klägerin. Franz S*** stürzte am Abend des 6.12.1986 zweimal hintereinander auf der Straße vor dem Wohnhaus der Klägerin und zog sich dabei einen Schädelbruch zu. Er verstarb am Folgetag an den Folgen dieser Verletzung. Nach Art. 3, III, V und 3 AUVB 1976 ist die Versicherung leistungsfrei, wenn der Unfall infolge eines Schlaganfalles oder einer Bewußtseinsstörung oder durch Alkohol- oder Rauschgifteinfluß erfolgt ist. Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei die Zahlung von S 116.000 sA. Franz S*** sei aufgrund von Glatteis zum Sturz gekommen.
Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, aufgrund der Alkoholisierung S***'S im Unfallszeitpunkt leistungsfrei zu sein.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte fest, daß Franz S*** am Tag vor dem Unfall zur Jause, zum Mittag- und zum Abendessen jeweils nur eine halbe Flasche Bier getrunken hat. Eine Alkoholisierung im Unfallszeitpunkt könne daher nicht als erwiesen angenommen werden. S*** war zumindest früher Alkoholiker. Die Klägerin hat gegenüber einem den Unfall in den Folgetagen erhebenden Gendarmeriebeamten erklärt, daß S*** "den ganzen Tag gesoffen habe". Aufgrund der kühlen, nebeligen Witterung erscheint es möglich, daß sich im Unfallszeitpunkt auf der Unfallstelle Glatteis gebildet hat.
Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß der Sturz S***'S entweder auf die rutschige Fahrbahnoberfläche oder auf einen sonstigen unglücklichen Zufall zurückzuführen sei. Der beklagten Partei sei nicht der Nachweis gelungen, daß S*** infolge seiner Alkoholisierung zum Sturz gekommen sei, sie könne daher keine Leistungsfreiheit beanspruchen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil nach einer Beweiswiederholung in eine Klagsabweisung ab. Es stellte fest, daß Franz S***
chronischer Alkoholiker war und im Unfallszeitpunkt schwer alkoholisiert war (was darunter verstanden wird, wird nicht festgestellt) und deswegen gestürzt ist.
Das Berufungsgericht folgerte rechtlich, daß die beklagte Partei zufolge nachgewiesener Alkoholisierung des Versicherten S*** im Unfallszeitpunkt leistungsfrei sei. Es erklärte die Revision für unzulässig, weil die Tatfrage im Vordergrund stehe, der keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, dieses im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, bzw. ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Das Berufungsgericht hat bei seiner Beweiswiederholung von den 6, vom Erstgericht einvernommenen Zeugen nur 3 neuerlich einvernommen. Es hat die Aussage des den verstorbenen Franz S*** 4 bis 5 Stunden nach dem Unfall behandelnden Arztes, des Zeugen Dr.G***, ohne vorangehende Befragung bzw. Zustimmung der Parteien nach § 488 Abs 3 ZPO verlesen. Dr.G*** sagte aus, bei S*** keine Alkoholisierung, insbesondere keinen Alkoholgeruch aus dem Mund festgestellt zu haben. Das Erstgericht hat seine Negativfeststellung, daß eine Alkoholisierung Franz S***'S im Unfallszeitpunkt nicht feststellbar war,
ausdrücklich auf die Aussage des Zeugen Dr.G*** und jene der Klägerin gestützt (AS 69). Das Berufungsgericht mißt den Angaben dieses Zeugen aufgrund des zwischen Unfall und Behandlung verstrichenen Zeitraumes von 4 bis 5 Stunden keine Bedeutung zu (AS 112) und spricht der Klägerin die Glaubwürdigkeit ab. Nach § 488 Abs 3 ZPO darf eine Beweiswiederholung durch Verlesung von Aussagen nur nach vorangehender Bekanntgabe, daß gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes Bedenken bestehen und daß einzelne oder alle Beweise in dieser Form neuerlich aufgenommen werden sollen, durchführen. Den Parteien ist nach dieser Bekanntgabe Gelegenheit zu geben, die neuerliche Einvernahme einer oder aller Zeugen vor dem Berufungsgericht zu beantragen. Diese Bestimmung soll sicherstellen, daß die Parteien nicht von einer Änderung der Beweiswürdigung des Erstgerichtes durch das Berufungsgericht durch neuerliche Aufnahme der in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweise überrascht werden (vgl. Ausschußbericht zur WGN 89 = 991 der sten. BlgNR XVIII. GP, 64). Gegen diese Bestimmung wird auch dann verstoßen, wenn das Berufungsgericht zwar die für einen Prozeßstandpunkt sprechenden Aussagen unmittelbar aufnimmt, sich jedoch mit der Verlesung der für den anderen Standpunkt sprechenden Aussagen begnügt. Der in der außerordentlichen Revision gerügte schwere Verfahrensverstoß des Berufungsgerichtes gegen § 488 Abs 3 ZPO liegt daher vor. Ihm kommt, abstrakt beurteilt, auch Bedeutung zu, weil das Erstgericht seine anderslautenden Feststellungen auf die Aussage des Zeugen Dr.G*** gestützt hat. Ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 488 Abs 3 ZPO stellt auch eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes dar (vgl. AB aaO). Dem dem Berufungsgericht unterlaufenen Verstoß kommt daher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteiles. Dem Berufungsgericht haftet aber noch ein weiterer Mangel an. Zutreffend führt die Revisionswerberin an, daß nach der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (ZVR 1982/143 mwN) eine Leistungsfreiheit nach sich ziehende alkoholbedingte Bewußtseinsstörung zwar nicht eine volle Berauschung im Sinne des § 287 StGB erfordert, daß es sich aber um eine Ausfallserscheinung handeln muß, die dem durch einen Schlaganfall oder einer Geistesstörung herbeigeführten Zustand annähernd gleichkommt. Durch die Alkoholeinwirkung muß die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit so gestört sein, daß der Versicherte der Gefahrenlage, in der er sich jeweils befindet, nicht mehr so gewachsen ist, wie es die jeweiligen Verhältnisse erfordern würden. Zutreffend verweist die Revisionswerberin auch auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 11.7.1i73 (= ZVR 1974/73), nach welcher eine durch Alkoholmißbrauch verursachte Bewußtseinsstörung den Versicherungsschutz dann ausschließt, wenn der Alkoholgenuß die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit nicht nur unwesentlich schmälert. Die vom Berufungsgericht getroffenen und vom Erstgericht abweichenden Feststellungen, daß Franz S*** im Unfallszeitpunkt "schwer" alkoholisiert war, sind, da dabei nicht die genossene Alkoholmenge bzw. der Blutalkohol annähernd festgestellt worden ist, nicht im Sinne der aufgezeigten Kriterien nachvollziehbar. Auch aus diesem Grund war daher das Berufungsurteil aufzuheben. Das Berufungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren auch den Zeugen Dr.G*** einzuvernehmen und wird auch Feststellungen über die Menge des von S*** vor dem Unfall genossenen Alkoholes zu treffen haben. Dabei bleibt es dem Berufungsgericht unbenommen im Hinblick auf die Ergebnisse des Beweisverfahrens allenfalls auch den Sachverständigenbeweis nochmalsn aufzunehmen. Der Revision war daher Folge zu geben und das Berufungsurteil aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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